von Adrian Lobe

«Wir sind die Hauptakteure gegen Fake-News»

Nachrichtenagenturen sind heute auch Social-Media-Filter, Technikdienstleister und Innovationsplattformen. Das ändert nichts an ihrem Selbstverständnis als neutrale Grundversorger im globalen Mediengeschäft. Ein Blick in den Maschinenraum von weltweit führenden Anbietern wie AP, AFP, dpa, Reuters und Xinhua.

Nachrichtenagenturen sind die Grundversorgungsnetze im Journalismus. Sie verfassen täglich hunderte, ja tausende von Meldungen, mit denen Zeitungen ihre Nachrichtenspalten bestücken oder er sie produzieren ganze Dossiers, welche die Kunden fixfertig übernehmen können. Wie wichtig Nachrichtenagenturen sind, zeigt sich erst bei ihrem Ausfall – wie aktuell beim Streik der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Das News-Portal Watson hat gezeigt, wie Schweizer Medien ohne SDA-Material aussehen würde – die Seiten blieben über weite Strecken leer.

In Zeiten, in denen täglich 500 Millionen Tweets abgesetzt und 350 Millionen Fotos auf Facebook hochgeladen werden, stehen Nachrichtenagenturen unter Druck. Entsprechend ist bei ihnen User-Generated-Content ein grosses Thema. So hat die Agentur Associated Press AP im vergangenen Jahr die Plattform AP Social Newswire gegründet, mit der Redaktionen Social-Media-Inhalte über die bestehenden Verifikationstools hinaus prüfen und publizieren können. «AP Social Newswire erlaubt es den Kunden, von unserer Expertise bei der Verifizierung von User-Generated-Content zu profitieren, indem wir ihnen helfen, das Reale vom Fake auszusortieren», sagte AP-Vizepräsident Jim Kennedy. Fake-News sind goldene Zeiten für Faktenprüfer. Dank eines mit 245 000 Dollar an Stiftungsgeldern dotierten Fonds hat die AP Faktenchecker für ihre lokale Nachrichtenseite APNews.com und AP-News-App geschaffen. Wo die SDA Personal abbaut, schafft die AP neue Vollzeitstellen für nachgefragte Aufgaben.

Auch die Agence France-Presse AFP nutzt vermehrt Social-Media-Posts für ihre Berichterstattung. «User-Generated-Content ist für uns speziell bei Breaking News interessant», sagt Andreas Krieger, Geschäftsführer und Chefredakteur der AFP, im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. So habe man zum Beispiel nach dem Zugunglück bei Meerbusch (D), bei dem im Dezember 50 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, auf Bildmaterial der lokalen Feuerwehr zurückgegriffen. Wo keine lokalen Berichterstatter vor Ort sind, könnten Augenzeugen Bildmaterial liefern. Es geht dabei nicht darum, dass man Reportertätigkeiten an Passanten outsourct, sondern neue Quellen erschliesst. Oberste Priorität habe die Verifizierung der Quelle, betont Krieger. «Wer ist der Autor für die Quelle oder Videosequenz? Befindet sich die Person auch dort, wo sie angibt, zu sein?» Die Chronistenpflicht erfüllen weiterhin die Agenturjournalisten. Neben den Metadaten werden auch die Versionen oder Bearbeitungsschritte des Bildmaterials geprüft.

«Wir sind Nachrichtengrosshändler und versuchen die Bedürfnisse unserer Kunden zu befriedigen, etwa durch neue Produkte.» AFP

Die neuen Technologien bieten einerseits die Möglichkeit, das Einsatzgebiet zu vergrössern, andererseits, die Qualität der eigenen Berichterstattung zu erhöhen. So verbreitet die AFP seit Jahren schon Drohnenfotos, etwa aus Krisengebieten. oder bietet Unterwasserfotos an von Schwimmwettkämpfen. Das Anforderungsprofil habe sich durch die Digitalisierung gewandelt, konstatiert Krieger, wobei sich die AFP weiterhin als Zulieferer sieht. «Wir sind Nachrichtengrosshändler und versuchen die Bedürfnisse unserer Kunden zu befriedigen, etwa durch neue Produkte.» Die AFP hat ihr Portfolio um interaktive Grafiken und Videografiken erweitert – ein Versuch, Erklärstücke oder Analysen in anderer Form darzubringen, so Krieger. Solche Formate eigneten sich etwa zur Erklärung, wie Bitcoins erzeugt werden oder der Emissionshandel funktioniert. Automatisierte Schreibtools («Roboterjournalisten»), wie sie beispielsweise die AP bei der Finanz- und Sportberichterstattung nutzt, seien bei der AFP derzeit kein Thema. Die Tochterfirma SID (Sportinformationsdienst) habe einen begrenzten Test durchgeführt, der jedoch nicht so ausfiel, als dass die Ergebnisse zu monetarisieren gewesen wären. Deswegen sei der Test nicht weitergeführt oder in ein neues Angebot überführt worden. Die Bedürfnisse der Kunden variierten je nach Medium (Überregionale Tageszeitung oder Regionalzeitung), Videosequenzen würden aber allgemein stark nachgefragt. «Wir spüren eine wachsende Nachfrage nach Bewegtbildern», so Krieger.

