von Cordula Nitsch, Dennis Lichtenstein

Satire als «Einstiegsdroge»

Satiresendungen sind längst ein fester Bestandteil der politischen Kommunikation. Aber welche Informations- und Orientierungsleistung bieten sie wirklich? Die Medienforschung zeichnet ein ambivalentes Bild der TV-Satire. Im besten Fall wirkt sie als «Einstiegsdroge», die dazu animiert, weitere Informationen zum Thema zu suchen.

Es bleibt nicht nur bei Unterhaltung und Aufklärung. Satire macht ernst. Ob die Wahl von Martin Sonneborn und Nico Semsrott ins EU-Parlament, die Bewerbung von Jan Böhmermann auf den SPD-Vorsitz oder die gemeinsamen Appelle von Klaas Heufer-Umlauf und Jan Böhmermann zur Unterstützung der Seenotrettung und für einen Mentalitäts- und Politikwechsel in der Eurokrise: Satiriker*innen kommentieren heute nicht mehr bloss das Zeitgeschehen. Sie werden selbst aktiv und mischen in der Politik mit. In Italien gilt der satirische Kommunikationsstil von Beppe Grillo, dem Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung, sogar als ausschlaggebend dafür, dass es die Partei bis in die Regierung geschafft hat.

In Zeiten weltpolitischer Unordnung kann Satire helfen, die Politik zu erklären und moralische Orientierung zu bieten.

Dass Satiriker*innen die Rolle als politische Akteure überhaupt zugetraut wird, liegt an ihrem Auftreten im Fernsehen. Satiresendungen wie die «Heute-Show», «Die Anstalt», das «Neo Magazin Royale» oder das Schweizer Format «Late Update» greifen regelmässig politische Themen auf und beziehen Stellung. Weil dies im Modus der Unterhaltung geschieht, ermöglichen sie ihrem Publikum auf angenehme Weise einen Informations- und Erkenntnisgewinn. In Zeiten neuer weltpolitischer Unordnung um Trump, Brexit, die Klimakontroverse und die Krise liberaler Demokratien angesichts eines wachsenden Rechtspopulismus werden sie als Meinungsführer oder sogar Leuchttürme wahrgenommen, die Politik erklären und moralische Orientierung bieten.

Die Kommunikationswissenschaft versucht zu verstehen, welchen Beitrag Satiresendungen wirklich für die politische Information und Meinungsbildung leisten. Sie fragt dazu nach den Inhalten und Wirkungen der Angebote. Dass sich die Wissenschaft mit den Inhalten von Satiresendungen beschäftigt, zeigt: Die Sendungen sind mehr als reine Unterhaltung. Ihr Informationsgehalt ist (in den USA) sogar mit dem von Nachrichtensendungen vergleichbar. Eine von uns durchgeführte Studie zur Satire in Deutschland untersucht anhand der politischen Kabarettsendung «Die Anstalt», der Nachrichtensatire «Heute Show» und der Late-Night-Show «Neo Magazin Royale», wieviel politische Information und Orientierung in Satireangeboten des deutschen Fernsehens steckt.

Nachrichtensatire bewertet Politiker*innen häufig an politikfernen Merkmalen, etwa an Äusserlichkeiten wie der Kleidung, Körperfülle oder der Frisur.

Insgesamt bewegen sich die Sendungen in einem breiten Spektrum zwischen intensiver und oberflächlicher Politikauseinandersetzung. Während sich die «Heute Show» mit aktuellen Themen der Tagespolitik befasst, widmet sich «Die Anstalt» stärker den langfristig relevanten gesellschaftspolitischen Themen wie Arbeitslosigkeit, Steuern oder Klimawandel. Im Unterschied zu der eher politikarmen Late-Night-Show «Neo Magazin Royale» setzen «Die Anstalt» und die «Heute-Show» politisches Vorwissen bei ihrem Publikum voraus, mischen aber informierend-kontextreiche mit weniger hintergründigen, spottend-überzeichnenden Beiträgen.

Das Spannungsfeld zwischen Information und Unterhaltung zeigt sich auch mit Blick auf Meinungsäusserungen zur Politik. Im Gegensatz zum «Neo Magazin Royale» liefern sowohl «Die Anstalt» als auch die «Heute-Show» häufig inhaltlich begründete Kritik zu politischen Themen und Akteuren. Die Positionen sind dabei durchaus heterogen, so dass sich zu Konfliktthemen wie der Rolle Russlands in der Ukrainekrise sowohl kritisierende als auch verteidigende Meinungen in unterschiedlichen Sendungen finden. Durch inhaltlich begründete Kritik regen die Sendungen zum Nachdenken an.

Satirische Beiträge, die Kritik ohne inhaltliche Begründung vermitteln, lassen sich als pseudo-kritische Satire kategorisieren. Beispielsweise drückt der Witz «Was ist eine Blondine zwischen zwei AfD-lern? Nicht die Dümmste» Kritik an der rechtspopulistischen Partei aus, ohne sie inhaltlich zu untermauern (aus: Neo Magazin Royale, Februar 2016, online nicht mehr verfügbar). Ähnlich zeigt eine weitere Studie zur «Heute-Show», dass in der Nachrichtensatire Bewertungen von Politiker*innen häufig an politikfernen Merkmalen, etwa an Äusserlichkeiten wie der Kleidung, der Körperfülle oder der Frisur festgemacht sind.

