Das Wunder dauerte immerhin 36 Jahre
Das Westschweizer Magazin «L’Hebdo» konnte sich deshalb so lange im Markt halten, weil es die Vorstellungen des Verlags in Zürich konsequent unterlief und damit eine Institution für die Romandie schuf. Wirtschaftlich ging die Rechnung nicht auf. Nach einem Jahrzehnt roter Zahlen setzte Ringier-Axel-Springer dem Wochenblatt ein Ende. Der Tageszeitung «Le Temps», die im gleichen Verlag erscheint, könnte bald das gleiche Schicksal drohen.
Das Ende ist zwar traurig, aber nicht so überraschend gekommen, wie es Chefredaktor Alain Jeannet oder Jacques Pilet, der Gründer von «L’Hebdo», jetzt darstellen: Seit Ringier 2014 die Qualitätszeitung «Le Temps», die je zur Hälfte Ringier und Tamedia gehörte, ganz übernommen hatte, was einige Manager an der Dufourstrasse 23 als fataler Fehlentscheid beurteilten, konnten sich Journalisten, die die Zahlen kannten und die allgemeine Entwicklung der Printmedien kritisch beobachten und nicht irgendwelchen Träumen nachhingen, an den Fingern abzählen, dass Ringier über kurz oder lang im kleinen Westschweizer Markt nicht zwei Qualitätstitel, «L’Hebdo» und «Le Temps», wird halten können. Interessanterweise sind Journalisten, die immer alles vor allen andern wissen wollen, von einer seltsamen Blindheit und mangelnder Analysekraft geschlagen, wenns ums eigene Geschäft und das eigene Schicksal geht.
Ob der Kauf von «Le Temps» ein kluger Entscheid war, sei mal dahingestellt. Sicher ist, dass das Prestige der überregionalen Tageszeitung «Le Temps» sowohl im Hause Ringier wie bei den Opinionleader der Westschweizer Politik und Wirtschaft höher liegt als jenes von «L’Hebdo», und das Magazin sicher vor der Zeitung über die Klinge springen würde, sollte der Ertrag weiter zurückgehen.
«L’Hebdo» litt in den letzten Jahren nicht nur an einem fatalen Anzeigen- und Abonnentenschwund, sondern auch unter ein paar Abnützungserscheinungen. Die Redaktion suchte das Heil, wie alle Nachrichtenmagazine der Welt, im Ausweichen auf sogenannte Soft-Themen wie Rückenschmerzen, Alpenbeizli oder Schulaufgaben. Politisch lag das Heft als letzte wehrhafte welsche Bastion der überzeugten EU-Fighter auch ein wenig neben dem Zeitgeist. Auch in der Romandie hat sich die EU-Skepsis seit der EWR-Abstimmung von 1992 flächendeckend verbreitet.
Das welsche Ringier-Management unter der Führung von Daniel Pillard hatte den Kauf von «Le Temps» massiv empfohlen und –fast möchte man sagen – durchgestiert, dann aber auch verzweifelt versucht, die Zahlen ins Lot zu bringen. Das geschah vor allem mit drastischen Sparmassnahmen, wozu auch der Umzug der «Le Temps»-Redaktion von Genf nach Lausanne in einen gemeinsamen Newsroom von «L’Hebdo» und «Le Temps» gehörte, ein Experiment, das viele mit grosser Skepsis verfolgten, weil die zwei Titel doch von sehr unterschiedlicher Ausrichtung und Dynamik sind. «L’Hebdo» versteht sich nach wie vor eher links, «Le Temps» positioniert sich dagegen viel wirtschaftsfreundlicher.
Doch die Mannschaft versah unter der Leitung von zwei Chefredaktoren, die sich nicht immer grün waren, ihren Job recht gut und bewies, dass man sich von einer Stunde auf die andere sehr wohl vom Magazin- zum Zeitungsjournalisten wandeln kann – wenn man muss. Doch praktisch alle klagten hinter vorgehaltener Hand über die härteren Arbeitsbedingungen. Öffentlich hielt man sich aus Angst vor Entlassungen mit Kritik zurück. Es kam denn auch zu abrupten Personalentscheiden: So wurde die langjährige hervorragende «Hebdo»-Politjournalistin Chantal Tauxe vor zwei Monaten überraschend auf die Strasse gestellt.
Natürlich fehlt «L’Hebdo» jetzt im Westschweizer Blätterwald, aber wenigstens können sich die Journalisten des Magazins den Erfolg ans Revers heften, viel länger erfolgreichen Magazinjournalismus produziert zu haben als jeder Deutschschweizer Versuch im gleichen Segment. «Facts» hat nicht lange gelebt, das Sonntagsjournal (in den siebziger Jahren) auch nicht; vom Schwesterblatt «Die Woche» gar nicht erst zu reden.
