Liebesgrüsse aus Moskau
Pünktlich zur Fussball-WM starten Russlands Auslandmedien eine Charmeoffensive. Der TV-Sender RT setzt dazu auf Prominenz aus dem Westen.
Neonazis und Hooligans, nordkoreanische Zwangsarbeiter, Terrorwarnungen – das Bild, das in den westlichen Medien über Russland im Vorfeld der Fussball-WM gezeichnet wird, ist alles andere als schmeichelhaft. Nach dem Giftanschlag von Salisbury brachte der britische Aussenminister Boris Johnson gar einen WM-Boykott ins Spiel.
Um das ramponierte Image in der Öffentlichkeit aufzupolieren, haben Russlands Auslandmedien eine mediale Charmeoffensive gestartet. Das staatliche Nachrichtenportal «Sputnik News» führt eine eigene Rubrik, wo ausschliesslich Positiv-Geschichten rund um die WM laufen. Zum Beispiel die Story eines in Moskau lebenden Mexikaners, der den russischen Fussball mit dem Blog «Futvodka» begleitet und das Gastgeberland in den höchsten Tönen lobt: «Ich bin nun drei Jahre hier und habe diese aggressiven Fans nie gesehen.» Rassismus? Fangewalt? Das alles existiert nicht in den Erzählungen des vom Kreml finanzierten Senders, der Beiträge in 30 Sprachen veröffentlicht. Auch der usbekische Mittelfeldspieler Odil Ahmedov bekräftigt im Interview, dass ihm so etwas wie Rassismus in Russland noch nie begegnet sei. Wenn es ein Risiko bei dem Turnier gebe, berichtet «Sputnik News» unter Berufung auf einen Geheimdienstexperten, dann sei es die «Sexgefahr» durch russische Frauen. Hier wird ein sexistisches Klischee als süffisante Eigenwerbung bedient, um von den eigentlichen Problemen abzulenken.
Auch der staatliche Auslandssender RT betreibt eine ähnliche mediale Schönfärberei: So wird etwa dafür geworben, dass für Gästefans während des Turniers kostenlose Duschen und WCs zur Verfügung ständen. Gleichzeitig tritt die Redaktion gegen Grossbritannien nach, indem man sich in einem Artikel darüber ergötzt, dass kein britischer Referee von der Fifa für das Turnier nominiert wurde.
2005 wurde der Sender als ein Angebot der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti gestartet. Das erklärte Ziel war damals, den vermeintlichen westlichen Stereotypen über Russland entgegenzuwirken und einen internationalen Nachrichtenmix aus russischer Perspektive anzubieten. Eine Art russisches CNN. Svetlana Mironyuk, Direktorin von RIA Novosti, schlug zum Sendestart milde, ja versöhnliche Töne an. «Leider wird Russland im Bewusstsein des Westens mit drei Worten assoziiert: Kommunismus, Schnee und Armut. Wir würden gern ein vollständigeres Bild des Lebens in unserem Leben präsentieren.»
Mittlerweile hat das TV-Netzwerk Auslandbüros in Washington, Paris, Delhi, Kairo, Miami, Havanna und Buenos Aires, von wo aus es neben Englisch auf Arabisch, Spanisch, Deutsch und Französisch sendet.
RT versucht, Russland als ein weltoffenes Land in Szene zu setzen. Für die WM-Berichterstattung wurden dafür der ehemalige dänische Nationalkeeper und Europameister Peter Schmeichel, Kolumbiens Kult-Kicker Carlos Valderrama sowie Manchester-United-Coach José Mourinho als TV-Experten angeheuert. Zur Auslosung der Endrunde treten neben Fifa-Chef Gianni Infantino auch Legenden des Sports wie Ronaldo und Diego Maradona im Kreml auf.
Besonders die Personalie Mourinho ist einigen britischen Politikern ein Dorn im Auge. Der Unterhausabgeordnete Chris Bryant sprach angesichts des fürstlichen Salärs von 1,7 Millionen Pfund für vier Tage TV-Einsatz und der Koinzidenz zum Fall Skripal von «Blutgeld», das Mourinho für seinen Einsatz im Dienste des Kremls kassiere. Peter Schmeichel wiederum hat auf RT eine eigene Sendung zur WM («The Peter Schmeichel Show»), in der er die Spielstätten oder eine Autofabrik besucht. Diese Kurzdokumentationen sollen exemplarisch die Wettbewerbsfähigkeit der russischen Industrie («multi-billion-industry») unter Beweis stellen, was freilich die Realitäten verkennt, aber zumindest gute Bilder liefert. In Dänemark kam Schmeichels Engagement nicht besonders gut an. «Peter Schmeichel wird in einem grosen Politikspiel benutzt und missbraucht. Wie ein nützlicher Idiot», kommentierte die Zeitung Ekstra Bladet am 10. April.
