Journalismus braucht keinen Artenschutz, aber fairen Wettbewerb
Journalistische Inhalte sind teuer, in der digitalen Welt aber bisher weitgehend schutzlos. Im Einklang mit der EU fordern die Schweizer Verleger ein analoges Leistungsschutzrecht.
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Journalistische Inhalte sind teuer, in der digitalen Welt aber bisher weitgehend schutzlos. Im Einklang mit der EU fordern die Schweizer Verleger ein analoges Leistungsschutzrecht.
Das EU-Parlament hat ein sogenanntes Leistungsschutzrecht für Presseverlage beschlossen. Damit dürfen in Zukunft nur noch kürzeste Ausschnitte aus Nachrichtenartikeln oder Überschriften im Internet weiterverbreitet werden. Wer längere Textelemente von Medienangeboten übernehmen möchte, muss die Urheber dafür entschädigen. Die neue Regelung zielt vor allem auf Google ab. Die klammen Zeitungsverlage erhoffen sich vom Leistungsschutzrecht einen steten Geldfluss von der Suchmaschine in ihre Kassen, weil ja Google für seine Suchplattformen von den Artikeln Titel und Lead abgreift. Wahrscheinlicher ist aber, dass Google einfach keine Medieninhalte mehr erfasst und so den Verlagen auch keinen Traffic mehr bringt. Ausserdem bleibt vorerst völlig unklar, was die Regelung für private Nutzer bedeutet, wenn sie Medieninhalte im Netz teilen wollen. «Die Angst vor einer Abmahnung wird die Verbreitung von Links eindämmen. Und damit auch die Verbreitung von Nachrichten und Wissen», befürchtet Lisa Hegemann auf Zeit Online.
Die deutschen Verleger wollen an die Werbeeinnahmen von Google. Extra für sie hat Berlin deshalb vor einigen Jahren das Urheberrecht verschärft – bisher ohne zählbares Resultat. Nach dem Scheitern am Heimmarkt soll nun die EU mit einem solchen Gesetz beglückt werden.
Das Fachportal «Golem» hat mal durchgerechnet, was Zeitungsverlage in Deutschland an Geld erhalten würden, wenn ein europaweites Leistungsschutzrecht für die Presse eingeführt würde. Wenig überraschend: Bei vielen Verlagen reichte eine solche Ausschüttung nicht einmal, um die Spesen zu decken. Ausserdem würde eine Regulierung, die auf Zugriffszahlen basiert – sprich: mehr Klicks, gleich mehr Geld – falsche Anreize setzen: «Wenn jeder Visit, ganz gleich welchen Inhalts, von Google nur mit einem Zehntel Cent honoriert würde, würde das vor allem solche Medien begünstigen, die auf Krawalljournalismus, Clickbaiting und Suchmaschinenoptimierung (SEO) setzen», schreibt Friedhelm Greis auf «Golem».
In einer Woche entscheidet das Europaparlament über eine Reform des Urheberrechts, die weitreichende Konsequenzen für die Nutzerinnen und Nutzer des Internets hätte. Zum einen sollen sogenannte Upload-Filter eingeführt werden, womit mögliche Urheberrechtsverletzungen automatisch erkannt werden sollten, so wie das heute Youtube macht beim Hochladen der Videos. Kritiker erkennen darin ein Zensurpotenzial, wenn eine Software entscheidet, was Rechtens ist und was nicht. Ausserdem soll auf europäischer Ebene ein sogenanntes Leistungsschutzrecht für Verlage eingeführt werden, womit die Verlinkung von Medieninhalten entschädigungspflichtig würde. Das Fachmagazin golem.de beschreibt die Lobbyschlacht, die eine Woche vor dem Entscheid hinter den Kulissen läuft.
In der Schweiz haben die Verleger wohlweislich davon Abstand genommen, in Deutschland hat das sogenannte Leistungsschutzrecht für Presseverleger seit fünf Jahren Gesetzeskraft. Gebracht hat es ausser Spesen – nichts. Keinen Euro-Cent musste Google den Medien überwiesen, obwohl ja genau dieser Geldfluss das Ziel des Anti-Google-Gesetzes war. Trotz des grandiosen Misserfolgs in Deutschland soll nun europaweit ein Leistungsschutzrecht eingeführt werden, mit dem Ziel, dass die Anzeige von Suchergebnissen von Verlagen kostenpflichtig wird. Für Sascha Lobo ist das ein «realitätsfernes Quatschgesetz», weil es um mehr geht als nur um das Verhältnis von Verlagen zu Google: Die Verlinkung von Inhalten Dritter könnte generell kostenpflichtig werden. Darum sprechen Kritiker auch von einer «Link-Steuer». Ein Grundprinzip des freien Internets würde damit ausgehebelt. Am 20. Juni stimmt der Rechtsausschuss des EU-Parlaments darüber ab.
Selten war ein Gesetz so dysfunktional wie das Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Die Bundesregierung weigert sich, das einzugestehen – weil sie es in der ganzen EU einführen will.
Das sogenannte Leistungsschutzrecht, das in Deutschland die Verlage gegenüber Suchmaschinen und Newsaggregatoren stärken sollte, war ein gesetzgeberischer Murks und verfehlt heute sein ursprüngliches Ziel. Mehrere Studien zeigen, dass der urheberrechtliche Schutz von Textausschnitten, wie sie die Ergebnislisten von Suchmaschinen anzeigen, den Verlagen keine nennenswerten Zusatzeinnahmen gebracht hat. Verschiedene Suchmaschinen verzichten einfach darauf, so geschützte Inhalte anzuzeigen und vermeiden damit die Entschädigungspflicht. So läuft das Schutzrecht ins Leere. Dennoch soll nach deutschem Vorbild auf EU-Ebene ein Leistungsschutzrecht eingeführt werden. Das zumindest strebt die aktuelle bulgarische Ratspräsidentschaft an. Auch wenn es den Verlagen keine zusätzlichen Einnahmen bringt, so entfaltet der urheberrechtliche Schutze eine Wirkung: Den Verlagen «gehe es darum, dass die Nutzer die Nachrichtenseiten direkt aufsuchen müssten und nicht mehr über Suchmaschinen oder Aggregatoren auf die Inhalte gelangten», zitiert Friedhelm Greis den Wirtschafts- und IT-Rechtler Thomas Höppner.