«Deine Fähigkeit, mit zehn Menschen gleichzeitig über Kreuz zu sein, ist legendär»
Sie kennen und sie mögen sich seit 21 Jahren: Kurz vor Roger Schawinskis 70. Geburtstag schaut unser Kolumnist Nik Niethammer auf die gemeinsame Zeit mit einem der schillerndsten Medienschaffenden unseres Landes zurück. Verrät, was ihn an seinem Freund besonders fasziniert. Und wie er wirklich ist.
Lieber Roger
Im schlechtesten Fall hätten sie Dich ausgebuht. Damals im Juli 2004 im Schauspielhaus Düsseldorf. Du warst seit einem halben Jahr Chef von Sat.1 und solltest vor 1500 Mediaplanern die Programmhighlights der neuen TV-Saison präsentieren. In einem stickigen Raum unter der Bühne gingen wir Deine Rede noch einmal durch. Deine Stirn glänzte schweissnass, Deine Stimme krächzte. Du hattest Schiss.
Bei der Probe mussten wir improvisieren, weil Du unbedingt ein Handmikro wolltest und der Veranstalter ein Headset. Dieses Bild werde ich nie vergessen: Wie Du mit einer Banane in der Hand den neuen Claim «Sat.1 zeigt’s allen» einübst.
Draussen in der Halle hast Du später einen famosen Auftritt hingelegt. Kämpferisch, selbstbewusst, witzig. Es war der Auftakt zu einer sehr coolen gemeinsamen Zeit in Deutschland.
«Lachen ist durchaus kein schlechter Beginn für eine Freundschaft», sagt Oscar Wilde. Was haben wir gelacht, zehn Jahre zuvor, an jenem schwül-warmen Tag im Mai 1994, als ich mich als Videojournalist für TeleZüri empfahl. Du hast mir in Deinem Büro eine Hi-8 in die Hand gedrückt und mir allen Ernstes erklärt, dass wir mit dieser Mickey-Mouse-Kamera ab sofort das Schweizer Fernsehen aufmischen.
Ich weiss nicht, was mich an Dir mehr fasziniert, lieber Roger: wie leidenschaftlich, ja besessen Du bist. Oder wie lustvoll Du öffentlich nachtreten kannst. Deine Fähigkeit, mit zehn Menschen gleichzeitig über Kreuz zu sein, ist legendär. Auch gerne mit Freunden und Wegbegleitern.
Oder täusche ich mich und Du wirst auf Deine reifen Tage milde? Eben hast du Dich mit Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument versöhnt, einem Deiner härtesten Widersacher. Nachdem er Dich einen Medienspekulanten nannte, war der Zapfen ab. Jetzt sah man Euch am Swiss Media Forum in trauter Zweisamkeit. «Diese Kuh ist vom Eis», sagtest Du stolz. Und ich dachte: Nun ja, da stehen noch ein paar andere rum.
Ich bin nie einem begeisterteren Menschen begegnet. Mit Dir ein Fussballspiel zu gucken, ist Herzpatienten nicht zu empfehlen. Du springst von Deinem Sitz hoch, kommentierst jeden Spielzug, haust Deinem Sitznachbar pausenlos auf Schulter und Schenkel. Damals 2006 in Köln beim WM-Grottenkick Schweiz – Ukraine scheiterte die Nati im Penaltyschiessen. Und ich fürchtete um Deine (und meine) Gesundheit.
Du bist der neugierigste Mensch, den ich kenne. Du hast keine Berührungsängste mit Boulevard. Du magst Klatsch. Ganz oft beginnen Deine Sätze so: «Das musst Du jetzt aber für Dich behalten». Oder: «Das erzähle ich jetzt nur Dir». Dann folgen absolut haarsträubende Geschichten über prominente Nasen, für die sich Boulevardjournalisten die Finger einzeln lecken würden.
Du weisst über fast alles Bescheid, verschlingst Bücher und Zeitungen, kennst irrsinnig viele Menschen, hast zu allem eine Meinung. Hat Dein Tag mehr als 24 Stunden? Bitteschön, wann schaust Du Breaking Bad, House of cards, Orange is the new black, Better call Saul – und wie schaffst Du es, eine neue Staffel immer schon vor allen anderen gesehen zu haben?
Und ja, Du kannst anstrengend sein, manchmal unsensibel. Wenn jemand klagt, dass er grad richtig viel zu tun hat (er will sagen: ich kann nicht mehr) sagst Du: aber Du liebst doch Herausforderungen.
