von Nick Lüthi

Service public reimt sich auf Social Network

Trotz aller Skandale und Kritik behauptet sich Facebook als das grösste und meistgenutzte Social Network. Alternativen sind keine in Sicht. Oder etwa doch?

Für die Jüngsten ist schon längst Realität, was für die breite Bevölkerung erst nach Utopie klingt. In der Kinderecke auf srf.ch betreibt Schweizer Radio und Fernsehen ein vollwertiges Social Network – wenn auch nur ein kleines. Im «Zambo Treff» können sich Kinder und Jugendliche bis 15 Jahre mit einem persönlichen Profil mit anderen Nutzern austauschen via Postings, Kommentare, Chats, Likes, Emojis; das ganze Paket. So begegnet man im Newsfeed Vielschreiberinnen wie der Nutzerin stella24, die schon 158 Postings geschrieben hat. Zuletzt eines mit Bild von ihrer Teilnahme am Klimastreik. Vier andere User finden dies eine gute Sache und schreiben das auf ein paar Zeilen in den Kommentaren dazu. Andere mögen es unpolitischer und schreiben von ihren Ess- und Trinkvorlieben, wie User Uni09, der Cola und Fanta mag.

Was in der Jugendecke von srf.ch selbstverständlich ist, zeigt, dass ein Social Network schon heute Teil eines digitalen Service-public-Angebots sein kann – wenn auch in einem sehr bescheidenen Rahmen. Es gibt aber auch Leute, die das Ganze grösser und grundsätzlicher denken.

«Wir müssen versuchen, ein öffentlich finanziertes soziales Netzwerk auf die Beine zu kriegen, als Alternative zu Facebook.»
Ethan Zuckerman, Center for Civic Media MIT

Der Appell ist bald zwei Jahre alt, doch angesichts der aktuellen Umstände klingt er dringlicher als damals. Wir müssen versuchen, ein öffentlich finanziertes soziales Netzwerk auf die Beine zu kriegen, als Alternative zu Facebook, forderte Ethan Zuckerman, Direktor des Zentrums für Bürgermedien am MIT in Boston, im «Atlantic».

Inzwischen erhält die Forderung eine neue Aktualität durch das skandalträchtige Geschäftsgebaren von Facebook und seinem Gründerchef Mark Zuckerberg. Der Ruf nach Regulierung sozialer Netzwerke erschallt immer lauter. Jüngst etwa in der Washington Post. Der Kommentar von Anne Applebaum erklingt wie das Echo auf Ethan Zuckermans Gedanken zwei Jahre zuvor. Unter dem Titel «Reguliert Social Media» schliesst die Historikerin und Publizistin mit der düsteren Prognose: «Wenn wir es nicht tun, wird es auf lange Sicht nicht einmal eine Öffentlichkeit geben, und es wird auch keine funktionierenden Demokratien mehr geben.» Und auch aus Deutschland erschallt der Ruf: «Es ist Zeit für ein neues Netzwerk!», fordert der Berliner SPD-Politiker Yannick Haan und auch er bringt ein öffentlich-rechtliches soziales Netzwerk ins Spiel.

Die Zeit ist nicht nur reif, weil die dominierenden Anbieter und ihre Geschäftspraxis im Gegenwind stehen, sondern auch darum, weil sich die öffentlich-rechtlichen Medien auf einen Wendepunkt zubewegen. Irgendwann in den nächsten 20 Jahren wird die lineare Nutzung von Radio- und TV eine Grenze unterschritten haben, die eine Abschaltung der Sender als betriebswirtschaftlich vernünftig erscheinen lässt. So will die SRG bereits im kommenden Jahr den zweiten italienischsprachigen TV-Kanal abschalten, respektive ins Internet verlegen. Die anderen Sender sollen nach und nach folgen.

