Dank Alexa dehnt sich das Amazon-Imperium aus
Wenn Medienunternehmen den Verlust von Werbegeldern beklagen, dann sehen sie zuerst das Geschäft von Google und Facebook als Grund für die Entwicklung. Zu den beiden Giganten gesellt sich nun auch noch Amazon. Der Online-Händler drängt mit Druck auf den Werbemarkt – nicht zuletzt dank seiner virtuellen Assistentin Alexa.
Wer auf der Plattform des Online-Händlers Amazon nach einem Produkt sucht, dem werden bestimmte Fabrikate vorgeschlagen. Bei der Suche nach einer Waschmaschine zum Beispiel erscheint in der Ergebnisliste ganz oben eine Anzeige des Herstellers Bosch, versehen mit dem Hinweis «Gesponsert von Bosch» Darunter erscheinen weitere gesponserte Produkte von anderen Herstellern. Seit geraumer Zeit pusht der Online-Händler Artikel von Markenherstellern, wenn diese für die prominente Platzierung ihrer Produkte Geld bezahlen.
Amazon bietet Anzeigenkunden zwei Werbeformate: Gesponserte Produkte (Sponsored Products) und gesponserte Marken (Sponsored Brands). Bei letzterem wird ein Produktportfolio einer Marke hervorgehoben, bei gesponserten Produkte erscheinen die Anzeigen direkt in der Trefferanzeige der Amazon-Suche. Die Firmen zahlen pro Klick. Pay-per-click (PPC), nennt sich das Abrechnungssystem. Amazons PPC mit seinen gesponserten Werbeplätzen ähnelt Google AdWords: Beide Modelle basieren auf ähnlichen Steuerungselementen wie Keywords und Kampagnentypen. Der zentrale Unterschied besteht darin, dass Amazon-Anzeigen den Nutzer im Gegensatz zu Google, das auf andere Seiten verlinkt, den Nutzer niemals von der eigenen Plattform wegschickt. Nutzt der Kunde dann auch noch die Sprachsoftware Alexa, verlässt er das geschlossene Ökosystem fast gar nicht mehr. Amazon kooperiert neuerdings auch mit der Messenger-App Snapchat: Nutzer, die ein Produkt oder einen Strichcode abfotografieren, landen direkt auf der korrespondierenden Seite von Amazon. «Social Shopping» gilt als der nächste Schrei im Silicon Valley.
Im Gegensatz zu Facebook oder Google ist die Kaufabsicht bei Amazon schon deutlich manifester.
Das Technikblog «Recode» hat die Werbemöglichkeiten für mehrere Produkte getestet. Bei der Suche nach Müsli etwa tauchen in der Trefferanzeige zuoberst die gesponserten Produkte auf, danach folgt Amazons Eigenmarke und erst an dritter Stelle kommen die «organischen» Ergebnisse, also jene Produkte, die der Suchalgorithmus ohne Finanzspritze findet.
Das Anzeigen von Produktwerbung während des Such- und Kaufprozesses hat einen entscheiden Vorteil: Im Gegensatz zu Facebook oder Google ist die Kaufabsicht bei Amazon schon deutlich manifester. Wer nach Waschmaschinen googelt, muss nicht unbedingt ein Kaufinteresse haben. Wer dagegen auf Amazon nach einer Waschmaschine sucht, ist mit grösserer Wahrscheinlichkeit bereit, ein solches Gerät zu kaufen. Das macht die Werbeform für Anzeigenkunden so effektiv – und für Amazon lukrativ.
