von Carmen Epp

Fall Rupperswil: «Arena» entzieht sich dem Volkszorn

Die «Arena» vom Schweizer Fernsehen hat mit ihrer Sendung zum Vierfachmord in Rupperswil gezeigt, dass eine sachliche und unaufgeregte Diskussion zu einem emotionsbeladenen Gerichtsfall möglich ist. Davon könnten sich andere Medien eine Scheibe abschneiden – statt weiter den Volkszorn zu befeuern.

Der Aufschrei in den sozialen Medien war gross, als «Arena»-Moderator Jonas Projer am Mittwoch via Twitter das Thema der nächsten Sendung ankündigte: der Vierfachmord von Rupperswil. Von geschmackloser Quotenbolzerei war schnell die Rede. Zahlreiche Personen riefen zum Boykott der Sendung auf, darunter auch prominente Figuren wie etwa CVP-Präsident Gerhard Pfister.

Auch ich hatte meine Bedenken, wie sinnvoll eine «Arena» zu diesem Thema zu diesem Zeitpunkt sein würde. Nicht, weil ich die Fragestellungen unwichtig, pietätlos oder deplatziert fand, die der Fall in Hinblick auf Themen wie Strafe, Verwahrung, Rechtsstaat. Im Gegenteil: Wann, wenn nicht jetzt sollte man diese Fragen diskutieren – auch auf politischer Ebene? Meine Befürchtung lag vielmehr darin, dass der Volkszorn, der in den Kommentarspalten, in privaten Begegnungen und auf Social Media vorherrschte, auch in die «Arena» übergreifen würde.

Leider hat Jonas Projer diese Befürchtung – im Nachhinein gesehen wahrscheinlich unwillentlich – geschürt. In seinem Kurzvideo auf Twitter stellte er die Frage, ob auch jemand wie Thomas N., der gestanden hatte, einen 13-jährigen Jungen sexuell missbraucht und vier Menschen getötet zu haben, ein Recht auf eine zweite Chance habe. Noch deutlicher war die Sendungsvorschau auf die Rupperswil-«Arena» mit der Frage «Wieso kann man Thomas N. nicht einfach wegsperren – und den Schlüssel wegwerfen?».

Natürlich waren die Fragen rhetorisch gemeint. Aber sie folgten zu sehr dem Duktus der zornigen Kommentatoren und Usern auf Social Media. Die hatten in ihrer Empörung lautstark gefordert, den Täter für immer wegzusperren – ja gar nach Kastration und Ausblutenlassen und die Todesstrafe wurde hie und da gerufen. Indem die „Arena“-Macher eine dieser Forderungen als Frage aufnahmen, suggerierten sie, dass diese ernsthaft und ohne Weiteres in Betracht gezogen werden könnten..

Damit man mich nicht falsch versteht: Was Thomas N. an jenem Tag kurz vor Weihnachten 2015 in Rupperswil getan haben soll, ist abscheulich und in keiner Weise zu entschuldigen. Eine solche Tat macht ohnmächtig und wütend, weil sie sinnlos ist und – das Entscheidende – sich unserem Verständnis komplett entzieht. Niemand wird je verstehen, wie ein Mensch in der Lage sein kann, solch schreckliche Taten zu begehen. Dass Menschen auf diese Ohnmacht mit Wut reagieren, ist verständlich. In einer zivilisierten Gesellschaft darf diese Wut aber nicht so weit gehen, dass sie die Grundsätze unseres Rechtsstaats bedroht. Und die besagen nunmal zu Recht, dass jeder Mensch, unabhängig davon, was er getan hat, ein Recht auf Leben und eine zweite Chance hat.

Würde es der «Arena» gelingen, sich nicht von diesem Volkszorn einnehmen zu lassen? Und wenn ja, würde der Zorn stattdessen auf sie und namentlich Moderator Jonas Projer zurückfallen, wie es Renate Senn, die Verteidigerin von Thomas N. erfahren musste? Ich befürchtete Schlimmes, sah bereits dunkelschwarze Shitstorm-Wolken am Horizont aufziehen, die sich entweder weiter über Thomas N. oder über Projer und seinem Team entleeren würde.

Meine Bedenken erwiesen sich glücklicherweise als unbegründet: Zwar galt der Fall Rupperswil – logischerweise – als Ausgangspunkt aller gestellten Fragen in der «Arena». Und mit Voten von Gästen in der zweiten Reihe fand auch der Volkszorn ein Ventil, aber in einem kontrollierten und von Moderator dosierten Mass. Statt sich der Emotionalisierung hinzugeben, diskutierten SVP-Nationalrätin Nathalie Rickli, FDP-Ständerat Andrea Caroni, Psychoanalytiker Peter Schneider und Psychiater Marc Graf jedoch mehrheitlich sachlich und unaufgeregt. So schaffte es die Sendung, Fragen zur Verwahrung und deren Umsetzbarkeit, zur Rolle psychiatrischer Gutachten und zum Opferschutz in einem Rahmen zu debattieren, der dem Thema würdig war.

