Fachwissen, Herzblut und Emotionen
Seit dem 4. Juli rollt sie wieder: die Tour de France, das grösste jährliche Sportereignis der Welt. Unser Kolumnist outet sich als Radsport-Fanatiker und Eurosport-Fan – und nervt sich über die Doppelmoral anderer TV-Kommentatoren.
Bevor Sie fragen: ja, im Radsport gibt es viele Idioten. Wer sich wie der 38jährige Italiener Luca Paolini mit Kokain erwischen lässt, dem ist nicht zu helfen. Und nein: ich glaube nicht, dass die ganze Quälerei nur mit Spaghetti und Müsliriegel zu schaffen ist.
Darf man diesen Sport trotzdem mögen? Darf man bei der Tour die Fahrer bejubeln, ohne zu wissen, ob alle sauber sind?
Ich finde: man darf. Und ich sage Ihnen warum.
Ich war vielleicht 10 Jahre alt, als ich in der Garage unseres Wohnhauses einen alten rostigen Renner entdeckte. Mit gebogenem Lenker und ohne Schutzblech. Ich war auf der Stelle elektrisiert. Ich hätte alles getan, um einmal über dem Bügel gebeugt den Berg vor unserem Haus hinunter zu sausen.
Einige Jahre und viele gesparte Taschengelder später kaufte ich mir ein silbergraues Rennrad der Marke „Cilo“. Fortan eiferte ich mit rasierten Beinen im braunen Molteni-Wolltrikot meinen Vorbildern nach: Merckx, Moser, van Impe, Kelly, Roche.
Die Leidenschaft für den Radsport ist bis heute ungebrochen. Radsport ist Kampf und Leidenschaft. Es ist der härteste und der schönste Sport der Welt. Radsport ist Technik. Dynamik. Stil. Es gibt für mich nichts Ästhetischeres als das Muskelspiel einer glattrasierten braungebrannten Velowade.
Wenn die «Tour» rollt, bin ich im Ausnahmezustand. Ich lese jeden Bericht, studiere Streckenverläufe und Ranglisten. Ich verfolge Fahrer und Teams auf Facebook und Twitter, lade mir die Videos ihrer On-Bord-Kameras herunter. Die Etappen schaue ich am Abend als Aufzeichnung. Inklusive Vorbericht und Nachberichterstattung.
An dieser Stelle: Danke Eurosport. Der Spartensender überträgt 1800 Stunden Radsport pro Jahr, davon 330 Stunden von der Tour, davon 90 Stunden live. Für einen Fan wie mich ein Segen.
Die Kommentatoren heissen Karsten Migels und Jean-Claude Leclercq. Für Migels ist es die 15. Tour. DER. MANN. WEISS. ALLES. Er kennt jedes Resultat, jeden Berg, jeden Fahrer. Schafft es der Franzose Thomas Voeckler auf der 8. Etappe in eine Fluchtgruppe, erinnert sich Migels mal eben an die 5. Etappe der Tour 2004 von Amiens nach Chartres, die «der Franzose in einer Ausreissergruppe mit über 12 Minuten Vorsprung beendete und das Maillot Jaune übernahm.» (und es erst 10 Tage später wieder abgab).
Der Franzose Leclercq, ein ehemaliger Berufsradfahrer, hat früher für das Schweizer Fernsehen kommentiert. Seit einigen Jahren darf er bei Eurosport ran – und ist eine echte Bereicherung. Auch wenn sein Deutsch für deutsche Ohren immer wieder gewöhnungsbedürftig klingt («Da hat es Tony Gallopin richtig aus dem Sattel glupft»), auch wenn öfter mal ein Satz einen Ausreissversuch unternimmt und Leclercq ihn nicht mehr einholen kann – er und Migels sind längst Kult. Sie reden Stunden und Aberstunden und wenn sie in die Werbung schalten müssen, entschuldigen sie sich beim Zuschauer.
Die beiden kommentieren mit Fachwissen, Herzblut und Emotionen, schätzen ungewöhnliche Leistungen kritisch ein und beweisen: man kann sich für Radsport begeistern, ohne das Thema Doping komplett auszuklammern.
