von Anna Miller

#metoo – wieso es sich die Medien zu einfach machen

Die Bösen sind immer die anderen. Über Sexismus in Beruf und Alltag berichten Medien gern und viel, gerade wenn Prominenz am Pranger steht. Geht es aber um die eigene Branche, wird es schnell ruhig. Auch und besonders in der Schweiz. Zeit, den Faden wieder aufzunehmen.

Wir Journalistinnen und Journalisten haben viel geschrieben, über #metoo. Aber wir haben bisher nicht wirklich darüber gesprochen, dass Sexismus und sexuelle Übergriffe auch Alltag im Journalismus selbst sind, innerhalb unserer Branche. Und dass sexuelle Belästigung und Einschüchterungsversuche aufgrund unseres Geschlechts uns Frauen begleiten, wenn wir arbeiten. Für viele Journalistinnen in der Schweiz und weltweit gehören grenzwertige Erfahrungen mit Kollegen und mit Chefs zu ihrer Berufserfahrung.

Der Artikel im Tages-Anzeiger über den Schweizer Illustrierte Co-Chef Werner De Schepper und seine teils grenzüberschreitenden Annäherungen war aber das Einzige, was die Schweiz innerhalb der Medienbranche zu diesem Thema sah, und auch das versank wieder sang- und klanglos auf dem Altpapierstapel. Ja, schlimmer noch: Die Kritik wendete sich gegen die Autorin und den Autor der Enthüllung. Dürfen die das? Wo sind die handfesten Belege? Aber keine Empörung, keine Diskussion, keine Metaebene, keine Fragen zum eigentlichen Gegenstand. Dabei geht es bei diesem Thema längst nicht nur um Anzüglichkeiten von Chefs oder einen falschplatzierten Flirt. Sobald eine Frau als Journalistin tätig ist und das Redaktionsbüro verlässt, für Recherchen, Interviews und Korrespondentenjobs, spielt ihr Geschlecht eine Rolle.

Ich selbst habe das Dutzende Male erlebt. Flirtversuche von Interviewpartnern, die dann wortkarg werden, sobald klar ist, dass ich darauf nicht anspringe. Körperliche Berührungen bei Firmenführungen, um die ideale «Nähe» zur Journalistin herzustellen, automatisches Duzen, obwohl ich beim Sie bleibe, Sätze wie «Wo kann man das denn nachlesen, was Sie da aufschreiben, um auch sicher zu gehen, dass Sie das auch wirklich richtig verstanden haben?», Fragen nach dem Alter, nach dem Beziehungsstatus. Und das ist noch heilig, ganz normale Situationen, wenn man als Frau journalistisch tätig ist.

Darüber redet normalerweise keiner, nicht mal wir selbst, es scheint uns so normal, dass wir das einfach hinnehmen und damit weiterarbeiten. Das Ignorieren von Anzüglichkeiten und Unwohlsein, das Wahren von professioneller Distanz trotz Kloss im Magen gehört doch zum professionellen Reporting dazu, man will schliesslich seinen Job gut machen. Die potenzielle Gefahr, die unser «einfach eine Frau sein» nach sich zieht, beginnt oder endet aber nicht mit der Interviewsituation.

Es sind die Anekdoten, die uns allen bekannt vorkommen:

  • Abwürgen und ins Wort fallen bei Themenrunden.
  • Augenrollen, wenn man «Frauenthemen» vorschlägt.
  • Kaum weibliche Präsenz in den «harten» Ressorts wie Wirtschaft und Politik.
  • Anzügliche Bemerkungen von Protagonisten.
  • (Sexualisierte) Hasskommentare im Netz.

Der «Guardian» führte 2016 anhand von 70 Millionen Kommentaren dazu eine detaillierte Untersuchung durch. Das Ergebnis: Von der Top-10-Liste der Autoren, die am meisten Hasskommentare erhalten hatten, waren acht weiblich und zwei männlich. Frauen mit dem Tod zu drohen, ihnen jede Würde zu nehmen, sie körperlich, verbal und psychisch zu missbrauchen, passiert auch on-the-job im Journalismus, weltweit. Beim Lokalreporter genau so wie bei der Korrespondentin in Nahen Osten. Vor allem junge Kolleginnen geraten manchmal komplett unvorbereitet an Situationen heran, die sie ein Leben lang begleiten. Auch in der Schweiz.

