von Tuğba Ayaz

Freiburger Modell: wenn Staatsbetriebe die Medienvielfalt sichern

Seit drei Jahren sind die Kantonalbank und das Energieunternehmen «Groupe E» Aktionäre der traditionsreichen Tageszeitung «La Liberté» in Freiburg. Für die Staatsbetriebe steht nicht die Renditeerwartung im Zentrum ihres Engagements, sondern die Sicherung einer publizistischen Institution. Chefredaktor Serge Gumy bestätigt: «Wir waren frei. Wir sind es noch immer.»

Die Geschichte dieser Zeitungsaktionärinnen ist ebenso einzigartig wie ihr Weg, die Zukunft ihrer Zeitung zu sichern. Richtig: Aktionärinnen. Die katholische Glaubensgemeinschaft der Paulus-Schwestern, seit Gründung 1871 alleinige Eigentümerin der Freiburger Tageszeitung «La Liberté» und der Paulus-Druckerei, öffneten im September 2014 ihr Aktionariat zu einem Drittel. Wegen fehlendem Nachwuchs sorgten sich die Schwestern um den Fortbestand ihrer Zeitung. Eine Zeitung, in die sie stets investierten. Eine Zeitung mit stabilen Leserzahlen, die jüngst gar anstiegen. Eine Zeitung, die sich 1970 unter der Chefredaktion des bedeutenden Publizisten François Gross nicht mehr länger als konservative Stimme des Bistums diente, und bis heute mit starkem Regionaljournalismus wie auch profunden Auslandsreportagen auffällt. Welche Aktionäre sollten da infrage kommen?

Die Bedingungen der Schwestern für die Öffnung des Aktionariats: Kein grosser Verlag, regionale Verankerung, langfristiges Interesse am Blatt, Anerkennung der redaktionellen Charta. Ein Anteil von 30 Prozent ging schliesslich hälftig an die Freiburger Kantonalbank und den grösstenteils staatlich gehaltenen Energiekonzern «Groupe E». Seit 2014 hat die «Liberté» zwei staatliche Unternehmen als Miteigentümer – funktioniert das?

«Wir waren frei. Wir sind es noch immer», sagt Chefredaktor Serge Gumy, der seine journalistische Laufbahn schon bei der «Liberté» begonnen hatte. Die zwei neuen Aktionäre verhielten sich genauso diskret wie die Paulus-Schwestern. «Bislang haben wir keinerlei Einmischung in die Redaktion gespürt», sagt er. In der Westschweiz seien praktisch alle Zeitungen im Besitz grosser Verlagshäuser aus dem In- und Ausland. Serge Gumy ist froh, dass Freiburg nicht von Zürich und Paris aus erklärt wird: «In einem föderalistischen Land wie der Schweiz müssen sich auch regionale Stimmen in Debatten einbringen können.» Für die «Liberté» sei es bedeutend, dass die zwei Unternehmen für eine unabhängige Freiburger Stimme in der Medienlandschaft einstehen.

«Die ‹Liberté› gehört zur Freiburger Identität. Wir wollen ihre ausgezeichnete Berichterstattung unterstützen», sagt Dominique Gachoud, Generaldirektor des Energieunternehmens «Groupe E».

Medienwoche:

Als Unternehmen erwarten Sie doch bestimmt Gewinne?

Dominique Gachoud:

«Eine vernünftige Dividende, ja.»

Medienwoche:

Auch dass sie jährlich höher ausfällt?

Dominique Gachoud:

«Das erwarten wir in unserem Kerngeschäft, zu denen die Medien nicht gehören.»

Medienwoche:

Könnte sich die «Groupe E» vorstellen, bei anderen Medien einzusteigen?

Dominique Gachoud:

«Nein, die ‹Liberté› ist ein Sonderfall. Wir sind durch die Verwurzelung in Freiburg emotional mit der Zeitung verbunden.»

Klingt harmlos. Wie aber steht es um unterschwellige Einflussnahme auf die Redaktion? Etwa bei der Berichterstattung über die kantonale Energiepolitik? Liest man stichprobenweise Artikel zum Thema aus den letzten Jahren, fällt nichts Besonderes auf. «Wir haben uns verpflichtet, die redaktionelle Charta einzuhalten», sagt Gachoud. «Die ‹Liberté› schont uns nicht. Sie titelte einmal: ‹Wenn die ‚Groupe E‘ der FDP den Apéro offeriert›.» Die «Groupe E» hatte für eine Podiumsdiskussion zum Atomausstieg ihre Räumlichkeiten der FDP mitsamt Apéro zur Verfügung gestellt. Die SP und die Grünen seien verärgert gewesen. «Ein Journalist der ‹Liberté› hakte bei mir nach und wollte mehr über unser Verhältnis zur FDP wissen», sagt Gachoud. Er erklärte es ihm: «Für Panels rund um das Thema Energie sind wir für jeden Verein offen, unabhängig seiner politischen Ausrichtung.»

