von Andreas Von Gunten

Schlechte Zeiten für die freie Information im Netz

Die globale Rechteverwertungsindustrie hat es einmal mehr geschafft, die Urheberrechtsgesetzgebung zu ihren Gunsten zu verschärfen. Ohne Rücksicht auf Verluste, haben die Unterhaltungs- und Medienkonzerne erreicht, dass in der EU das Internet zukünftig, zumindest für eine gewisse Zeit, ärmer an ihren Inhalten und reicher an Oligopolen sein wird. Auch die Schweiz wird sich dieser Entwicklung nicht entziehen können.

Der 12. September 2018 könnte dereinst als schwarzer Tag in die Geschichte eingehen – entweder für das Internet oder für die Rechteindustrie. Es war der Tag, an dem das EU-Parlament den Urheberrechteverwertern zwei neue Instrumente in die Hände gegeben hat, die das World Wide Web erheblich verändern werden. Durch das Leistungsschutzrecht für die Presseverlage wird es in Zukunft nur noch erschwert möglich sein, Inhalte der klassischen Medienverlage zu kuratieren und durch die Upload-Filter werden die Kommunikationsmöglichkeiten auf Social-Media-Plattformen massiv behindert werden. Beide Massnahmen werden zudem die bestehenden Medien- und Internetkonzerne stärken, weil sie Innovation und Wettbewerb durch neue kleine Player weitgehend einschränken.

Die Presseverlage erhoffen sich, dass ihnen die grossen Plattformen wie Facebook oder Google, für die Verlinkung auf ihre Inhalte eine Lizenzgebühr bezahlen.

Das Leistungsschutzrecht in Artikel 11 sieht vor, dass die Verlage ein fünf Jahre dauerndes exklusives Recht für die Verbreitung ihrer Inhalte im Internet bekommen. Das bedeutet, dass auch kleinste Textausschnitte beim Verlinken auf diese Inhalte ohne Lizenz nicht mehr angezeigt werden dürfen. Die Presseverlage erhoffen sich dabei, dass ihnen die grossen Plattformen wie Facebook oder Google, für die Verlinkung auf ihre Inhalte eine Lizenzgebühr bezahlen. Das wird aber, wie die Beispiele aus Deutschland oder Spanien zeigen, wo ein solches Recht bereits etabliert ist, nicht geschehen, weil die Verleger aus Angst den Traffic zu verlieren, den grossen Anbietern die Lizenz kostenlos geben, wie in Deutschland, oder die Anbieter einfach keine Links mehr auf diese Inhalte anzeigen, wie in Spanien, wo Google den Dienst Google News kurzerhand eingestellt hat.

Die Upload-Filter werden von der Regelung zwar nicht explizit gefordert, die in Artikel 13 vorgesehene Haftung für Anbieter, welche Content-Sharing ermöglichen, führt allerdings faktisch dazu, dass diese Anbieter solche Upload-Filter installieren werden müssen, um den rechtlichen Ansprüchen zu genügen. Das bedeutet, dass ein Algorithmus vor jedem Upload prüfen wird, ob potenziell urheberrechtlich geschütztes Material hochgeladen wird und falls dem so ist, und auf der Plattform keine Lizenz für dieses Material hinterlegt ist, diesen Upload automatisch verhindert.

Wer nun gelassen hofft, dass diese geplante EU-Regulierung auf die Schweiz keinen Einfluss haben wird, wird ziemlich sicher enttäuscht werden. Die Urheberrechte werden weltweit durchgesetzt. Wer als Schweizer Website-Betreiber schon einmal in eine Abmahnfalle von deutschen Fotografen getappt ist, kann ein Lied davon singen.

Sicher ist aber, dass wir die Massnahmen, die die grossem Plattformbetreiber zur Einhaltung der neuen EU-Regulierungen umsetzen werden müssen, auch in der Schweiz spüren werden.

Welche direkten Auswirkungen wir in der Schweiz zu erwarten haben, ist derzeit allerdings noch nicht im Detail erkennbar. Erstens weil die EU-Regelung noch nicht definitiv verabschiedet ist und diese bis dahin immer noch die eine oder andere, wenn auch eher kosmetische, Änderungen erfahren wird. Zweitens, weil die Umsetzung in den jeweiligen EU-Ländern unterschiedlich ausfallen wird. Drittens, weil die Formulierungen zum Teil so unpräzise sind, dass die Gerichte in vielen Einzelfällen entscheiden werden müssen, was nun wie und für wen genau gelten soll. Und viertens weil es durchaus auch sein kann, dass sich die klassischen Medien- und Unterhaltungskonzerne mit ihren masslosen Forderungen letztendlich ins eigene Bein geschossen haben.

