Ein Schlag ins Zentrum der Festung SRG
Die Führungsspitze der SRG ist gefangen in ihren eigenen Organisationsvorstellungen. Sie ist nicht imstande, adäquat auf die Kritik an ihrer Standortpolitik zu reagieren. Nach dem deutlichen Entscheid des Nationalrats muss sich nun etwas bewegen.
Es ist ein Fiasko. Am 30. Mai 2018 hat SRG-Generaldirektor Gilles Marchand in der Runde seiner Direktoren festgestellt, dass die SRG auf die Kritik an ihrer Zentralisierungsstrategie nicht eingehen und schon gar nicht nachgeben darf, weil das öffentliche Medienhaus sonst ständig dem Druck der Politik ausgesetzt sein würde.
Er hat damit aus einer Strukturfrage eine Machtfrage gemacht, und er ist damit krachend gescheitert. Gut ein Jahr später, am 18. Juni 2019, hat der Nationalrat mit 120 Stimmen gegen 54 Nein bei 10 Enthaltungen der SRG-Spitze erklärt, wie sie ihre Strukturpolitik bei der Wahl der Produktionsstandorte auszurichten hat. Hätten nicht sechs Nationalräte die Anweisungen der Präsidentin falsch verstanden, wäre das Resultat mit 126 Befürwortenden gegen 48 Gegnern der parlamentarischen Initiativen noch deutlicher ausgefallen.
Bei einer kühlen Analyse muss die SRG-Spitze feststellen, dass sie mit ihrem Kurs gescheitert ist.
«Die SRG-Führung könnte diese politische Entscheidung für sich auch positiv deuten», sagt Regula Rytz, Präsidentin der Grünen und eine der sechs Initiantinnen. «Es ist eine Liebeserklärung an das Radiostudio Bern, es zeigt den grossen Respekt vor der jahrzehntelangen Qualitätsarbeit dort, und es ist eine Steilvorlage für die SRG-Führung. Sie kann auf dieser Basis ihre Strategie mit den legitimen Interessen von Politik und Gesellschaft abstimmen und gestärkt in die Zukunft gehen.»
Aber noch sind die Spitzen der SRG mit Präsident Jean-Michel Cina und Generaldirektor Gilles Marchand offenbar mit der Verarbeitung des Schocks voll ausgelastet. Bei einer kühlen Analyse müssen sie feststellen, dass sie mit ihrem Kurs gescheitert sind. Und die Geschichte dieses Scheiterns ist noch nicht geschrieben.
Ein Blick auf einige Trümmer an diesem Weg zeigt aber schon: Das Fiasko ist so gross, dass es gar nicht von ein, zwei Einzelnen angerichtet werden konnte. Es ist die Geschichte einer Planung, die vor Jahren begonnen hat und als deren Ergebnis bereits Millionen von Gebührengeldern in Beton gegossen wurden. Es sieht aus wie eine dieser Geschichten, bei der die Verantwortung auf der Führungsebene kollektiv verteilt wird und bei der die Untergebenen die Konsequenzen tragen, etwa in Form eines Stellenabbaus.
Bei der SRG liegt die Verantwortung in dem verschlungenen Gefüge von Generaldirektion, Verwaltungsrat und Spitzen des Trägervereins. Zumindest nach aussen erweckt dieses Gefüge nicht den Eindruck eines Systems von Checks and Balances, von wechselseitiger Kontrolle, Prüfung von Alternativen und versammelter, vielfältiger Fachkompetenz.
Das Führungsgremium der BBC beispielsweise, der BBC Trust (bis April 2017), hatte eine ganz andere Zusammensetzung. Er setzte sich zusammen aus Fachleuten aus dem Bank- und Finanzbereich, aus führenden Kulturmanagern, erfahrenen Medienschaffenden und Kommunikationswissenschaftern, ehemaligen UNO-Mitarbeitenden und Mitgliedern aus den verschiedenen Generationen und Frauen und Männern sowieso. Ausdruck einer kompetenten, vielfältigen Gesellschaft aus den verschiedenen Nationen Grossbritanniens.
Bis heute ist nicht klar, ob die Umzugsoperationen überhaupt je Einsparungen bringen werden.
In Bezug auf die Frage der Finanz-Transparenz der SRG hat Christoph Ammann, Regierungspräsident und Volkswirtschaftsdirektor des Kantons Bern, noch jüngst öffentlich moniert, dass der Kanton bei den Gesprächen über eine Unterstützung bei Immobilienproblemen keine Unterlagen erhalten habe, mit denen er die Zahlen habe plausibel machen können. Das heisst nicht, dass die vorgelegten Zahlen falsch wären. Es heisst einfach, dass die SRG offenbar nicht imstande war, Stadt und Kanton Bern gegenüber die erforderliche finanzielle Transparenz für eine professionelle Prüfung herzustellen.
