Zwischen Geld und Geist: SRG-Debatte im Ständerat
Wird die Politik der SRG-Führung einen Strich durch die Rechnung machen und die geplante Schwächung der Bundesstadt Bern als Medienstandort verhindern? Der Ständerat hat in dieser Sache zwar nicht entschieden, aber Erhellendes zur Debatte beigetragen. Notizen zu einer medienpolitischen Diskussion.
Die Debatte des Ständerats vom 11. Juni über die Umzugspläne der SRG zählt zu den Gefechten, nach denen man ein bisschen stolz sein kann auf die Politik in der Schweiz und auf manche ihrer Akteure. Es war eine Debatte zwischen Geld und Geist. Und man kann etlichen Kontrahenten den Respekt nicht versagen, denn die politischen Fechter waren bei allen taktischen Wendungen immer wieder redlich, auf beiden Seiten. Sie waren engagiert, und es werden Verletzungen zurückbleiben, die nur langsam heilen. Auf beiden Seiten. Wie tief das geht, wurde schon ein paar Tage vorher klar, als einige Gegner einer Schwächung des SRG-Standorts Bern bei ihrem «point de presse» der SRG öffentlich das Vertrauen entzogen.
Im Ständerat standen sich dann beide Seiten direkt gegenüber, Freunde und Gegner der aktuellen SRG-Politik. Zur Debatte stand die parlamentarische Initiative von Ständerat Beat Vonlanthen (Freiburg, CVP), die der SRG den Teilumzug aus dem Radiostudio Bern nach Zürich verbieten wollte. SP-Präsident Christian Levrat stellte zum Schluss der Debatte mit Genugtuung fest, «dass niemand die Bedeutung der Debatte unterschätzte».
Die Politik darf das, weil die SRG nicht frei ist wie ein privates, kommerzielles Unternehmen, sondern autonom, im Rahmen des vom Volk in der Verfassung erteilten Auftrags.
Der Ständerat diskutierte über eine gewichtige Weichenstellung für das grösste Unternehmen des Service public der Medien in der Schweiz. Also über eine Infrastruktur für die direkte Demokratie eines vielfältigen, föderalistisch organisierten Landes. Die Politik darf das, weil die SRG nicht frei ist wie ein privates, kommerzielles Unternehmen, sondern autonom, im Rahmen des vom Volk in der Verfassung erteilten Auftrags. So ist diese Debatte kein unerlaubter Eingriff in die Programmgestaltung, sondern eine funktionsgerechte Diskussion über die Ausgestaltung der Autonomie. Es geht um den Rahmen für die Leistung, nicht um den Inhalt des Angebots.
Claude Janiak (Baselland, SP), Präsident der zuständigen Ständeratskommission, erinnerte zunächst an die sinkenden Mittel für die SRG und die steigenden Anforderungen: Begrenzung der Gebühren und Rückgang der Werbeeinnahmen auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite: die Aufrechterhaltung getrennter Radio- und Fernseh-Chefredaktionen (in Zürich), Angebote für die jungen und die alten Generationen, den Aufbau von Plattformen für die Nutzung des Angebots zu jeder Zeit an beliebigem Ort – on demand –, den Ausbau der Regionalberichterstattung und die Konzentration der Sparmassnahmen auf Infrastruktur und Administration. Kurz: Er referierte die Argumente der SRG-Unternehmensleitung. Er erwähnte nicht, dass die Entlassung von journalistischem Personal als Drohkulisse bleibt und als solche laufend eingesetzt wird.
Vor allem aber verkleistert die Verleimung von Radio und Fernsehen die Differenz zwischen Wort und Bild.
Aber Janiak zeigte sich beeindruckt vom künftigen Angebot von «Audio on demand» – der von SRF-Direktorin Wappler versprochenen neuen Radioplattform – und von der Verschmelzung von Radio und Fernsehen, wie sie das Radio der Suisse Romande im «Forum» bereits praktiziert: Eine Radiosendung mit Radiodiskussion wird fernsehmässig aufgezeichnet und ausgestrahlt. Das bedeutet: lange Wege für die Gäste zur Aufzeichnung, Make up und formeller Auftritt (mit Krawatte) statt lockere Konzentration auf das Wesentliche. Einige Westschweizer Parlamentarier sind schon ziemlich sauer, weil sie für eine Viertelstunde Radiogespräch zwei Stunden Weg nach Lausanne in Kauf nehmen müssen.