Sicher ist aber, dass wir die Massnahmen, die die grossem Plattformbetreiber zur Einhaltung der neuen EU-Regulierungen umsetzen werden müssen, auch in der Schweiz spüren werden. Der Schweizer Markt ist zu klein um auf eine Spezialbehandlung der Unternehmen hoffen zu dürfen. Das bedeutet, dass auch wir unter den Kollateralschäden der Upload-Filter, die eingerichtet werden, mitleiden werden, wie wir das heute bereits bei Youtube erleben.

Wenn wir in Zukunft Videos und Fotos auf Social-Media Plattformen hochladen oder teilen wollen, wird uns das laufend mit dem Hinweis verwehrt werden, dass die Medien, die wir benutzen, urheberrechtlich geschützt seien, auch wenn das gar nicht der Fall ist. Das passiert darum, weil die grossen Musikverlage, Filmverleiher und Fotoagenturen einfach alles als ihr Eigentum anmelden, auch dann, wenn sie diese Rechte gar nicht besitzen und die User in diesen Fällen jeweils das Gegenteil beweisen müssen. Copyfraud oder Urheberrechtsanmassung nennt man diese frechen und rücksichtslosen Bereicherungsversuche. Kommt dazu, dass die Bewertung, ob ein eigenes Werk eine Urheberrechtsverletzung einer anderen Werkinhaberin darstellt, algorithmisch und darum äusserst ungenau vorgenommen wird, und die Plattformbetreiber aus ökonomischen Gründen lieber zu viel als zu wenig präventiv sperren werden. So kann es in Zukunft sehr einfach passieren, dass ein Live-Stream zum Beispiel aus den Strassen von Bern plötzlich wegen angeblichen Urheberrechtsverletzungen abgebrochen wird, weil man gerade an einer Strassenband vorbeikommt, die irgendeinen Song spielt, welcher der Upload-Filter als geschütztes Werk betrachtet.

Natürlich werden die grossen Plattformen wie Google und Facebook aufgrund ihrer machtvollen Position auch weiterhin keinen Cent an die Medienhäuser abgeben.

Auch das unsägliche Leistungsschutzrecht für Presseverlage, welches Matthias Döpfner, CEO von Axel Springer, in jahrelanger Lobbyarbeit nun auch europaweit durchsetzen konnte, wird in der Schweiz nicht ohne Folgen bleiben. Natürlich werden, wie oben beschrieben, die grossen Plattformen wie Google und Facebook aufgrund ihrer machtvollen Position auch weiterhin keinen Cent an die Medienhäuser abgeben. Aber alle kleinen Anbieter von kuratierten Inhalten, etwa Newsletter, die Inhalte von Dritten empfehlen, werden entweder mit den Verlagen Lizenzverträge eingehen müssen, oder auf die Verlinkung mit Textsnippets auf Inhalte der europäischen Medienhäuser verzichten. Der Aufwand für solche Lizenzierungen wird auf beiden Seiten so gross sein, dass sich das ökonomisch nicht lohnen wird. In den meisten Fällen werden kleine Anbieter gar nicht erst zu Vertragsverhandlungen eingeladen, weil sich das für die grossen Konzerne mit ihren gewaltigen Rechtsabteilungen nicht rechnet.

Stellt sich noch die Frage, ob die aktuelle Entwicklung in der EU einen Einfluss auf die laufende Urheberrechtsrevision in der Schweiz haben wird. Derzeit wird das revidierte Gesetz im Nationalrat behandelt und obwohl der Bundesrat betont, dass der Vorschlag auf einem sogenannten Kompromiss aufgebaut sei, scheint dieser auf sehr wackeligen Füssen zu stehen. Wie man hört, lobbyiert die Unterhaltungsindustrie zum Beispiel bereits vehement, um doch noch Netzsperren in das Gesetzt zu schleusen.

Die Upload-Filter hat die Musik- und Filmindustrie bereits erfolgreich in den sogenannten Kompromiss hineingedrückt. Allerdings sind vorläufig vor allem die angeblich schwarzen Schafe unter den Hosting-Providern davon betroffen. Das bedeutet gemäss der Botschaft des Bundesrates, dass nur die Hosting-Provider darunter fallen sollen, deren offensichtliches Geschäftsmodell darin besteht, Dienste bereitzustellen, die hauptsächlich Urheberrechtsverletzungen dienen. Der Schritt zu Forderungen einer Ausweitung der vorgesehenen Regelung auf alle Anbieter in der Schweiz ist allerdings ein winzig kleiner.

Der regulatorischen Fantasie sind bei der Sicherung der eigenen Pfründe keine Grenzen gesetzt.

