von Nick Lüthi

SMD-Chef Roberto Nespeca: «Wir wollen mehr Einnahmen generieren für die Verlage»

Seit einem Jahr führt Roberto Nespeca die Schweizer Mediendatenbank SMD. Sein vorrangiges Ziel ist es, den Bestand an verfügbaren Quellen zu vergrössern, denn die SMD weist signifikante Lücken auf: In der Datenbank finden sich kaum Medien aus der Westschweiz und aus dem Tessin. Dafür demnächst Titel aus Österreich und Deutschland. Um den Verlagen mehr Einnahmen zu bescheren, will Nespeca den Medienbeobachtungsdienst Swissdox ausbauen.

MEDIENWOCHE:

Wie oft recherchieren Sie in der SMD?

Roberto Nespeca:

Täglich. Ich habe verschiedene Themen, die mich privat interessieren. Und ich habe natürlich Suchaufträge gespeichert zur SMD selbst und ein paar Test-Sachen, die ich regelmässig anschaue. Natürlich interessiert mich auch das Tagesgeschehen. Da suche ich querbeet.

MEDIENWOCHE:

In dem Fall brauchen Sie wohl keine Zeitungen mehr zu abonnieren, wenn Sie direkt an der Quelle sind?

Roberto Nespeca:

Im Gegenteil. Ich habe gerne eine Zeitung in der Hand. Privat habe ich ein paar Fachzeitschriften, Tageszeitungen und eine Wochenzeitung abonniert.

MEDIENWOCHE:

Für die Medienschaffenden in der Schweiz ist die SMD ein wichtiges Arbeitsinstrument. Sehen Sie, wonach Journalistinnen und Journalisten gerade suchen?

Roberto Nespeca:

Was Sie genau suchen, werten wir nicht aus. Rein technisch wäre das möglich, aber wir machen es nicht. Wir führen nur eine quantitative Statistik. Seit dem Relaunch 2015 zählen wir im Schnitt 2,5 Millionen Aktivitäten pro Jahr auf der SMD-Plattform. Das ergibt alle 13 Sekunden ein Suchvorgang, ein Artikelversand oder eine andere Aktion.

MEDIENWOCHE:

Gibt es Funktionen, die wenig genutzt werden?

Roberto Nespeca:

Interessanterweise wird die Ticker-Funktion kaum genutzt. Seit wir vermehrt Online-Medien in die SMD aufnehmen, präsentieren wir die aktuellen Artikel in chronologischer Reihenfolge als Ticker. Wir hatten das Gefühl, dass das ein Bedürfnis sein könnte. In den letzten vier Jahren wurde das Angebot aber nur gerade 19’000 Mal aufgerufen. Er wird also sozusagen nicht genutzt.

MEDIENWOCHE:

Die SMD nimmt laufend neue Medien in ihren Bestand auf. Gehen Sie auf die Verlage zu und fragen, ob sie ihre Artikel in der SMD bereitstellen wollen oder kommt man auf Sie zu?

Roberto Nespeca:

Es gibt schon Anfragen, aber meistens sind wir es, die auf die Verlage zugehen. Wir reagieren damit auch auf Anregungen unserer Nutzer, die eine Quelle vermissen bei der Recherche.

MEDIENWOCHE:

Haben Sie inhaltliche Kriterien für die Aufnahme von Medien in den SMD-Bestand? Es gibt ja immer mehr Unternehmenspublikationen, die journalistisch daherkommen. Nehmt ihr die auch auf?

Roberto Nespeca:

Es ist nicht so, dass wir das Angebot im Bereich Corporate Publishing gross ausbauen möchten. Grundsätzlich ist aber alles, was zur Meinungsbildung beiträgt, interessant für uns. Wir haben ja schon lange die Gewerbezeitung im Angebot oder das Migros-Magazin. Ist das nun Corporate Publishing? Die Grenzen sind fliessend. Aber Publikationen, die irgendwelche Produkte ins Rampenlicht stellen, würden wir sicher nicht aufnehmen.

MEDIENWOCHE:

Wo sehen Sie die grössten Lücken im Bestand?

