von Carmen Epp

Wie Alex Baur aus dem «Fall Walker» einen «Fall Rundschau» konstruierte

Eigentlich wollte Alex Baur nie etwas zum sogenannten Fall Walker schreiben. Nach vier Jahren mischt der Weltwoche-Reporter mit Medienschelte in Richtung «Rundschau» von SRF nun doch noch mit. Nur: Seine selten durch Akten gestützte Kritik an der Berichterstattung der TV-Journalisten und sein blindes Vertrauen ins Bundesgericht führen in die Irre. Wir zeigen wie und wo.

Im November wurde der Fall Walker (siehe nachfolgender Kasten) erneut vor dem Urner Obergericht verhandelt. Es war bereits die vierte Verhandlung in der Sache, umso erstaunlicher war die Tatsache, dass sich diesmal so viele Medienschaffende wie noch nie zum Prozess in Altdorf eingefunden hatten. Die Anwesenheit eines Journalisten überraschte mich dabei am meisten: Zum ersten Mal überhaupt nahm auch Alex Baur von der Weltwoche Platz im zum Gerichtssaal umfunktionierten Landratssaal.

Ignaz Walker wird vorgeworfen, am 4. Januar 2010 vor seinem Nachtclub in Erstfeld auf einen Gast geschossen und am 10. November 2010 einen Auftragskiller auf seine damalige Ehefrau angesetzt zu haben. Der Bargast blieb unverletzt, die Ehefrau zog sich lebensbedrohliche Verletzungen zu. Das Landgericht des Kantons Uri verurteilte Walker im September 2012 dafür zu 10 Jahren Haft, das Obergericht erhöhte die Strafe im Oktober 2013 auf 15 Jahre. Das Bundesgericht hob das Urteil auf und wies den Fall wegen einer nicht verwertbaren DNA-Spur zur Neubeurteilung zurück. Im Oktober 2015 sprach das Obergericht Walker schuldig wegen des Schusses auf den Bargast und verurteilte ihn dafür zu 28 Monaten Haft, vom Vorwurf des Mordauftrags an seiner damaligen Ehefrau sprach ihn das Gericht frei. Auch dieses Urteil hielt vor Bundesgericht nicht stand: Es bestätigte im April 2017 zwar den Schuldspruch wegen «Gefährdung des Lebens» zu Lasten des Bargastes, den Freispruch wegen Mordes in Mittäterschaft hob es jedoch auf – dieser sei willkürlich erfolgt. Weshalb der Mordauftrag im November 2017 erneut vor dem Obergericht verhandelt wurde. Am 22. Januar 2018 wird das inzwischen dritte Urteil des Obergerichts mündlich verkündet.

Erstaunt war ich nicht wegen des neuen Gesichts an der Berufungsverhandlung. Auch der «Tages-Anzeiger» hatte nach Thomas Knellwolf einen mir bis dahin unbekannten Vertreter nach Altdorf geschickt. Was mich überraschte war vielmeher, dass sich die Weltwoche nun doch für den Fall zu interessieren schien.

Aus einer Mail-Unterhaltung mit Alex Baur nach der Obergerichtsverhandlung von 2013 – die damals lediglich von Urner Medien besucht worden war – wusste ich, dass Baur zwar Kenntnis vom Fall hatte, sich aber dagegen entschied, darüber zu schreiben. Walkers Verteidiger hatte ihm damals – als erstem Journalisten überhaupt – Akten des Falls zukommen lassen und um eine Einschätzung gebeten. Da Baur, entgegen der Meinung des Verteidigers, keinen Justizskandal erkannte, habe er auf eine Publikation verzichtet, so seine Erklärung damals per Mail.

