Uefa greift ins TV-Programm ein
Wer die Spiele der Fussball-Euro 2016 zeigen will, muss auch vorproduzierte Sendungen der Uefa bringen. Für SRF heisst das: fast 300 Minuten EM-Vorschau unter fremder Regie. SRF, aber auch ZDF, sowie die Europäische Behörde EBU, wollen darin keinen unzulässigen Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit der Sender erkennen. Kein Wunder. Das Modell ist längst etabliert.
Als Rainer Maria Salzgeber nach dem Testspiel Schweiz gegen Belgien vom letzten Samstag in Genf noch am Spielfeldrand stand und hinter ihm ein paar Nati-Spieler mit einer leichten Trainingseinheit den Match verdauten, setzte der SRF-Sportjournalist zu einem denkwürdigen Satz an als er die folgende Fussballsendung ansagte: «Das Magazin kriegen wir in der Form, wie wir es senden von der Uefa und alle die, welche die Senderechte haben für die Europameisterschaft im kommenden Sommer, die sind verpflichtet, das in der Form, wie wir es kriegen, auch zu senden. Das machen wir natürlich sehr gerne.»
Im Klartext: Die SRF muss vorproduzierten Uefa-Content ausstrahlen, wenn sie die Fussballspiele der Euro 2016 zeigen will. So seht es im Vertrag, den die Europäische Rundfunk-Union EBU mit der Uefa ausgehandelt hat. SRF-Sprecherin Caroline Kalberer bestätigt: «Es gibt eine Verpflichtung zur Ausstrahlung im Vertrag zwischen UEFA und EBU.» Bestimmungen, die für die ganze SRG gelten. Neben SRF müssen auch RTS und RSI die Uefa-Werbesendungen bringen.
Doch worum geht es überhaupt? Was zeigen die Videos? Es handelt sich letztlich um harmloses Material und keine aufdringliche Uefa-Werbung. Ein bisschen Rückblick, ein bisschen Ausblick und viel Prominenz aus dem europäischen Fussball der letzten Jahrzehnte. Keinerlei Rolle in diesen Vorschaubeiträgen spielt hingegen die Sicherheitslage in Frankreich. Für Schweizer Zuschauer irritierend wirkt das Porträt von Ivan Rakitic. Ein Schweizer Fussballer im Dienste des FC Barcelona, der als Doppelbürger für Kroatien an der EM antritt. Im Video spricht Rakitic konsequent Kroatisch, was er bei einer SRF-Produktion sicher nicht getan hätte. Auch fehlen Fragen aus einer schweizerischen Perspektive, etwa nach seiner Einschätzung der Schweizer Nati; Fragen, die ein SRF-Reporter mit Sicherheit gestellt hätte; ein Mangel, den auch die Off-Stimme eines SRF-Manns nicht wettzumachen vermag. Doch insgesamt entsteht der Eindruck einer soliden Produktion, wie man sie auch sonst von SRF gewohnt ist. Das eingeblendete Senderlogo könnte glatt vergessen lassen, dass es sich hier um Content-Marketing für das bevorstehende Fussballturnier handelt. Erst mit dem Hinweis auf uefa.com für weitere Informationen könnte klarwerden, dass nicht SRF Regie geführt hat.
Wenn SRF erklärt, diese Bilder entsprächen den eigenen qualitativen und redaktionellen Ansprüchen und könnten darum bedenkenlos ausgestrahlt werden, dann stimmt das zwar formal, macht aber den Sündenfall nicht ungeschehen. Letztlich lassen sich die Sender erpressen von der Uefa, die ihr begehrtes Produkt Euro 2016 als Einfallstor nutzt für die Platzierung von Content Marketing. Damit ist die Uefa freilich nicht allein. Vor zwei Jahren handelte die Fifa genau gleich. Für die Fussball-WM 2014 gab es die Übertragungsrechte auch nur unter der Bedingung, dass die Sender eine Vorschau ausstrahlen, natürlich nur mit den schönsten Bildern aus Brasilien. Damals rügte die Ombudsstelle von Schweizer Radio und Fernsehen den Umgang des Senders mit den Fifa-Bildern. Es sei zu wenig deutlich auf die Fremdproduktion hingewiesen und damit das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt worden. Eine Ausstrahlung hielt Ombudsmann Achille Casanova aber für grundsätzlich gerechtfertigt, auch wenn er die inhaltlichen Bedenken der Beschwerdeführer nachvollziehen konnte.