Roberto Nespeca:

Wir möchten mehr Titel aus den Regionen. Aber das Interesse ist nicht sehr gross. Die Regionalzeitungen haben anderes zu tun, als mit der SMD zu reden. Hat eine Zusammenarbeit für den Verlag keine Priorität, können wir nichts machen.

MEDIENWOCHE:

Was können Sie den Verlagen anbieten?

Roberto Nespeca:

Die Redaktion erhält den Zugriff auf 900 Medienquellen. Und wenn ihre Inhalte von anderen Redaktionen abgerufen werden, entlastet das ihre Kosten. Zudem bieten wir die Möglichkeit, dass sie ihre Inhalte auch über die Plattform Swissdox einem Publikum verkaufen können ausserhalb des Medienbereichs. Einnahmen können wir aber keine garantieren. Wenn sich niemand für die Inhalte interessiert, dann kommt auch kein Geld. In der Westschweiz habe ich einige Kontakte geknüpft, weil ich finde, wir haben noch zu wenig französischsprachige Publikationen. Auch aus dem Tessin haben wir zu wenig, praktisch nichts.

MEDIENWOCHE:

Woran liegt das?

Roberto Nespeca:

Es hat niemand auf die SMD gewartet. Ich führe regelmässig Gespräche mit Verlagen, aber da geht es dann schnell einmal um die Kosten. Da hilft es auch nicht, wenn ich die Vorzüge anpreise, die sie haben, wenn ihre Medien in der SMD auffindbar sind und von bis zu 7000 Journalisten gefunden werden können. Dann heisst es oft: Was bringt mir das? Der Kostendruck ist enorm. Und gratis ist auch die SMD nicht. Sogar bei grösseren Verlagen heisst es heute: Unser Budget ist so und so gross und mehr können wir nicht ausgeben. Man fragt uns dann: Was können wir einsparen, wenn wir die SMD nutzen? Einsparen kann man eigentlich nichts oder nur wenig. Dafür haben die Journalisten ein wichtiges Arbeitsinstrument, mit dem sie Fakten prüfen können in kurzer Zeit. Das bietet einen publizistischen Mehrwert, der sich nicht unmittelbar monetarisieren lässt. Dafür gibt es wenig Verständnis bei manchen Medienunternehmen.

MEDIENWOCHE:

Sie haben auf der Website angekündigt, dass ab dem vierten Quartal 2019, also jetzt, auch ausländische Quellen in der SMD verfügbar sein sollen. Welche sind das?

Roberto Nespeca:

Wir werden rund ein Dutzend Titel, die meisten davon Tageszeitungen, aus Österreich reinnehmen können. Den Vertrag dazu haben wir mit der Nachrichtenagentur APA abgeschlossen und unterzeichnet. Jetzt ist es noch eine Frage der technischen Abstimmung, bis die Artikel über die SMD-Suche verfügbar sein werden. Wir können ihre Artikel zudem über Swissdox vermarkten und sie können im Gegenzug unsere Inhalte in Österreich vermarkten.

MEDIENWOCHE:

Kommen noch andere ausländische Quellen in die SMD?

Roberto Nespeca:

Mit dem Verlag der «Süddeutschen Zeitung» werden wir einen Test durchführen und dessen Inhalte drei Monate lang aufschalten. Neben der «Süddeutschen Zeitung» sind da auch noch ein paar Regionalzeitungen dabei. Ob das zum Laufen kommt, hängt davon ab, ob die Übernahme technisch funktioniert. Wir sind zudem mit der «Frankfurter Allgemeinen» im Gespräch. Weiter schauen wir uns in Grossbritannien um nach möglichen Titeln, die wir reinnehmen könnten.

MEDIENWOCHE:

Welche strategischen und finanziellen Überlegungen stecken hinter dieser geografischen Ausweitung des Geschäftsfeldes?

Roberto Nespeca:

Es geht zuerst einmal um ein besseres Angebot für unsere Nutzer. Für die Verlage ist es finanziell interessant, weil sie nicht mehr zusätzlich zahlen müssen, wenn ihre Journalisten in kostenpflichtigen Datenbanken recherchieren müssen. Ausserdem können wir die Artikel der ausländischen Medien via Swissdox in der Schweiz vermarkten. Das generiert im besten Fall für beide Seiten neue Einnahmen.