Bis heute ist nicht klar, ob die geplanten Umzugsoperationen überhaupt je Einsparungen bringen werden, wie dies die SRG-Spitze anfänglich nannte als Grund für den Abzug der Radiochefredaktion aus dem Studio Bern. Die Baukosten für die neuen und geplanten Betonstrukturen in Zürich reichen deutlich über 200 Millionen Franken. Ein grosses Bauprojekt am Standort Leutschenbach wurde inzwischen einigermassen diskret eingestellt. – All das mag erklärbar sein, und Manches hat seine Logik. Aber die SRG hat mit wechselnden Zahlen und Begründungen ein gutes Stück ihrer Vertrauensbasis verloren.
Die Belegschaft wurde in den Prozess nicht wirklich einbezogen, obwohl sie täglich die Substanz der Information liefert.
Das überrascht auch nicht, denn die Integration der Radio-Information aus Bern in den Newsroom am Leutschenbach wurde gerade mal einen Monat vor der «No Billag»-Abstimmung angedacht (der ehemalige SRF-Direktor Ruedi Matter im «Medienwoche»-Interview), einen Monat nach der Abstimmung als Gegenstand der unternehmerischen «Prüfung» angekündigt und wenige Wochen danach bereits als realisierungsreif bezeichnet. Die Belegschaft wurde dabei nicht wirklich einbezogen, obwohl sie täglich die Substanz der Information liefert. Die SRG-Trägerschaft der betroffenen Region Bern-Freiburg-Wallis wurde ausgegrenzt mit ihrer Kritik, und beide, Belegschaft wie Trägerschaft, wurden öffentlich zu rückwärtsgewandten Verfechtern von Sonderinteressen erklärt. Und im Vorfeld seiner Nachfolgeregelung hat SRF-Direktor Ruedi Matter noch ein paar Kaderpositionen mit seinen Leuten besetzt und damit bis auf die oberste Führungsebene eine Denkweise gefestigt, wie sie unter anderem auch in kommerziellen deutschen Fernsehanstalten gepflegt wird. Matter hat selber einen wichtigen Teil seiner Karriere in diesem Milieu erlebt und von dort einen Führungsstil und ein Businessdenken mitgebracht, das für den Service public der Medien in der Schweiz besser nicht prägend sein sollte.
In dem Prozess der tiefgreifenden Umwandlung, in dem es auch darum geht, die SRG wieder stärker in der Gesellschaft zu verankern, ist das in der vielfältigen Kultur der Schweiz keine besonders gute Voraussetzung. Und Nathalie Wappler, die neue SRF-Direktorin, ist damit in ihrem unmittelbaren Umfeld gefangen in einem alten Beziehungsnetz, das eine eng vernetzte Führungsmannschaft (sic!) gewoben hat. Das stört sie vielleicht nicht. Aber sie wäre frei, das zu ändern.
Für SRG-Generaldirektor Gilles Marchand beruht die Kritik an seiner Standortpolitik nur auf einem «grossen Missverständnis».
All das produziert Spannungen und Risse in der SRG: In der tragenden Struktur des Vereins und in der professionellen Struktur des Unternehmens. Und in der letztlich entscheidenden Beziehung zwischen der SRG, der Politik und der Gesellschaft.
In dieser Situation macht SRG-Generaldirektor Gilles Marchand nach der unmissverständlichen Klärung im Nationalrat nicht einmal eine Andeutung von Gesprächsbereitschaft. Er wiederholt die bekannten Argumente, verweist – im Interview mit «24 heures» – auf die breite Verankerung in der Schweiz mit 7 Hauptstandorten und 17 Regionalstudios, auf die Einsparungen bei der Infrastruktur anstatt beim Personal, auf «das gleiche Ziel» und vielleicht «Differenzen bei der Methode» zwischen SRG und Politik, und schliesslich erklärt er alles «zu einem grossen Missverständnis». Und gleichzeitig warten seine Kader in Bern und anderswo auf eine neue Richtungsbestimmung, eine neue Weichenstellung, damit sie ihren Mitarbeitenden entsprechende Zeichen geben können. Aber der Generaldirektor ist offenbar erst am Montag bereit zu einer breiten internen Kommunikation.
«Die Politik will nicht eingreifen in die redaktionelle Arbeit und in die Programmgestaltung.»
Albert Rösti, Präsident SVP
Im Klartext: Der Kernpunkt des Problems bleibt bei all dieser Argumentation aussen vor: Die SRG plant, sämtliche, also alle publizistischen Entscheidungsstrukturen der Information in der Deutschschweiz von Bern nach Zürich zu verlegen. Sie zerstört damit die professionelle Entscheidungsstruktur, die seit Jahrzehnten die national und international anerkannte Qualität des Radios prägt, und sie zerstört damit die geografische Distanz zwischen Radio und Fernsehen, die verhindert, dass das Fernsehen das Radio zunehmend vereinnahmt. Man sieht das bereits in der Suisse Romande, wo das «Forum» – quasi das Westschweizer «Echo der Zeit» – in der Tendenz in eine Fernsehdiskussion verwandelt wird.
