Blätter fallen, Blüten spriessen
Gleich dutzendfach werden derzeit Redaktionsstellen gestrichen. Den herbstlichen Abbaureigen eröffneten die AZ Medien, dann folgte Tamedia mit dem Schnitt in der Westschweiz, ebendort dürfte Ringier demnächst Journalisten entlassen. Die negative Personalentwicklung folgt damit dem wirtschaftlichen Niedergang der gedruckten Presse. Einen Aufschwung erleben dagegen Digitalplattformen für ein junges Publikum, die vermehrt auf Journalismus setzen.
Mit Blick auf die negative Entwicklung des Inserategeschäfts und die sinkenden Abozahlen kann es nicht überraschen, wenn Medienkonzerne zum Rotstift greifen; erst recht nicht, wenn sie an ambitionierten Renditezielen festhalten. Im Fall der beiden Westschweizer Regionalzeitungen von Tamedia, 24 Heures und Tribune de Genève, führte das zu einem Abbau von 24 Personen. Auf den einzelnen Titel umgerechnet, macht das rund einen Zehntel des Redaktionsbestands aus.
Während Personal und Gewerkschaften protestieren und mit dem Hinweis auf den exzellenten Geschäftsgang Tamedia auffordern, auf Entlassungen zu verzichten, üben sich die Chefredaktoren in einem fatalistischen Zweckoptimismus. «Wir müssen uns anpassen», lässt sich Pierre Ruetschi, Chefredaktor der Tribune de Genève, in der offiziellen Mitteilung zitieren. Mit stärkerer Gewichtung und Vertiefung der Informationen, die für das lokal Publikum «wirklich zählen», will Ruetschi mit weniger Personal die gleiche Qualität bieten wie bisher. Kollege Thierry Meyer von 24 Heures klingt ähnlich. Auch er will irgendwie die Quadratur des Kreises schaffen – wohlwissend, dass dies nicht die letzte Entlassungsrunde gewesen war. Wie sagte doch Tamedia-Präsident Pietro Supino kürzlich: «Das Schlimmste liegt nicht hinter uns.»
Einen Stellenabbau vor sich haben auch die Westschweizer Tageszeitung Le Temps und das Wochenmagazin L’Hebdo, beide von Ringier-Axel-Springer herausgegeben. Man spricht von zehn Stellen im gemeinsamen Newsroom der beiden Titel. Offiziell wird das nicht bestätigt. Bereits vor eineinhalb Jahren wurden bei Le Temps zehn Stellen abgebaut, damals als «Eintrittspreis» in die neue Redaktionsstruktur nach dem Umzug von Genf nach Lausanne.
Den herbstlichen Sparreigen eröffneten die AZ Medien Mitte September mit der Ankündigung, unternehmensweit 26 Stellen zu streichen als «Massnahme zur Ergebnissicherung» aufgrund verminderter Werbeeinnahmen. Von den sechs Stellen, die mittels Kündigung abgebaut werden, betreffen drei das Korrektorat der Aargauer Zeitung – ein Leistungsabbau mit Auswirkungen auf die Qualität. Immerhin verzichtete man bei den AZ Medien auf die andernorts übliche Floskel, wonach mit weniger Personal das Gleiche wie zuvor geboten werden könne.
Letztlich geht es in allen Fällen um einen Wettlauf gegen die Zeit: Schaffen es die Verlage, ihre Zeitungen den Anforderungen des digitalen Markts anzupassen, bevor sie so weit ausgezehrt sind, dass ihnen für die Transformation keine Kraft mehr bleibt? Derzeit sieht es nicht danach aus. Vielmehr meint man einen Tod auf Raten zu beobachten. Zwar entwickeln sich sowohl der digitale Leser-, als auch der Werbemarkt bei Regionalzeitungen positiv, aber eben längst nicht in dem Mass wie der Printmarkt einbricht.
Einfacher haben es da jene, die auf der grünen Wiese gestartet sind und nicht den Ballast eines todgeweihten Geschäftsmodells mit sich herumschleppen müssen. So vernimmt man neben den Abbaunachrichten aus dem Blätterwald derzeit auch das Gegenteil: «VICE Switzerland baut Redaktion weiter aus», hiess es Anfang September. «LikeMag baut Schweizer News-Redaktion auf», lautet eine andere aktuelle Mitteilung.
In beiden Fällen handelt es sich um digitale Medienplattformen, die ein junges Publikum ansprechen – also jene, die den Zeitungen zunehmend fernbleiben. In beiden Fällen handelt es sich zudem um Medien, die ein Geschäftsmodell entwickelt haben, das digitalen Journalismus zu finanzieren vermag. Sowohl Vice als auch LikeMag verdienen ihr Geld inzwischen zu wesentlichen Teilen als digitale Agenturen und ermöglichen so neben der Werbefinanzierung eine interne Quersubventionierung ihrer redaktionellen Aktivitäten.
Während Vice seit seiner Gründung als Jugendmagazin in Kanada ein journalistisches Projekt ist, das in den letzten Jahren global und multimedial expandierte und auch in der Schweiz Fuss fasste, kommt die Entwicklung von LikeMag doch überraschender. Bisher zeichnete sich die Plattform vor allem durch leichte und seichte Unterhaltung zum Zeitvertrieb aus (Katzenbilder). Seit ein paar Wochen setzt das 2012 gegründete Unternehmen auch auf News, «um noch mehr User zu gewinnen». Demnächst soll eine News-App folgen.
Der redaktionelle Ausbau zeigt auch, dass die junge Generation nicht einfach verloren ist für journalistische Angebote. Natürlich verbietet sich ein Vergleich von LikeMag und Vice mit den darbenden Regionalzeitungen, die ihr Selbstverständnis von ihrem Beitrag zu einem funktionierenden Staatswesen ableiten und entsprechend pflichtbewusst und aufwändig berichten. Davon könnten, ja müssten sich die Jungen Wilden eine Tranche abschneiden, wenn sie ihren Journalismus nicht nur als Nice-to-have verstanden wissen wollen. Genauso müssten sich aber die alten, schwächelnden Medien in Ton und Auftritt an der erfolgreichen neuen Konkurrenz orientieren, wenn sie ihre Überlebenschance wahren wollen.