Zwar nehmen sich Amazons Anzeigenerlöse mit 2,8 Milliarden Dollar im abgelaufenen Jahr im Vergleich zu Google (Werbeumsatz 2017: 95 Milliarden Dollar) und Facebook (40 Milliarden Dollar) relativ gering aus. Doch Amazons Anzeigengeschäft ist die am schnellsten wachsende Sparte des Konzerns. Allein im zweiten Quartal 2018 erzielte Amazon 2,2 Milliarden Dollar Werbeumsatz – ein Wachstum um 132 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Konversionsrate, mit der die Wirksamkeit einer Werbemassnahme ermittelt wird, ist bei Amazon Pay-Per-Click mit zehn Prozent deutlich höher als bei Google Ads (zwischen 1-2 Prozent). Auch in Sachen Suche, was ja eigentlich die Kernkompetenz von Google ist, hat Amazon die Nase vorn: Laut einer Erhebung von PowerReviews starten 38 Prozent der Online-Käufer ihre Produktsuche bei Amazon. Bei Google sind es lediglich 35 Prozent. Amazon schickt sich an, das Anzeigenduopol von Facebook und Google anzugreifen.
Der smarte Lautsprecher ist das perfekte Konsumwerkzeug. Amazon-Echo-Nutzer geben im Durchschnitt 1700 Dollar im Jahr für Amazon-Produkte aus.
Eine zentrale Rolle in dieser Strategie spielt die Sprachassistentin Alexa, die Amazon zur Schaltzentrale im vernetzen Alltag ausbauen will. Laut einer Untersuchung von Voicebot.ai. haben heute bereits 47 Millionen US-Bürger einen Smartspeaker, wie Amazon Echo oder Google Home, zu Hause stehen. Diese «intelligenten» Lautsprecher fungieren nicht nur als Haushaltshilfe, sondern vor allem als Einkaufshilfe. «Alexa, bestelle das neue Buch von Dan Brown!», «Alexa, ich will ein Tee-Set!» Der smarte Lautsprecher ist das perfekte Konsumwerkzeug. Amazon-Echo-Nutzer geben im Durchschnitt 1700 Dollar im Jahr für Amazon-Produkte aus. Zum Vergleich: Ein amerikanischer Amazon-Kunde kauft durchschnittlich Waren im Wert von insgesamt 1000 Dollar im Jahr ein. Voice-Shopping ist ein riesiger Wachstumsmarkt. Nach Schätzungen der Consulting-Firma OC&C Strategy Consultants steigt das Marktvolumen in den USA von heute zwei Milliarden Dollar auf 40 Milliarden Dollar im Jahr 2022.
Im Gegensatz zum Warensortiment im stationären Handel oder auch zu den Angeboten auf Webseiten, sieht man bei Sprachkäufen die Produkte nur vor seinem geistigen Auge. Entsprechend unspezifisch sind die Produktanfragen. Der NDR hat in seiner Verbrauchersendung «Markt» Sprachkäufe mit Amazon Alexa getestet. Die Ergebnisse sind durchaus interessant. Wenn man zum Beispiel den unspezifischen Wunsch nach Kaffee äussert («Alexa, ich will Kaffee»), ohne eine Marke zu nennen, antwortet der Sprachassistent: «Amazon’s Choice für Kaffee ist Lavazza Kaffee Crema Classico, ein Kilogramm. Das macht insgesamt 10 Euro und 99 Cent inklusive Steuern. Willst du den Artikel jetzt kaufen?» Erwidert der Kunde «Ja», bestätigt das System die Bestellung: «Okay, Bestellung aufgegeben.»Bei Amazon’s Choice handelt es sich um eine Produktempfehlung, die der Versandhändler auch auf seiner Webseite anzeigt. Doch anders als beim Online-Shopping ist das Menü beim Voice-Shopping begrenzt – es wird nur ein Produkt vorgeschlagen. Die Frage ist: Warum Lavazza und nicht Tchibo oder Segafredo? Warum ausgerechnet diese Marke? Auf Amazon heisst es dazu: «Wenn Sie eine Sprachanfrage stellen, durchsucht Alexa die für Prime qualifizierten Artikel aus Ihrer Bestellhistorie. Wenn ein Artikel verfügbar ist, teilt Ihnen Alexa den Artikelnamen und den Preis mit.» Alexa ist ein Flaschenhals, durch den die Marken gehen müssen. Wer will, dass Alexa seine Produkte zum Kauf empfiehlt, kann sich die prominente Erwähnung erkaufen.