Bevor ich zu Baur zurückkomme, ist ein kleiner Exkurs nötig:

Nach Aktenstudium zu einem anderen Bild

Trotz der ausdrücklichen Warnung von Baur, dass Walkers Verteidiger sehr einseitig und der damals bereits rechtskräftig verurteilte Auftragsschütze Sindelic «völlig unglaubwürdig» und seines Erachtens «als Täter überführt» sei, entschied ich mich dazu, mir selber ein Bild zu machen und bat den Verteidiger um Akteneinsicht. Und beugte mich während dreier Wochen im Sommer 2014 über die Verfahrens- und Gerichtsakten im Fall Walker.

Natürlich habe ich die mir vom Verteidiger zur Verfügung gestellten Akten zu allererst auf ihre Vollständigkeit hin übergeprüft; also zunächst akribisch nachvollzogen, ob jedes im Aktenverzeichnis angegebene Aktorum auch wirklich in den 15 Bundesordnern enthalten war, die ich nach und nach in Zürich abholte, und der Verteidiger nicht etwa entscheidende Aktenstücke böswillig entfernen liess, um mich auf eine falsche Fährte zu locken.

Eine solche Vorgehensweise ist für mich eigentlich so selbstverständlich, dass sich der explizite Hinweis darauf im Normalfall erübrigen würde. Angesichts der Skepsis von verschiedenen Seiten – auch von Journalisten – sehe ich mich leider genötigt, dies hier ausdrücklich zu betonen: Der Vorwurf, ich hätte mich vom Verteidiger für seine Sache einspannen lassen, geht fehl. Ich habe mich seit jeher einzig und allein auf die Akten verlassen.

Während dieses intensiven Aktenstudiums kam ich zu einem anderen Bild als Kollege Baur von der Weltwoche jetzt kommt: Nämlich, dass die Ungereimtheiten im Untersuchungsverfahren, die Walkers Verteidiger vor Gericht vorgebracht hatte, nicht bloss Behauptungen eines einseitigen Verteidigers sind, sondern sich durch die Akten belegen lassen. Zu diesem Schluss kam offenbar auch die «Rundschau», die seit dem 1. Oktober 2014 insgesamt elf Mal über die Ungereimtheiten im Fall Walker berichtete – nachzusehen hier.

Auch ich publizierte regelmässig Artikel zum Fall Walker, anfänglich noch beim «Urner Wochenblatt» (online nicht zugänglich), dann als freie Journalistin für den «Tages-Anzeiger», vor und während der Berufungsverhandlung 2016 für «Watson» und seit diesem Jahr als Redaktorin bei der «Urner Zeitung». In der Zwischenzeit hat auch Thomas Knellwolf, Leiter des Recherchedesks vom «Tages-Anzeiger», Recherchen zum Fall aufgenommen, publiziert und analysiert – etwa hier, hier und hier. Was den genannten Texten und Sendungen gemein ist: Sie stützen sich auf die Akten.

Komplott-Theorie beantwortet offene Fragen

Die «Rundschau» ging einen Schritt weiter mit den Interviews mit dem verurteilten Auftragsschützen. Sasa Sindelic sagte dem Schweizer Fernsehen, Walker sei unschuldig und der Anschlag auf dessen damalige Ehefrau sei ein Komplott von der Ehefrau, ihm und einem unbekannten Dritten gewesen. Zugegeben: Ich stand Sindelics Aussagen zu Beginn skeptisch gegenüber. Wieso bringt er erst jetzt diese «Wahrheit» ans Licht, nachdem er seine Haftstrafe schon fast abgesessen hatte? Wieso sollte er freiwillig unschuldig für jemanden ins Gefängnis? Und was ist von einem Komplott zu halten, bei dem sich die angeblich beteiligte Ehefrau schliesslich schwer verletzt hat?

