von Eva Hirschi

«Mit Podcasts erreichen wir selbst Analphabeten»

Die Stimme der Ungehörten: Ein Podcast über Menschenrechte soll in Myanmar zur Friedens- und Identitätsbildung beitragen. Dahinter steht eine Schweizer Stiftung.

«Interessieren Sie sich für Podcasts?» – «Was sind Podcasts?» – «Audiobeiträge. Wir möchten eine Serie machen zum Thema Menschenrechte.» – «Was sind Menschenrechte?»

Zugegebenermassen kein einfacher Start für die Lancierung eines Podcast in Myanmar, wie diese Strassenumfrage zeigt, die die Gründer des neuen Formats «Doh Athan» (auf Deutsch: «Unsere Stimme») letztes Jahr in Yangon durchgeführt haben.




Nicht nur für die Bevölkerung ist eine differenzierte, vielfältige Medienlandschaft ein Novum, auch die Medien selbst wagen sich erst seit ein paar Jahren auf neues Terrain. Während der Herrschaftszeit der Militärjunta von 1962 bis 2011 gab es in Myanmar keine freien Medien und bis 2012 wurde jede Publikation vor dem Druck einer strengen Zensurprüfung unterzogen. Auch erschwinglichen Internetzugang gibt es erst seit ein paar Jahren. Dennoch ist die Pressefreiheit weiterhin stark eingeschränkt, regelmässig werden Journalisten verhaftet, was oft zu Selbstzensur führt. Allein im Jahr 2017 wurden gemäss Reporter ohne Grenzen 20 Journalisten angeklagt.

Das hindert die lokalen Medien nicht daran, sich weiterzuentwickeln und mit der Zeit zu gehen. So wagt das englischsprachige burmesische Magazin «Frontier» den Schritt in die Welt der Podcasts und gehört damit zu einem der wenigen Medien im Lande, die damit experimentieren. «Der Zugang zur gedruckten Presse ist in Myanmar sehr beschränkt. Zeitungen gelangen kaum zu den Dorfbewohnern abgelegener Regionen, unabhängige Magazine noch weniger», erklärt die Schweizerin Gabrielle Kaprielian-Cunin. «Mit Audiobeiträgen erreichen wir zudem selbst Analphabeten.» Zumindest in dieser Hinsicht schon mal ideale Voraussetzungen für den Erfolg von Podcasts.

Gabrielle Kaprielian-Cunin arbeitet für die Schweizer Stiftung «Fondation Hirondelle» in Lausanne, die hinter der Lancierung des Podcast «Doh Athan» steht. Die Stiftung wurde 1995 gegründet und setzt sich für Pressefreiheit und Informationszugang in Post-Konflikt-Ländern ein. Seit 2016 ist die Stiftung auch in Myanmar aktiv. «Unser Ziel ist eigentlich die Gründung eines Radiosenders. Doch in Myanmar gibt es immer noch keine Lizenzen für Privatradios», sagt Kaprielian-Cunin. Der wöchentlich erscheinende Podcast «Doh Athan» ist deshalb ein Pilotprojekt in Zusammenarbeit mit dem Magazin «Frontier», um Erfahrungen zu sammeln und zu sehen, wie so ein Format überhaupt ankommt.

Als sich die burmesische Journalistin Win Zar Ni Aung auf die ausgeschriebene Stelle als Multimedia-Journalistin bei «Frontier» bewarb, wusste allerdings nicht einmal sie selbst, was sie erwartete. Zwar hatte sie bereits sechs Jahre Erfahrung als TV-Journalistin beim Staatsfernsehen gesammelt, doch als sie beim Bewerbungsgespräch gefragt wurde, ob sie wisse, was ein Podcast sei, musste sie verneinen. «Das Projekt klang aber sehr interessant, und die Umstellung zu Audio war für mich als TV-Journalistin nicht gross», sagt die 27-Jährige. «Inzwischen höre ich jeden Morgen Podcasts von BBC.» Auf dem Bild: Win Zar Ni Aung im Aufnahmestudio.

«Der Vorteil von Radio und Podcasts ist sicher, dass Produktion sowie Distribution günstig sind. Im Gegenteil zum Fernseher brauchen die Zuhörerinnen und Zuhörer dafür auch keinen fliessenden Strom. So können Informationen selbst sehr abgelegene Orte erreichen», sagt Kaprielian-Cunin. Die Stiftung hat damit insbesondere in Afrika gute Erfahrungen gesammelt, wo sie im Kongo zwischen 2002 und 2014 zusammen mit der UNO das Radio Okapi aufgebaut hat, welches sich inzwischen als Referenzmedium etabliert hat.

Wie aber kommen die Podcasts in Myanmar zu den Leuten? «Die grösste Herausforderung ist natürlich, dass es hier keine Podcast-Kultur gibt», sagt Oliver Slow (auf Bild unten zusammen mit Win Zar Ni Aung). Der Brite ist bei «Frontier» für die Produktion von «Doh Athan» zuständig. Seit sechs Jahren lebt der Journalist in Myanmar. «Ich möchte nicht behaupten, dass wir eine Podcast-Kultur starten werden. Aber wir wollen wenigstens einen Teil dazu beitragen, damit eine Podcast-Kultur hier überhaupt heranwachsen kann», sagt Slow.

Die Herausforderungen waren gerade zu Beginn von sehr konkreter Natur: «Wir haben zum Beispiel schnell einmal festgestellt, dass die Leute die Podcasts nicht von unserer Homepage herunterladen. Deshalb posten wir die Podcasts mittlerweile als Video mit Standbild auf Facebook, so dass sie direkt abgespielt werden können. Das funktioniert viel besser, auch weil Facebook in Myanmar stark verbreitet ist», sagt Slow. Der Podcast wird auch auf Soundcloud und Youtube publiziert, doch fast 90% der Hörerinnen und Hörer von «Doh Athan» kommen via Facebook. Inzwischen zählt der Podcast 10’000 Zuhörende pro Monat.