Die Schweizer Presseverlage hingegen, sind zwar im Lauf der Arbeiten an der Revision davon abgekommen, ein Leistungsschutzrecht nach deutschem Vorbild zu fordern. Aufgrund der neuen Ausgangslage in der EU ist es aber sehr gut möglich, dass sich hier die Meinung ändert. Wenn wir uns vor Augen führen, wie derzeit einst stolze Schweizer Verlagshäuser nach Staatshilfe betteln, ist es nicht abwegig, davon auszugehen, dass sie sich nun das, was die Europäer vermeintlich als ihre Rettung betrachten, auch für die Schweiz wünschen. Dabei ist es auch denkbar, dass diese Forderung, wenn sie im Rahmen der URG-Revision nicht umgesetzt werden kann, im Zusammenhang mit der Diskussion zum geplanten Mediengesetz wieder auftaucht. Genauso, wie die TV-Sendeanstalten ihre Ideen gegen das Replay-TV in der Teilrevision des Fernmeldegesetzes versuchen unterzubringen, nachdem diese nicht in den sogenannten Urheberrechtskompromiss eingegangen ist. Der regulatorischen Fantasie sind bei der Sicherung der eigenen Pfründe keine Grenzen gesetzt.

Unklar ist, welche Strategie die Rechteindustrie in der Schweiz aufgrund der Entscheidung des EU-Parlaments nun verfolgt. Sie könnte die Entwicklung in Europa dafür nutzen, jetzt während den Verhandlungen zur Revision weitere Forderungen einzubringen mit dem Argument, dass wir Europakompatibel sein müssen. Mit diesem dürftigen Argument wurde in der aktuellen Vorlage auch die Schutzfrist für Tonaufnahmen von fünfzig auf siebzig Jahre verlängert. Die Gefahr bei diesem Weg liegt allerdings darin, dass die Revision als Ganzes versenkt werden könnte, wenn das Fuder überladen wird. Immer mehr Parlamentarierinnen und Parlamentariern sind sich durchaus bewusst, dass das Urheberrecht nicht nur für die Rechteinhaber geschaffen wurde, sondern dass es einen Ausgleich zwischen den Interessen der Gesellschaft und den Urhebern erreichen muss. Dieses Gleichgewicht wurde seit den ersten Urheberrechtsgesetzen kontinuierlich zu Ungunsten der Gesellschaft verschoben. Eine weitere Privilegierung der Rechteverwertungsindustrie, die notabene den meisten der Urheberinnen und Urhebern nichts bringt, sondern einfach die Grossverdiener und Konzerne stärkt, ist darum für viele Politikerinnen und Politiker nicht angebracht. Aus diesem Grund ist es wahrscheinlicher, dass die Strategie darauf abzielt, den vorliegenden Entwurf möglichst lautlos durchwinken zu lassen um dann ziemlich kurz darauf, sobald die Europäische Situation definitiv geklärt ist. mit ein paar einzelnen Anliegen direkt im Parlament aufzuschlagen, um die «Europakompatibilität» herzustellen.

Es kann durchaus auch sein, dass sich die Rechteinhaber mit ihrer Unersättlichkeit mittelfristig das eigene Grab schaufeln.

So oder wo, werden wir nicht darum herumkommen, nach Wegen zu suchen, um die Nachteile dieser Urheberrechtsverschärfungen irgendwie zu kompensieren. Es kann durchaus auch sein, dass sich die Rechteinhaber mit ihrer Unersättlichkeit mittelfristig das eigene Grab schaufeln. Im Bereich der Fotografie und der Musik sehen wir immer mehr Plattformen, auf welchen die Urheberinnen und Urheber hochwertige Werke kostenlos der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Die technologische Entwicklung wird die Produktions- und Distributionskosten weiter senken und damit demokratisieren. Langweilige Standardwerke, die nach vorgegebenen Mustern in Massen produziert werden, können in Zukunft komplett automatisiert dank Künstlicher Intelligenz produziert werden. Die meisten interessanten Texte im Netz werden bereits heute ausserhalb der klassischen Medienhäuser publiziert.

Es sieht ganz danach aus, dass sich allmählich eine zweite Inhaltsschicht im Netz etabliert, die nicht der herkömmlichen Verwertungslogik folgt, sondern sich vor allem an der Idee der Vernetzung und der Digitalen Allmende orientiert. Kommt dazu, dass eine technische Dezentralisierung der Dienste auf Basis der Blockchain absehbar ist, welche die bisherigen Platzhirsche von unten angreift. Je mehr Inhalte die klassischen Rechteinhaber hinter ihren Monopolen verschliessen, desto wertvoller werden die Werke, die mit alternativen Lizenzen und Modellen publiziert werden für die Netznutzerinnen und -nutzer. Es besteht also durchaus Hoffnung für das freie Netz. Wir müssen einfach alle damit beginnen, unsere Inhalte zum Beispiel unter einer Creative Commons Lizenz zu publizieren, denn die anderen Werke werden wohl bald nur noch eingeschränkt verfügbar sein. Das einzig wirklich tragische dabei ist allerdings, dass wir grosse Teile des kulturellen Erbes des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts für lange Zeit nur hinter geschlossenen Systemen verfügbar haben werden. Welche Auswirkung dieser Umstand auf die gesellschaftliche Entwicklung haben wird, ist nicht absehbar. Die Hoffnung stirbt zuletzt.