Für die Zeit danach sorgt die SRG schon heute vor mit dem angekündigten Aufbau einer digitalen Plattform. «Hier sollen SRG-Programme aus allen Sprachregionen personalisiert und nach Wunsch untertitelt in den Landessprachen einem breiteren Publikum zur Verfügung gestellt werden», erklärt SRG-Sprecher Edi Estermann auf Anfrage der MEDIENWOCHE das Ziel des neuen Angebots. Wer die volle Funktionalität der neuen Plattform nutzen will, muss sich mit seinen Personendaten anmelden.

A priori ausschliessen will die SRG eine Erweiterung der neuen digitalen Plattform zu einem sozialen Netzwerk nicht.

Bisher nicht vorgesehen ist dagegen die Möglichkeit, sein persönliches Profil öffentlich zu zeigen, sowie mit anderen Nutzern und Medieninhalten zu interagieren. A priori ausschliessen will die SRG eine solche Erweiterung zu einem sozialen Netzwerk nicht. Für «konkrete Aussagen» zur geplanten Plattform sei es aber noch zu früh. Der Fokus liege auf einem «verbesserten Kunden-Nutzen mit bedarfsgerechten Inhalten», teilt der SRG-Sprecher mit. Klar ist: Auch in Zukunft will die SRG vor allem mit Video- und Audio-Inhalten ihr Publikum ansprechen. Wenn sie neu auch die Instrumente bereitstellen würde, um Sendungen, Beiträge und Clips zu teilen, kommentieren, bewerten und auch selbst Inhalte zu publizieren, dann läge das ganz auf der Linie eines digitalen Service public.

Doch wäre eine solche Transformation von einer reinen Distributionsplattform hin zu einem Social Network überhaupt rechtens? Bernard Maissen, Vizedirektor des Bundesamts für Kommunikation, sieht keine grundsätzlichen Hürden, die einen solchen Schritt verunmöglichen würden. Einen gewichtigen Vorbehalt nennt Maissen allerdings: Das Gebot der allgemeinen Zugänglichkeit als Grundvoraussetzung öffentlich finanzierter Medien. Ein persönliches Login schaffte zwei Klassen von Nutzerinnen und Nutzern. «Das geht natürlich nicht», gibt Maissen zu Bedenken. Es müsste also dafür gesorgt sein, dass auch Nutzer ohne Login weiterhin Zugang zu sämtlichen öffentlich (mit)finanzierten Inhalten haben, wenn auch ohne den Zusatznutzen einer Personalisierung.

Nun bewegt sich die SRG nicht im luftleeren Raum und kann tun und lassen, was sie will. Gerade Entwicklungsschritte im Web stehen seit jeher unter verschärfter Beobachtung der privaten Konkurrenz. Viele Verlage würden das Online-Angebot von Schweizer Radio und Fernsehen gerne zurückstutzen auf eine Mediathek für Audio- und Video-Beiträge.

Private Medienunternehmen und die SRG haben in der Vergangenheit immer wieder erfolgreich zusammengespannt, wenn sich neue kommerzielle oder technologische Felder auftaten.

Doch medienpolitische Positionen sind selten in Stein gemeisselt. Unter veränderten Vorzeichen können sie sich schnell ändern. Eine neue Nähe zwischen SRG und Verlagen würde die sogenannte Login-Allianz schaffen. Geplant ist ein einheitliches Anmeldeprozedere für den Zugang zu den Medieninhalten. Auf dieser Basis wäre eine weitergehende Kooperation in Richtung soziales Netzwerk vorstellbar, die auch den Verlegern etwas bringt. Sei es mit einem vereinfachten Zugang zu den kostenpflichtigen Inhalten über die neue Plattform oder mit dem exklusiven Vorrecht für die Verleger dort Werbung zu schalten.