Vor allem aber verkleistert diese Verleimung von Radio und Fernsehen die Differenz zwischen Wort und Bild. Das Fernsehbild ist präsentativ, es besetzt unmittelbar die Sinne von Auge und Ohr – und das Bild hat dabei in aller Regel die (emotionale) Herrschaft über das Wort. Das Radiowort hingegen ist diskursiv, es liefert in aufeinanderfolgenden Worten – geschrieben oder gesprochen – die Elemente, aus denen die Hörenden ihre Vorstellung erst selber herstellen müssen: Der Denkapparat ist gefordert, und das Hören mit geschlossenen Augen ist für manche die höchste Stufe der Konzentration.
Im Medienalltag stellt sich aber häufig genug die Frage, ob nicht der Einsatz des Fernsehbildes zwar den Aufwand für die Produktion steigert, aber gleichzeitig die sachgerechte Informationsleistung vermindert. Solche Fragen stellt man sich bei der SRG offenkundig nicht mehr – jedenfalls hört man nichts davon.
Der sozialdemokratische Politiker Paul Rechsteiner (SG) hingegen hat in der Debatte darauf hingewiesen, dass Medienwissenschaftler und Medienschaffende «zum Schluss kommen, dass die Eigenständigkeit des Informationskanals via Radiomedien» von grosser Bedeutung ist.
Eine andere Frage wurde in der zuständigen Ständeratskommission aber aufgeworfen, so Claude Janiak: Weshalb soll Bern als zwingender Studiostandort erwähnt werden, nicht aber «Luzern…, weshalb nicht Basel, weshalb nicht Chur, weshalb nicht Lugano, weshalb nicht Delémont?» – Die Antwort hätte man sich einfach geben können: weil all dieses Städte zwar schön und wichtig sind, aber nicht Bundesstadt.
«Die Frage des Standorts kann nicht vom publizistischen Inhalt getrennt werden.»
Beat Vonlanthen, Ständerat Freiburg (CVP)
Das ist ein Kernpunkt der Kritik an der SRG-Entscheidung für den Teilumzug von Bern nach Zürich: «Die Frage des Standorts kann nicht vom publizistischen Inhalt getrennt werden.» Beat Vonlanthen (CVP) verklammert damit seine drei Hauptargumente gegen einen Abzug der Radioinformation aus Bern: «Redaktionelle Konzentration geht auf Kosten der Vielfalt», sagt er, und er setzt den Zentralisierungsentscheid der SRG für das Medienzentrum Zürich gleich mit der Konzentration und der Bildung von Zentralredaktionen bei den privaten Medien. «Zentralredaktionen», das sage ihm die Wissenschaft, «führen zu einer zunehmend gleichförmigen Berichterstattung.» Die regionale Konzentration präge auch, je länger desto mehr, den Blick auf die Welt, auch im eigenen Land. So sei es die Verantwortung der Politik, im Service public der Medien die Vielfalt der Perspektiven auch durch die Vielfalt der Standorte zu sichern.
Und dazu gab es die Gegenreden: Vom Luzerner Christdemokraten Konrad Graber, vom freisinnigen Nidwaldner Hans Wicki und vom ebenfalls freisinnigen Geophysiker und Waadtländer Unternehmer Olivier Français. Seine kühle Analyse weckte den Eindruck, dass es in dieser Debatte um Geld und Geist ging, aber wahrscheinlich geht es um mehr. Français gab den sachlich kalkulierenden Unternehmer, als er noch einmal feststellte, dass die SRG trotz der gewonnenen Vertrauensabstimmung über «No Billag» 100 Millionen und mehr wird einsparen müssen, und er kam zum Schluss, dass das für die SRG-Führung ganz einfach heisst: Konzentration der Vertriebs- und Verteilungsstrukturen auf zwei Zentren in den beiden Regionen der Deutschschweiz und der Suisse Romande. Und darauf folgte, fast wie ein liberal-radikaler Glaubenssatz, die Aussage: «Es ist nicht unsere Rolle, uns in diese Strukturänderung einzumischen.»
In Wirklichkeit ist die SRG aber kein privates, in seinem Handeln völlig freies Unternehmen. Es ist eine Einrichtung des Service public, das sich in den Rahmenbedingungen des Auftrags bewegt.