Damit kommen wir zum Anfang von «L’Hebdo», der viel erfreulicher war, ein echtes verlegerisches Wunder, aber nur, weil die Journalisten das, was der Verleger eigentlich wollte, nicht gemacht haben. Als der Boulevard- und Heftli-Verlag Ringier 1981 endlich den alten Traum seiner eleganten Direktoren erfüllte, endlich mal in der Liga der Qualitätspresse mitzumischen und beschloss, die Schweiz mit einem neuen nationalen Nachrichtenmagazin zu segnen, nämlich mit «Die Woche» für die deutsche Schweiz und «L’Hebdo» fürs Welschland, war man an der Dufourstrasse überzeugt, dass die zu erwartenden stattlichen Gewinne der Deutschschweizer «Woche» über längere Zeit helfen würden, das zu erwartende Defizit in der Romandie auszugleichen, sozusagen als guteidgenössischer Lastenausgleich.
Doch es geschah ein kleines Wunder, gepaart mit einer peinlichen Niederlage: «Die Woche», geführt vom heutigen Südostschweiz-Verleger Hanspeter Lebrument, der den Chefredaktorenposten ohne jede Zeitschriftenerfahrung angetreten hatte, kam nicht vom Fleck und musste binnen Jahresfrist eingestellt werden. «L’Hebdo» aber, geführt vom besten Nachwuchsjournalisten des Welschlandes, Hobbypilot Jacques Pilet, hob sofort ab und überflügelte schon in den ersten Wochen im Verkauf das grosse Schwesterblatt. Pilet traf den Zeitgeist der jüngeren und weniger jüngeren «Bobos», der Bourgeois-Bohèmes, dieser leicht linken, leicht grünen, leicht gebildeten und leicht einkommensstärkeren Schicht, die in Lausanne und Genf den Ton angaben.
«L’Hebdo» war euphorisch EU-freundlich, wirtschaftskritisch, politisch links, kulturell up to date, in Gesellschaftsfragen progressiv und hatte vor allem eine Qualität, die es seit Jahren aufgegeben hat: «L’Hebdo» hat überrascht und neue Themen gesetzt. Es wurde Kult, war frech, mutig, aufregend, manchmal auch– vor allem, wenn es um Europa ging – ein bisschen nervend. Aber es wurde die beste Journalistenschule der Romandie. Fast alle, die heute Rang und Namen haben in den welschen Medien, sind durch die «L’Hebdo»-Schule von Pilet und die späteren Chefredaktoren Eric Hoesli, Ariane Dayer, Jean-Claude Péclet oder Alain Jeannet gegangen.
Und warum hat «L’Hebdo» funktioniert und «Die Woche» nicht? Weil Befehlsverweigerer Pilet fast alles anders machte als die Schöpfer der «Woche», der Deutsche Adolph Theobald und der Zürcher Walter Bosch, es vorschrieben. Ihre Schreibtisch-Konzept sah vor, dass die beiden Hefte zwar in verschiedenen Sprachen, aber mit den gleichen Inhalten erscheinen sollten, zwei Drittel der Artikel sollten in Zürich und Bern geschrieben werden, ein Drittel in Lausanne und alles würde dann hin- und her übersetzt. Tönt gut, ist aber eine grosse Illusion, der sich immer wieder verlegerische Schreibtischtäter hingeben, die nichts verstanden haben von den grossen kulturellen Unterschieden zwischen Welschland und Deutschschweiz.
Für alle Ignoranten sei es hier einmal mehr gesagt: Die andere Sprache ist mehr als ein simples Google-Werkzeug. Der absolute Clou des Konzepts war die Beschränkung auf die Schweiz: Das Heft darf nur Schweizer Themen behandeln, bestimmte der Deutsche Adolf Theobald. Kein Ausland! Paris kann brennen, Tokio untergehen, Unterlunkhofen und Porrentruy haben Vorrang. Ich denke, so etwas wäre nicht einmal einem SVP-Strategen von heute in den Sinn gekommen.
Jacques Pilet hat seinen Job riskiert, indem er sofort deklarierte, die Romands interessierten sich auch für das Weltgeschehen,die meisten Artikel aus Zürich könne er nicht brauchen, denn sie müssten arg umgeschrieben werden, weil der Blickwinkel in Genf und Lausanne auf fast jedes Ereignis wesentlich anders sei als in Chur und St.Gallen. Er brachte prominent auf dem Titelbild den Ausbruch des Falklandkrieges oder die Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat, was Theobald zur legendär gewordenen Frage trieb: «Herr Pilet, können Sie mir sagen, wieviele Schweizer auf den Fakland-Inseln leben?»