Laut der Untersuchung OC&C Strategy Consultants entscheiden sich 85 Prozent der Echo-Nutzer beim Voice-Shopping für das vorgeschlagene Produkt von Amazon‘s Choice. Es ist ja auch kommod: Man muss nicht mehr zwischen hunderten Angeboten auswählen, Produktdetails durchforsten und Vergleichsportale zu Rate ziehen – der Computer macht einfach eine Ansage. Amazon erwächst daraus eine riesige Markt- und Entscheidungsmacht.
«Amazons Stimmtechnologie könnte die Erde unter den Einzelhandels- und Markenfirmen beben lassen.»
Scott Galloway, Marketingprofessor
Der Marketingprofessor Scott Galloway schreibt in seinem Buch «The Four: Die geheime DNA von Amazon, Apple, Facebook und Google»: «Amazons Stimmtechnologie könnte die Erde unter den Einzelhandels- und Markenfirmen beben lassen.» Galloway will bei Produkttests herausgefunden haben, dass Amazon bei vielen Produkten niedrigere Preise anbiete, wenn man sie per Stimme statt per Klick bestelle. In Schlüsselkategorien wie etwa Batterien schlage Alexa die Eigenmarke Amazon Basics vor und stelle sich bezüglich anderer Auswahlmöglichkeiten dumm («Tut mir leid, das ist alles, was ich gefunden habe») – obwohl es auf amazon.com eine Reihe weiterer Hersteller gibt. Missbraucht Amazon seine Marktmacht, um seine Eigenmarke zu pushen? Galloways Fazit ist so eindeutig wie vernichtend: «Der Tod der Marken hat einen Namen: Alexa.»
Aber stimmt das? Der Marketingexperte Dipanjan Chatterjee, der als Analyst bei Forrester arbeitet, ist skeptisch. «Ich denke, dass digitale Assistenten wie Alexa eine zunehmend wichtige Rolle im Konsumverhalten spielen werden, aber die Auswirkungen auf Marken werden nicht so dramatisch sein», teilt er auf Anfrage der MEDIENWOCHE mit. Wenn man Beschaffungsprozesse an Akteure wie Amazon delegiere, sei es sehr unwahrscheinlich, dass man damit auch die Produktauswahl zumindest für bedeutsame Konsumartikel abtrete. «Können Sie sich vorstellen, dass man Alexa fragt, einen Luxuswagen zu bestellen?». Konsumenten seien sehr wählerisch, was die Marke ihrer Zerealien oder Zahnpasta oder auch ihres Bieres angehe. Marken seien immer noch wichtig, so Chatterjee. Der Analyst stellt sogar die Gegenthese auf: Smartspeaker würden für Unternehmen eine einzigartige Bühne darstellen, sich vor einem Millionenpublikum in den Vordergrund zu spielen.
Die Potenziale für Unternehmen, Smartspeaker als eine Art Marketing-Megafon und möglicherweise auch Anzeigen in Sprachsteuerung zu integrieren, sind riesig.
Die Whiskymarke Johnnie Walker hat eine eigene Anwendung für Amazon Echo entwickelt, bei der man Alexa nach Whisky-Empfehlungen fragen kann – zum Beispiel nach bestimmten Sorten oder Cocktail-Rezepten. Der Nutzer muss nur den Sprachbefehl «Alexa, open the Bar» erteilen, dann erklärt die virtuelle Assistentin Schritt für Schritt, wie man einen Cocktail mixt. Alexa als Barkeeperin und Whisky-Sommelière. Die Potenziale für Unternehmen, Smartspeaker als eine Art Marketing-Megafon und möglicherweise auch Anzeigen in Sprachsteuerung zu integrieren, sind riesig.