Menschen sagen, Du seist eitel. Die Sache ist einfacher: Du bist hungrig nach Feedback, forderst immer und überall und auch nach der tausendsten Sendung eine Rückmeldung auf Deine Arbeit. So, wie Du laufend Rückmeldungen auf die Arbeit anderer gibst. (Und mit freundlicher Strenge den Morgenmoderator darauf hinweist, den Namen des amerikanischen Wissenschafters künftig auf der zweiten Silbe zu betonen).
Wie fandest Du meine letzte Sendung, lautet Deine Standartfrage. Wehe, man hat sie nicht gesehen. Dann gibst Du Dir erst gar keine Mühe, nicht enttäuschst zu sein. Hat man sie gesehen und findet sie gut, freust Du Dich wie ein Honigkuchenpferd.
Du bist grosszügig, hast jeden Teller Pasta in der Pizzeria Gallo am Escher-Wyss-Platz bezahlt, den wir in fünf Jahren TeleZüri und Tele24 geordert haben. Und es waren viele Teller… Während wir assen, hast Du auf Papierservietten Konzepte gekritzelt. Die ich, zurück im Büro, dann umzusetzen versuchte…
Auch die schwärzeste Stunde hat nur 60 Minuten. Du hast immer einen Plan B. In Krisen läufst Du zur Höchstform auf. Einmal verloren wir an einem einzigen Tag fünf Mitarbeiter an die Konkurrenz. Erst warst Du furchtbar niedergeschlagen, nahmst die Kündigungen persönlich. Dann erwachte Dein Kampfgeist. Noch am selben Tag hast Du deren Nachfolger bestimmt. Und den Konkurrenten mit Klagen eingedeckt.
Du bist anders als die meisten Chefs, die da draussen auf Chefstühlen rumsitzen. Bei Sat.1 bist Du einmal ins zweite Untergeschoss gestürmt und hast einen Cutter im Schnittraum für ein besonders gelungenes Stück abgeklatscht: das hat in 20 Jahren Privatfernsehen nie ein Geschäftsführer vor Dir gemacht.
Mit Radio 1 hast Du noch einmal bei Null begonnen. Und wunderst Dich bis heute, warum Dein Premium Sender nicht so richtig aus dem Quark kommt. Es ist eine Deiner bittersten Erkenntnisse: In Zürich hat niemand mehr weisse Bändeli ans Auto gehängt, als der Radiopirat die Stadt ein zweites Mal enterte.
Du findest Twitter überflüssig wie ein Kropf, und Facebook interessiert Dich nicht. Aber was das Netz über Dich schreibt, das interessiert Dich schon. Nach Deinem verunglückten Talk mit Andreas Thiel («Mein schlimmster Albtraum») habe ich Dir erzählt, was Menschen in die sozialen Netzwerke rotzten. Du warst gleichermassen fasziniert und schockiert.
Vor zwei Jahren musstest Du unters Messer. Die Hüfte. Auch das nahmst Du persönlich: Warum! Muss! Ausgerechnet! Meine! Hüfte! Streiken! Warum? Seither ist Dein Gang nicht mehr so federnd wie früher.
An dieser Stelle sage ich: Danke. Danke für Deine Freundschaft. Danke für mehr als 20 anregende aufregende anstrengende faszinierende Jahre.
Was ich Dir wünsche? Mehr Gelassenheit. Ein leichtes Herz. Dass Du gesund bleibst, die Hüfte hält. Und ein besseres Golf-Handicap.
Roger, Du hast mein Leben bereichert. Und tust es immer noch. It’s a pleasure!
Nik
Michel Benedetti 01. Juni 2015, 19:25
Was passiert wenn Kumpels über ihre alten Kumpels schreiben? Das hat schon Freud erkannt. Er meinte: Wenn Peter über Paul spricht, erfährt man mehr über Peter als über Paul. Somit habe ich erfahren: Der Kolumnist war immer ganz nah dran am tollen Hecht. Hat mit ihm gelacht, geweint, Fussbal geguckt und lauter tolle Sachen gemacht, die uns Sterblichen vergönnt sind. Haben die beiden auch zusammen gekuschelt? Wir werden es nie erfahren. Müssen es auch nicht 🙂
Daniel Fricker 08. Juni 2015, 15:39
@ benedetti Was für ein idiotischer Kommentar!