Auch hier vertiefte ich mich erneut in die Akten und kam zum Schluss, dass – so unglaubwürdig es auch klingen mag – es durchaus gewichtige Anhaltspunkte gibt, die für einen Komplott und/oder einen anderen Schützen sprechen. Aspekte des Mordversuchs, die bisher offene Fragen aufwarfen – wie etwa das Fluchtverhalten des Opfers, das vorangegangene Gespräch zwischen Opfer und Täter, die Hunde am Tatort, der Transport der Tatwaffe, die fehlende Kapuze bei Sindelic und die Tatsache, dass das Opfer wenige Tage nach dem Anschlag freigiebig dem «Blick» Auskunft gab, obwohl der Täter damals noch nicht dingfest war – all diese Dinge liessen sich mit der Theorie des Mordkomplotts und/oder des anderen Schützen plötzlich schlüssig erklären. Weshalb ich die Recherchen der «Rundschau» nicht einfach als Unsinn abtun konnte.

Daran änderte sich auch nichts, als das Bundesgericht im April 2017 der Komplott-Theorie eine Abfuhr erteilte. Abgesehen davon, dass es stossend ist vom höchsten Gericht, die «Rundschau» in einem Urteil dermassen zu kritisieren, ohne dass sich die Sendung – weil nicht Partei im Verfahren – dazu hätte äussern können, so vermochte und vermag mich das Urteil schlichtweg nicht zu überzeugen. Das Bundesgericht rügte das Obergericht, es habe beim Freispruch keine Gesamtschau der Indizien gemacht, nicht alle für und gegen Walkers Schuld sprechende Indizien gegeneinander abgewogen, begeht aber letztlich genau den selben Fehler. Das Bundesgericht zieht in seinen Erwägungen nicht nur selektiv die belastenden Indizien ins Feld, es scheint dies sogar – anders kann ich es mir nicht erklären – in Unkenntnis gewisser Akten getan zu haben. Zwei Beispiele unter vielen dazu habe ich hier beschrieben. Dass die Bundesrichter durchaus etwas übersehen haben könnten, ist angesichts deren Arbeitslast nicht unwahrscheinlich, wie der ehemalige Bundesgerichtsschreiber Marc Thommen hier ausführt.

Baurs Texte sind in mehrfacher Hinsicht stossend

Nun zurück zu Baur:

Nachdem ich mich vier Jahre lang mit den Akten herumgeschlagen habe und inzwischen teilweise auswendig weiss, unter welchem Aktorum sich welche Einvernahme oder welches Gutachten finden lässt, kommt Baur nun plötzlich daher und sagt sinngemäss: alles Blödsinn! In zwei Artikeln in der Weltwoche (zu lesen hier und hier) nutzt er in erster Linie das Bundesgerichtsurteil, um gegen die «Rundschau» zu schiessen.

Die beiden Artikel von Alex Baur zum Fall Walker sind mit Anmerkungen der Autorin als Word-Dokumente hier («Tatort Leutschenbach») und hier («Sie machten das Opfer zur Täterin») herunterzuladen und einsehbar.

Wieso ich mich nun dazu äussere? Zum Einen weil mit einer Gegendarstellung der «Rundschau» nicht mehr zu rechnen ist – bezüglich dieses Streites zwischen der «Rundschau» und der Weltwoche verweise ich auf die Berichterstattung des Kleinreports. Zum Anderen, weil Baur mich auf Twitter inzwischen in die Kritik miteinbezogen hat – und ich einige Punkte so nicht stehen lassen kann.

Bereits am Verhandlungstag wurde deutlich, dass sich Baur nicht wirklich für den Fall interessierte. Er machte kaum Notizen und erachtete es nicht als nötig, auch zum zweiten Verhandlungstag nach Altdorf zu reisen. Baur begründet dies per Mail folgendermassen: Er habe sich mit dem, was das Bundesgericht in seinen beiden Urteilen bereits festgehalten hatte, «nicht mehr gross herumschlagen» wollen. Der erste Verhandlungstag habe «nichts, aber auch gar nichts» gebracht, was er nicht schon gelesen und gehört hatte. Es sei also auch von Replik, Duplik et cetera «nichts Neues zu erwarten» gewesen.