Die «Groupe E» zählt zu den vier tragenden Pfeilern der Freiburger Wirtschaft (quatre piliers), zusammen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, einer Gebäudeversicherung und der Kantonalbank, die auch Mitaktionärin der «Liberté» ist. Die Bank hat in Freiburg politisch, kulturell und wirtschaftlich grosses Gewicht. Sie sponsert Anlässe und pflegt Partnerschaften mit Vereinen und Verbänden des Kantons. Ein Gespräch mit der MEDIENWOCHE lehnte die sie ab, eine zweite Anfrage blieb unbeantwortet. Christian Campiche, ehemaliger Wirtschaftsjournalist der «Liberté» und Präsident des Berufsverbands impressum, überrascht dies nicht. «Die Bank ist sehr verschwiegen. Mitglieder der Generaldirektion und des Verwaltungsrats gelten als graue Eminenzen in Freiburg», sagt Campiche.

Mit wem man auch über das «Freiburger Modell» spricht: Die Unabhängigkeit des Blatts sieht niemand gefährdet. Campiche betont aber: «Die bisherigen Chefredaktoren der ‹Liberté› haben die Unabhängigkeit gewahrt. Viel ist diesen Persönlichkeiten zu verdanken.» Auch Urs Haenni, Wirtschaftsredaktor der lokalen deutschsprachigen Tageszeitung Freiburger Nachrichten, teilt diese Sicht. «Wir haben zwar erst Sprüche geklopft. An die Schere im Kopf haben wir nicht ernsthaft geglaubt» sagt er. Der ehemalige «Liberté»-Chefredaktor François Gross, mittlerweile verstorben, habe ihm einmal gesagt: «Für das Blatt ist entscheidend, wer in Zukunft die Chefredaktion besetzt», erzählt Haenni. «Unterdessen hat die ‹Liberté› einen neuen Chefredaktor, und dieser zeichnet sich wie seine Vorgänger durch Unabhängigkeit aus.»

Kritischer sieht die Sache SVP-Grossrat Emanuel Waeber. Nachdem die Beteiligung der Aktionäre 2014 öffentlich wurde, richtete er eine Anfrage an den Staatsrat: «Pressefreiheit in Gefahr?», stand in der Überschrift. Der Staatsrat erklärte, dass die Lösung «vollkommene Pressefreiheit» garantiere. Waebers Befürchtungen haben sich bis heute weder bestätigt, noch wurde er positiv überrascht, sagt er. Auch glaubt er nicht, dass die beiden Unternehmen Einfluss auf das Blatt nehmen können. Die regionale Lösung begrüsst er zwar, ist aber weiterhin der Meinung, das Aktionariat sollte breiter gestreut sein. «Wenn beide Unternehmen in einem zweiten Schritt die Aktienmehrheit halten, wird es zu einer Monopolstellung.» Dies findet auch «Liberté»-Chefredaktor Serge Gumy heikel: «Der Anteil der Schwestern könnte zwischen anderen Unternehmen und der Leserschaft aufgeteilt werden.» Die Paulus-Schwestern wollen sich hierzu nicht äussern.

Grundsätzlich ist man in der Westschweiz offener, was das Verhältnis zwischen Staat und Medien betrifft. «Da besteht definitiv ein kultureller Unterschied. In der Westschweiz ist man weniger staatskritisch», sagt Medienwissenschaftler Manuel Puppis von der Universität Freiburg. Auch liege das an der Medienkrise, «die die Westschweiz mit mehr Entlassungen und Schliessungen von Redaktionen noch härter trifft.» Die staatlichen Unternehmen als Aktionäre bei der «Liberté» findet Puppis nicht grundsätzlich problematisch, und sieht bisher keine Einschränkung in ihrer Unabhängigkeit: «Die Gefahr der Einflussnahme auf eine Redaktion besteht auch bei klassischen Medienunternehmen. Wie kritisch kann etwa der Titel eines grossen Verlags über dessen Umstrukturierungen berichten?»

Das «Freiburger Modell» könnte Puppis zufolge zum Teil Vorbildcharakter für den Lokaljournalismus haben, da es die Verankerung der Eigentümerschaft in der Region sichert. Die Frage nach dem Erlös regle das Modell aber nicht. «Auch hier braucht es Strategien, um etwa den Rückgang bei den Inseraten zu kompensieren. Die Beteiligung der Unternehmen bedeutet keine Medienförderung.»

Fragt sich, welches Szenario auf lange Sicht nachhaltiger ist: Blätter in Besitz von Medienkonzernen ohne publizistische Vision oder branchenfremde Aktionäre mit staatlicher Nähe? «Entscheidend ist die Höhe der Renditeerwartung des Eigentümers. Sie ist unabhängig von der Nähe zur Branche», sagt Manuel Puppis. «Zentral ist dabei, ob eine Redaktion unabhängig ist und über ein ausreichendes Budget verfügt, um die journalistische Leistung zu erbringen. Beides setzt eine publizistische Vision voraus.»

Bilder: Reto Schlatter

Leserbeiträge

Ueli Custer 22. Februar 2018, 15:47

Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich den Unterschied zwischen der deutschen und der französischen Schweiz bezüglich der Funktion des Staates auf. So etwas ist nur in der französischen Schweiz möglich. Da sind ja auch viele Gemeinden Aktionäre von La Télé. In der deutschen Schweiz würde ein solches Engagement zu einem mittleren Aufstand führen.