von Nick Lüthi

Übergriffige Behördenkommunikation

Wenn die Medienstellen von Behörden und Unternehmen ihren E-Mail-Verkehr mit Journalisten integral auf ihrer Website veröffentlichen, hilft das zwar Transparenz zu schaffen, wirkt aber auch als Druckmittel gegenüber den recherchierenden Medien.

«Bund»-Journalist Andres Marti staunte nicht schlecht, als er seine Anfrage an den Berner SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg, inklusive der Antworten auf der Facebook-Seite der kantonalen Gesundheits- und Fürsorgedirektion GEF lesen konnte. Dass man ihn dort André nannte statt Andres, war noch das kleinere Problem. Was ihn schon mehr störte, war der Zeitpunkt der Veröffentlichung. Noch befand sich Marti mitten in seiner Recherche, ein Publikationstermin stand noch gar nicht fest – und da sieht er schon sein Arbeitsmaterial in aller Öffentlichkeit ausgebreitet. «Es ist uns ein Anliegen, der Bevölkerung unsere Originalaussagen zu Medienanfragen mitzuteilen. Damit schaffen wir die Basis für eine neutrale Meinungsbildung», wird das Facebook-Posting eingeleitet. Auf Nachfrage erklärt Gundekar Giebel, Kommunikationsbeauftragter der GEF, man nutze diese Möglichkeit, wenn man es für erforderlich halte, die «journalistische Aufarbeitung zu ergänzen oder unterstützen.» Auf den konkreten Fall geht er nicht ein. Unbeantwortet lässt er auch die Frage, unter welchen Umständen er die Korrespondenz mit Medienschaffenden ins Netz stellt.

Zu der ungewöhnlichen Massnahme griff die bernische Behörde vor dem Hintergrund eines angespannten Verhältnisses mit dem «Bund». Die Zeitung hatte zuvor das Vorgehen von Regierungsrat Schnegg bei der Reform der Sozialhilfe teils heftig kritisiert. Die Zeitung berief sich dabei – wie auch die «Berner Zeitung» – auf einen einen internen Verordnungsentwurf. Der SVP-Regierungsrat bezeichnete in der Folge die Berichterstattung als einen «Rattenschwanz von Falschmeldungen», was «eine Schande für diesen Berufsstand» sei. Die Zeitungen hielten an ihren Darstellungen fest.

Bis zum «Fake News»-Vorwurf an die «Lügenpresse» ist es heute nicht mehr weit.

Bis jetzt hat die Gesundheitsdirektion bei zwei Gelegenheiten den Mailverkehr mit Journalisten auf Facebook veröffentlicht. Im Fall von «Bund»-Redaktor Basil Weingartner erfolgte die Publikation erst nach Erscheinen seines Artikels. Doch hier suggerierte der behördliche Facebook-Eintrag, dass ein schriftlich geführtes Interview mit Regierungsrat Schnegg vorliegt. Dabei handelte es sich nur um den Fragenkatalog einer Medienanfrage. Wenn nun der Redaktor nur einzelne Aussagen der regierungsrätlichen Antwort verwendet – was dem üblichen Vorgehen entspricht – könnte durch das GEF-Posting auf Facebook der falsche Eindruck entstehen, «Der Bund» wolle ein Interview nicht veröffentlichen. Bis zum «Fake News»-Vorwurf an die «Lügenpresse» ist es heute nicht mehr weit.

Das Vorgehen der GEF zeigt durchaus Wirkung. Zwar erreicht die Behörde mit ihrer Facebook-Seite nur 26 Leute. Der betreffende Beitrag wurde aber 55 mal geteilt, unter anderem von SVP-Parteifreunden des Regierungsrats. Auch Journalist Weingartner hat direkte Rückmeldungen auf das Posting erhalten.

Nun ist es nicht unüblich, dass Medienstellen bei spannungsgeladenen Themen ihren Schriftverkehr mit Journalisten auf ihre Website dokumentieren. Allerdings erst nach dem veröffentlichten Beitrag in den Medien. Das haben die Basler Verkehrsbetriebe BVB 2013 so gemacht, «während der wahrscheinlich grössten Unternehmenskrise», wie BVB-Sprecher Benjamin Schmid auf Anfrage mitteilt. Aktuell sehe das Unternehmen aber keinen Grund für eine solche Massnahme «und wir gehen auch davon aus, dass dies so bleiben wird».

«In einem Extremfall ist das schon wieder vorstellbar».
Christian Ginsig, Sprecher SBB

Auch die SBB veröffentlichten eine Weile lang ausgewählte Korrespondenz mit Medien in einem Blog auf der Unternehmensseite. Zu diesem Vorgehen entschied sich die Medienstelle der Bundesbahnen im Frühjahr 2016 während des Abstimmungskampfs um die «Service-public-Initiative». Man sah dieses Vorgehen nicht als Disziplinierungsmassnahme gegenüber aufsässigen Redaktionen, sondern als Mittel, um die vielen Medienanfragen bewältigen zu können. Dank der Publikation im Blog standen die Antworten danach allen Redaktionen zur Verfügung und die Medienstelle wurde so entlastet. Christian Ginsig, Mediensprecher der SBB, mag nicht kategorisch ausschliessen, dass man das nicht wieder einmal so machen würde. «In einem Extremfall ist das schon wieder vorstellbar». Was aber gar nicht gehe, sei es, den Mailwechsel vor der Publikation eines Artikels zu veröffentlichen. «Das liegt aus journalistischer Optik gar nicht drin. Und daran halten wir uns», sagt Ginsig auf Anfrage. Nur einmal sei es versehentlich trotzdem passiert. Man habe sich dann aber umgehend beim betroffenen Journalisten für den Fehltritt entschuldigt.

Ähnlich sieht man es auch bei der Schweizerischen Post. Léa Wertheimer, die Leiterin der Medienstelle, erkennt in einer Vorabveröffentlichung keinen Mehrwert. Im Gegenteil. Ein solches Vorgehen könne gar kontraproduktiv sein: «Da muss man mit einer Gegenreaktion der Medien rechnen». Eine nachträgliche Veröffentlichung zur Dokumentation der Kommunikation in Einzelfällen schliesst die Post nicht aus. Dazu will die Medienstelle der Post einen Blog für Journalisten einrichten nach dem Vorbild der SBB. Grundsätzlich halten beide Bundesbetriebe den direkten Austausch mit den Medienschaffenden für zielführender, um Differenzen und Missverständnisse zu klären.

Besonders mit öffentlichen Mitteln finanzierte Unternehmen und Behörden sollten hier besonders strenge Regeln einhalten.

Nun sind Mail-Anfragen an Medienstellen selten von investigativer Brisanz (sonst würde man sie nicht per Mail stellen). Kommt dazu, dass «ein Informationsaustausch zwischen einer Institution und einem Journalisten keiner grundlegenden Geheimhaltung unterliegt», wie Patrik Suppiger vom Schweizer Verband für Krisenkommunikation erklärt. Doch der Grat ist schmal zwischen dem legitimen Transparenzinteresse und einer übergriffigen Kommunikation. Besonders mit öffentlichen Mitteln finanzierte Unternehmen und Behörden sollten hier besonders strenge Regeln einhalten, damit sie gar nicht erst den Anschein erwecken, man wolle die Medien gängeln, indem ihnen lückenhafte Berichterstattung unterstellt wird, nur weil Journalisten das tun, was ihre Profession erfordert: Auswählen und Gewichten von Aussagen.