Die Teilrüge von damals zeigte teilweise Wirkung. Am Schluss der aktuellen Uefa-Magazinsendungen wird folgendes Copyright festgehalten: «UEFA 2016. All rights reserved». «Dadurch», sagt SRF-Sprecherin Kalberer, «wird die Transparenz hergestellt». Die Verantwortung dafür, dass SRF die fremdproduzierte EM-Vorschau senden muss, trägt letztlich die European Broadcasting Union EBU in Genf. Dieser Zusammenschluss der öffentlichen und öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter hat für 26 seiner Mitglieder die Übertragungsrechte von der Uefa erworben, darunter auch für die SRG. Den Zwang zur Bildübernahme und damit das Risiko, die Unabhängigkeit der Sender zu korrumpieren, nahm die EBU dabei offenbar billigend in Kauf. Das steht gewissermassen im Widerspruch zu den vielfältigen Aktivitäten der Genfer Behörde zur Verteidigung der Medienfreiheit.
Wenn politische Akteure die Medienfreiheit bedrohen, wie jüngst in Polen, dann weibelt die EBU und lobbyiert auf allen Ebenen. Gleichzeitig öffnet sie der Uefa Tür und Tor für die kommerzielle Unterwanderung der redaktionellen Unabhängigkeit ihrer Sender. EBU-Direktorin Ingrid Deltenre verbittet sich diese Unterstellung: «Die EBU würde sich niemals dafür hergeben, die redaktionelle Unabhängigkeit ihrer Mitglieder zu korrumpieren.» Deltenre sieht die nicht ganz freiwillige Contentbelieferung denn auch mehr als seriöse Dienstleistung für die Sender: «Die Uefa hat ein professionelles und journalistisch geschultes Team mit der Herstellung der Programmelemente beauftragt. Es werden Programmelemente wie Interviews, Portraits oder Informationen zur Verfügung gestellt, welche die meisten Sender gar nicht selber produzieren könnten.» Die meisten Sender würden dies als «journalistische Bereicherung» sehen.
Dass es durchaus Spielraum gibt bei der Bemessung des Eingriffs, zeigt die Praxis bei ARD und ZDF. Die deutschen Sender haben ihren Vertrag nicht über die EBU, sondern direkt mit der Uefa ausgehandelt. Und siehe da: Sie müssen nur acht Uefa-Magazine ausstrahlen, die sie zudem hälftig auf die beiden Programme verteilen. Während ARD und ZDF nur je vier Sendungen ausstrahlen, muss SRF deren zwölf zeigen. Auch beim Umgang mit dem vorproduzierten Material gibt es offenbar Unterschiede je nach Vertrag. So erklärt ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz auf Anfrage, man könne sich des Materials bedienen, das von der Uefa zur Verfügung gestellt wird. Die Endfassung (Schnitt, Text) geschehe in der redaktionellen Hoheit der jeweiligen Sender. Bei SRF erklärte Sportredaktor Rainer Maria Salzgeber, man sei «verpflichtet, das in der Form, wie wir es kriegen, auch zu senden».
Auch wenn hier formal und rechtlich alles mit rechten Dingen zugehen mag, bleibt die unschöne Erkenntnis, dass selbst die auf kommerzielle Unabhängigkeit bedachten öffentlichen Sender vor dem Einfluss moderner Werbeformen nicht gefeit sind; vor allem Werbung, die sich vermehrt in den redaktionellen Bereich einschleichen will, was ihr – wie im vorliegenden Fall – auch immer öfter gelingt. Umso grösser muss die Wachsamkeit sein, damit das nicht zum Normalfall wird.
Frank Hofmann 01. Juni 2016, 16:13
Für die Staatsangestellten im Leutschenbach ist das doch ideal, da müssen sie sich nicht bewegen. Dass sie es besser könnten, oder mindestens gleich gut, müssten sie erst noch beweisen. Bei den Welschen und den Tessinern gibt es keine Zweifel. Die rühren aber auch mit der grossen Kelle an, dank Gebühren aus der Deutschschweiz.
bugsierer 01. Juni 2016, 19:24
fairplay (und zeigemäss) wäre, wenn die uefa dieses material allen zur freien verfügung stellen würde. aber so ist das ziemlich degoutant und nicht im sinne des sports. und natürlich auch nicht akzeptabel für srf oder andere öffentich rechtliche anstalten. ein auslaufmodell. (gilt auch für frau deltendre.)
Leo 06. Juni 2016, 17:10
Jedes Gerät hat einen on/off Schalter
Peter Eberhard 13. Juni 2016, 10:34
Und ich als einer, der mit Fussball nichts am Hut hat (und davon soll es entgegen aller Gerüchte noch zwei, drei andere geben), muss dieses Spiel mit Zwangsgebühren für die Übertragungsrechte mitfinanzieren. Kommt dazu, dass nun die Sendepläne aller öffentlich-„rechtlichen“ Sender während eines Monats völlig auf den Kopf gestellt werden; dem Fussball wird alles geopfert. Da kommt man fast in Versuchung, bei der kommenden No-Billag-Abstimmung ein Ja einzulegen.