Wir reden, wenn wir von Einschränkung der Pressefreiheit reden, immer von totalitären Regimes, von korrupten Banden und von Kriegsgebieten. Natürlich. Aber sexuelle Belästigung schränkt die Pressefreiheit auch ein. Sie dient oft dazu, die Journalistin zu verunsichern, sie zu brechen, ihr Angst einzujagen. Sexuelle Belästigung, in welcher Form auch immer, dient dazu, das Gegenüber zum Schweigen zu bringen. Es ist eine Machtdemonstration. Eine, die der Person und unserem Beruf schadet, und damit der ganzen Branche.

Welche Artikel würden Frauen schreiben, wenn sie keine Angst haben müssten? Wohin würden sie reisen, wen würden sie treffen, wie würden sie berichten? Vielleicht so unerschrocken und professionell wie Kim Wall, die von Peter Madsen auf seinem U-Boot kaltblütig ermordet wurde. Natürlich kamen danach Fragen auf. Warum sie denn allein auf ein Boot ging, warum mit einem Mann. Warum sie das überhaupt getan hat. Fragen, die sich ein Journalist nicht stellen würde, in einer sicheren Welt. Weil wir alle wissen: Jeder anständige Journalist würde ein Interview machen, mit dem Protagonisten, am Ort, an dem er lebt, alleine mit ihm. Das ist nichts anderes als professionelle Arbeit.

In internationalen Medien wie der New York Times, der BBC oder dem Guardian wird sexuelle Belästigung gegen Journalistinnen öffentlich gemacht, weibliche Journalisten in Grossbritannien haben mit «The Second Source» eine Bewegung gegründet, um gegen sexuelle Belästigung vorzugehen. «Vice»-Mitarbeiter warnten öffentlich, dass sexuelle Diskriminierung und Belästigung die Karrieren junger Frauen in den Medien zunichte macht.

Was machen wir?

  • Zu einem Teil liegt die Verantwortung auch bei uns Frauen. Wir sollten stärker und klarer und lauter für unsere Bedürfnisse einstehen, einfordern, was wir brauchen, uns Gehör verschaffen. Dem Chef erzählen, dass der Protagonist verbal übergriffig wurde. Dass wir ein ungutes Gefühl haben, bei diesem Stringer, der uns im Ausland bei der Recherche hilft. Dass wir einen Kollegen oder eine Kollegin mit auf Reportage mitnehmen wollen, weil sie Situationen beinhalten könnte, die man im Team leichter regeln kann.
  • Die Unternehmen auf der anderen Seite müssen klare Guidelines aufstellen – und wenn sie das schon getan haben: Sie klarer, lauter in den Vordergrund rücken. Klarstellen, dass sexuell anzügliches Verhalten weder innerhalb des Unternehmens noch gegenüber den Mitarbeitenden toleriert wird. Weder von Journalisten, noch von Protagonisten oder Stringern.
  • Wir brauchen Kollegen, die hinter uns stehen und einschreiten, wenn sie Zeuge einer solchen Situation werden. Als Reporter, der mit uns an einen Termin kommt, als Fotograf, als Tontechniker.
  • Wird ein Journalist oder eine Journalistin Online diskriminiert oder attackiert, muss das Unternehmen sich von oberster Stelle einschalten. Chefredaktion oder Kommunikationsstelle sollen intervenieren, wie sie das auch sonst tun, wenn ihr Unternehmen angegriffen wird. Es kann nicht sein, dass man aufgrund eines Artikels oder seiner Arbeit online diffamiert wird und dann damit alleine bleibt.
  • Jede Frau, die in der Branche tätig ist, muss wissen können, wohin sie sich konkret wenden kann, wenn sie über einen Vorfall sprechen will.
  • Medienorganisationen sollten den Journalistinnen Coachings und Seminare zur Sicherheit im Beruf anbieten.
  • An den Journalismus-Schulen muss gelehrt werden, wie man mit schwierigen Interviewpartnern und Situationen besser umgehen kann.