von Nick Lüthi

«Der Streik hat der SDA gut getan»

Die Redaktion der Schweizerischen Depeschenagentur SDA steht weiterhin mitten in einem ungelösten Arbeitskonflikt wegen einer laufenden Massenentlassung. Schon nächste Woche kann es zum nächsten Ausstand kommen. Eine Zwischenbilanz und eine kleine Streikkunde mit impressum-Geschäftsführer Urs Thalmann.

Auf dem Boden im Sekretariat des Berufsverbands impressum steht ein übergrosses Handmegafon. Ein Aufkleber nennt den Zweck des Lautsprechers: Voice of Journalists, die Stimme der Journalisten. Vor einer Woche diente der Schalltrichter Urs Thalmann als Arbeitsinstrument beim Streik der SDA-Redaktion. Für Thalmann, gelernter Jurist und Geschäftsführer des Verbands, ist dies der erste Streik, den er begleitet. Im Gespräch mit der MEDIENWOCHE zieht er eine Zwischenbilanz des Arbeitskonflikts bei der Nachrichtenagentur SDA.

Medienwoche:

Der Streik ist vorläufig unterbrochen. Was hat die SDA-Redaktion bisher erreicht?

Urs Thalmann:

Noch nie war die SDA so bekannt in der Schweiz, seit ich mich erinnern mag. Es gibt viele Leute, die das Kürzel SDA unter einem Artikel lesen, aber keine Ahnung haben, was das bedeutet, und es war ihnen bisher eigentlich auch egal. In dem Sinn hat der Streik der SDA gut getan.

Medienwoche:

Und bezüglich der arbeitsrechtlichen Forderungen?

Urs Thalmann:

Im Moment kann man dazu nichts sagen. Der Streik ist unterbrochen, weil Verhandlungen anstehen. Die Redaktion hat immerhin erreicht, dass sich der Verwaltungsrat nun darum kümmert. Bisher war das ja Sache der Geschäftsleitung, die ziemlich kaltblütig die Vorgaben des Verwaltungsrats umgesetzt und gesagt hat, sie habe keinen Verhandlungsspielraum. Nach drei Tagen Streik traf die Redaktion dann endlich eine Delegation des Verwaltungsrats und hat mit ihr die nun anstehenden Verhandlungen vereinbart. Aber da man ja nicht weiss, was dabei herauskommt, wurde der Streik nicht abgebrochen. Der Arbeitskampf ist noch nicht vorbei.

Medienwoche:

Wie hast du persönlich die achtzig Stunden Streik erlebt?

Urs Thalmann:

Für mich war das zuerst einmal ein neues Erlebnis. Ich habe selber noch nie einen Streik begleitet. In den vier Tagen habe ich vor allem rotiert, weil wir zusammen mit meinen KollegInnen allem gleichzeitig nachrennen musste. Wir sind ein Berufsverband und keine Gewerkschaft, die mehrere Branchen zusammenschliesst, und wir haben darum auch nicht unendliche personelle Ressourcen. Ich war überhäuft mit Anfragen, sei es von Medien oder Mitgliedern, die sich Sorgen machen, was mit ihnen passiert. Gleichzeitig habe ich im Hintergrund Leute mobilisiert, zum Beispiel die parlamentarische Gruppe für Journalismus und Demokratie. Regula Rytz und Matthias Aebischer waren persönlich an Streikanlässen dabei. Auch eine weitere Co-Präsidentin, die BDP-Nationalrätin Rosmarie Quadranti, erkannte, wie wichtig das Ganze ist. Sie hat dann tatsächlich zweimal eine Solidaritätsbotschaft an die Streikenden gerichtet, obwohl von ihrer bürgerlichen Gesinnung her ein Streik kaum das Erste ist, was sie unterstützen würde.

Medienwoche:

Grund für die Arbeitsniederlegung ist die laufende Massenentlassung von einem Viertel des Redaktionspersonals. Ist Streik die einzige Möglichkeit, dagegen vorzugehen?

Urs Thalmann:

Natürlich nicht. Es gibt mehrere Eskalationsstufen. Als Erstes sollte verhandelt werden – echte Verhandlungen setzen aber voraus, dass nicht schon vorher durch Kündigungen Tatsachen geschaffen werden. Dann gäbe es das Mittel der Petition. Aber auch eine solche wurde durch die extrem schnelle Umsetzung aller Kündigungen von vornherein vereitelt. Der Takt war von oben vorgegeben. Als Konsultationsfrist gewährte man dem Personal gerade mal zehn Tage. Einen Tag danach wurden die Vorschläge der Belegschaft bereits weitgehend abgelehnt. Dem Unternehmen ging es einfach darum, die Kündigungen möglichst bis Ende Januar auszusprechen.

Medienwoche:

Und dann heisst es einfach: Streik?

