von Sarah Kohler

Die Grenzen der freien Wissenschaftspublizistik

Klingt eigentlich logisch: Die Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung sollen öffentlich zugänglich sein. Bis heute verschwinden sie aber grösstenteils hinter Paywalls. Als Alternative bietet sich Open Access an. Doch der freie Zugang zu wissenschaftlicher Publizistik stösst auf Kritik. Vom neuen Modell könnten ausgerechnet jene Verlage profitieren, die schon heute das grosse Geld machen.

Open Access und Open Science – diese Begriffe stehen für eine öffentlich zugängliche Wissenschaft, für Transparenz und Austausch. Open Access bedeutet, dass wissenschaftlicher Output ohne Kosten, Barrieren oder Einschränkungen für alle digital zur Verfügung gestellt wird. Open Science ist ein Oberbegriff, unter dem Open Access, aber auch Open Data, als freier Zugang zu erhobenen Daten, zusammengefasst wird.

Obwohl dies für Wissenschaft und Gesellschaft nur Vorteile zu bringen scheint, wird Open Science kontrovers diskutiert. Anlass dazu gibt aktuell der sogenannte Plan S. Ab 2021 sollen die Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung zwingend als Open Access veröffentlicht werden, also frei zugänglich für alle. Die Europäische Kommission, der Europäische Forschungsrat und 18 nationale und internationale Förderorganisationen haben die entsprechende Strategie entwickelt und sich verpflichtet, nur Open Access-Publikationen zu fördern. Sprechen diese Institutionen Fördergelder zu, dann müssen die wissenschaftlichen Ergebnisse zwingend als Open Access veröffentlicht werden.

Viele wissenschaftliche Artikel befinden sich hinter Bezahlschranken oder sind nur zugänglich, wenn Bibliotheken hohe Subskriptionsgebühren zahlen.

Prinzipiell ist die Förderung von Open Access der richtige Ansatz. Um wissenschaftlich gut und fundiert arbeiten zu können, ist der Rückbezug auf bereits bestehende Studien wesentlich. Erst durch andere Theorien und frühere Ergebnisse entwickelt sich Forschung weiter. Der Wissenschaftstheoretiker und Soziologe Niklas Luhmann bezeichnete Wissenschaft als «das Resultat ihrer eigenen Operationen». Als solches benötigt sie den «Anschluss an eine gesellschaftliche Funktion, die ein wichtiges Problem ungelöst liesse, wenn die Kommunikation aufhören würde». Würde sich Wissenschaft nicht mehr austauschen und Forschende miteinander kommunizieren, blieben offene Fragen in Bezug auf viele Teilbereiche der Gesellschaft ungeklärt.

Deswegen ist für Wissenschaftler*innen der Zugang zu Publikationen von Büchern oder Artikeln in wissenschaftlichen Fachzeitschriften fundamental, denn Publikationen sind eine Form von Kommunikation. Der freie Zugang ist jedoch oft nicht gewährleistet. Viele wissenschaftliche Artikel befinden sich hinter Bezahlschranken oder können nur dann zugänglich gemacht werden, wenn Bibliotheken hohe Subskriptionsgebühren an die Verlage zahlen («Closed Access»). Für Wissenschaftler*innen schränkt das die Recherche, die eigenen Forschungsmöglichkeiten und auch die Kommunikation ein.

Die Hürden beim Zugang zu wissenschaftlicher Forschung zählen zu den Gründen, warum Open-Access-Journals in den vergangenen Jahren populär wurden.

Vor diesem Hintergrund sind Initiativen, wie der Plan S, zunächst einmal zu begrüssen. Dennoch regt sich unter den Wissenschaftler*innen Widerstand. Ein zentraler Kritikpunkt betrifft die Finanzierung von Open Access. Beim heute üblichen System des «Closed Access» spielen die Verlage die Kosten für regulär veröffentlichte Artikel und Publikationen durch Abonnements und Lizenzierungen ein und erwirtschaften damit grosse Gewinne. Die zum Teil sehr hohen Subskriptionsgebühren tragen Bibliotheken und Förderinstitute, also die öffentliche Hand. Die hohen Summen und die Hürden beim Zugang zu wissenschaftlicher Forschung zählen zu den Gründen, warum Open Access-Journals in den vergangenen Jahren populär wurden.

