von Miriam Suter

Was seit dem ersten Frauenstreik geschah? Nicht viel.

28 Jahre nach dem ersten Frauenstreik findet am 14. Juni zum zweiten Mal in der Schweiz ein Frauenstreik statt. Und wieder beteiligen sich auch Medienschaffende daran. Dass die Forderungen noch immer erschreckend ähnlich daherkommen wie 1991, wirft die Frage auf: Was bringt ein Streik eigentlich? Und was macht ihn erfolgreich?

Manche Dinge sind einfach besser, wenn man sie gemeinsam tut. «Wenn Frau will, steht alles still» – unter diesem Motto gingen am 14. Juni 1991 in der Schweiz gut eine halbe Million Frauen auf die Strasse und legten die Arbeit nieder für den ersten nationalen Frauenstreik. Geboren wurde die Idee dazu im Waadtländer Jura, im abgelegenen Vallée de Joux, wo sich Uhrenarbeiterinnen über ungleiche Löhne aufregten.

1981 nahm die Schweiz den sogenannten Gleichstellungsartikel «Gleiche Rechte für Mann und Frau» in die Bundesverfassung auf. Wirklich eingehalten wurden die Auflagen aber auch zehn Jahre später nicht. Vom Jura aus erstreckte sich die Streikkraft über die ganze Schweiz, praktisch alle Frauenverbände und Gewerkschaften trugen den Streik mit und er wurde zu einem historisch prägenden Ereignis: Der Frauenstreik 1991 war die grösste politische Mobilisierung des Landes seit dem Generalstreik von 1918.

Bereits 1991 wurde den Journalistinnen mit Sanktionen gedroht: Wenn sie am Frauenstreik teilnähmen, müssten sie den Tag als Freitag aufschreiben.

Auch die Journalistinnen beteiligten sich damals am Frauenstreik. Besonders bei der SRG wurde intern fleissig geweibelt. Auf einem Flyer der Radio- und Fernsehfrauen von 1991 steht: «Das Gespenst vom Frauenstreik ist da. Stört die Gemütlichkeit. Erschreckt. Verursacht Hektik. Denn was wäre, wenn die Frauen wirklich alle …?» Weiter folgt eine Auflistung, welche Ungerechtigkeiten Frauen auch zehn Jahre nach der Einführung des Gleichstellungsartikels widerfahren: Durchschnittlich 30 Prozent weniger Lohn, massive Untervertretung von Frauen im Parlament, zu wenig Kinderkrippen oder ein einseitiges Bild von Frauen in den Medien. Auch bei der SRG sei das nicht viel anders, hiess es weiter: «Auch hier wird die Luft für Frauen in höheren Lohnklassen sehr dünn! Auch hier müssen Sekretärinnen und Telefonistinnen jahrelang verhandeln, bis sie endlich ihrer Arbeit entsprechend bezahlt werden! Darum: [in fetter Schrift] Dieser Streik ist legitim!» Und bereits 1991 wurde den Journalistinnen mit Sanktionen gedroht: Wenn sie am Frauenstreik teilnähmen, müssten sie den Tag als Freitag aufschreiben, also frei nehmen, ansonsten drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen – im schlimmsten Fall eine Kündigung wegen Arbeitsverweigerung. «Na klar, was denn sonst?», steht auf dem historischen SRG-Flyer, «am 14. Juni IST ja Freitag!»

Die Medienfrauen trumpften 1991 aber nicht nur bei der SRG richtig auf, wie das damalige Medienmagazin «Klartext» im Nachgang des Streiks berichtete: Die «10vor10»-Redaktorin Jana Caniga trat bereits am 13. Juni mit Streikbadge vor die Kamera. Vor dem Ringier-Pressehaus veranstalteten die Teilnehmerinnen einen Streik-Zmorge – und zwangen die Männer der Chefetage so dazu, den Seiteneingang zu benützen – während das Zmorge in einem Sitzungszimmer auf der Redaktion der «Luzerner Neusten Nachrichten» vom damaligen Chefredaktor Karl Bühlmann verboten wurde. Es sei eine «Verhöhnung der nichtstreikenden Frauen», fand er. Die Frauen wichen auf den Korridor aus, wo sie einen Apéro abhielten.