Zu der Wirkung von Satire lässt sich sagen: Einen eindeutig manipulativen Effekt durch Satire gibt es ebenso wenig wie die politische Entfremdung durch Satire. Wie Sendungen wirken, hängt von ihrem inhaltlichen Potenzial, dem Publikum selbst – den Eigenschaften, Voreinstellungen und Interpretationen der einzelnen Nutzer*innen – und nicht zuletzt von der individuellen Informationsökologie ab. Das Publikum konsumiert schliesslich nicht Satireangebote allein, sondern diese sind Teil eines mehr oder weniger bewusst abgestimmten Menüs unterschiedlicher Informationsquellen.

Die Verknüpfung von Politik mit Korruption, egoistischem Karrierestreben und politischer Dummheit dürfte beim Publikum Zynismus und Politikverdrossenheit begünstigen.

Trotzdem kann der wiederholte Konsum negativer Politikbilder in der Satire zu unerwünschten Effekten führen. Bezogen auf die Bewertung einzelner Politiker*innen spricht man von einem «Tina-Fey-Effekt», in Anlehnung an eine Parodistin der erzkonservativen US-Politikerin Sara Palin.

Die Überzeugungskraft von Politikerparodien wurde auch schon für die Darstellung des früheren schweizerischen Bundesrats Hans-Rudolf Merz in der Sendung «Giacobbo/Müller» nachgewiesen. Dabei hat die parodistische Zurschaustellung des unterwürfigen Verhaltens von Merz gegenüber dem damaligen libyschen Diktator Gaddafi zumindest bei denjenigen, die den politischen Kontext einordnen konnten (Verhandlungen aufgrund Gaddafis wirtschaftlichen Boykotts gegen die Schweiz), negative Einstellungen gegenüber Merz aktiviert. Man muss aber dazu sagen, dass Politikerparodien zugleich mit einem Bekanntheitsgewinn für die politische Person einhergehen, also durchaus vorteilhaft für den kritisierten Politiker sein können. Für die Bewertung des politischen Systems insgesamt ist die Summe der Negativdarstellungen entscheidend.

Auch wenn es noch nicht systematisch nachgewiesen wurde: Eine kontinuierliche Verknüpfung von Politik mit Korruption, egoistischem Karrierestreben und politischer Dummheit dürfte bei den Zuschauer*innen Zynismus und Politikverdrossenheit begünstigen. Beispielsweise dürfte die Infragestellung von Kompetenz und Integrität des deutschen Verkehrsministers Andreas Scheuer und der Grossen Koalition das Vertrauen der Zuschauer*innen in die Politik im Kontext der Klimakrise insgesamt weiter schwächen.

Daneben haben viele Studien aber auch positive Effekte von Satiresendungen nachgewiesen. Zum Beispiel stellen Young und Hoffman fest: Die humorvolle, oft emotionale und zugespitzte Darstellung komplexer Themen in der Satire erleichtert die Informationsaufnahme und leistet so einen Beitrag zum politischen Wissenserwerb. Auf diese Weise kann Satire zur «Einstiegsdroge» werden und dazu animieren, weiterführende politische Informationen zu suchen. Spass und Unterhaltung, aber auch das durch Satire vermittelte Gefühl eines Kompetenzgewinns, können das Interesse für politische Themen fördern.

Nicht alle Effekte von Satire lassen sich klar als positiv oder negativ einordnen. Es hängt auch davon ab, was genau kommuniziert wird. Wie einige Autor*innen argumentieren, werden politische Botschaften in der Satire aufgrund der unterhaltenden Darstellung von Themen und der Konzentration des Publikums auf den Witz häufig nicht hinterfragt. Auch wenn sich das Publikum an Botschaften, die es nur konsumiert und sich nicht aneignet, nicht lange erinnert, geht von der satirischen Verpackung also für den Moment eine hohe Überzeugungskraft aus.

Auch informations- und meinungsstarke Satiresendungen sind kein Ersatz für eigenes Nachdenken.

Zusammengefasst lässt sich also festhalten, dass Satireangebote zur politischen Information und Meinungsbildung beitragen können. Das Publikum kann dabei zwischen Sendungen wählen, die einen kurzen und unterhaltsamen Überblick über das aktuelle Geschehen geben und solchen, die sich intensiv mit einzelnen politischen und gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen und explizit eine Haltung zu politischen Themen einnehmen. Auch diese informations- und meinungsstarken Sendungen sind aber kein Ersatz für eigenes Nachdenken. Um das Publikum zu aktivieren, liefern sie begründete Meinung – aber nicht zwingend Wahrheit.

Manchmal sind die Leuchttürme eben auch nur Scheinriesen, die aus der Ferne gesehen gross wirken, aber bei näherer Betrachtung nicht über den Dingen stehen. Das gilt auch für die Rolle von Satiriker*innen in der Politik: Politischen Sachverstand und Integrität müssen sie im Parlament (siehe Sonneborn und Semsrott) oder bei der Rettung einer Partei (siehe Böhmermann) erst beweisen. Dass dies nicht einfach so gelingt, zeigt das Beispiel Beppe Grillo und seine in der Politikgestaltung nicht eben erfolgreich agierende Fünf-Sterne-Bewegung in Italien.

Die Kommunikationswissenschaft hat auch einen gesellschaftlichen Auftrag: Den Medienwandel nicht nur zu beobachten, sondern ihre Analysen auch in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Dieser Artikel ist Teil einer Serie zu aktueller kommunikationswissenschaftlicher Forschung.