von Nick Lüthi

Spielwiese für einen neuen Sportjournalismus

Journalisten und Sportlerinnen spannen zusammen und gründen eine Plattform für anspruchsvollen Sportjournalismus. Im Zentrum des Projekts steht ein gedrucktes Magazin, das in einem Jahr – vorerst einmalig – erscheinen soll.

Die Latte haben sie bewusst hoch gelegt. Bis im Herbst 2018 soll die «No. 1 – Das beste Sportmagazin der Welt» erscheinen. Doch die Chancen stehen gut, dass dies gelingt. Hinter dem Projekt stehen Journalistinnen, Blattmacher, aber auch Sportlerinnen und Sportler. Zusammen wollen sie einem anspruchsvollen Sportjournalismus eine neue Plattform bieten. Zahlen sollen die Leserinnen und Leser. Mit 100’000 Franken wird das Heft erscheinen, vorerst einmalig. Es soll aber keine Nullnummer werden, sondern gleich die Nummer 1, kokettieren die Macherinnen und Macher mit ihrer selbstbewussten Ansage.

In den letzten Jahren sprengte die Sportberichterstattung immer öfter den gewohnten Rahmen und experimentierte mit neuen Formen und Zugängen zu Themen.

Der Vorstoss erfolgt nicht ganz zufällig. In den letzten Jahren sprengte die Sportberichterstattung immer öfter den gewohnten Rahmen und experimentierte mit neuen Formen und Zugängen zu Themen. Sei das mit langen Formaten in Web und Print oder gar ganzen Magazinen, die den Sport anders vermitteln wollen fernab des resultate- und personenfixierten Tagesgeschäfts. So gingen in Deutschland mit «No Sports» und «Socrates» im letzten Jahr gleich zwei neue Magazine an den Start, die sich einem langsamen, hintergründigen Sportjournalismus verschrieben haben.

In der Schweiz fiel in den letzten Jahren – neben anderen – Christof Gertsch mit seinen sportjournalistischen Überformaten auf. Etwa im Web mit einem aufwändig gestalteten Multimedia-Porträt des eigensinnigen Snowboard-Stars Iouri Podladtchikov. Oder auf Papier mit einer monothematischen Ausgabe des «Magazins» zu Leichtathletik-Superathlet Usain Bolt zusammen mit Mikael Krogerus. Aber auch mit zwei Biografiebänden über Ariella Kaeslin und Fabian Cancellara. Auch im Tages- und Wochenjournalismus fällt Gertsch immer wieder positiv auf, wenn er über Radsport und Doping recherchiert oder den Schwimmsport geschrieben hat.

Dabei soll es nicht bleiben. Gertsch will mehr davon. Und er ist nicht alleine. Neben ihm sitzt «Magazin»-Kollege und Bestsellerautor Mikael Krogerus. Den beiden vis-à-vis hat die ehemalige Snowboarderin Ursina Haller Platz genommen. Sie arbeitet gerade noch auf der Sportredaktion der NZZ am Sonntag, wechselt aber bald in den freien Journalismus. In ein paar Tagen werden sie ihre Pläne der Öffentlichkeit vorstellen. In einem Berner Co-Working-Café schleifen die drei am Kommunikationskonzept und feilen an der Website. Das tun sie in ihrer Freizeit. Neben Gertsch, Krogerus und Haller zählen zum Kernteam auch noch NZZ-Sportredaktor Benjamin Steffen, zusammen mit Gertsch Co-Autor der beiden Sportlerbiografien. Ebenfalls an Bord sind Bruno Ziauddin, Gianfranco Acocella, Benno Maggi und Bänz Friedli.

Wer mindestens 25 Franken zahlt, kriegt in einem Jahr 144 Seiten hochwertigen Sportjournalismus in Text und Bild von den besten Autorinnen und Autoren aus der Schweiz und der ganzen Welt.

