von Filip Dingerkus

Zurechtgebogene Zahlen

Wenn das Ergebnis vor der Auseinandersetzung mit den Fakten feststeht, kommt es selten gut im Journalismus. So auch jüngst in der «Sonntagszeitung», als diese von überdurchschnittlich linken SRG-Journalisten zu berichten wusste. Eine Aussage, die sich mit den verwendeten Zahlen nicht treffen lässt. Filip Dingerkus, Mitautor der Studie, auf die sich die Zeitung beruft, zeigt auf, wie der Artikel eigentlich hätte aussehen müssen.

Viel wurde in den letzten Tagen in sozialen Netzwerken und beinahe allen Deutschschweizer Medien über den Artikel kommentiert und gestritten über das vermeintliche wissenschaftliche Beleg für überdurchschnittlich linke SRG-Journalisten. Dominik Balmer, Autor des Artikels in der «Sonntagszeitung» hat teilweise recht, wenn er sagt, dass die «Aufregung über den Artikel vieles über die aufgeladene Stimmung vor der No-Billag-Abstimmung aussagt». Möglicherweise hätte man bei einer etwas ruhigeren medienpolitischen Grosswetterlage die groben Schwächen des Artikels einvernehmlich beseitigen können. Oder wahrscheinlicher: Ohne die aufgeladene Stimmung wäre ein solcher Artikel gar nicht erst geschrieben worden.

Der Text, wie ihn nun die «Sonntagszeitung» veröffentlicht hat, zeichnet ein verzerrtes Bild der Daten der Studie, auf die sich der Journalist beruft, und fährt mit einer nicht zulässige Schlussfolgerung auf. Nun ist es sicherlich legitim, als Journalist Partei zu ergreifen und nicht nur neutral und objektiv zu berichten. Nur widerspricht dies möglicherweise dem, was das Publikum gemeinhin vom Journalismus erwartet.

Der Artikel in der «Sonntagszeitung» steht nicht auf der Meinungsseite, sondern steht im Nachrichtenteil der Zeitung.

Solange der Positionsbezug transparent ist, sei es durch entsprechende Kennzeichnung als Meinungsbeitrag oder mit Formulierungen, welche die subjektive Sicht explizieren, ist das alles kein Problem. Doch der Artikel in der «Sonntagszeitung» steht nicht auf der Meinungsseite, sondern steht im Nachrichtenteil der Zeitung und präsentiert sich im Gewand eines neutralen und objektiven Berichts. Der Text ist zudem mit Zahlen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und Zitaten von Fachleuten gespickt und suggeriert so Objektivität.

Eine viel interessantere Fragestellung wäre gewesen, wenn der Journalist sich unvoreingenommen auf die Daten eingelassen und sich gefragt hätte, weshalb Journalisten politisch eher links stehen.

In Tat und Wahrheit missbraucht er jedoch die Wissenschaft, um das schon vor dem Bericht feststehende Fazit darzulegen, unabhängig davon, ob dies tatsächlich von der Untersuchung gestützt wird oder nicht. Es wurde auf Biegen und Brechen versucht, eine Story über die linke SRG durchzuboxen, obwohl diese sich nachweislich nicht vom Durchschnitt der anderen Journalisten unterscheidet.

Eine viel interessantere Fragestellung wäre gewesen, wenn der Journalist sich unvoreingenommen auf die Daten eingelassen und sich gefragt hätte, weshalb Journalisten politisch eher links stehen. Vinzenz Wyss und Michael Hermann haben ihrerseits kürzlich bei «Watson» und im Tages-Anzeiger dazu Ansätze geliefert, um dadurch eine grundsätzliche Diskussion anzustossen, ob Journalisten in ihrer politischen Einstellung ein Abbild der Gesellschaft darstellen müssen. Wenn man diesen Gedanken weiterziehen würde, müsste man auch fragen, ob die unterrepräsentierten ausländischen Journalisten und solche mit Migrationshintergrund nicht stärker im Journalismus vertreten sein müssten. Immerhin besteht die Bevölkerung zu einem beträchtlichen Teil aus Nicht-Schweizerinnen und -Schweizer. Und wie sieht es mit der Religionszugehörigkeit aus? Diese klafft zwischen den Journalisten und der Bevölkerung am stärksten auseinander. Doch diese Diskussion wurde bisher nur am Rande geführt, denn momentan steht das Ausschlachten der «No-Billag»-Initiative zuoberst auf der Medienagenda.


Im Sinne einer Richtigstellung des Artikels in der «Sonntagszeitung», finden sie hier eine korrigierte Variante, die den verwendeten Daten angemessen Rechnung trägt. Das vollständige Dokument mit Kommentaren findet sich hier zum Download als Word-Dokument (Achtung: auf Smartphones nur lesbar, wenn eine mit dem Format kompatible App installiert ist).


