von Reto Camenisch

Doppelt daneben: Das falsche Bild für die falsche Sache

World Press Photo leistet dem Bildjournalismus einen Bärendienst. Mit der Auszeichnung des «Attentats in Ankara» rückt die Organisation von den eigenen Prinzipien ab, sich um die Geschichte hinter den Bildern kümmern zu wollen. Das Gegenteil tut sie, wenn sie einem Attentäter eine zweite Plattform bietet.

Der diesjährige Hauptpreis ging an den türkischen AP-Fotografen Burhan Özbilici, welcher mehr zufällig als geplant am 19.  Dezember 2016 auf jener Galerievernissage in Ankara aufkreuzte, wo der russische Botschafter Andrej Karlow während einer Ansprache erschossen werden sollte. Der 59-jährige Fotograf wird gleichzeitig mit anderen anwesenden Fotografen und Videojournalisten, unmittelbar nachdem der Attentäter den russischen Botschafter erschiesst, seine Kamera zücken und das Grauenhafte dokumentieren. Wie Herr Özbilici dann später heroisch zu verstehen gab, tat er das unter Lebensgefahr. Auch erwähnt Kollege Özbilici, dass er zumindest für «guten Journalismus» gestorben wäre, wenn dieses Schicksal ihn ereilt hätte.

Ob man dieses Bild publizieren darf, sollte oder muss, darüber kann man geteilter Meinung sein. Der «innere Gerichtshof», wie Immanuel Kant die Moral einst nannte, bedeutet nicht für jeden Menschen und jeden Kulturkreis das gleiche. Der Schweizerische Presserat hat diesbezügliche Bilder und deren Publikationsmöglichkeiten klar definiert und sich dazu fallbezogen und mehrmals geäussert. Mit Verweis auf die Menschenwürde, sowie das Leid der Betroffenen und die Gefühle ihrer Angehörigen, mahnt der Presserat zu einem äusserst zurückhaltenden Umgang.

World Press Photo sieht das anders und zeichnete das Bild vom Attentat in Ankara aus. World Press Photo ist eine Non-Profit Organisation. Was aber nicht heisst, dass in dieser Firma nicht auch Geld verdient wird. Dieser Aspekt scheint mir von Bedeutung zu sein, wissen wir doch alle, dass kontinuierliche Medienpräsenz mittel- und langfristig auch ökonomische Faktoren sind. Im Weiteren interessiert mich das Bild nicht zwingend in Bezug auf moralische-ethische Beurteilungen, sondern viel mehr, ob dieses Bild den mitgelieferten Konditionierungen und inhaltlichen Argumenten standhalten kann.

World Press Photo lässt uns wissen, dass dieses Pressefoto die Verkörperung dessen sei, «was das Weltfoto des Jahres ist und sein muss», und dass genau dieses Bild die brutale, rücksichtslose und krude Gegenwart reflektiere. Die trump’sche Genauigkeit dieser Behauptung und die Präzision dieser Gegenwartsanalyse ist ebenso verstörend, wie das Bild, respektive der Inhalt des prämierten Bildes.
 
Wir sehen auf diesem einen triumphierenden, um sich schreienden Mörder neben dem am Boden liegenden, sterbenden russischen Botschafter. Raum und Plattform erhält in diesem Bild nicht der gewaltsame Tod eines Menschen, sondern die verwerflich rohe Tat eines Verblendeten. Es geht in dieser Fotografie nicht um das Opfer oder die Tat, sondern um den Täter und seine Bühne. Das ist es also, was ein gutes journalistisches Bild ist und zu sein hat?

Die Frage steht im Raum, ob World Press Photo solche Haltungen und Positionen tatsächlich als richtig, gar förderungswürdig betrachtet. Offensichtlich oder zumindest nicht alle Jurymitglieder, denn der Juryvorsitzende und Magnum-Fotograf Stuart Franklin distanzierte sich öffentlich mit den Worten, dass es moralisch problematisch sei, ein Bild zu zeigen, das ausschliesslich Plattform für einen Schlächter und Mörder sei. Vergleichbar verächtlich, wie das Zeigen von Enthauptungen durch IS-Terroristen.
 
Mit dieser Meinung, dieser Einschätzung steht Franklin nicht alleine. So etwa positionieren sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Süddeutsche Zeitung gegen das Bild und verweigern eine Publikation. Tristan Brenn, Chefredaktor Fernsehen SRF findet die internationale Kritik berechtigt: «Der Mörder hatte seine Bühne – und man gibt sie ihm posthum gleich wieder!» Dominique Eigenmann, Deutschland-Korrespondent des Tages-Anzeigers, nennt das Bild das «pornographischste Mörderbild des Jahres».
 
