von Adrian Lobe

Facebook, Twitter und die Privatisierung der Medien- und Kunstfreiheit

Das gesetzliche Vorgehen gegen Hassrede auf Social-Media-Plattformen in Deutschland offenbart einen gefährlichen Trend: Die Auslagerung hoheitlicher Aufgaben an Private gefährdet die Medien- und Kunstfreiheit, wie etwa ein aktuelles Beispiel des Satiremagazins «Titanic» zeigt.

Seit dem 1. Oktober ist in Deutschland das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft. Es verpflichtet Plattformbetreiber wie Facebook oder Twitter, «offensichtlich rechtswidrige» Inhalte binnen 24 Stunden zu entfernen (bei nichtoffensichtlichen Inhalten gilt eine Löschfrist von sieben Tagen, wobei das Kriterium der Öffensichtlichkeit schon reichlich wachsweich ist). Ansonsten drohen Bussgelder bis zu 50 Millionen Euro.

Kritiker daran, dass private Unternehmen bei der Auslegung der Meinungsfreiheit hoheitliche Aufgaben wahrnehmen und quasi eine Richterrolle zugewiesen bekommen.

Das von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im Wahlkampf durchs Parlament gepaukte Gesetz stand schon vor seiner Verabschiedung heftig in der Kritik. Dabei ging es hauptsächlich um zwei Punkte: Zum einen wird befürchtet, dass Unternehmen wie Facebook oder Twitter aus Angst vor den massiven Strafzahlungen lieber mehr als weniger löschen, ein sogenanntes Overblocking wäre der Fall. Zum anderen stossen sich Kritiker daran, dass private Unternehmen bei der Auslegung der Meinungsfreiheit hoheitliche Aufgaben wahrnehmen und quasi eine Richterrolle zugewiesen bekommen.

Dass es sich dabei nicht um aus der Luft gegriffenen Übertreibungen handelt, zeigte sich erst jüngst. Vor wenigen Tagen hat der Kurznachrichtendienst Twitter einen Tweet des Satiremagazins «Titanic» gelöscht und den Account für 48 Stunden gesperrt. Die Redaktion hatte sich einen Spass daraus gemacht, ihren Account angeblich von der der AfD-Politikerin Beatrice von Storch bespielen zu lassen (als Profilbild wurde ein Foto der Politikerin verwendet).

Die vermeintliche Gastautorin setzte unter dem ihr zugeschriebenen Kürzel «bvs» eine Kurzmitteilung ab, die – gewissermassen auf einer Meta-Ebene – ihre umstrittene Äusserung zur Entscheidung der Kölner Polizei, die Neujahrsgrüsse auch in arabischer Sprache zu veröffentlichen, aufs Korn nahm: «Wisst Ihr, was Twitter auf Arabisch heisst, liebe @polizei_nrw_k? Ja? Pfui! Ich weiss es nicht – denn das letzte, was ich haben will, sind besänftigte barbarische, muslimische, gruppenvergewaltigende Männerhorden! (bvs)”.Es folgten weitere Einlassungen u.a. über den Darts-Sport «als letzte Bastion unseres #germanischen #Brauchtums». Die Redaktion hatte absichtlich Rechtschreibfehler in die Tweets eingebaut – und auch sonst war der satirische Gehalt für den Leser klar erkennbar.

Algorithmen besitzen kein Kontextwissen. Sie «verstehen» Dinge nur wörtlich – und daher keine Ironie.

Doch bei Twitter machte man sich offensichtlich keine Mühe, zwischen einer Tatsachenbehauptung und Satire zu differenzieren. Es ist nicht ganz klar, wer diesen Tweet entfernt hat, ob es das interne Löschteam oder ein automatisiertes Filtersystem war oder eine Koproduktion von Mensch und Maschine. Das ist Spekulation. Fakt ist: Algorithmen besitzen kein Kontextwissen. Sie «verstehen» Dinge nur wörtlich – und daher keine Ironie. Dass der deutsche Justizminister Maas, der seinen den SPD-Rechtsausleger Thilo Sarrazin einst auf Twitter einen «Idioten» schalt, nun Opfer seines eigenen Gesetzes wurde, indem sein damaliger Tweet gelöscht wurde, zeigt die Absurdität dieses Vorhabens auf – und ist Realsatire.

Jede Meldung der «Titanic» ist faktisch eine Falschnachricht, die wir aber wegen ihres satirischen und aufklärerischen Gehalts für schützenswert erachten. Doch der moralische Furor über Fake News hat dazu geführt, dass alles, was nicht annähernd der objektiven Wahrheit entspricht, im Verdacht der Meinungsmanipulation steht. So haben im vergangenen Jahr norwegische und schwedische Tageszeitungen in vorauseilendem Gehorsam auf den obligaten Aprilscherz verzichtet– und sich am Ende selbst zensiert.

Die politische Willensbildung findet immer mehr auf Werbeplattformen wie Facebook oder Twitter statt.