Regula Rytz, Präsidentin der Grünen, ist «erstaunt über die fehlende Reaktion» der SRG-Spitze auf ihr Gesprächsangebot. SVP-Präsident Albert Rösti erklärt auf Nachfrage der MEDIENWOCHE: «Die Politik will nicht eingreifen in die redaktionelle Arbeit und in die Programmgestaltung.» Aber er macht klar, dass der Staat beim öffentlich finanzierten Service-public-Anbieter ein strukturpolitisches «Mitgestaltungsrecht» in Anspruch nimmt, das man «im Normalfall nicht überstrapazieren» will. Sollte die SRG das Signal aber nicht verstehen, müsste der Nationalrat sich mit der kleinen Kammer kurzschliessen. «Ich kann mir nicht vorstellen», so Rösti, «dass der Ständerat die klare Mehrheit im Nationalrat bei seinen Entscheidungen nicht berücksichtigen wird.»
SVP-Präsident Rösti erkennt an der Basis seiner Partei einen starken Wunsch nach einer Stärkung des lokalen und regionalen Angebots der SRG.
Dabei vollzieht der SVP-Präsident in dieser Auseinandersetzung eine klare Rückkehr zum Service public der SRG. Die Zustimmung zur «No Billag»-Initiative war auch eine Protestaktion gegen die Medienpolitik von Bundesrat und Parlament. Aber «bei No Billag hat das Volk entschieden», sagt Rösti, «das akzeptieren wir und auf dieser Grundlage reden wir jetzt mit, und da wird man sicher über den Auftrag und das Tätigkeitsfeld des Service public und über die Finanzierung der Medien insgesamt diskutieren müssen.» Und er erkennt in der Basis der SVP insbesondere einen starken Wunsch nach einer Stärkung des lokalen und regionalen Angebots.
Rytz begrüsst bei allen politischen Unterschieden dieses Bekenntnis der SVP zum Service public: «Das ist doch ein Geschenk für die SRG! Die Parteipräsidien haben in diesem Streit ihre staatspolitische Verantwortung wahrgenommen. Wir sind bereit, mit der SRG einen Ausweg aus ihrer selbstgewählten Sackgasse zu finden. Denn es wäre verheerend, wenn sich nun alle in ihre Schützengräben zurückziehen und den Machtkampf eskalieren lassen. Nun ist Zeit für einen echten Dialog.»
Man müsste wohl Raum schaffen für eine strukturelle und personelle Erneuerung an der Spitze.
Mittlerweile wird der Ruf nach mehr Führung durch die Politik immer lauter, genauer gesagt: der Ruf nach einem Eingreifen von Bundesrätin und Uvek-Vorsteherin Simonetta Sommaruga (so Claudia Blumer in den Tamedia-Zeitungen). Das verlangt Vorsicht und Fingerspitzengefühl, um die Grenze zwischen der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen und dem Eingriff in die Programmfreiheit nicht zu überschreiten. Aber vielleicht wird sich die Intervention der Politik nicht vermeiden lassen. Denn die Wiederholung der immer gleichen Antworten aus Generaldirektion und Verwaltungsrat der SRG macht den Eindruck, dass die Führungsspitze des Service-public-Medienhauses völlig gefangen ist in ihren eigenen Organisationsvorstellungen.
Man müsste wohl Raum schaffen für eine strukturelle und personelle Erneuerung an der Spitze. Und für die Wiederbelebung der Trägerschaft als lebendige, dynamische Verbindung zwischen der Gesellschaft und ihrem Medien-Service. Die Bevölkerung der Schweiz, die den Service public finanziert und nutzt, bietet viele und hoch qualifizierte Ressourcen.
Und man müsste zugleich energisch die Frage anpacken, was denn der Service public der Medien in der digitalisierten Schweiz künftig leisten soll – nach Inhalt und Form, und für all die Gruppen, Generationen und Geschlechter, die der Bundesrat im Auftrag ja schon angesprochen hat. Vielleicht würde die SVP dann triumphierend sagen, dass sie das ja schon seit Jahren verlangt. Sei’s drum. Vielleicht schafft die gemeinsame Initiative von der Rechten über die Mitte bis zu den Grünen bessere Voraussetzungen für eine konstruktive Kontroverse zu diesem Thema als bisher.
Und vielleicht erkennt die Führung der SRG ja noch rechtzeitig die Chance, die in dem Fiasko steckt.
Erich Ed. Müller 23. Juni 2019, 10:42
„SVP-Präsident Rösti erkennt an der Basis seiner Partei einen starken Wunsch nach einer Stärkung des lokalen und regionalen Angebots der SRG.“
Dabei wollte Rösti mit Hilfe der Anti Billag Initiative die SRG abschaffen. Verlogener geht es nicht mehr.
Ueli Custer 25. Juni 2019, 15:05
Ich kann Rainer Stadler nur vollumfänglich recht geben. Die Politik hat sich nicht einzumischen. Die SRG organisiert sich selber. Und wenn ein Teil der Informationsabteilung Radio nach Zürich kommt, ist das noch lange keine Staatsaffäre. Ich finde dieses Theater einfach unerträglich.