Wenn die Subskriptionsgebühren wegfallen, muss die Finanzierung jedoch anderweitig erfolgen. Bei dem so genannten Gold Open Access, auch «Goldener Weg» genannt, muss für die Einreichung eines Artikel gezahlt werden. Gold Access bedeutet, dass Artikel unmittelbar als Open Access veröffentlicht werden. Die Verlage verlangen hierfür zumeist erhebliche Publikationsgebühren, sogenannte Article Processing Charges APC, die bis in den vierstelligen Bereich gehen können pro Artikel: Beispielsweise verlangt die renommierte Fachzeitschrift «Nature Communications» als APC 4380 Euro für einen einzelnen Artikel.

Das Problem mit Plan S: Die Förderinstitutionen tragen die Kosten nur dann, wenn Gold-Open-Access-vorliegt. Wird ein Artikel in einer Fachzeitschrift mit Subskriptionsgebühr und somit «Closed» veröffentlicht, gilt dies nicht als Open Access. Kombinationen, zum Beispiel die Veröffentlichung durch den Verlag Closed und Open (Hybrider Weg) oder Closed vom Verlag und Open durch den/die Autor*in (Grüner Weg) werden ebenfalls nicht unterstützt. Somit sind Wissenschaftler*innen auf die Fachzeitschriften angewiesen, die entweder Gold Open Access anbieten, oder sich anderweitig finanzieren und Platin Open Access implementiert haben. Bei der Platin-Strategie entstehen weder für Leser*innen noch für die Autor*innen Kosten.

Das zweite Problem: Die Förderinstitutionen, welche die Publikationsgebühren übernehmen, können Obergrenzen festlegen – unabhängig vom Renommee der Zeitschrift und unabhängig von der Situation der Wissenschaftler*innen aus finanziell schwächer aufgestellten Ländern. Die Mehrkosten müssen dann die Autor*innen selbst übernehmen. Statt Förderung also strukturelle Benachteiligung?

Sollte Plan S und Open Access eigentlich ein Weg sein, die Transparenz in der Wissenschaft zu fördern, entpuppt er sich als sein Gegenteil.

Kritiker bemängeln zudem, dass der Plan S (zu) stark von einer europäischen Sichtweise geleitet ist. Viele nichteuropäische wissenschaftliche Zeitschriften kämen für eine Veröffentlichung nicht mehr in Frage. Haben die Fachzeitschriften kein Publikationsmodell nach dem Standard Gold-Open-Access, dann fallen auch diese heraus. Eine Analyse der Vereinigung britischer Universitäten, Universities UK, im Dezember 2017 zeigte, dass nur etwa 15 Prozent aller Journals überhaupt solche Publikationsmodelle anbieten. Somit können viele, zum Teil international renommierte Fachzeitschriften wie zum Beispiel «Science», nicht genutzt werden, um wissenschaftliche Resultate dort zu publizieren.

Sollte Plan S und Open Access eigentlich ein Weg sein, die Transparenz in der Wissenschaft zu fördern, entpuppt er sich als sein Gegenteil: Er droht die wissenschaftliche Freiheit einzuschränken. Da hybride Publikationsmodelle nicht gefördert werden sollen, wären Wissenschaftler*innen in der Entscheidung limitiert, in welcher Weise und in welcher Fachzeitschrift sie publizieren möchten.

Die grossen Wissenschaftsverlage könnten ausgerechnet dank Open Access langfristig ihre Einkünfte und somit ihre Oligopol-artige Vormachtstellung absichern.

Die wahren Gewinner von Plan S wären dann vermutlich wieder auf dem Markt etablierte Grossverlage, wie zum Beispiel Reed-Elsevier, Taylor & Francis, Wiley-Blackwell, Springer und SAGE. Denn auch sie bieten Open-Access-Publikationen an. So könnten sie sowohl weiterhin mit dem traditionellen Geschäftsmodell der Journals kassieren, als auch mit den frei zugänglichen Publikationen. Durch ein solches «double-dipping» würden sie langfristig ihre Einkünfte und somit ihre oligopol-artige Vormachtstellung absichern.

Für Wissenschaftler*innen stellt sich daher die Frage, wie sie mit Plan S umgehen sollen. Der offensichtlichste Weg besteht darin, bei den an Plan S beteiligten Förderern keine Drittmittel einzuwerben, da Plan S nur für diese gelten wird – zunächst. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass bei Inkrafttreten andere Förderinstitutionen in Europa auf lange Sicht mitziehen werden, zumal die Europäische Kommission und der Europäische Forschungsrat beteiligt sind.