Man kann darüber streiten, ob Satire alles darf und sich alle Freiheiten herausnehmen darf, doch verweist der Fall auf ein grundsätzliches Problem im Netz: Die Privatisierung der Meinungs- und Kunstfreiheit. Die politische Willensbildung findet immer mehr auf Werbeplattformen wie Facebook oder Twitter statt. Weil die Konzerne wie Facebook oder Twitter nicht tausende Juristen einstellen und jeden Kommentar einer Einzelfallprüfung unterziehen können, setzen sie angesichts der schieren Menge an Beiträgen auf automatisierte Systeme, die Hate-Speech oder Fake News filtern sollen. Oder delegieren diese Aufgabe an Subfirmen, wo ein digitaler Putztrupp das Netz von Hass und Hetze säubern muss. Auch die Nutzer selbst sind aufgefordert, strafbare Inhalte zu melden – und werden dabei als unbezahlte Hilfsjuristen missbraucht.

So hat Twitter am 1. Januar ein Beschwerdesystem eingeführt, wo Nutzer Missbräuche melden können. Allein, wie soll ein juristischer Laie zwischen Straftatbeständen nach § 185 Strafgesetzbuch (Beleidigung), § 186 StGB (Üble Nachrede) oder § 187 StGB (Verleumdung) unterscheiden können? Soll er vorher einen juristischen Kommentar lesen? Das zeigt die Selbstaufgabe des Staates. Ein Staat, der nicht mehr in der Lage ist, Normen zu definieren und durchzusetzen, ist nicht nur schwach, sondern entäussert sich auch ein Stück weit seinem Gewaltmonopol.

In einer Marktwirtschaft gilt das Verursacherprinzip. Das heisst: Derjenige, der Müll produziert, ist auch für dessen Beseitigung verantwortlich.

Die Forderung, eine vom Staat finanzierte Stelle zu schaffen, in der Fachjuristen die Bewertung von Tweets vornehmen, ist ein wenig wohlfeil, weil sie die Compliance-Kosten auf den Steuerzahler abwälzt. In einer Marktwirtschaft gilt das Verursacherprinzip. Das heisst: Derjenige, der Müll produziert, ist auch für dessen Beseitigung verantwortlich. Der Betreiber, in dessen Räumen gepöbelt wird, muss für Ruhe und Ordnung sorgen. Doch das ist die Crux an der Sache: Die Regeln stellt der Eigentümer auf. Hausrecht gilt vor Grundrecht.

Tech-Konzerne wie Facebook oder Twitter werden zunehmend zu Valorisierungsagenturen, die darüber befinden, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit liegen – und zu Schiedsrichtern in eigener Sache. Das Problem ist, dass Auslegungsstreitigkeiten wie etwa die Frage, ob eine Hitler-Kostümierung unter Kunstfreiheit fällt, nicht einer offenen Diskussion zugeführt, sondern autoritativ in einem intransparenten Verfahren entschieden werden. Der Algorithmus erkennt per Mustererkennung das Hakenkreuz und sagt: Das darf nicht gezeigt werden!

Graubereiche gibt es in den binären Entscheidungsstrukturen nicht. Für Algorithmen ist alles alternativlos. Die automatisierten, begründungsfrei vorgetragenen Wertungen («Dieser Post wurde entfernt») kommen mit einem Absolutheitsanspruch daher, als wäre dies von höchstrichterlicher Stelle entschieden. Dabei müsste der Diskurs hier erst ansetzen.

Die Grundrechte, namentlich die Meinungs- und Kunstfreiheit, strahlen über die sogenannte «Drittwirkung» auch auf Private aus.

Wer argumentiert, dass es sich bei der Löschung von Tweets um keine Zensur handele, da diese nicht vom Staat, sondern von einem Unternehmen komme und private Spieler kraft ihres Hausrechts Platzverweise erteilen können, macht es sich entschieden zu einfach. Gewiss, Konzerne wie Facebook oder Twitter besitzen ein sogenanntes «virtuelles Hausrecht». Das heisst aber nicht, dass sie schalten und walten können, wie sie wollen. Die Grundrechte, namentlich die Meinungs- und Kunstfreiheit, strahlen über die sogenannte «Drittwirkung» auch auf Private aus. Twitter ist an Recht und Gesetz gebunden.

Dass die lautesten Zensurvorwürfe ausgerechnet von der AfD kommen, welche die Grenzen der Meinungsfreiheit strapaziert und teils auch überschreitet, ist eine unangenehme Begleiterscheinung dieser hysterischen Debatte. Die Vorwürfe einer privaten Meinungspolizei lassen sich angesichts der Löschpraxis aber kaum entkräften. Man sollte wissen, dass Algorithmen als Brandbeschleuniger wirken, indem sie durch Hyperpersonalisierung das Diskursklima zusätzlich anheizen – und als Feuerlöscher dieses Flächenbrands denkbar ungeeignet sind.

Eine erste Version dieses Artikels wurde als Kolumne auf spektrum.de veröffentlicht.

Leserbeiträge

@law 12. Januar 2018, 11:35

Beim nächsten Wahlgang dürfen wir auf dem Stimmzettel zwischen Zwitscher und Fratzenbuch wählen? Gibt es auf der Welt nur noch diese Themen? Täglich „berichten“ Medien über etwas was auf diesen virtuellen platten Formen getippselt wurde? Und Ihr Journalisten tretet das auch noch täglich breiter? Merkt Ihr überhaupt noch etwas???