Item, «Die Woche» ging unter, «L’Hebdo» wurde zum Flaggschiff. Pilet setzte Akzente, «L’Hebdo» wählte den Unternehmer des Jahres, «L’Hebdo» setze sich massiv und erfolgreich ein für die Schaffung eines Schweizer Kulturzentrums in Paris, das der Bundesrat abgelehnt hatte. «L’Hebdo» kreierte Foren, lancierte Debatten und wurde zu einem wichtigen Pfeiler der Westschweizer Medienlandschaft.
Das ist nun vorbei. Wieviele Journalisten noch im Newsroom bleiben und an der verstärkten Samstagsausgabe des überlebenden Schwesterblatts «LeTemposs» mitwirken dürfen, ist noch nicht klar. Erstaunlicherweise hat «Le Temps» seine Qualität trotz massivem Stellenabbau auf gutem Niveau halten können, die Zeitung ist lesenswert, hat aber im Lesermarkt den Nachteil, dass ich sie als Zweitzeitung abonnieren muss, quasi als Luxusprodukt, denn sie erfüllt weder in Genf noch in Lausanne oder Fribourg die Rolle der Lokalzeitung wie es die NZZ oder der Tages-Anzeiger in Zürich tun, mit dem unentbehrlichen lokalen Vereins- und Polit-Kleinkram und den Kalendernews wie Todesanzeigen, Öffnungszeiten, etc. Wer in Lausanne lebt, braucht «24 Heures», in Genf La Tribune de Genève. Aber wer leistet sich heute noch zwei Abos? Selbst die New York Times ist letztlich ein Lokalblatt. «Le Temps» leider nicht.
Aber vielleicht erleben wir ja ein zweites Wunder und «Le Temps» lebt noch lange. Zu wünschen wäre es. Die Frage ist nur, ob es «Le Temps» selbst auch wünscht: Ausgerechnet der Chefredaktor des Blattes spielte in der Ausgabe vom 19. Januar 2017 die Kassandra und titelte ein Editorial auf der ersten Seite mit der Voraussage: «Le dernier journal sera imprimé en 2021.» Die letzte Zeitung werde 2021 gedruckt. Stéphane Benoit-Godet, Chefredaktor von «Le Temps», schockierte damit die gesamte Branche. «Die letzte Zeitung wird 2021 gedruckt» ist die Ankündigung des Todes von «Le Temps», denn allein mit der Digitalversion ist kein Geschäft zu machen, sämtliche Image- und Luxuskampagnen, die Anzeigen von Banken und Versicherungen und grossen Autos präferieren weiterhin den Print. Was ist nur in Benoit-Godet gefahren? Weiss er mehr?
Dass ein Chefredaktor mit der einen Hand Abos und Anzeigen sucht und mit der andern ankündigt, dass es sein Blatt in vier Jahren nicht mehr gibt, ist schon sehr, sehr eigenartig und eigentlich nur noch mit einer Neigung zur japanischen Harakiri-Kultur oder mit blindem (Aber-)Glauben an ein erfolgreiches News-Business im Internet zu erklären. Falls Benoit-Godet dieses Editorial mit seinem Verleger abgesprochen hat, wird es schon bald wieder eine Hiobsbotschaft aus Zürich geben. Und die Westschweiz wird um einen weiteren Zeitungstitel ärmer sein.
Frank Hofmann 25. Januar 2017, 18:16
Eine Erfolgsstory oder gar Institution kann man dies kaum nennen. Gerade mal 35 Jahre, davon 10 Jahre defizitär. Auch wenn andere Magazine vorher kollabierten. Ohne Subventionen aus der Suisse alémanique geht bei den welschen Medien schon seit langem nichts mehr. Die welschen Sozis könnten das Heft ja als Parteiblatt übernehmen – inhaltlich wären kaum Retouchen nötig.
Peter Rothenbuehler 25. Januar 2017, 18:39
Voellig falsch: noch nie wurde eine welsche Zeitung aus der Deutschschweiz subventioniert.
Woher stammt diese Vorstellung?
Nein, die Medienkrise erfasst alle gleich, unabhaengig von Vorurteilen.
Frank Hofmann 25. Januar 2017, 20:11
Na, was ich Subvention nenne, heisst bei Ihnen „essuyer le déficit“, 10 ans dans le rouge, c’est bien vous qui le dites, ça fait beaucoup, non? Und wer bitte finanziert RSR und RTS massiv mit?
Yves 26. Januar 2017, 00:26
Spannender Artikel. Nur: Die Unterschiede zwischen Welsch und Deutsch in Freiburg sind, dass „Fribourg“ auf Deutsch „Freiburg“ geschrieben wird. Sonst übergehen sie die Deutschfreiburger. Vielen Dank für eine Korrektur.