In Wirklichkeit ist die Struktur der SRG als Aktiengesellschaft nur eine bundesrätlich und gesetzlich abgesegnete «als ob»-Struktur. Man hat sie bei der Strukturreform von 1991 geschaffen, um die Unternehmensführung zu stärken und den Einfluss der Trägerschaft zu schwächen, damit das Unternehmen entscheidungs- und handlungsfähig werde gegenüber der kommerziellen Konkurrenz aus dem Ausland. Das war erfolgreich, aber gleichzeitig auf geradezu teuflische Weise selbstzerstörerisch, weil sich die SRG damit den Gesetzmässigkeiten der Jagd nach Reichweite und der Logik des kommerziellen Marktes unterworfen hat. Sie wurde so unter anderem zu einem Premium-Werbeträger in der internationalen Konkurrenz, und das hatte selbstverständlich auch Folgen für das Programm, das eigentlich dem Auftrag des Service public genügen sollte. Das war die erste grosse Weichenstellung.
Dieser scheinbar zwingenden Logik des kommerziellen Marktes folgt die SRG bis heute. Sie ging in den letzten Jahrzehnten einher mit der weiteren Schwächung der Trägerschaft in Bezug auf die Programmgestaltung, und mit einer entsprechenden Ballung der Entscheidungsmacht an der Spitze der Organisation. Diese Verselbständigung der SRG als «Unternehmen» ist wohl eine Triebkraft in der Entwicklung des Konflikts mit einem Teil des Vereins – der Trägerschaft in der Region Bern, Freiburg und Wallis – und mit Teilen der Politik, die den Zentralisierungsentscheidungen der SRG-Spitze sehr kritisch gegenüberstehen.
«Die SRG stellt durch ihren jüngsten Entscheid ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel und die Basis, die sie braucht, um zukünftig in unserer Medienwelt zu überleben.»
Beat Rieder, Ständerat Wallis (CVP)
An dieser Stelle kommt ein Mann aus dem Wallis ins Spiel. Nicht Jean-Michel Cina, der Präsident der SRG, sondern Beat Rieder, ein CVP-Ständerat, der sich als Nicht-Medienpolitiker bezeichnet, und der sich zur Vorbereitung der Ständeratsdebatte «ein wenig mit der Struktur der SRG befasst» hat. Er stellt ganz einfach fest, dass die SRG kein Unternehmen ist, sondern ein Verein. «Ein Verein!» Und dass die Unternehmensführung zwar behaupte, dass sie «die kulturelle und mediale Vielfalt der Schweiz fördert», aber gleichzeitig Entscheidungen trifft, die dieser Behauptung widersprechen. Und dass sie zwar Sparmassnahmen ergreift, aber gleichzeitig «munter weiter auch in Infrastruktur investiert, und zwar an mehreren Standorten». Daraus schliesst er: «Die SRG stellt durch ihren jüngsten Entscheid ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel und die Basis, die sie braucht, um zukünftig in unserer Medienwelt zu überleben.»
Ständerat Beat Vonlanthen hat am Schluss der Debatte seine Initiative zurückgezogen. Das war gewiss schlitzohrig, denn er hat mit der Abstimmung sehr wahrscheinlich eine Niederlage vermieden. Aber er hat gleichzeitig, entsprechend der Aufforderung von Ständerat Levrat, Raum geschaffen für Gespräche, die andere Lösungen ausloten und allen Beteiligten erlauben, den Kampfplatz erhobenen Hauptes zu verlassen.
Es braucht dafür ja nicht gleich eine Landsgemeinde. Vielleicht reicht ein runder Tisch, der gross genug ist für alle Beteiligten. Nach dieser ernsthaften, engagierten, auch emotionalen Debatte ist man versucht zu sagen: «C’est le moment».
Lahor Jakrlin 15. Juni 2019, 20:29
Man könnte ja meinen …
Das Regijournal und die Bundeshausredaktion verbleiben in Bern. Also alles i. O. Wobei man sich fragen könnte, warum das Regi nicht in Fribourg oder in Visp ist. Oder Langenthal, Langnau oder Thun.
Der ganze Rest soll in einen Newsroom verlagert werden, und ZH, als einzige wirkliche Stadt der Schweiz, ist dafür prädestiniert.
Dass wir damit in Bern 50 oder 100 Beamtenstellen „verlieren“, ist für Bern eigentlich ein Gewinn. Jeder Abbau an Staatsstellen tut Bern gut.