Private Medienunternehmen und die SRG haben in der Vergangenheit immer wieder erfolgreich zusammengespannt, wenn sich neue kommerzielle oder technologische Felder auftaten. Das war der Fall beim Werbefernsehen, später beim Teletext oder auch beim DAB-Digitalradio. Ob und wie die Login-Allianz mit der geplanten neuen Medienplattform der SRG verknüpft wird, sei «derzeit noch offen», heisst es bei der SRG.

Nun mutet es einigermassen weltfremd an, in einer globalisierten Kommunikationslandschaft ein Social Network in nationalen Grenzen aufziehen zu wollen. Facebook und Co. zeichnen sich ja gerade darin aus, dass jeder und jede aus jedem Winkel der Welt potenziell die gleiche Stimme hat. Für internationale Reichweite könnte im Fall der SRG die Auslandplattform Swissinfo sorgen. Bereits heute pflegt das frühere Schweizer Radio International eine Community von mehreren 100’000 Personen rund um den Erdball. Der Grossteil der sozialen Interaktionen findet heute bei externen und kommerziell orientierten Anbietern statt, wie Facebook oder YouTube. Warum die Community nicht auf die eigene Plattform holen?

Es wäre dumm, nicht wenigstens herausfinden zu wollen, ob und wie sich eine solche Pioniertat bewerkstelligen liesse.

Auch wenn diese Skizze eines öffentlich finanzierten Social Networks vieles offen lassen muss und im jetzigen Stadium auch Ungereimtheiten enthält, so zeigt sie doch, dass ein solcher Schritt vermutlich zu bewältigen wäre. Ausserdem macht Facebook unfreiwillig gute Werbung für alternative Angebote, die in Sachen Transparenz, Datenschutz und Geschäftemacherei demokraktieverträglicher ausgestaltet sind. Es wäre dumm, nicht wenigstens herausfinden zu wollen, ob und wie sich eine solche Pioniertat bewerkstelligen liesse.

Leserbeiträge

Lahor Jakrlin 08. Februar 2019, 12:27

Ein Problem: Öffentlich rechtlich ist nie innovativ
Die Einführung einer breitenwirksamen und erfolgreichen Konkurrenz zu Facebook ist extrem wichtig, weil Facebook längst kein „soziales“ Medium sondern ein undurchsichtiger und undurchschaubarer (eigentlich monopolistischer) Verlagsgigant mit Milliardenumsätzen ist.
Die Konkurrenz darf aber nicht öffentlich-rechtlich sein, weil ein solches Medium wegen mangeldem Wettbewerbsbewusstsein nicht innovativ wäre und ggü Facebook sehr schnell ins Hintertreffen geraten würde.
Zu suchen ist ein „Konkurrenz-Facebook“, welches von jenen marktorientiert betrieben wird, die heute unter dem Original leiden: von den Verlagen, den privaten Medien.
Dasbedeutet auch, dass auf keinen Fall Staatsbetriebe wie SRF mitmachen dürften, denn wo der Staat die Finger drin hat, geht Dynamik verloren und teuere, ineffiziente „Verwaltung“ beginnt.

Christoph J. Walther 08. Februar 2019, 19:57

…klar: öffentlich-rechtlich ist nur dann innovativ, wenn es darum geht, die eigenen Pfründe zu verteidigen… Die SRG als Staatssender hat ein weitgehendes, vom Staat zugeteiltes Monopol, wenn es um die Nutzung von Frequenzen geht, weshalb dafür in einer Konzession Auflagen gemacht werden und solcherlei Tun mit unsolidarischen, markt-fremden Zwangsgebühren finanziert wird. Weitet die SRG ihre Aktivitäten ins Netz aus, ist das ein ordnungspolitisches No-Go. Das Netz (Web, Mobile etc.) ist à priori ein marktwirtschaftliches Tummelfeld und staatlich begünstigte Akteure haben dort nichts verloren. Die Wettbewerbskommission hat sich dazu bereits in diesem Sinne geäussert und wird wohl nicht umhin kommen, ein Machtwort zu sprechen. Will die SRG im Netz mittun, soll sie das können, allerdings nur mit einem Tochterunternehmen, das klar von staatlichen Vorteilen frei ist, d.h. mit gleich langen Spiessen operieren muss. Das betrifft nicht nur Social Networks, sondern ebenso Video- (Webisodes etc.) und Audio-Produktionen (Podcasts) sofern diese primär fürs Netz hergestellt werden.