Hier irrt Baur: Verteidiger Jaeggi zeigte am zweiten Verhandlungstag – in Abwesenheit von Baur – vor Gericht auf, wieso das angebliche Täterwissen der Zeugin, die das Bundesgericht wieder mehr gewichtete, mit Vorsicht zu geniessen sei. Auf meine Frage an Baur, ob ihm diese Ausführungen bekannt seien und ob er Jaeggis Behauptungen in den Akten nachgeprüft habe, hält Baur fest: «Klar habe ich Jaeggi gehört. Ich teile seine Meinung nicht.» Das nenne ich Rechercheverweigerung.

Zum Anderen enthalten Baurs Texte eine Reihe an Falschinformationen und Irreführungen. Nicht alle sind von grossem Gewicht, trotzdem vermitteln sie den Eindruck, dass hier entweder mit Halbwissen operiert oder bewusst Stimmung gemacht wird.

Kategorie: Nicht entscheidend, aber peinlich

Baur vertut sich in der Anzahl Telefonate zwischen Sindelic und Walker, liegt beim Datum des Obergerichtsurteils 13 Monate daneben und behauptet, die «Rundschau» habe den Fall einen Monat nach Walkers Verurteilung aufgenommen, obwohl in Wahrheit mehr als ein Jahr dazwischen lag.

Baur tut diese Fehler auf Anfrage despektierlich mit «quel horreur!» ab und fragt zurück: «Erwartest Du im ernst, dass ich das ernst nehme?»

Klar, die Fehler sind nicht entscheidend, aber geben zumindest einen Hinweis darauf, mit welcher Sorgfalt der Reporter an die Sache herangeht.

Kategorie: Aktenwidrig

Baur hält in seinen Texten mehrfach fest, Walker habe im Januar 2010 «mit seiner eigenen Pistole» auf den Bargast geschossen.

Diese Aussage lässt sich anhand der Akten eben gerade nicht erhärten.

Auf die Frage, wie er darauf komme, flüchtet sich Baur in semantische Spitzfindigkeit. Zuerst hält er fest, es sei «völlig klar», dass Walker geschossen habe. Als er schoss, sei er im Besitz der Waffe gewesen. «Ob sie auch in seinem Eigentum war, ist eine andere Frage – Besitz und Eigentum ist bekanntlich nicht dasselbe.» Das sei jedoch «fürs Gesamtbild völlig irrelevant».

Für das Gesamtbild, das Baur mit seinen Artikeln vermitteln will, offenbar nicht.

Baur schreibt, Sindelic habe seine Aussagen zur Komplott-Theorie inzwischen zurückgezogen und gegenüber dem ausserordentlichen Staatsanwalt gesagt, er sei von SRG-Journalisten «zu Aussagen gedrängt worden».

Die Akten sprechen eine andere Sprache: Sindelic hat sowohl vor dem ausserordentlichen Staatsanwalt als auch vor dem Obergericht die Aussagen bestätigte, die er vor laufenden «Rundschau»-Kameras gemacht hatte. Gleich im Anschluss an die Aussage, die Baur aus der Befragung durch den ausserordentlichen Staatsanwalt zitiert, sagte Sindelic: «Man hat mich aber nicht gedrängt, falsche Aussagen zu machen.»

Darauf angesprochen hält Baur fest, die Aussage sei ihm bekannt. «Es gäbe noch tausend andere Dinge, die man auch noch hätte erwähnen können.» Ausserdem behaupte er ja nirgends, die «Rundschau» hätte Sindelic zu Falschaussagen gedrängt.

Anmerkung hierzu: Seiner These der manipulativen SRG-Reporter hätte diese Aussage jedoch einigen Wind genommen.

Weiter schreibt Baur, «Rundschau»-Reporter Roman Banholzer habe dem ausserordentlichen Staatsanwalt via SRF-Anwalt mitteilen lassen, dass er nicht zur Befragung erscheine, da er erstens nichts sagen werde und zweitens noch auslandabwesend sei. Und verbindet dies mit dem Vorwurf, die «Rundschau» habe bei der Aufklärung nicht mithelfen wollen.