Urs Thalmann:

Weil es so schnell ging, hatte die Redaktion gar keine Auswahlmöglichkeiten bei den Eskalationsstufen. Neben verschiedenen Kontaktnahmen und zusätzlichen Verhandlungsangeboten hat sie immerhin auch einen Warnstreik gemacht. Wie der Name sagt: Man warnt vor dem Streik und zeigt gleichzeitig seine Mobilisierungsfähigkeit. Die Führung hätte dann immerhin eine Woche Zeit gehabt, um darauf zu reagieren. Aber es hatte sich nichts Substanzielles bewegt, dann traten sie halt in den Streik.

Medienwoche:

Wann seid ihr als Berufsverband ins Spiel gekommen?

Urs Thalmann:

Wir waren von Anfang an dabei. Der erste Anruf der Personalkommission kam zu uns: Hilfe, da geht was! Sofort organisierten wir den Raum für die erste Redaktionsversammlung. Dann fingen wir an, mit der Redaktion darüber zu reden, was wir nun machen könnten.

Medienwoche:

Impressum betreut den Streik zusammen mit der Gewerkschaft syndicom. Geht das gut zusammen?

Urs Thalmann:

Wir verfolgen auf jeden Fall die gleichen Ziele und legen unsere Kräfte zusammen. Das ist absolut klar. Was man bei dem Streik gut gesehen hat: syndicom kann aus ihrer Organisation heraus für Arbeitskämpfe mehr Ressourcen rasch freimachen, weil sie eine viel grössere Organisation sind und auf die Solidarität aller anderen Branchen zählen können, die in syndicom organisiert sind. Das geht von Post über Telekom bis Druck. Würde impressum den Streik alleine unterstützen, sähe das Drumherum sicher anders aus, die Wirkung wäre aber dieselbe.

Medienwoche:

Wie zeigte sich das im Streikalltag?

Urs Thalmann:

Etwa so, dass syndicom-Funktionäre, die sonst für andere Bereiche zuständig sind, bei der SDA als Streikposten im Einsatz waren. Ich war auch mal um sechs Uhr früh als Streikposten im Einsatz, da stand eine motivierte Kollegin neben mir, die sonst für Post oder Telekom zuständig ist.

Medienwoche:

Ist der Streik eigentlich legal?

Urs Thalmann:

Streiken ist zuerst einmal ein Grundrecht. Für einen legalen Streik gibt es vier Bedingungen. Er muss erstens Forderungen beinhalten, die im Möglichkeitsbereich des Arbeitgebers liegen und die sich auf das Arbeitsverhältnis beziehen. Zweitens muss der Streik verhältnismässig sein. Das heisst, dem Personal steht kein anderes realistisches Mittel zur Verfügung, um das Ziel zu erreichen. Drittens muss eine tariffähige Organisation, also unser Verband oder syndicom oder noch besser beide zusammen, den Streik mittragen. Und viertens darf keine Friedenspflicht den Streik verbieten. Eine Friedenspflicht wird ein einem Gesamtarbeitsvertrag GAV vereinbart. Die Verleger haben den letzten gültigen GAV der privaten Deutschschweizer Medien 2004 gekündigt. Wir sehen im vorliegenden Fall alle Punkte erfüllt.

Medienwoche:

Nächste Woche soll es zu Gesprächen kommen mit der Führung der Agentur. Worum geht es?

Urs Thalmann:

Die wichtigste Forderung ist die Sistierung der Kündigungen, bis seriöse Verhandlungen über alternative Massnahmen stattgefunden haben. Da stellt sich die Personalkommission auf den Standpunkt, dass das bisher noch nicht stattgefunden hat. Eine zehntägige Konsultationsfrist reicht dafür nicht. Der Einblick in die Dokumente war ungenügend. Die Führung gab ihnen nicht die Möglichkeit, sich mit den Fragen ernsthaft auseinanderzusetzen. Es geht also um die Forderung, dass das Mitwirkungsrecht der Redaktion richtig umgesetzt wird. Mitwirkung und Konsultation geht weiter als Anhörung. Die Voraussetzung ist die ernsthafte Bereitschaft, umsetzbare Vorschläge des Personals auch tatsächlich substantiell zu berücksichtigen.

Medienwoche:

Wie sieht der Sozialplan für das entlassene SDA-Personal aus?

Urs Thalmann:

Der grösste Mangel, den man beim Sozialplan der SDA-Leitung sieht, ist die Behandlung der älteren Mitarbeitenden, speziell der über 60-Jährigen. Davon ist eine ganze Reihe betroffen. Dort findet man, dass das ein unwürdiger Umgang sei. Dort könnte der Sozialplan massiv aufgebessert werden, etwa mehr Geld für Übergangsrenten für sogenannte Frühpensionierungen. Sonst führen die «Frühpensionierungen», eigentlich Entlassungen, zu einem existenzbedrohenden Einkommensrückgang für die Betroffenen.