1991 wurde beim «Tages-Anzeiger» gestreikt, allerdings fein säuberlich zu Blockzeiten. Jede Angestellte durfte drei Stunden «frei nehmen», um am hauseigenen Frauenstreik teilzunehmen.

Die streikenden Frauen der «Züri Woche» hingegen wurden von Chefredaktor Karl Lüönd unterstützt, der Verlag sponserte sogar Nüssli und Weisswein für das Picknick im Freien, auch für die Kinderbetreuung wurde gesorgt. Auch beim «Tages-Anzeiger» wurde gestreikt, allerdings fein säuberlich zu Blockzeiten. Jede Angestellte durfte drei Stunden «frei nehmen», um am hauseigenen Frauenstreik teilzunehmen. Der wurde von der Geschäftsleitung gesponsert: Es gab ein kaltes Buffet, Musik und anstelle der offiziellen Streikballons in Lila und Rosa eine «Tagi»-Version im Corporate-Identity-konformen Blau. Werbe-Aktion statt Arbeitskampf. Immerhin: In der Zeit vor dem Streik stellten die Frauen auf der Reaktion eine Wandzeitung auf, auf der die Forderungen an die Geschäftsleitung notiert wurden. Die häufigsten: Mehr Lohn, mehr Frauen auf der Chef-Etage. Weil es schon damals beim «Tagi» keine Lohnerhebungen gab, forderten die Frauen von der Geschäftsleitung, eine allgemeine Bedürfnisabklärung durch eine Frauenbeauftragte durchführen zu lassen. Der Antrag wurde abgelehnt. Lohntransparenz forderten die Frauen 1991 auch bei der SRG – erst seit 2016 veröffentlicht das Unternehmen im Geschäftsbericht ein umfassendes Lohnreporting, in dem auch die Differenz zwischen Mann und Frau sichtbar wird.

Auf der «Blick»-Redaktion erschien 1991 eine interne Spezialausgabe zum Frauenstreik mit Knigge für die Männer auf der Redaktion: «Ein militärischer Befehlston ist zu vermeiden … Statt zu rülpsen – lasst lieber Blumen sprechen». Radikaler zogen die Frauen der «WOZ», Radio «LoRa» und der «Berner Tagwacht» den Streik durch: Sie erschienen den ganzen Tag nicht zur Arbeit, ihre Schichten mussten die Männer auffangen.

Die Anliegen heute klingen aber noch immer erschreckend ähnlich wie 1991: Auch 2019 besteht etwa ein Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen von durchschnittlich 700 Franken pro Monat.

Auch 2019 beteiligen sich Journalistinnen und Journalisten am Frauenstreik. Der Forderungskatalog kommt zwar um einiges weniger kämpferisch daher als das Flugblatt, das die SRG-Frauen 1991 verteilt haben – die Anliegen klingen aber noch immer erschreckend ähnlich: Auch 2019 besteht etwa ein Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen von durchschnittlich 700 Franken pro Monat – bei gleicher Qualifikation. Über 1100 Medienschaffende haben den Forderungskatalog unterschrieben.

Leider fehlen auf der Webseite aber die Unterschriften derjenigen, die Macht und Einfluss haben auf Schweizer Redaktionen: Katia Murmann etwa, Chefredaktorin Digital der Blick-Gruppe, obwohl sie sich im März klar zum internationalen Frauentag positionierte. Oder «Annabelle»-Chefredaktorin Silvia Binggeli – obwohl fast alle Mitglieder der Redaktion den Forderungskatalog unterschrieben haben. Auch die «Tages-Anzeiger»-Chefredaktorin Judith Wittwer hat die Forderungen nicht unterschrieben. Und die Namen vieler Ressortleiter sucht man ebenfalls vergeblich: Michael Furger, Hintergrund NZZ am Sonntag, oder sein Stellvertreter Francesco Benini zum Beispiel. Sven Border, Ressortleiter Reportagen bei der «Annabelle», hingegen hat unterschrieben.