RT schmückt sich gern mit mit Prominenz aus dem Westen. Starmoderator Larry King, der dem breiteren Publikum als Talkmaster von CNN bekannt ist, hat auf RT eine eigene Show («Larry King Now»), in der er schon mal mit Präsident Putin plauderte. Auch der ehemalige schottische Regierungschef Alex Salmond hat in Russland eine eigene Sendung («The Alex Salmond Show»), was ihm den Vorwurf des «nützlichen Idioten» eintrug. Ex-Ukip-Chef Nigel Farage ist ein ebenso gern gesehener Gast wie Filmschauspieler und Neurusse Steven Seagal. Der Sender lässt sich das einiges kosten. Britische Abgeordnete sollen für Auftritte laut «Guardian» bis zu 1000 Pfund kassieren. Betrug das Budget von RT anfangs umgerechnet 30 Millionen Dollar jährlich, liegt es mittlerweile beim Zehnfachen.
Die Ausrichtung der Fussball-Weltmeisterschaft in Verbindung mit den Auslandssendern ist zentraler Bestandteil von Putins Soft-Power-Strategie. Russland soll nicht allein als eine kraftstrotzende Militärmacht dastehen, sondern als eine Nation, die sich mit «weichen» Faktoren wie Sport und Unterhaltung international Anerkennung und Respekt verschafft. Der Begriff «Soft Power» wurde von dem Politologen und Publizisten Joseph S. Nye in einem Aufsatz 1990 geprägt – wobei Nye der Ansicht ist, dass Putin die Soft-Power bei den olympischen Winterspielen 2014 in Sotchi nicht ausgespielt habe. «Angesichts der Tatsache, dass nur wenige Ausländer russische Filme sehen und lediglich eine einzige russische Universität unter den 100 Spitzenuniversitäten weltweit aufscheint, bleiben Russland nur mehr wenige Möglichkeiten, seine Anziehungskraft wiederzuerlangen», konstatiert Nye in einem Gastbeitrag für die «Welt». Deshalb setzte Putin auf Propaganda.
Die Propaganda kommt auf RT jedoch weniger kraftmeiernd daher als noch vor ein paar Jahren. Neben stark gefärbten Reportagen, in denen der Konfliktforscher Leo Ensel auf 20’000 Zeichen seiner Sehnsucht nach der Sowjetunion freien Lauf lässt («Die ehemalige Sowjetunion ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten») und den Donbass als homogene politische Einheit beschreibt («Während der ganzen Woche meines damaligen Aufenthalts im Donbass habe ich keinen einzigen Menschen getroffen, der für die Orange Revolution gewesen wäre»), finden sich tendenziöse Analysen, wie die «Enthüllung», Amerikaner und Briten hätten eine OPCW-Debatte über Nowitschok-Gift verhindern wollen. Das entbehrt jeder Grundlage, trifft aber bei einer anti-amerikanisch gesinnten Leserschaft einen Nerv.
Auf Facebook, wo Geschichten geteilt werden und häufig viral gehen, hat der deutsche Ableger von RT 363’000 Fans, fast doppelt so viele wie die NZZ. Das journalistische Aushängeschild von RT ist die Sendung «Der fehlende Part», die von der deutschen Journalistin Jasmin Kosubek moderiert wird. In dem Format analysiert Kosubek politische Themen wie den jüngsten syrischen Giftgasangriff («Macht das Sinn?») oder interviewt der allgemeinen Öffentlichkeit eher unbekannte Gesprächspartner. Die Behandlung politischer Themen erschöpft sich in einem Säen von Zweifeln und Geraune. Eine Stellungnahme des deutschen Regierungssprecher Seibert zum syrischen Giftgaseinsatz versuchte Kosubek wie folgt zu zerlegen: «Ein aufmerksamer Zuhörer hat bereits bemerkt: Wenn Worte wie ‹offenbar› oder ‹unter Umständen› oder ‹deuten daraufhin› fallen, muss man vorsichtig sein.» Dass Seibert diese vorsichtigen Worte wählte, liegt daran, dass die Faktenlage zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesichert war – und spricht vielmehr für seine Sorgfalt. Kosubek legt ihm das als Spekulation aus – und versucht, seine Aussagen zu relativieren. Ein billiger Trick.
Doch in den USA, wo sich der russische Sender auf Drängen des Justizministeriums als «ausländischer Agent» registrieren lassen musste, scheint diese Charmeoffensive nicht verfangen zu haben. Seit April kann RT in den USA nicht mehr senden – der Kabelnetzbetreiber hat den Kanal aus dem Netzwerk genommen. Die britische Medienaufsichtsbehörde Ofcom (Office of Communications) hat nach der Skripal-Affäre ebenfalls damit gedroht, RT die Sendelizenz zu entziehen – was nicht ganz unumstritten ist. Für den Fall solcher Zensur kündigte der Kreml bereits eine Blockade britischer Sendeanstalten an. Mancher Beobachter sieht am Horizont bereits einen Medienkrieg heraufziehen.
Trotz aller Boykottdrohungen: Die Fussball-WM soll eine bombastische Bühne für Putins Propagandaschau werden. RT hat im Rahmen seines WM-Countdowns einen Kurzclip veröffentlicht, auf dem zu sehen ist, wie Fifa-Boss Gianni Infantino und Wladimir Putin einen Fussball jonglieren. Ein korrupter Verbandschef und ein skrupelloser Staatschef, die sich gegenseitig die Bälle zuspielen. Diese Doppeldeutigkeit war den Kommunikationsstrategen im Kreml wohl nicht bewusst.