von Stefan Boss

Gesucht: Wirtschaftsjournalist/in

Wirtschaftsredaktionen leiden besonders unter der Abwanderung von Mitarbeitern in die PR-Branche. Auch grössere Medienhäuser finden nicht so leicht neues Personal. Das wirkt sich auch auf die Qualität der Berichterstattung aus.

Offene Stellen mit kompetenten Wirtschaftsjournalistinnen oder Wirtschaftsjournalisten zu besetzen, kann aufreibend sein, wie kürzlich die «Blick»-Gruppe erfahren musste. Diese suchte in den letzten Monaten intensiv und musste die Anforderungen in der Stellenausschreibung nach unten korrigieren. Inzwischen konnten die Stellen besetzt werden.

Wenn Medienhäuser verzweifeln, wenden sie sich manchmal an Alexandra Stark, Studienleiterin am Medienausbildungszentrum MAZ. Sie ist dort verantwortlich für die digitale Vertiefung der Diplomausbildung für angehende Journalistinnen und Journalisten. «Manchmal erhalte ich für den gleichen Job aus dem gleichen Medienhaus drei Telefone: eines aus der HR-Abteilung, eines vom Ressortverantwortlichen und eines aus der Chefredaktion», sagt sie. Viele Redaktionen bildeten keine Journalisten mehr aus, bemängelt Stark. Zudem wirke sich das Verschwinden der Wirtschaftszeitung «Cash» und des Nachrichtenmagazins «Facts» aus, die früher zahlreiche Wirtschaftsjournalisten ausgebildet hätten. Stark hatte Ende der neunziger Jahre selbst für «Cash» gearbeitet.

«Wenn man erfahrene Leute sucht, wird die Zahl der in Frage kommenden Journalisten rasch kleiner.»
Beat Schmid, Wirtschaftschef Aargauer Zeitung

Eine Studie zur «Krise der Wirtschaftsberichterstattung» des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) in Zürich kommt zum Schluss, dass ein Braindrain von den Redaktionen in die Public-Relations-Branche zu beobachten sei. «Jungen Talenten bieten sich in der Unternehmenskommunikation bessere Arbeitsbedingungen und höhere Saläre als Wirtschaftsjournalismus», heisst es in dem Ende März publizierten Papier.

Beat Schmid, Wirtschaftschef der «Aargauer Zeitung», teilt Einschätzung der Studie. Wenn man erfahrene Leute suche, werde die Zahl der in Frage kommenden Journalisten rasch kleiner, sagt Schmid. Vor eineinhalb Jahren suchte die AZ einen Pharmaspezialisten. «Wir haben schliesslich jemanden gefunden, die Suche war aber nicht einfach», räumt Schmid ein. Schwierig sei vor allem, Medienschaffende für Spezialgebiete wie Pharma sowie Technik und Industrie zu rekrutieren. Dieses Jahr haben die AZ Medien die Wirtschaftsredaktionen der «Aargauer Zeitung» und der «Schweiz am Wochenende» zusammengelegt, diese befindet sich neu in Zürich. Schmid erwartet, dass die Verlagerung in die Schweizer Wirtschaftsmetropole die Attraktivität für potenzielle Stellenbewerber steigert. Ein Wirtschaftsstudium ist für eine Anstellung bei der AZ nicht zwingend, wohl muss man aber laut Schmid Bilanzen lesen können und einen Geschäftsbericht verstehen.

«Die NZZ bietet unverändert ein attraktives Umfeld für Journalisten, die an wirtschaftspolitischen Zusammenhängen und an der Unternehmenswelt interessiert sind.»
Werner Enz, stv. Ressortchef Wirtschaft NZZ

Auch die NZZ-Wirtschaftsredaktion hat gelegentlich mit der Abwanderung von Journalisten in die PR zu kämpfen: «Generell zur Branche gesagt: Die Anzahl von Wirtschaftsjournalisten, welche die Seite wechseln, war früher vermutlich kleiner», sagt der stellvertretende Wirtschaftschef Werner Enz. Ein Hochschulabschluss in Wirtschaft ist zwingend für eine Anstellung in seinem Team. Die Zeitung findet laut Enz «immer wieder kompetente Leute für die Wirtschaftsredaktion». Sie hat also weniger Probleme, ihre Stellen zu besetzen. Worauf führt es dies zurück? «Die NZZ bietet unverändert ein attraktives Umfeld für Journalisten, die an wirtschaftspolitischen Zusammenhängen und an der Unternehmenswelt interessiert sind.» Wenn man sich in der Redaktion in Zürich etabliert habe, locke zudem die Chance, als Korrespondent ins Ausland zu wechseln. Das Traditionsblatt hat rund 20 Wirtschaftskorrespondenten im Ausland.

Eveline Kobler, Leiterin der Wirtschaftsredaktion von Radio SRF, befindet sich bei Stellenbesetzungen in einer Lage irgendwo zwischen NZZ und AZ: «Wir haben bei der Suche nach qualifiziertem Personal eine mittelgrosse Auswahl.» Sie findet allerdings, das Problem habe sich in den letzten sechs Jahren nicht weiter verschärft. Eine Chance hat, wer entweder über ein Wirtschaftsstudium (respektive einen entsprechenden Fachhochschulabschluss) oder Erfahrung aus der Privatwirtschaft mitbringt. Als zusätzliche Hürde muss man für eine Anstellung beim Schweizer Radio einen Sprachtest bestehen. Ähnlich wie die NZZ profitiert das SRF bei der Personalrekrutierung von seinem bekannten Markennamen.

Die schwierige Situation bei der Rekrutierung von Wirtschaftsjournalisten dürfte auch die Qualität der Berichterstattung in den Schweizer Medien weiter beeinträchtigen.

Auch für renommierte Medienhäuser wird es aber künftig kaum einfacher, geeignetes Personal zu finden, da fürs nächste Jahr laut Seco-Prognosen die Arbeitslosigkeit weiter zurückgeht: Zurzeit beträgt die Zahl der schweizweit gemeldeten Arbeitslosen 3.0 Prozent, bei den Medienschaffenden ist sie sogar noch etwas tiefer.

Die schwierige Situation bei der Rekrutierung von Wirtschaftsjournalisten dürfte auch die Qualität der Berichterstattung in den Schweizer Medien weiter beeinträchtigen. Bereits jetzt erhält diese bei Wirtschaftsthemen laut der eingangs zitierten fög-Studie bei den zentralen Kriterien Relevanz, Einordnungsleistung und Professionalität schlechtere Noten als die Politikberichterstattung. Bei der Einordnungsleistung, also der Frage, ob es eine kontinuierliche Berichterstattung zu einem Thema gibt, beträgt der Wert für die Berichterstattung zu Wirtschaftsthemen auf einer Skala zwischen 0 und 10 bloss 5,2. Dass er für die Politikberichterstattung auch nicht viel höher ist (5,8) und die Medien angesichts der Schwierigkeiten, professionellen Journalismus zu finanzieren, mit der Qualität generell ein Problem haben, ist da nur ein schwacher Trost.