Was Baur verschweigt ist, dass Banholzer am 19. August 2017 zur Einvernahme als Auskunftsperson beim ausserordentlichen Staatsanwalt erschienen ist und dort rund 36 Fragen beantwortet hat.

Darauf angesprochen flüchtet Baur erneut in die vermeintliche Platznot: «Man hätte noch tausend andere Dinge erwähnen können. Mein Artikel hätte dann ein paar Bundesordner gefüllt.»

Anmerkung dazu: Von diesen «tausend anderen Dingen» bleibt hier etwas Entscheidendes unerwähnt, das Baurs These des unkooperativen SRF relativiert hätte.

Kategorie: irreführende Halbwahrheiten und Interpretationen

Baur schreibt zu Beginn seines ersten Artikels, dass nach dem Bundesgerichtsurteil etwas anderes als eine Verurteilung von Walker «nur noch theoretisch vorstellbar» sei. «Offen ist im Grunde nur noch das Strafmass.»

Im Bundesgerichtsurteil steht, dass – entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft – kein reformatorischer Entscheid ergehen kann, sondern die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen sei. Wie kommt nun Baur darauf, dass nur noch das Strafmass offen sei? Und wieso wurde in der Sache dann überhaupt noch mal verhandelt?

Auf Anfrage relativiert Baur die Aussage als seine Einschätzung, seine Meinung. «Und ich bin so frei, diese Wertung in meinem Text einzubauen. Dies ist ein freies Land. In meinem Text steht auch, dass der Prozess läuft und das Urteil noch aussteht.»

Gemäss Baur ist «nicht ersichtlich, welchen Vorteil es der Noch-Ehefrau Nataliya hätte bringen können, wenn sie ihren Gatten hinter Gitter gebracht hätte».

Aus den Akten geht hervor, dass Nataliya K. die Abschiebung in die Ukraine drohte, weil die Begründung für ihr Bleiberecht – Opfer häuslicher Gewalt zu sein – vor Gericht nicht verfangen hatte. Drei Tage vor dem Anschlag reichte sie abermals ein Gesuch um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ein.

Auf die Frage, ob ihm dies bekannt sei, geht Baur nicht ein. Stattdessen hält er fest, Walker habe «auf verschiedenste und hinterhältigste Wege» probiert, die Abschiebung von Nataliya K. in die Ukraine zu bewirken. Überdies regt Baur an, ich solle mich vielleicht mal damit beschäftigen und mit der Frage, wieso er die Frau unbedingt loswerden wollte.

Anmerkung hierzu: Die Behauptung, Walker habe seiner damaligen Frau mit der Abschiebung gedroht, wird ausschliesslich von ihr und ihrem Umfeld vorgebracht. Ausserdem wurde Walker kürzlich von den Vorwürfen der häuslichen Gewalt und Drohung gegenüber Nataliya K. vor Landgericht freigesprochen (das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig).

Weiter schreibt Baur zum Motiv von Walker, seine damalige Frau zu beseitigen, er hätte so die Obhut über «den heiss geliebten Sohn erhalten».

Gemäss Scheidungsklage, die in den Akten ist, die Walker (und nicht Nataliya K.) vor der Tat einreichte, verzichtete Walker explizit und freiwillig auf die Obhut über den gemeinsamen Sohn.

Auf die Frage, ob ihm dies bekannt sei und was er dazu sage, reagiert Baur mit Mutmassungen: «Wenn Nataliya tot gewesen wäre, hätte es keine Scheidung mehr gegeben. Dann wäre diese Absichtserklärung hinfällig gewesen – und Walker wäre wieder an seinen Sohn herangekommen bzw. ans Schwarzgeld seines Vaters.»

Anmerkung hierzu: Die Behauptung, Walker habe gedacht, er komme über seinen Sohn ans Erbe seines Vaters, ist längst mit Akten widerlegt worden.

Baur schreibt weiter, es sei bewiesen, «dass Sindelic und Walker in den Tagen vor dem Mordversuch an Nataliya intensiv miteinander kommunizierten. 56 kurze Telefonkontakte sind dokumentiert.»