Inhaltlich geht es in jeder Podcast-Folge um ein Thema mit Bezug zu Menschenrechten. «Das kann aber fast alles sein; von Landnutzungsrechten über Binnenflüchtlinge zu Umwelt und Religion», sagt Slow. In einer kürzlich erschienenen Episode etwa ging es um das Alltagsleben von Menschen mit körperlichen Behinderungen im Gliedstaat Chin. Nicht nur gibt es für beinträchtige Menschen in Myanmar kaum Arbeitsmöglichkeiten, selbst Bildung bleibt ihnen oftmals verwehrt, wenn sie beispielsweise wegen ihrer Behinderung nicht zu Fuss zur Schule gehen können. Zwar habe die Regierung versprochen, betroffene Menschen monatlich mit umgerechnet 19 Franken zu unterstützen, doch bis anhin haben zumindest die im Podcast interviewten Protagonisten keinen Rappen davon gesehen.

An Themen mangle es «Doh Athan» nicht, sagt Slow, denn leider komme es in Myanmar jeden Tag irgendwo zu Menschenrechtsverletzungen. «Dies oft auch aus dem Grund, weil die Menschen nicht einmal wissen, was ihre Rechte sind. Die Idee hinter dem Podcast ist deshalb auch, sie über ihre Rechte zu informieren, wie etwa das Recht auf Bildung oder auf Land», sagt Slow. «Nur so können die Menschen aufstehen und sich wehren, wenn ihre Rechte verletzt werden.»

Die Menschenrechtsverletzungen finden indes oft auf dem Land statt; bemerkt werden sie in der Nachbarregion oder in der Stadt Yangon kaum, wo die Mehrheit aller Firmen und NGOs sitzt. «Zwischen den zahlreichen Ethnien findet nicht viel Austausch statt», sagt Kaprielian-Cunin, die für das Projekt regelmässig nach Myanmar reist. «Wir möchten aber allen Bevölkerungsschichten, sprich insbesondere in den Randregionen eine Stimme geben, damit auch der Rest des Landes über sie erfährt, und so die Identitätsbildung gefördert wird.»

Der Podcast soll somit auch Gegensteuer zu den bisherigen Medien bieten, welche sehr Yangon-lastig sind. Dafür ist «Doh Athan» Partnerschaften mit kleinen Lokalmedien eingegangen. Diese schicken ihnen einmal monatlich Updates über die Menschenrechtslage in ihrem Gebiet und liefern Themeninputs. Je nach Thema produziert die Partnerredaktion die O-Töne manchmal gleich selbst und schreibt eine erste Fassung des Beitrags. Dafür hat ihnen «Fondation Hirondelle» Aufnahmegeräte und Laptops zur Verfügung gestellt, sowie einen Grundkurs zum Thema Journalismus und Podcast-Produktion durchgeführt. Denn nicht nur die Hörerinnen und Hörer sollen von diesem Projekt profitieren, sondern auch die lokalen Journalistinnen und Journalisten.

Für gewisse Beiträge reist Win Zar Ni Aung selbst in andere Regionen. Sie und Oliver Slow redigieren zudem jeweils die Beiträge, Win Zar Ni Aung spricht den Podcast ein, auf Burmesisch. Die Beiträge werden vom jeweiligen Partnermedium auch in dessen ethnischer Sprache aufgenommen, denn selbst wenn Burmesisch die offizielle Landessprache ist, so verstehen in vielen Teilen des Landes nicht alle Menschen diese Sprache. Teilweise werden die Podcasts zudem auch auf Englisch übersetzt und eingesprochen.

«Wir möchten die verschiedenen Volksgruppen einander näherbringen und ihnen zeigen, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind, sondern auch andere Minderheiten ähnliche Herausforderungen und Frustrationen erleben», so Kaprielian-Cunin. Dabei gehe es nicht zu Letzt auch um Friedensbildung. Finanziert wird der Podcast teilweise durch die Stiftung sowie durch die holländische und die schweizerische Botschaft.

«Doh Athan» existiert nun seit einem Jahr, über 50 Episoden sind bereits erschienen. Bis jetzt hätten sie nie Probleme wie Zensur oder andere Einschränkungen erlebt, sagt Oliver Slow. Selbst über die Rohingyas hätten sie berichtet. «Letztes Jahr haben wir eine vierteilige Serie über den Rohingya-Konflikt im Gliedstaat Rakhine gemacht, und dieses Jahr zwei weitere Episoden sowie zwei aus den Flüchtlingscamps in Bangladesch», so Slow.

Allerdings hätten sie nach der Publikation via Facebook viele negative, beleidigende Kommentare erhalten, die gegen die Rohingyas, aber auch gegen die Journalistin Win Zar Ni Aung gerichtet waren. «Hassrede und Volksverhetzung sind in Myanmar leider sehr verbreitet», sagt Slow. Doch das schüchtert die Redaktion nicht ein, auch nicht die häufigen, willkürlichen Verhaftungen von Journalistinnen und Journalisten.

«Ich mache mir keine Sorgen», sagt Win Zar Ni Aung. Sie überlegt kurz und fügt hinzu: «Meine Mutter zwar schon, sie ruft mich jeden Tag an – mehrmals.» Gerade wenn sie für ihre Beiträge allein in abgelegene Gebiete reisen würde, äussere ihre Mutter Zweifel an ihrem Tun. Doch das sei nun mal ihre Arbeit, so die junge Journalistin. «Ich mache nur meinen Job», sagt Win Zar Ni Aung.

Bilder: Eva Hirschi