Werbung auf Alexa ist bislang eher subtil. Wenn ein Kunde den Sprachassistenten nach einer Zahnpasta fragte, lautet eine Antwort: «Okay, ich kann nach einer Marke wie Colgate schauen. Was möchtest du?». Hier eröffnen sich neue Möglichkeiten für Anzeigenkunden. Laut dem Sender CNBC befand sich Amazon Anfang des Jahres in Gesprächen mit Procter & Gamble und Clorox, was der Konzern allerdings dementierte. Es ist eine wechselseitige Abhängigkeit: Amazon braucht wertige Marken in seinem Sortiment, und Händler brauchen den Online-Riesen als Vertriebsplattform.
Auch Medienunternehmen sind bei der Verbreitung von Audio-Inhalten von Amazons Plattform abhängig. So hat beispielsweise die BBC eine Funktion für Amazon Alexa programmiert, mit der man alle ihre Radiosender streamen, sowie Podcasts abrufen kann. Amazon hat seine Hörbuch-Sparte Audible – der deutsche Ableger wurde 2006 von den Verlagsgruppen Holtzbrinck Ventures und Random House gegründet und 2008 von Amazon übernommen – in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut. Für manche Verlage ist der Absatz von Hörbüchern inzwischen wichtiger als der von gedruckten Büchern. So verkauften sich von dem Roman «Lock In» des Science-Fiction-Schriftstellers John Scalzi 22’500 Print-Exemplare und 24’000 E-Books aber 41’000 Hörbücher. Audio ist ein riesiger Wachstumsmarkt. Und auch Amazon mischt darin mit. Seit diesem Jahr produziert Audible eigene Hörstücke wie die One-Man-Show «Harry Clarke» mit Billy Crudup. Dazu kooperiert Amazon mit dem Off-Broadway-Theater Minetta Lane Theatre Audible-Gründer.
Allein die Produktion der «Herr der Ringe»-Serie für den hauseigenen Streaming-Dienst Prime schlägt mit rund einer Milliarde Dollar zu Buche. Solche Summen gibt mittlerweile nicht mal mehr Hollywood aus.
Amazon investiert massiv in eigene Medieninhalte. 4,5 Milliarden Dollar gab der Konzern im vergangenen Jahr für die Produktion von Spielfilmen, TV-Serien, Podcasts und Hörbücher aus. Damit bewegt sich Amazon bereits in Dimensionen von Time Warner und Disney, die mit acht Milliarden Dollar ein nicht viel höheres Budget hatten. Allein die Produktion der «Herr der Ringe»-Serie für den hauseigenen Streaming-Dienst Prime schlägt mit rund einer Milliarde Dollar zu Buche. Solche Summen gibt mittlerweile nicht mal mehr Hollywood aus. «Apple und Amazon müssen Hollywood nicht kaufen – der Aufbau eines Medienimperiums ist dem Kauf vorzuziehen», stellt dazu die Bloomberg-Kolumnistin Shira Ovide lapidar fest.
Amazon hat zudem 2014 ein eigenes, deutschsprachiges Verlagsprogramm für verschiedene Genres aufgelegt und ist damit zum Verleger avanciert. Bei der Self-Publishing-Plattform Kindle Direct Publishing (KDP) können Autoren E-Books und Taschenbücher kostenlos im Selbstverlag veröffentlichen. Amazon schüttet monatlich rund 20 Millionen Dollar Tantiemen an seine Kindle-Autoren aus. Damit wird der Online-Händler immer mehr zur Drehscheibe für alles, wofür sich auf dem Markt ein Preis erzielen lässt. Für das Unterhaltungsangebot gilt dasselbe wie für das Warensortiment auf Amazon.com: Je attraktiver das Angebot, desto teurer lassen sich Anzeigen verkaufen. Doch im Gegensatz zu Google und Facebook vermietet Amazon nicht nur meistbietend Werbeflächen an Kunden, sondern dahinter steckt auch noch die grösste Shopping-Mall der Welt. Das ist das Pfund, mit dem der Online-Händler im Wettlauf gegen Facebook und Google wuchern kann.