Damit ist den Machern der «Arena» etwas gelungen, was ich bei den Print- und Onlineartikeln die letzten Tage teilweise schwerlich vermisst habe: auf Distanz zu gehen zum abscheulichen Verbrechen von Rupperswil und den Blick zu öffnen für Strukturen, die dahinter stecken.

Natürlich gehört es auch zum Auftrag von Journalisten, ein Verbrechen einzuordnen, da darf auch mal die Haltung des Journalisten spürbar werden. Man kann es aber auch übertreiben. In Teilen der Prozessberichterstattung schien es bisweilen, als hätten sich die Medienschaffenden mit den empörten Bürgern zu einer Empörungsgemeinschaft verschworen. In vielen Artikeln dominiert der Vorwurfston an Thomas N., seine Tat und seine Emotionslosigkeit vor Gericht. Wie etwa im Artikel zur Urteilsverkündung in der Aargauer Zeitung. Und «Blick»-Reporterin Lea Hartmann widmete ihre Empfindungen gegenüber dem Täter einen ganzen Artikel. Angesichts einer Tat wie jener von Rupperswil, bei der ein äusserst breiter Konsens vorausgesetzt werden kann – es lässt sich wohl kaum jemand finden, der das alles «gar nicht so schlimm» findet – wäre dieser permanente Empörungs- und Vorwurfston in den meisten Medienberichten überhaupt nicht nötig gewesen. Dass dabei vornehmlich Experten zu Wort kamen, die ins Empörungslied mit einstimmten, konnte die fehlende Distanz nur bedingt überbrücken.

Am deutlichsten wurde das auf dem Regionalsender TeleM1, der ganze Live-Sendungen zum Fall ausstrahlte. Dabei kam immer wieder der ehemalige Kommissär Markus Melzl zu Wort, der kaum neue Sichtweisen einbrachte, sondern lediglich bestätigte, was die Zuschauer ohnehin schon dachten: dass dieser Thomas N. ein ganz mieser Mörder, Lügner und Heuchler ist. Mein persönlicher Tiefpunkt hingegen war die Sendung mit der Graphologin Doris Aerne, die Thomas N.‘s Brief an die Angehörigen der Opfer analysierte. Sie steigerte sich dermassen in ihre «Analyse» hinein, dass sie den Eindruck erweckte, als wäre sie bei der Tat dabei gewesen.

Eine solche Berichterstattung hilft auf lange Sicht nicht weiter, sondern bestätigt den Leser in seiner Wut und lässt ihn gewissermassen darin verharren.

Natürlich gab es auch löbliche Ausnahmen. So empfand ich die Artikel von Simone Rau und Thomas Hasler im «Tages-Anzeiger», Christine Brand und Daniel Gerny in der «NZZ» sowie Fabian Vonarburg bei «watson» als wohltuend nüchtern und sachlich. Ich bin froh, dass die «Arena» ebenfalls diesen Weg eingeschlagen hat, und hoffe, sie geht den Medienschaffenden für ihre künftige Berichterstattung als Vorbild voraus.

Leserbeiträge

Hannes Hofstetter 22. März 2018, 06:12

Nun:  Zwischen „Nur seinen Job“ machen und einem Mehrfachmörder in Anwesenheit der Hinterbliebenen zugute zu halten, er habe seinen Opfer nicht mehr Schmerzen zugefügt als nötig sowie den Opfern zu unterstellen, sie hätten dem Täter in die Karten gespielt, mag juristisch betrachtet tatsächlich kein Unterschied bestehen.

In menschlich-moralischer Hinsicht ist es aber – hoffentlich – erlaubt, hinter eine solche Argumentation das eine oder andere Fragezeichen zu setzen.

An Distanz liessen es im Übrigen nicht nur manche Beobachterinnen und Beobachter dieses Prozesses mangeln. Sie hätte – zum Beispiel – auch gewissen Medienschaffenden gut angestanden, die seinerzeit über den Fall „Ignaz Walker“ berichteten.

Dass ein Medienprofi wie Jonas Projer zugunsten einer hohen Einschaltquote  „unwillentlich“ etwas schreibt, ist kaum vorstellbar.

Frank Hofmann 23. März 2018, 16:35

Kaum ist das Urteil gesprochen, plädiert die Journalistin schon für eine zweite Chance für den Täter. Auch dies ist mangelnde Distanz. Es gibt Fälle, in denen die lebenslängliche Verwahrung das einzig Richtige ist, um die Gesellschaft zu schützen. Diese Beurteilung ist erst nach Absitzen der Gefängnisstrafe sowie einer gewissen Zeit der Verwahrung möglich.

Peter Petrin 26. März 2018, 00:13

Die Grundsätze und Ausprägungen der Rechtsstaatlichkeit unseres Staates sind keine Dogmen. Daher können sie einem Wandel unterliegen. Das Recht auf eine zweite Chance ist keine Zwangsläufigkeit von Rechtsstaatlichkeit. Und wer in gewissen schweren Fällen eine zweite Chance verwehren will, muss nicht von Zorn und Rache getrieben sein. Das lässt sich ganz nüchtern und rational einfordern.