Ab Ende November geht es ans Geldsammeln. Bis dahin müssen sie einem interessierten Publikum vermitteln können, wofür sie 100‘000 Franken brauchen. Wer mindestens 25 Franken zahlt, kriegt in einem Jahr 144 Seiten hochwertigen Sportjournalismus in Text und Bild von den besten Autorinnen und Autoren aus der Schweiz und der ganzen Welt. Wer etwas mehr zahlt, dem bieten beispielsweise die involvierten Sportlerinnen und Sportler ein Goodie.

Doch das Geld spielt vorerst keine so grosse Rolle, zumal es nicht darum geht, das dauerhafte Erscheinen einer Publikation zu sichern wie das bei anderen Crowdfundings der Fall ist. Was umso mehr zählt, ist dafür die Idee. Das Projektteam betont stark den «Laborcharakter» seines Experiments. Ausprobieren, scheitern, wieder aufstehen und reüssieren – wie das erfolgreiche Sportler auch tun. «Ich bin lieber der Erste, der alles falsch macht, als der Vierzehnte, der es richtig macht», sagt Mikael Krogerus.

Seinem Credo lebt er in einem Podcast nach, der bereits unter der Marke «No. 1» erschienen ist. In der ersten Folge ist der Schriftsteller und Fussballfan Pedro Lenz zu Gast. Neben den unvermeidbaren Berner Young Boys dreht sich das Gespräch um so unterschiedliche Facetten des Fussballs wie dem Ausdruck von Emotionen auf dem Spielfeld im Moment von Sieg und Niederlage, aber auch zu Johan Cruyffs Herzoperation weiss Lenz erstaunliche Details zu erzählen. Die Tonspur klingt roh, ein Experiment eben und keine High-End-Produktion, ganz nach dem Motto: einfach mal machen.

«Wir wissen sehr gut und schätzen auch, was in den Redaktionen geleistet wird» Christof Gertsch, Mitgründer «No. 1»

Über einen Mangel an gutem Sportjournalismus kann man sich in der Schweiz nicht beklagen. Alle grossen Medien bieten anspruchsvolle Formate und aufwändig recherchierte Geschichten. Auch darum ist es Christof Gertsch so wichtig, und er betont es mehrmals im Gespräch, nicht die Kollegen «anzupinkeln» mit der Ansage, das beste Sportmagazin der Welt machen zu wollen. «Wir wissen sehr gut und schätzen auch, was in den Redaktionen geleistet wird», sagt Christof Gertsch, der selbst lange als Sportredaktor von Berner Zeitung und NZZ am Sonntag gearbeitet hat und nun im «Magazin» ein breiteres Themenspektrum abdeckt, aber auch dort dem Sportjournalismus treu bleibt.

In einem zentralen Punkt soll sich das neue Magazin aber vom gegenwärtigen Sportjournalismus unterscheiden. «Es herrscht eine zunehmende Unzufriedenheit unter Sportlerinnen und Sportlern, wie der Sport öffentlich repräsentiert wird», beobachtet Gertsch. Damit meint er nicht nur die Darstellung in den Medien, sondern auch das Verhältnis zwischen Athleten und Verbänden. Hier wolle man ansetzen. Gegenseitige Wertschätzung sei die Grundlage. Darum spannten die Medienschaffenden von Beginn weg mit Spitzensportlern zusammen.

Während andere Neugründungen, etwa die «Republik», ihr Publikum in den Gründungsprozess einbezieht, reicht das geplante Sportmagazin den Protagonisten der Berichterstattung die Hand.

Sie sitzen zusammen, hören sich gegenseitig zu, tauschen sich aus und diskutieren gemeinsam, wie der Sportjournalismus auch aussehen könnte. Während andere Neugründungen, etwa die «Republik», ihr Publikum in den Gründungsprozess einbezieht, reicht das geplante Sportmagazin den Protagonisten der Berichterstattung die Hand. «Aber wir sind deshalb kein Sprachrohr der Sportler», sagt Mikael Krogerus. Ein von gegenseitigem Respekt geprägter Umgang, im vollen Bewusstsein der unterschiedlichen Rollen von Sport und Journalismus, führt im besten Fall zu einer tieferschürfenden Berichterstattung.