Phil Corbett, bei der New York Times für die Einhaltung ethischer Standards verantwortlich, antwortete auf die Frage, warum er für die Publikation dieses Bildes gewesen sei mit den sonderbaren Worten, «dass das Bild die schockierende Natur der Attacke viel eindrücklicher zeige, als es eine blosse Beschreibung getan hätte». Als Fotograf bin ich komplett gegenteiliger Meinung, denn ich weiss aus tiefer Erfahrung, dass Bilder eben nicht alles können. Die geschriebene Sprache kann gewisse Vorgänge viel präziser und feinstofflicher wiedergeben. Braucht es das Bild eines aus 10’000 Meter abgestürzten Flugzeugpassagiers um zu beschreiben, was sich hier Schreckliches zugetragen hat? Die Kernfrage ist und bleibt die journalistische Relevanz.
 
Es geht auch in keinster Weise darum, bildliche Darstellungen von Gewalt oder Tod im Absoluten zu verhindern. Wenn man solches Bildmaterial publiziert, müsste man aber genau wissen, warum und wieso. Wem oder was nützten solche Publikationen? Oder wer erfährt einen Mehrwert, wer profitiert tatsächlich?
 
Um auf Burhan Özbilicis Bild zurückzukommen: Es ist schlicht und ergreifend das falsche Bild, weil es inhaltlich nicht der richtigen Sache dient. Es beschäftigt sich nicht mit dem Opfer, sondern ausschliesslich mit dem Täter und zwar in einen Ausmass, das unangemessen und empörend ist; das Motiv verherrlicht das Attentat. Aus formaler Sicht ist das prämierte Bild eher simpel und weist eine «Präzision» auf, welche man heute von jedem durchschnittlich geübten Fotografen erwarten darf. Um es aber in andere Höhen zu hieven, werden dieser Art Bilder Kräfte, Lesearten und – was ich noch peinlicher finde – Intentionen des Autors angedichtet, welche noch dünner sind, als das eigentliche Bild selber. Es ist die Eigenschaft der Dummheit, dass sie sich selber als das Mass aller Dinge begreifen will und somit selber nicht merken kann, wie sie sich selber deklassiert.
 
Beispielsweise sagte Burhan Özbilici in einem Interview, dass er «beim Fotografieren sehr darauf bedacht war, die lange Tradition von gutem, unabhängigen Journalismus und News Photos zu repräsentieren». Zwei Sätze später antwortet er auf die Folgefrage der Journalistin, was ihm denn während des Attentats durch den Kopf gegangen sei: Nichts!
 
Oder Lars Boering, Executive Director von World Press Photo, sagte in einem Interview mit Paris Match am 7. September 2015 über zeitgenössischen Bildjournalismus: «Wir werden jeden Tag mehr und mehr von Bildern überflutet. Um so mehr müssen wir uns um die Geschichte hinter den Bildern kümmern». Offensichtlich hat er seine eigene Aussage vergessen, nimmt diese selber nicht ernst oder hat schlicht und ergreifend keine Ahnung, wovon er redet. Da wird schneller geschnattert, als sorgfältig betrachtet.
 
Bilder wie jenes von Burhan Özbilici dienen nicht der exakten journalistischen Darstellung und schon gar nicht der Weiterentwicklung und Förderung journalistischer Fotografie. Dieses hier mit einer der bekanntesten Auszeichnungen geförderte fotografische Niveau ist sowas von abgelaufen und von vorgestern. Diese Art Bilder haben wir tausendfach gesehen, sie vermitteln loopmässig immer wieder dieselben stumpfen und leeren Inhalte.
 
Als bigott erweist sich auch die Haltung der Bildindustrie, welche nicht den Mut hat, sich als eigentlicher Nutzniesser solcher Vulgaritäten zu outen. Sie behaupten vehement, dass diese Bildwelten einer grösseren Sache diene. Oh Boy!

Leserbeiträge

Jean Pierre Hintze 21. Februar 2017, 17:44

Es gibt eben gute und schlechte Journalisten; echte und unechte Reporter – eben solche, die ihre Aufgabe verstehen und jene, die ihre Aufgabe missverstehen. Burhan Özbilici hat seine Aufgabe glänzend verstanden.
Reto Camenisch gehört hingegen zu jenen, die ihre Pflicht als Journalist mit moralisierenden Populismus eintauschten und die Öffentlichkeit zu erziehen versuchen, anstatt zu informieren.

Claudia Hutter 21. Februar 2017, 18:24

Vielen Dank für diesen Beitrag! Vielen Dank für die klaren Worte.

Jacqueline 23. Februar 2017, 15:19

unwürdig, respektlos, geschmacklos!

Bruno Utz 27. Februar 2017, 11:29

World Press errichtet mit der Auszeichnung ein Denkmal für kranke Gewalttäter. Herausragender Journalismus sieht anders aus.

Robert Weingart 09. März 2017, 22:26

Es geht um Journalismus und nicht „komponierte“ Bilder. Warum den Leser vor dem wahren Geschehen schützen? Vielleicht hat Herr Camenisch etwas falsch verstanden.