Anders die Radsportkommentatoren von SRF und vor allem der ARD. Das erste deutsche Fernsehen hatte die Tour vor drei Jahren wegen systematischen Dopings verlassen und überträgt seit diesem Jahr wieder die letzten ein- bis anderthalb Stunden des Rennens. Beinahe zwanghaft wird der Zuschauer bei jeder Gelegenheit auf das Thema Doping hingewiesen, werden die Sündenregister ehemaliger Doper, die noch aktiv sind, heruntergebetet. Besonders die ARD-Kommentatoren Florian Nass und Florian Kurz nerven mit ihrem permanent zur Schau gestellten schlechten Gewissen. Sie fühlen sich offensichtlich genötigt, immerzu Bedenken zu formulieren. Einem Sport gegenüber, den sie zwar übertragen, dem sie aber zutiefst misstrauen.
Doping gehört leider zum Radsport «wie die Hefe in die Brioche» (FAZ). Längst sind nicht alle verbotenen Mittel und Methoden mit Hilfe der Doping-Kontrollen feststellbar. Kein positiver Doping-Test bei einer Tour heisst nicht, dass das Feld sauber ist. Früher, so schätzen Experten, erzielte man mit Epo und Blutaustausch 10 bis 15 Prozent Leistungsgewinn. Heute verwendet der moderne Doper viel kleinere Dosierungen, um nicht erwischt zu werden; sie bringen noch drei bis fünf Prozent mehr Leistung.
In einem Bericht des Weltradsportverbandes UCI wird ein nicht namentlich genannter Profi mit der Vermutung zitiert, dass nach wie vor 90 Prozent des Pelotons dopen. Keine Frage: wenn das so ist, ist es eine Katastrophe. Klar scheint aber auch, dass heute im Feld weitgehend Chancengleichheit herrscht. Und die Strapazen auf dem Rad bei Regen und Hitze auf der Fahrt über fünf Alpenpässe sind für alle dieselben – mit oder ohne Chemie im Blut. Mit dieser Erkenntnis könnte sich der eine oder andere TV-Kollege beim Kommentieren etwas lockerer machen.
Und ich? Ich bin ein hoffnungsloser Fall. Ich liebe den Radsport. Was soll ich denn tun? Mich für Wasserball begeistern?
Thomas 14. Juli 2015, 10:16
Würde die ARD das Thema Doping bei allen Sportarten ansprechen, wäre das zwar immer noch nervend, aber wenigstens konsequent. Sicher ist der Radsport selbst nicht unschuldig daran, daß man Topleistungen weiterhin in Frage stellt, nur ist es sehr auffällig, wie dieselben Sportjournalisten bei anderen Sportlern erst gar keine Zweifel aufkommen lassen wollen und mögliche Diskussionen schnell unterbinden.
Alexander 14. Juli 2015, 16:14
Hallo,
genauso sehe ich das auch mit den TV-Kommentatoren und bin Eurosport Gucker seit Jahren. Entweder bei ARD konsequent alle Doping-verdächtigen Sportarten nicht übertragen oder neutral berichten.
Grüße und viel Spaß bei der Tour
Alex
Schnellinger 14. Juli 2015, 23:45
Danke. Es gibt noch Stimmen der Vernunft im deutschen moralinsauren Doping-Gequake der Leitmedien.
Ob sich der handabller Florian Naß jemals solche Sorgen über Doping in seinem Sport gemacht hat? Sicher nicht. Was ihn überhaupt qualifiziert Radsport zu kommentieren wird sicher auch ewig ein Rätsel bleiben. Migels und Leclercq haben morgens mit 3 Promille Restalk noch mehr Fachwissen im kleinen Fußzeh als der je erwerben könnte.
Lothar Leitgeb 22. August 2016, 17:19
Für mich ist es die Schönste und härteste Sportart der Welt!! Die beiden Komentatoren Karsten Migels und Jean Luc Le Clerc sind echt das beste was der Radsport und Eurosport zu bieten haben. Ich bin zwar schon 69 Jahre alt,aber mit Leib und Seele ein riesengroßer Radsportfan! Fahre selbst auch noch M.T.B und Rennrad. So das musste einmal gesagt werden.