MEDIENWOCHE:

Die SMD wird zu je einem Drittel von der SRG, Tamedia und Ringier getragen. Warum nur die drei und nicht noch weitere Verlage?

Roberto Nespeca:

Das Aktionariat besteht so seit der Gründung der SMD 1996. Es ist ein eingespieltes Trio. In der Vergangenheit gab es Gespräche mit weiteren potenziellen Aktionären aus dem Verlagsbereich. Die sind aber an der Bewertung des Unternehmens gescheitert. Im Moment ist die Situation mit den drei Aktionären stabil.

MEDIENWOCHE:

Die Aktionäre der SMD sind gleichzeitig auch ihre grössten Kunden. Eine solche Struktur kann zu Problemen führen, wie das Beispiel Keystone-SDA zeigt, wo die Eigentümer, wenn sie als Kunden auftreten, die Preise drücken. Kommt das auch bei der SMD vor?

Roberto Nespeca:

Auch bei uns gibt es Diskussionen über die Preisgestaltung. Aber grundsätzlich ist das Verständnis des Aktionariats vorhanden. Sie können unsere Preisstruktur realistisch einschätzen. Der Vergleich mit der SDA hinkt insofern, als dass wir ein sehr kleiner Betrieb sind mit weniger als zehn Vollzeitstellen. Und auch die Kosten für unsere Dienstleistungen lassen sich nicht mit jenen für ein SDA-Abonnement vergleichen.

MEDIENWOCHE:

Was erwarten die Aktionäre von Ihnen?

Roberto Nespeca:

Mein Vorgänger Jürg Mumprecht hat ein Unternehmen aufgebaut, das sehr stabil funktioniert. Die Strategie war es, mit der SMD einen Nutzen für die Journalisten zu schaffen und mit Swissdox einen Deckungsbeitrag zu erwirtschaften. Grundsätzlich müssen beide Unternehmen selbsttragend sein. Wir müssen uns aus dem operativen Geschäft finanzieren. Aus Swissdox wollen wir aber mehr machen. Das ist ein strategischer Entscheid von mir als Geschäftsführer und keine direkte Forderung des Aktionariats. Wir müssen offensiver am Markt auftreten. Ich sehe ein Potenzial, das brachliegt. Für die Verlage soll es sich lohnen, bei der SMD mitzumachen. Im Kern geht es darum, dass wir unseren Partnern ein attraktiveres Angebot für die Kommerzialisierung ihrer Bestände machen können. Wir wollen mehr Einnahmen generieren für die Verlage.

MEDIENWOCHE:

Wie soll das gehen?

Roberto Nespeca:

Wir haben zum Beispiel ein neues Angebot für Schulen und Bibliotheken. Sie können ihren Nutzern Zugriff auf die Swissdox-Bestände bieten. Das läuft ohne Nutzerkonten. Der Zugriff ist innerhalb des WLAN-Bereichs einer Schule möglich. So kann auch mit mehreren Geräten gleichzeitig auf die Daten zugegriffen werden – nicht wie früher, wo die Abfrage nur an einer Workstation möglich war. Das Ganze kostet 1.20 Franken pro Schüler und Jahr. Das Ziel ist es, Reichweite für unsere Partner zu generieren in einem Bereich, wo wir sie nicht konkurrenzieren. Wir bieten ihnen die Möglichkeit, dass die nachwachsende Generation einen Bezug erhält zu den bekannten Medienmarken.

MEDIENWOCHE:

Das allein wird aber kaum gross einschenken.

Roberto Nespeca:

Wir werden auch das bisherige Angebot von Swissdox neu auflegen. Wie bisher richtet es sich an Unternehmen, die ihre Medienbeobachtung selbst managen wollen. Das ist ein grosser Unterschied zu anderen Anbietern, die ein Push-Prinzip verfolgen. Der Kunde kommt bei ihnen vorbei und sagt, mach mir einen Medienspiegel. Das ist aber nicht unser Geschäft. Wir könnten das auch gar nicht stemmen mit unserem Personalbestand. Was wir anbieten, ist ein Pull-Prinzip. Wenn der Kunde ein Swissdox-Produkt kauft, ist er bereit, selber Zeit zu investieren in die Medienbeobachtung. Wir liefern das Instrument dazu und beraten den Kunden am Anfang. Danach ist er selbständig unterwegs.