Es fällt auf, dass sich kein grosser Unterschied zwischen den Forderungen von Männern und Frauen feststellen lässt.

Auf dem Instagram-Account des Medienfrauenstreiks haben bereits über 200 Medienschaffende ihre Forderungen gepostet. Dabei fällt auf, dass sich kein grosser Unterschied zwischen den Forderungen von Männern und Frauen feststellen lässt. Die Themen, die sich bei den allermeisten manifestieren, sind Lohngleichheit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, mehr Frauen auf der Chefetage und der klare Kampf gegen Sexismus – in der Berichterstattung und in den Redaktionen selbst.

Wer selber in der Branche arbeitet, weiss: Besonders der letzte Punkt wird uns wohl noch lange über den Frauenstreik hinaus beschäftigen. Das Rechercheteam um die «Tagi»-Journalistin Simone Rau machte jüngst vor, wie die entsprechende Berichterstattung aussehen könnte, und veröffentlicht im Rahmen der «MediaToo»-Reihe kontinuierlich Artikel über sexualisierte Belästigung von Journalistinnen und Journalisten im Rahmen ihrer Arbeit. Dafür hat der Recherche-Desk der Tamedia eine Umfrage an über 3000 Medienschaffende des Landes verschickt, hunderte haben teilgenommen und ihre Erlebnisse teilweise ausführlich geschildert.

Wie bereits 1991 wird auch der diesjährige Medienfrauenstreik von einer Gewerkschaft mitorganisiert, der Syndicom. Das macht den Streik zu einer arbeitsrechtlichen Angelegenheit. Und wie schon vor 28 Jahren verlangen die grossen Verlage: Wer streiken will, soll an dem Tag frei nehmen.

«Konkret haben die Verlage seit Jahren praktisch nichts zur tatsächlichen Gleichstellung und Gleichberechtigung der Frauen gemacht.»
Stephanie Vonarburg, Gewerkschaft Syndicom

Stephanie Vonarburg ist Vizepräsidentin der Mediengewerkschaft Syndicom und sagt dazu: «Ich bin auch als Juristin überzeugt, dass in der Medienbranche alle Voraussetzungen für einen legitimen und rechtmässigen Streik erfüllt sind. Der Forderungskatalog der Medienfrauen beinhaltet klar arbeitsrechtliche Forderungen». Die Redaktionen der meisten grossen Medienhäuser hätten diesen Forderungskatalog ihren Verlegern oder Chefredaktoren vorgelegt, sagt Vonarburg. Diese hätten auch viel Verständnis gezeigt und bestätigen, dass Handlungsbedarf besteht. Aber: «Konkret haben die Verlage seit Jahren praktisch nichts zur tatsächlichen Gleichstellung und Gleichberechtigung der Frauen gemacht.» Es sei mühsam, so Vonarburg, wenn Frauen zur legitimen Durchsetzung ihrer Rechte auch noch aufgefordert werden, den Arbeitgebern Geschenke zu machen und ihre Freizeit zu opfern. «Das Wichtigste ist aber, dass wir mit einem starken Streiktag zeigen, wie dringlich die Forderungen sind und dass sich die Medienfrauen nicht länger hinhalten lassen».

Zudem habe bereits der Frauenstreik 1991 gezeigt, dass in den wenigsten Fällen wirklich Sanktionen ausgesprochen wurden. Es wäre für Unternehmen zudem entlarvend, einerseits Verständnis für die Anliegen des Streiks zu zeigen und dann die streikenden Frauen zu bestrafen, sagt Vonarburg. Fest steht: Auch der Medienfrauenstreik 2019 ist eine arbeitsrechtliche Kampfmassnahme und nicht nur ein politischer Protest.

Dass 28 Jahre nach dem ersten Schweizer Frauenstreik noch immer die gleiche Dringlichkeit für die Anliegen der Streikenden besteht, wirft allerdings die Frage auf: Was genau bringt ein Streik? Im Fall der Medienschaffenden ist zumindest klar, dass er einiges bewirken kann, wie ein Blick in andere Länder zeigt.