Zu den Kunden der AFP gehören neben Tageszeitungen und Onlineportalen auch Radio und Fernsehen, sowie Behörden und Institutionen, wobei Tageszeitungen nach wie vor den grössten Anteil ausmachten. Krieger beobachtet eine Entwicklung, dass die Redaktionen unter Kostendruck leiden und deshalb um die Dienstleistungen einer Agentur froh seien. Erfreulich sei auch, dass viele Kunden weiterhin neben dem Marktführer dpa eine weitere Agentur abonnierten. «Es ist die Stärke von Nachrichtenagenturen, mit geprüften Quellen möglichst neutral, ohne Meinung, Dinge darzustellen», sagt Krieger. «Wir sind die Hauptakteure gegen Fake-News.»

Die dpa sieht sich als «Brückenbauer» zwischen Redaktion und Technik – und als Ideenlabor.

Die dpa setzt neben den klassischen Formaten wie Text, Bild, Grafik, Audio, Video, Multimedia, Ticker auch auf technische Dienste. dpa-Chefredakteur Sven Gösmann sagte im Fachmagazin «Journalist», dass sich die Agentur zunehmend als «Technikdienstleister» verstehe. So hat die dpa im vergangen Jahr den Social-Media-Monitoring-Dienst Buzzrank übernommen und den sogenannten Next-Media-Accelerator initiiert, der Start-ups in mediennahen Feldern fördert. Die dpa sieht sich als «Brückenbauer» zwischen Redaktion und Technik – und als Ideenlabor. Im dpa-newslab entwickeln nachrichtenaffine Software-Architekten 2009 Lösungen, etwa Programmierschnittstellen und Applikationen für die Inhalte der dpa-Gruppe und weiterer Nachrichtenanbieter sowie die Integration und Auswertung von Daten und Metadaten in Nachrichtenangebote.

Peter Kropsch, Geschäftsführer der dpa, teilt auf Anfrage mit: «Das dpa-newslab ist ein wichtiger Baustein unserer Innovationsstrategie.» Diese Strategie sei «letztlich so etwas wie eine Lebensversicherung für die Agentur». Aktuell werde am newslab an einem Projekt gearbeitet, bei dem die Verbesserung der APIs im Mittelpunkt stehe. «Das können zum Beispiel Schnittstellen sein, die es ermöglichen, intelligent beschnittene Bilder pixelgenau abzurufen», erklärt Kropsch. Immer mehr dpa-Kunden äußerten den Bedarf an journalistisch validierten und bewerteten Metadaten. «Die brauchen sie, um ihre Angebote zielgenauer auf die Leser zuzuschneiden.», konstatiert Kropsch. «Wir beschäftigen uns momentan intensiv mit der Frage, inwieweit KI-Technologien Journalisten beim Erstellen und Verschlagworten von Texten und Bildern unterstützen können.» Bei aller Technikbegeisterung bedeute Innovation für die dpa vor allem auch Investition in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. «Das zeigt sich neuen Berufsbildern wie zum Beispiel Radar- und Verification Officer, Produktmanagern im Umfeld der Redaktion und auch in der Ausbildung», so Kropsch.