«Open Acess» hat das Aufkommen sogenannter «Predatory Journals» begünstigt, die alle Artikel akzeptieren, Publikationskosten kassieren aber die Qualität nicht kontrollieren.

Ein anderer Weg ist, neue Strukturen für Open Science zu schaffen. Klaus Tochtermann, Leiter des Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft in Kiel, bemängelt: «Es fehlt derzeit noch an Umsetzungsinstrumenten, um Open Science wirklich in den Forschungsalltag hineinzubringen.» Dabei wirkt sich die Nutzung von Open Science positiv auf die Karriere von Wissenschaftlern aus. Eine Begründung, warum dennoch nur wenige Wissenschaftler*innen in Open-Access-Journals einreichen, könnte zudem sein, dass durch Gold-Open-Access eine Vielzahl so genannter «Predatory Journals» aufgekommen ist, die eingereichte Artikel immer akzeptieren, Publikationskosten erhalten, aber keine Qualitätskontrolle leisten.

Die Tragweite der fehlenden Kontrolle konnte der Biologe John Bohannon demonstrieren. Als er am 4. Juli 2013 die Nachricht bekam, dass sein wissenschaftlicher Artikel für eine Fachzeitschrift angenommen wurde, hat er sich – nach eigenen Aussagen – nicht gefreut, denn es war ein sogenanntes «Spoof Paper» mit völlig unsinnigen Annahmen und Ergebnissen. Bohannon wollte überprüfen, ob der Artikel trotz der offensichtlichen Fehler und Widersprüche angenommen wird. Der Artikel wurde von ihm in 304 Open-Access-Journals eingereicht, unterlief in 255 Zeitschriften ein angebliches «Qualitätsverfahren» und wurde von 157 Journals letztendlich akzeptiert. Ob wirklich die Qualität durch andere Wissenschaftler*innen geprüft wurde, erscheint hier fraglich. Viel wahrscheinlicher ist, dass die «Predatory Journals» alles akzeptieren, damit sie die Publikationsgebühren kassieren können. Führt Open Access also zu einer Abwertung der akademischen Publikationsqualität? Erste Studien konnten zeigen, dass vor allem die Unkenntnis von Seiten der Wissenschaftler*innen, ob eine Fachzeitschrift zu den «Predatory Journals» gehört oder nicht, dazu führt, dass sie dort einreichen. Hier ist noch viel Aufklärung erforderlich, vor allem unter Wissenschaftler*innen selbst, die ihre Erfahrungen mit Fachzeitschriften transparent machen.

Open Science ist ein Weg, um Kommunikation und Austausch unter Wissenschaftler*innen zu gewährleisten und damit Forschung voranzutreiben. Allerdings liegt die Verantwortung für diese Prozesse nicht nur bei den Verlagen oder Förderern, sondern auch bei den Wissenschaftler*innen selbst: Indem sie zum Beispiel den Aufruf zur Wissenschaftstransparenz und Open Science «Commitment to Research Transparency and Open Science» unterzeichnen oder Daten zur Verfügung stellen und Forschungsprozesse und Erfahrungen offenlegen, wie der «Rainbow of Open Science Practices» vorschlägt. Erst wenn sich Open Science als ein regulärer Bestandteil des wissenschaftlichen Alltags etabliert hat, werden langfristig neue Modelle und Open-Access-Strategien bei Verlagen und Förderern entwickelt, die eine Benachteiligung der Wissenschaftler*innen verhindert.

Die Kommunikationswissenschaft hat auch einen gesellschaftlichen Auftrag: Den Medienwandel nicht nur zu beobachten, sondern ihre Analysen auch in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Dieser Artikel ist Teil einer Serie zu aktueller kommunikationswissenschaftlicher Forschung.

Update 12.12.2019: Der Artikel wurde aufgrund dieser Kritik an der entsprechenden Stelle verbessert.

Leserbeiträge

Thomas Läubli 05. Dezember 2019, 22:05

Open Access ist eigentlich nichts anderes als eine Form der Enteignung. Mit dem schlechten Argument, dass Arbeiter, die von Steuergeldern profitieren, ihre Ware gratis feilbieten sollen, hat man das geistige Eigentum geritzt. Wie der Artikel zeigt, werden dadurch die Verlage als Vertrauensträger der Wissenschaftler geschwächt, und der Wildwuchs profitiert davon.