Am 15. Mai 2018 traten 1700 Journalistinnen und Journalisten von Norwegens öffentlich-rechtlichem Rundfunk NRK in den Streik. Der NRK ist mit rund 3400 Beschäftigten das grösste Medienhaus des Landes. Die Gewerkschaft «Norsk Journalistlag» NJ rief die Angestellten zum Streik auf, nachdem Lohnverhandlungen vom Medienhaus abgebrochen wurden und Schlichtungsversuche seitens der Gewerkschaft gescheitert waren. Kurze Zeit nach dem Ausstand nahm der Arbeitgeber die Verhandlungen wieder auf und kam allen Forderungen der Angestellten und der Gewerkschaft nach: Befristete und unbefristete Anstellungsverhältnisse bezahlt der NRK nun in der gleichen Lohnklasse, die Jahreslöhne sollen um 2,8 Prozent steigen und die Journalistinnen und Journalisten haben mittlerweile Zugang zu fachlichen Weiterbildungen. Zwar war dieser Streik kein spezifischer Frauenstreik – er zeigt aber die Kraft, die eine Arbeitsniederlegung haben kann, wenn sie kollektiv erfolgt.

Die Angestellten der Migros-Zeitung «Die Tat» streikten 1978, weil sie die Entlassung von Chefredaktor Roger Schawinski nicht hinnehmen wollten.

Klar ist aber auch: Der NRK hat als öffentlich-rechtliches Unternehmen eine Vorbildfunktion und kann sich keine harten Konflikte mit Aussperrungen und Entlassungen leisten. In der Schweiz verliefen Medienstreiks etwas holpriger. Etwa der sda-Streik 2018 – dort erreichte die Redaktion zwar nur wenig strategische Erfolge, entfachte aber wenigstens eine dringend nötige öffentliche Debatte über die Wichtigkeit einer vielfältigen Medienberichterstattung. Um einiges brachialer verlief 1978 der Streik der «Die Tat»-Redaktion. Die Angestellten der Migros-Zeitung streikten, weil sie die Entlassung von Chefredaktor Roger Schawinski nicht hinnehmen wollten. Daraufhin entliess die Migros die streikenden Redaktorinnen und Redaktoren fristlos und stellte die Zeitung ein. Die Entlassenen gründeten daraufhin eine Streikzeitung – Chefredaktor war Kurt W. Zimmermann – und veröffentlichten die Adresse des Feriendomizils von Pierre Arnold, dem damaligen Chef des Migros-Genossenschaftsbundes. Mit krassen Folgen: Streikanhänger legten Brände vor Arnolds Ferienhaus, die streikenden Redaktionsmitglieder gerieten gar in den Fokus des Staatsschutzes, die meisten von ihnen erhielten eine eigene Fiche. Schliesslich einigten sich die Migros und die Streikenden aussergerichtlich, die fristlosen Kündigungen wurden zurückgezogen und in fristgerechte umgewandelt. «Die Tat» blieb allerdings eingestellt.

Auch wenn keine Brände gelegt werden: Welche Wirkung der zweite Schweizer Frauenstreik haben wird und ob die Bemühungen nachhaltigen Einfluss auf die Branche haben oder wieder versickern werden, bleibt abzuwarten. Der 14. Juni 1991 hat zumindest unmittelbar danach nur wenig verändert, auch die Langzeitwirkungen sind nicht gerade befriedigend und im besten Fall als wahnsinnig verspätet zu bezeichnen – siehe SRG. Vielleicht schafft aber der diesjährige Medienfrauenstreik etwas anderes: Vielleicht markiert er das Ende einer Jammer-Ära, in der die Medienschaffenden dieses Landes sich nur allzu gerne darauf ausgeruht haben, sich über die darbende Branche zu beschweren. Vielleicht rückt er uns näher zusammen, wenn wir uns unserer kollektiven Kraft wieder bewusst werden.