Medienwoche:

Wie schätzt du die Wahrscheinlichkeit ein, dass sich am Ende das Unternehmen mit seinen Plänen durchsetzt?

Urs Thalmann:

Der Streik hat ja schon etwas bewegt. Es kommt zu Verhandlungen. Ich gehe davon aus, dass die Verwaltungsratsdelegation, die ab dem 13. Februar mit dem Personal und uns sprechen wird, guten Willens ist, eine Lösung zu finden, die den Konflikt besänftigt. Die können kein Interesse daran haben, dass nochmal Dampf gemacht wird. Also müssen sie sich bewegen.

Medienwoche:

Streiks von Medienschaffenden sind selten. Warum ausgerechnet jetzt bei der SDA?

Urs Thalmann:

Zunächst einmal, weil die Radikalität und das Tempo der Massenentlassung einzigartig ist. Und die SDA hat grundsätzlich einen guten Team-Spirit. Das hat Tradition in dem Haus. Journalisten streiken vermutlich selten, weil sie auch beruflich seltener im Kollektiv agieren als andere Berufsgruppen. Die Unabhängigkeit ist Pflicht. Bei der SDA führt das aber weniger zu Individualismus. Sie machen alles im Team und unterschreiben ja auch ihre Artikel nur mit dem Agenturkürzel. Ich gehe davon aus, dass das sicher dazu beiträgt, dass sie in einer solchen Geschlossenheit aufgetreten sind.

Medienwoche:

Andere Medienunternehmen haben in der Vergangenheit ähnlich drastisch Personal abgebaut wie es jetzt die SDA macht, etwa Tamedia beim Tages-Anzeiger 2009. Warum hat damals das Personal nicht gestreikt?

Urs Thalmann:

Ein Streik war insofern nicht nötig, weil die Redaktion damals nach den ersten Demos – das wäre vergleichbar mit dem Warnstreik der SDA – bereits erreicht hatte, dass man in den Verhandlungen substanzielle Schritte weitergekommen ist. Ich würde nicht behaupten, dass die Tagi-Redaktion weniger geschlossen aufgetreten ist als nun die SDA. Das zeigte sich auch jetzt wieder. Beim Streik-Anlass in Zürich begleitete eine grosse Anzahl Tagi-Kolleginnen und –Kollegen die SDA-Mitarbeitenden.

Medienwoche:

Im Kern geht es bei dem Arbeitskampf um die Frage, welche Nachrichtenagentur die Schweizer Medien brauchen.

Urs Thalmann:

Grundsätzlich glaube ich schon, dass eine moderne Agentur multimedial funktionieren muss, so wie es jetzt geplant ist mit der Fusion mit Keystone. Es ist ja absurd, dass heute alle Redaktionen konvergent arbeiten, aber Bild und Text bei verschiedenen Agenturen einkaufen müssen. Eine andere Frage, die sich stellt, ist halt tatsächlich, ob es nicht ungesund ist, wenn es nur eine Agentur gibt in der Schweiz seit die AP – unter Beihilfe der SDA – verschwunden ist. Die Konkurrenz war ein Ansporn für die SDA. Das fehlt heute.

Medienwoche:

Wenn überall in den Medien gespart wird, ist es dann nicht eine logische Konsequenz, dass es irgendwann auch die Agentur trifft, die ja Teil des Systems ist?

Urs Thalmann:

Ich sehe keine solche Sparlogik. Im Gegenteil: Die SDA ist selbst schon ein Sparinstrument der Verlage. Im Grunde ist es doch genau umgekehrt: Je mehr man in den Redaktionen spart, desto stärker sind sie auf die SDA angewiesen, die sie entlasten kann. Aber den Verlagen und Eigentümern der Agentur geht es nur ums Geld: Wir mussten auch sparen, dann soll die SDA auch. Dann hat die SDA-Führung nachgegeben und den Preis reduziert. Anschliessend hat man die Excel-Tabelle geöffnet und gesehen, dass Geld fehlt, also wirft man Leute raus. Vor einer Restrukturierung müsste aber ein publizistisches Konzept zeigen, wo man wie viele Ressourcen braucht, und das fehlt.

Medienwoche:

Wie entwickelt sich der Konflikt weiter?

Urs Thalmann:

Bei der Dynamik, die ein Streik auslösen kann, ist es schwierig vorauszusehen, was noch alles kommen wird. Ganz generell bahnt sich ein schwieriges Jahr an. Bei allen grösseren Medienhäusern stehen Fusionen und Personalabbau an. Es ist gut möglich, dass auch andere Redaktionen streiken werden. Die Verlage sollten sich in Acht nehmen.