Und betr. Facebook: Es gibt einen zunehmenden Trend von Leuten, die sich davon verabschieden oder einen Ausstieg vorbereiten. Erinnert sich noch jemand an MySpace?

Fabrice Schweizer 20. April 2019, 17:38

Von wegen Facebook verlassen: Facebook hat in der Schweiz sogar noch zugelegt… https://bernet.ch/blog/2019/04/01/facebook-zahlen-schweiz-trend-zu-aelteren-nutzern-setzt-sich-fort/

Ueli Custer 08. Februar 2019, 16:51

In einem Dossier „Pricing“ für den Verband Schweizer Presse habe ich bereits Anfang 2010 unter dem Titel „Ein gemeinsamer Online-Kiosk“ vorgeschlagen, dass sich die Verlage zusammenschliessen und die Mitgliedschaft in einem Presseclub anbieten sollten. Die Mitgliedschaft würde zum Beispiel 30 Franken pro Jahr betragen und die Mitglieder berechtigen, alle Artikel aller angeschlossenen Zeitungen nutzen zu können. Dieser Zugang wäre aber nur als Zusatz zu einem Jahresabo der beteiligten Titel zu haben. Die Einnahmen aus diesem Zusatzabo würden dann auf Grund der effektiven Nutzungen auf die einzelnen Titel verteilt. Aber offenbar war damals die Not noch zu wenig gross.

Lahor Jakrlin 08. Februar 2019, 17:16

Dieses „Abo Plus“ würde ich sofort kaufen. Problem ist: Unterschiedliche Abo-Preise der Medien. Will heissen, wenn ichs recht verstehe: Um NZZ und TAmedia-Titel zu lesen, müsste ich das billigste Abo (+ 30.-) lösen. Für mich als Konsumenten ginge das auf, für grosse Qualitätsmedien ginge die Rechnung leider nicht auf.

Ansonsten: Tolles Konzept.

Heinz Baumann 08. Februar 2019, 18:54

Ein SwissBook wäre genau das, was die Schweiz braucht.  Gemeinsam betrieben von allen Schweizer Medien, die eigene redaktionelle Inhalte anbieten. Also von SRG- und privaten Sendern, von Verlagen und Online-Medien. Aber solange namentlich die Grossverlage in der SRG ihre Hauptkonkurrentin sehen und nicht in Facebook oder Google, wird wohl nichts aus dieser Zusammenarbeit. Und ein allein von der SRG betriebenes SwissBook werden die rechtsbürgerlichen Parteien zu verhindern wissen. Schade.

Christoph J. Walther 08. Februar 2019, 19:56

​…sorry, aber ein SwissBook als helvetischer Sonderfall ist im 21. Jahrhundert ein No-Go: Müssten sich meine ausländischen Kontakte zuerst einbürgern lassen? Oder wäre es dann doch global zugänglich? Und wo wäre dann der Unterschied zu FB? ​Klar, ein solches Venture kann man starten, aber ohne staatliche Subventionierung per SRG. Solange die SRG mit staatlichen Privilegien im Markt mitmischt, werden private Medienunternehmen kaum zu Kooperationen bereit sein. Das sähe alles anders aus, wenn die SRG begänne, sich vom Rockzipfel von Mutter Helvetia abzunabeln und lernt, auf eigenen Beinen sich im Markt zu behaupten. Ein erster nötiger Schritt dazu wäre es, alle Netz-Aktivitäten in ein unabhängiges Tochterunternehmen auszulagern.