Abgesehen von der falschen Zahl – es waren 59 Telefonkontakte – fanden die Telefonkontakte zwischen Walker und Sindelic nicht «in den Tagen vor dem Mordversuch» statt, wie Baur insinuiert, sondern in einem Zeitraum von sechs Monaten. Zum Vergleich: Walker telefonierte im selben Zeitraum 1187 Mal mit anderen Personen, Sindelic 2537 Mal.

Darauf angesprochen mahnt Baur, ihn richtig zu zitieren, es seien zwei Sätze. Und gesteht ein, dass Walkers Telefon von Mai bis November rückverfolgt wurde, das von Sindelic bis September. In den zwei Wochen vor der Tat seien es 7 Telefonate zwischen Walker und Sindelic gewesen. «Ich finde das intensiv.»

Anmerkung erübrigt sich.

Baur schreibt ausserdem, Sindelic und Nataliya hätten sich kaum gekannt. «Kurz vor dem Mordanschlag tauchte er an ihrem Arbeitsplatz aus, mutmasslich, um Nataliya auszuspionieren.»

Es ist aktenkundig, dass der damalige Arbeitgeber von Nataliya K. aussagte, sie und Sindelic hätten sich an diesem besagten Abend mehrere Minuten unterhalten.

Für Baur ist dies offenbar irrelevant. So irrelevant, dass er gar nicht darauf eingeht und folgendermassen antwortet: «Ich war kürzlich in einer Bar und habe mich mit der unbekannten Bardame eine halbe Stunde lang unterhalten. Leider habe ich ihren Namen vergessen.» 

Anmerkung dazu: Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit inhaltlich begründeten Fragen sieht anders aus.

Baur schreibt, die «Rundschau» habe am 24. Juni 2015 das Interview mit Sindelic ausgestrahlt und damit die Verschwörungstheorie «ohne wesentliche Neuigkeiten» wiederholt.

Im Gegensatz zum ersten TV-Interview belastete Sindelic sich im zweiten Interview zum ersten Mal selber und nannte erstmals eine beteiligte vierte Person.

Auf die Frage, ob dies für ihn «keine wesentliche Neuigkeit» sei, antwortet Baur: «Nein. Ist für das Gesamtbild bzw. Eure Verschwörungstheorie irrelevant. Zeigt nur, wie unglaubwürdig Sindelic ist – mal erzählt er was, dann wieder was ganz anderes.»

Kategorie: Bankrotterklärung

Baur schreibt weiter, die Ex-Freundin von Sindelic sei vom Landgericht als sehr glaubwürdig eingestuft worden.

Seit dem Landgerichtsurteil 2012 hat sich diesbezüglich einiges getan. 2013 relativierte das Obergericht die Glaubwürdigkeit der Frau, dergestalt gar, dass die anfänglich als «Kronzeugin» gehandelte Ex-Freundin von Sindelic für Walkers Verurteilung nicht mehr wesentlich war.

Darauf angesprochen, schreibt Baur, das Bundesgericht habe diese Relativierung wieder aufgehoben. «Und das Bundesgericht hat immer recht.»

Bei allen Aktenwidrigkeiten und Irreführungen ist dieser Kniefall vor dem Bundesgericht, der Baurs beiden Texten zugrunde liegt, das stossendste an seiner Berichterstattung zum Fall Walker beziehungsweise zum «Fall Rundschau», den er daraus konstruiert hat. Ausgerechnet Baur, den ich stets für seine Justizkritik geschätzt hatte und der «Fragen um Recht und Gerechtigkeit» auf der Weltwoche-Website selber als «Kernthema» bezeichnet, ausgerechnet er lässt sich zur Aussage hinreissen, das Bundesgericht habe «immer recht». Entweder er meint das ironisch. Oder aber sie stellt eine Bankrotterklärung seiner Justizkritik dar, die auch – oder gerade! – vor dem obersten Gericht nicht Halt machen darf.