MEDIENWOCHE:

Für die Medienbeobachtung via Swissdox, aber auch für die Recherche in der SMD, könnte es von Nutzen sein, auch nach Primärquellen suchen zu können, etwa nach Medienmitteilungen. Geht die Entwicklung in Richtung 360-Grad-Suche?

Roberto Nespeca:

Der Bedarf aus Sicht der Journalisten und der Geschäftskunden ist unbestritten. Für unser Angebot wäre es aber höchstens eine Ergänzung. Wir wollen – und können – sicher nicht das Rad neu erfinden. Wenn es schon etwas in diese Richtung gibt und es sich bei uns sinnvoll integrieren lässt, dann würden wir uns das sicher genauer anschauen.

MEDIENWOCHE:

Apropos Ausweitung des Angebots. Seit einer Weile kann man bei der SMD auch in den Videobeständen von SRF und RTS suchen. Wird die SMD multimedial?

Roberto Nespeca:

Nicht in dem Sinn, dass wir nun auch Videos auf unseren Servern speichern würden. Die Suche in den Beiträgen von SRF und RTS erfolgt über das Transkript oder die Untertitel der Fernsehbeiträge und ist daher textbasiert. Für eine Automatisierung direkt ab Audio oder Video ohne Transkripte gibt es eine grosse Hürde. So fehlt bisher noch eine Lösung, die Schweizerdeutsch zuverlässig automatisch in Hochsprache übersetzt und verschriftlicht. Es laufen aber verschiedene Forschungsprojekte, an denen wir uns beteiligen.

MEDIENWOCHE:

Die SMD stand letzten April in den Schlagzeilen, weil Ringier 200 Artikel zum Fall Spiess-Hegglin löschen liess. Der Presserat warf Ihnen daraufhin vor, dass Sie ihre Verpflichtung als Archiv nicht wahrnehmen. Ist die SMD ein Archiv?

Roberto Nespeca:

Wir sind eine privatrechtlich organisierte Online-Mediendatenbank und haben keinen Sammelauftrag, im Gegensatz zu Archiven, wo das gesetzlich geregelt ist. Soweit es in unserer Verantwortung liegt, halten wir es so, dass sich die Bestände nicht verändern sollten. In Ausnahmesituationen können aber einzelne Teile des Bestands unzugänglich gemacht werden. Grundsätzlich entscheidet der Rechteinhaber, wie mit seinen Inhalten verfahren wird. Wir erhalten die entsprechenden Anweisungen der Verlage und müssen die dann umsetzen. Die Artikel löschen wir zeitnah aus dem Index.

MEDIENWOCHE:

Aber der Nutzer sieht nicht, wenn Artikel aus dem Index entfernt wurden?

Roberto Nespeca:

Nein, wir liefern keine Information, wenn der Zugang gesperrt wurde. Es gibt aber auch andere Fälle, wo der Eingriff sichtbar ist. Etwa dann, wenn eine Gegendarstellung veröffentlicht wurde, dann verlinken wir diese mit dem betroffenen Artikel.

MEDIENWOCHE:

Sie waren vor Ihrer Tätigkeit bei der SMD in der Finanzbranche tätig und haben für eine Banken-Software-Firma gearbeitet. Wer ist besser für die Zukunft gerüstet, die Banken oder die Medien?

Roberto Nespeca:

(denkt lange nach) In der Medienbranche hat man viel früher einen zentralen Umbruch im eigenen Kerngeschäft erfahren. Man hat das Alleinstellungsmerkmal, die Gatekeeper-Rolle, verloren. Mit dem Technologiebruch folgte auch ein fundamentaler Wandel im Nutzungsverhalten, insbesondere der jüngeren Generation. Der Bankenwelt steht diese Disruption noch bevor.