Leserbeiträge

Lahor Jakrlin 16. November 2017, 17:23

Der Revisionismus lebt

Ups! Da wurden die Autoren der Studie von SRG/SRF wohl zurückgepfiffen. Wie anders ist es zu erklären, dass sie ihre eigenen Zahlen nun zu anderen Schlüssen zurechtbiegen.

Skepdicker 16. November 2017, 17:24

@ Filip Dingerkus: Da Prof. Wyss und Sie die Daten nur als Screenshots bzw. Ihre statistischen Auswertungen gar nicht veröffentlichen (wieso eigentlich?), ist die intersubjektive Überprüfbarkeit Ihrer Forschung sehr schwierig. In den meisten wissenschaftlichen Disziplinen werden zuerst die Daten und die Methodik offengelegt. Erst dann wird über die Interpretation der Ergebnisse gestritten. Diese Reihenfolge macht meines Erachtens durchaus Sinn.

Ich erlaube mir ein paar klärende Fragen:

Erstens: Ist es korrekt, dass in der Stichprobe das arithmetische Mittel der politischen Einstellung der SRG-Journalisten 3.84 beträgt, jenes der privaten Journalisten 4.07 (Differenz somit 0.23)?

Zweitens: Mit welchem Test auf welchem Signifikanzniveau sind Sie zum Schluss gekommen, dass obige Differenz (sofern zutreffend) statistisch nicht signifikant ist?

Drittens: Wie lauteten Arbeits- und Nullhypothese des Tests?

Viertens: Wie klar war die Differenz zwischen den Mittelwerten bei Ihrem Test nicht signifikant (Test-Statistik und p-Wert)?

Fünftens: Ist es wissenschaftlich seriös, aus einer Nicht-Ablehnung der Nullhypothese zu schliessen, dass die Arbeitshypothese zutrifft („Es wurde auf Biegen und Brechen versucht, eine Story über die linke SRG durchzuboxen, obwohl diese sich nachweislich nicht vom Durchschnitt der anderen Journalisten unterscheidet.“)?

Über Ihr Feedback würde ich mich sehr freuen.

Filip Dingerkus 17. November 2017, 17:20

Informationen zur Studie gibt es hier: http://www.worldsofjournalism.org/
Die Mittelwerte 3,84 SRG und 4,07 Private sind korrekt.
Wenn man die Korrelation berechnet (zB R oder Eta2), ist diese bei .21 nicht signifikant.
Interessant wird es wenn man eine ANCOVA (Kovarianzanalyse) durchführt mit der Kovariate Geschlecht, um lediglich den Einfluss der „Eigentümer“variable (SRG vs. Private) zu haben, (Bei der SRG sind mehr Frauen im Sample als bei den Privaten und Frauen sind signifikant linker als Männer im Sample). Dann zeigt sich, dass der Einfluss von Geschlecht nicht überraschenderweise einen grossen Teil der Varianz erklärt. Nicht Signifikanz von „Eigentümerschaft“ wird noch schlechter. Das kann man beliebig weiterspielen in dem man weitere mögliche Einflussfaktoren (Sprachregion etc.) ins Modell einbaut und beispielsweise mit einer Regression untersucht. Führt alles in dieselbe Richtung: Das Erklärpotenzial von Eigentümerschaft sinkt weiter, Nicht Signifikanz steigt auf .57…

Thomas Binder 17. November 2017, 06:16

Hören wir doch auf mit dem lächerlich infantilen uns selbst betrügenden Theater und schauen wir, erwachsen und mutig, der Realität endlich ins Auge: Es hat noch nie eine Demokratie, universale Menschenrechte, die Aufklärung und auch noch nie eine vierte Gewalt gegeben.

Die Medien waren schon immer im Besitz der Plutokraten und hatten schon immer die Aufgabe, den Massen eine Scheinwelt von Demokratie und Menschenrechten an die Wand ihrer Platon’schen Höhle zu projizieren. Für diejenigen, welchen dies nicht zur Dauernarkotisierung ausreicht, gibt es noch religiöses und reales Opium.

Erst mit dem Niedergang der MSM, mit dem (noch) ziemlich freien Internet und mit dem Aufstieg ausschliesslich durch deren Konsumenten finanzierter unabhängiger Medien können wir den Übergang vom mythischen ins post mythische Zeitalter, die Aufklärung 2.0, welche Demokratie und Menschenrechte nicht nur der abendländischen Elite sondern allen Menschen zuspricht, schaffen und werden Demokratie und universale Menschenrechte erstmals in der Geschichte der Menschheit überhaupt möglich werden, irgendwann.

Dass viele Journalisten, Lobbyisten und Politiker an ihrem Bedeutungs- und Machtverlust schwer zu Beissen haben, verstehe ich. Für den aufgeklärten Humanisten aber besteht aller Grund zu Freude und Hoffnung!

„Regierung, Regierungsparteien und Medien betreiben einen großen Aufwand, um unseren Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten zu trüben und zu verstellen.“
(Prof. Rainer Mausfeld, Kiel) – SRF verblendet, googlen klärt auf!

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