Auf diese Diskrepanz angesprochen, antwortet Baur: «Natürlich darf man das Bundesgericht kritisieren. Aber dann muss man bessere Argumente haben. Ihr habt gar keine Argumente, bloss perfide Unterstellungen (Bundesrichter haben Akten nicht gelesen und dergleichen).» Baur tut die Argumente, die sich auf die Akten abstützten, also als «perfide Unterstellungen» ab, obwohl er – wie offenkundig ist – die Akten nicht (mehr) kennt und demnach nicht einschätzen kann, wie gut oder schlecht die Argumente sind, mit denen ich das Bundesgerichtsurteil kritisiere.

Wieso sich Baur auf diesen Kniefall vor dem Bundesgericht einlässt und sich so unverfroren und gleich zweimal freiwillig auf dünnes Eis begibt, lässt sich möglicherweise mit seiner Intention erklären. Auf meine Frage, was ihn dazu bewogen hat, nun doch über den Fall zu schreiben, obwohl er sich 2013 noch dagegen entschieden hatte, schreibt Baur, dass nach den zwei Bundesgerichtsurteilen alles auf dem Tisch lag. «Es ging nun auch weniger um Walker selber, sondern um die journalistischen Fehlleistungen, allen voran der ‹Rundschau›. In erster Linie eine Mediengeschichte.»

Auch bei einer Mediengeschichte gilt die Regel des journalistischen Handwerks, dass man Quellen hinterfragen muss – auch wenn sie aus Lausanne stammen.

Bild: MAZ – Die Schweizer Journalistenschule

Leserbeiträge

Hannes Hofstetter 05. Januar 2018, 05:37

Die Frage, ob es 56 oder 59 kurze Telefonkontakte gab, ist zweifellos von nicht zu unterschätzender Relevanz, und dass Alex Baur den einen und andere Akteneintrag anders gewichtet als Carmen Epp, geht natürlich gar nicht.

Letztlich bleibt nach der Lektüre dieses Artikels vor allem ein Gefühl haften: Dass Frau Epp als einstige Platzhirschkuh (darf man das überhaupt noch sagen: „Platzhirschkuh“?) gewisse Probleme damit zu haben scheint, das von ihr so lange exklusiv gehegte Gärtli „Walker“ mit immer mehr Leuten teilen zu müssen.

Ignaz walker 06. Januar 2018, 09:59

Normalerweise lese ich die Artikel, welche über mich oder den Fall „Walker“ geschrieben werden nicht mehr. Warum? Ich bin leider nicht so stark um diesen Psychoterror dauernd ertragen zu können. Journalistische Publikationen in Strafprozessen sind meines Erachtens nur legitim, wenn diese auf möglicht fundierter Aktenkenntnis basieren. Für eine Verteidigung ist es schon enorm schwierig, die vorgefasste, manipulierte und selektierte Aktenzusammenfassung der Staatsanwaltschaft mit Argumenten umd entlastenden Indizien zu ergänzen. Vielfach weigert sich die Staatsanwaltschaft einfach (wie auch in meinem Fall) entlastende Hinweise überhaupt in die Akten aufzunehmen. In diesem Fall sind viele sehr froh, wenn sich die Gerichte noch jahrelang damit befassen müssen. Mit der fadenscheinigen Begründung,es liege noch kein rechtsgültiges Urteil vor, weigert man sich, eine Untersuchung der Ermittlungsfehler einzuleiten. Natürlich wurde dieser Fall zum Politikum. Tatsache ist jedoch, dass einige Entscheidungsträger, mehrheitlich SVP Mitglieder, standesrechtlich massgebliche Fehler getätigt hatten. Nun werden alle Register gezogen diese Fehler zu vertuschen. Diese opportunistische Taktik geht zu Lasten der Wahrheit, dessen ist man sich allgemein bewusst. Nur das Wissen, dass man die Wahrheit nicht ewig unterdrücken kann, ermöglicht mir, die Realität weiter zu ertragen.