Dass das geplante Magazin mit vergleichbaren Publikation wie «No Sports» locker mithalten und seinen angekündigten Spitzenplatz als «No. 1» durchaus erreichen kann, zeigt ein Direktvergleich: Über die Tour de France und Usain Bolt berichtet das deutsche Heft in jüngster Zeit mit grossen Formaten, kam aber in der inhaltlichen Tiefe nie an die Arbeiten von Christof Gertsch heran, der beide Themen mit einem Aufwand und einer Expertise anging, wie sie nur wenige andere zu leisten im Stande sind. Auch die anderen Autorinnen und Autoren aus dem Projektteam für das neue Magazin bringen einen gut gefüllten Rucksack voller journalistischer Arbeiten mit, wie man sie nicht jeden Tag liest. So thematisierte etwa Ursina Haller in der NZZ am Sonntag prominent, wie Spitzenathletinnen mit ihrer Menstruation umgehen und brachte damit ein Tabuthema aufs Tapet, über das sie als ehemalige Weltklassesnowboarderin nicht zuletzt aus eigener Erfahrung schreiben konnte. Bruno Ziauddin, heute stellvertretender Chefredaktor beim «Magazin», schrieb einst ein grosses Porträt über Viktor Röthlin («Der weisse Massai», Weltwoche, 2008), von dem der Marathonläufer bis heute schwärmt.

Entsprechend hoch sind Röthlins Erwartungen an das neue Sportmagazin. Er hofft nicht weniger, als dass ein Autor den Heiligen Gral des Laufens findet, den er selbst in seiner langen Karriere nicht gefunden hat. In kurzen Videoclips schlagen die ehemaligen und aktiven Sportlerinnen und Sportler, die als Botschafter für das neue Magazin Hinstehen, weitere Themen vor. Tausendsassa Iouri Podladtchikov will für jenen Gossip sorgen, «den ihr schon immer lesen wolltet.» Dominique Gisin freut sich, einmal lesen zu können, warum sich Musiker und Sportler so gut verstehen.

An Themen mangelt es nicht. Und erste Rückmeldungen geben Anlass zur Hoffnung, dass sich die «No. 1» auch finanziell rechnen wird. «Viele reagierten zuerst mit einem: ‹Vergiss es, funktioniert sowieso nicht›, nur um dann zu sagen, dass sie ein solches Magazin natürlich sofort kaufen würden», sagt ein sichtlich amüsierter Michael Krogerus.

Leserbeiträge

Oliver Brunner 17. Oktober 2017, 16:02

Und wieder ein Produkt, das hochstehend sein soll (Eigenwerbung) und zum Vorneherein bezahlt werden muss, mehr Spende als Abo. Grundsätzlich ist es aber leider so, dass Sportler ausserhalb des Sports nicht sehr interessante Leute sind (das ist nicht abwertend, sie haben ja den grössten Teil ihrer Zeit mit Trainings verbracht, um an die Spitze zu kommen). Die People-Berichte, die den Profi zum begabten Maler, Fotografen, Physiker machen, sind dann immer etwas gesucht und platt. Der Sport lebt von der Aktualität, diese kann man wunderbar beschreiben und analysieren. Will ich zum 500. Mal lesen, wieso das Wembley-Tor eins ist oder nicht, was Bernhard Russi gefühlt hat, als er in Sapporo unten ankam und wie die Dopingversorgung im Radrennsport funktioniert etc. etc.? Ein Sportzeitung, die beispielsweise die Super League vertieft analysiert und nicht immer die Berichte und Vorschauen im Salzgeber/Suter/Fringer-Stil macht, würde ich abonnieren. Wahrscheinlich gibt es aber dafür zu wenig Publikum.