Die Nachrichtenagentur Reuters, mit einem Netzwerk von 2500 Journalisten weltweit und jährlich 2,2 Millionen produzierten Meldungen das Flaggschiff unter den Nachrichtenangenturen, hat einen algorithmischen Trendspotter («Reuters News Tracer») entwickelt, der Breaking News auf Twitter aufspürt, noch bevor diese über einen Agenturticker laufen. Das Tool durchforstet jeden Tag 12 Millionen Tweets und clustert sie in verschiedene Ereignisse. Die eine Hälfte des Samples wird zufällig erstellt, die andere stammt von einer von Reuters-Journalisten kuratierten Liste, die Accounts von Medien, Unternehmen oder Influencern enthält. Mithilfe von Algorithmen werden Ereignisse klassifiziert und priorisiert. Tweets, die den Begriff «Explosion» oder «Bombe» enthalten, werden in die Kategorie eines Terroranschlags eingeordnet. Anhand der Metadaten und ortsbasierter Dienste kann der Algorithmus auch Zeit und Ort des Ereignisses bestimmen. Wird ein Trend als News identifiziert, erfolgt eine automatisierte Quellenprüfung. Dabei geht es wie so oft im Nachrichtengeschäft um Schnelligkeit. «Ein grosser Teil unserer DNA gründet auf dem ‹being first›, deshalb wollten wir herausfinden, wie wir ein System bauen können, das uns bei der Sichtung des Materials einen Vorsprung in Geschwindigkeit und Grösse gibt», sagte Reg Chua, leitender Redakteur für Daten und Innovation bei Reuters, dem «Nieman Lab».

Bei aller Automatisierung: Am Ende muss immer noch der Mensch die Schlussredaktion bzw. endgültige Quellenprüfung übernehmen.

Der «Reuters News Tracer» funktioniert erstaunlich gut: Laut einer gemeinsamen Studie von Thomson Reuters und Alibaba hat der Algorithmus mit zwei Prozent der Twitter-Daten 70 Prozent aller Nachrichtenereignisse erkannt. Zum Beispiel bei der Schiesserei auf einem Country-Konzert in Las Vegas im Oktober 2017, bei dem 59 Menschen getötet und mehr als 500 verletzt wurden. Nachdem ein Augenzeuge um 1 Uhr 22 nachts darüber berichtete, hatte Tracer bereits um 1 Uhr 39 eine überprüfte Meldung vorbereitet. Um 1 Uhr 49 berichtete schliesslich Reuters über das Ereignis. Cui bono? Computer können News zuweilen schneller erkennen als professionelle Journalisten und sind für diese ein hilfreiches Werkzeug. Allerdings ist ihr Anwendungsbereich begrenzt. Zum Beispiel könne Tracer nicht vor Agenturen das Wahlergebnis kennen, heisst es in der Studie. Am Ende muss immer noch der Mensch die Schlussredaktion bzw. endgültige Quellenprüfung übernehmen.

Die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua setzt derweil voll auf künstliche Intelligenz und stattet ihren Newsroom mit einem «Media Brain» aus: eine Plattform, die nach eigenen Angaben Cloud Computing, Internet der Dinge, Big Data und KI in die Nachrichtenproduktion integrieren soll. Die Ankündigung klingt noch recht vage, doch offensichtlich geht es darum, weite Teile des Nachrichtenzyklus zu automatisieren. Die KI-basierte Software Dreamwriter hat bereits die Rede eines «Quartz»-Journalisten auf einer Konferenz in China automatisch transkribiert und daraus eine Meldung gebastelt. Vielleicht sieht so die Zukunft aus: Der Mensch spricht, der Computer schreibt mit. Beim nächsten Streik einer Nachrichtenagentur übernehmen einfach die Roboter.

Leserbeiträge

David Jerome Putnam 06. Februar 2018, 15:39

Werden dann die Roboter-Journalisten auch vollkommen „politisch neutral“ vorprogrammiert? Hoffentlich, denn ein libertärer (Video-)Journalist wie ich hat praktisch keine Chance im linkslastigen Mainstream Fuss zu fassen. Die Journalistenschulen sind ja auch schon von Linksintellektuellen besetzt. Deshalb geben mir Roboter, A.I., Crowdfunding mit Cryptowährungen und unabhängige Youtoube-Newskanäle mehr Hoffnung als die im Moment noch monopolisierten und stark subventionierten Staatsmedien.

Ekaf 11. Februar 2018, 17:53

Die Berichterstattung ist nicht links gerichtet, sie ist einfach nur Regierungs- und Konzerntreu. Wäre sie links gerichtet, dann gäbe es viel mehr Berichte über Waffenhandel, Armut in Deutschland, Steuergeschenke an Reiche, die immer größere Spalung zwischen Arm und Reich, EU-Kritische, die Verursacher der Flüchtlinge (nämlich die Westlichen Regierungen und die zugehörigen Unternehmen) usw. Gibt es aber nicht, sondern es existiert einfach nur ein herunterbeten der Vorgaben von Großkonzernen und der Regierung, die wiederum oft von Großkonzernen abhängig sind.