Das Schweizer Medienjahr 2020
Die Zeitungsverlage rufen nach dem staatlichen Rettungsring. Ob die ersehnten Subventionen fliessen, kann in diesem Jahr das Parlament entscheiden. Überhaupt wird 2020 ein intensives Medienjahr. Neben der Politik sind vor allem die Unternehmen gefordert. Audio und Video für die mobile Nutzung sind die Trends, denen sich stellen muss, wer eine Zukunft haben will. Ein Ausblick auf Brennpunkte des Medienjahrs 2020.
Damit werden sich 2020 Radio, TV, Verlage und die Medienpolitik beschäftigen
Das Audio-Jahr 2019 stand ganz im Zeichen der Podcasts und der Trend wird auch 2020 anhalten. 15 Jahre nach seiner Erfindung ist das Audio-Format im Mainstream angekommen. Untrügliches Zeichen dafür sind die regen Aktivitäten der Zeitungsverlage, die nach Text und Bild jetzt auch Ton anbieten. Fast alle grösseren Redaktionen produzieren einen oder mehrere Podcasts.
Branchenführer in der Schweiz bleibt das öffentliche Radio. Aus den SRF-Studios erscheinen nahezu im Wochentakt neue Podcasts, zuletzt ein Wissenschaftspodcast und eine Archiv-Serie, vorgebracht als «einzigartiger Talk-Podcast». Bei der Nutzung haben indes die grossen internationalen Plattformen die Nase vor, allen voran Spotify. Seit 2019 versteht sich das Unternehmen nicht mehr nur als Musik-Streamingdienst, sondern als Audio-Plattform mit einem breiten Podcast-Angebot. Damit entwickelt sich das schwedische Unternehmen zum One-stop-shop für Audio im Web – mit allen Vor- und Nachteilen, wie sie die Medien schon vom Umgang mit Facebook und Google her kennen. Auch die Schweizer Produktionen finden zu einem guten Teil hier ihr Publikum. Zwar versucht SRF mit einer eigenen Audio-Plattform die Hörerinnen bei sich zu behalten. Neben der übermächtigen Konkurrenz von Spotify dürfte das aber ein schwieriges Unterfangen werden.
Für die Verbreitung von Radioprogrammen soll hingegen auch in Zukunft eine Sendeinfrastruktur sorgen, die sich in den Händen der heimischen Branche befindet. Digitalradio DAB+ soll 2024 definitiv UKW ablösen, möglicherweise schon früher, wenn die Radiounternehmen das so wollen. Mit DAB+ sind die Verbreitungs- und Empfangsmöglichkeiten für die Sender gewachsen. Und damit hat die Radiolandschaft in den letzten Jahren ihr Gesicht stark verändert. Anders als nur mit UKW strahlt ein Lokalradio sein Programm heute in der ganzen Deutschschweiz aus. Gemäss Zahlen vom letzten Juni kommt der Umstieg auf DAB+ gut voran. Viereinhalb Millionen Digitalradio-Empfänger befinden sich im Umlauf. Die exklusive UKW-Nutzung liegt nur noch bei 17 Prozent aller Radiohörenden; eine Entwicklung, die sich im laufenden Jahr fortsetzen dürfte. Schon in ein paar Jahren wird sich zeigen, ob DAB+ eine Chance hat gegen Web-Audio über das Mobilfunknetz, das sich für den mobilen Empfang etabliert hat.
Trotz all der Veränderungen befindet sich die regulatorische Grundlage auf dem Stand von 2006. Wie sich der Service public in der lokalen und regionalen Radiolandschaft weiterentwickeln soll, darüber gibt es keine breitere Diskussion. Im laufenden Jahr könnte es Anlass dazu geben. So erarbeitet der Verband Schweizer Privatradios VSP derzeit ein Positionspapier, das er im Frühjahr vorlegen will. Darin dürfte auch das Verhältnis zur SRG ein Thema sein. Gehören etwa die Regionaljournale ins Angebot von Radio SRF oder ist die Berichterstattung aus den Regionen nicht die Aufgabe der konzessionierten Privatsender, die einen regionalen Service public leisten sollen? Bei allen Ungewissheiten und Unklarheiten wird sich aber 2020 auch eines nicht ändern: Radio bleibt das Lieblingsmedium der Menschen in der Schweiz.
Verkehrte Welt? Zumindest umgekehrte Vorzeichen. Während das Fernsehen der SRG auf Unterhaltung mit TV-Serien setzt, investieren die Privaten in News und Nonstop-Nachrichten. Mit «Blick TV» und der Maxime «Video first» bei «20 Minuten» wollen Ringier und Tamedia in diesem Jahr neue Akzente setzen im Videobereich. Ringier rührt dazu mit der grossen Kelle an.
Unter der Leitung von Ex-SRF-Mann Jonas Projer werden ab Februar rund 50 Personen viertelstündige News-Sendungen produzieren, die von sechs Uhr morgens bis elf Uhr abends auf allen möglichen Plattformen ausgestrahlt werden. Ebenfalls im Februar will «20 Minuten» loslegen und unter der Losung «Video first» vermehrt – und vor allem in Breaking-News-Situationen – mit Mikrofon und Kamera berichten. Die Bewegtbild-Offensive der zwei Zürcher Medienhäuser erfolgt nicht zufällig in diesem Jahr. Zum einen ist es höchste Zeit, aktiver im Videogeschäft mitzumischen, wenn man das Publikum nicht ganz an die Angebote internationaler Mitbewerber verlieren will. Zum anderen liegt im heimischen Markt dieses Segment noch brach.
Bis jetzt hat man sich gescheut, weil sich eine solche Ausrichtung finanziell nicht rechnet. Nun werden sich Ringier und Tamedia um die Vormachtstellung streiten. Erfolg haben können sie beide: Sie starten als etablierte Marken, die im Publikums- und Werbemarkt bereits stabil verankert sind.
Beim Schweizer Fernsehen fliessen derweil trotz allgemeinem Sparkurs Millionen in die Produktion von TV-Serien. 2020 sollen gleich deren sieben Premiere feiern, darunter die zweiten Staffeln von «Wilder» und «Quartier des Banques». Im gleichen Takt soll es in den kommenden Jahren weitergehen. Bei SRF sieht man die Investition strategisch: Mit «Geschichten aus unserem Land» wolle man das Publikum «noch häufiger und besser erreichen», so der Filmchef von SRF. Damit hofft SRF, eine Alternative zum internationalen Angebot von Netflix & Co. zu bieten. Bei der Distribution setzt die SRG auf eine eigene Infrastruktur. Ab kommendem Herbst soll eine Video-Plattform bereitstehen für Filme und Serien in allen vier Landesprachen, sämtliche mit Untertitel in den drei anderen Sprachen. Dass das Angebot werbefrei sein wird, ist gegenüber dem ebenfalls werbefreien Netflix kein Vorteil, aber für das Publikum trotzdem angenehm.
Überhaupt neigt sich die Ära das Werbefernsehens für die SRG dem Ende zu. Diese Entwicklung wird auch 2020 anhalten. Andere hingegen hoffen, weiterhin gutes Geld mit bewegten Bildern machen zu können. Etwa der Aargauer Medienunternehmer Peter Wanner. Mit dem Kauf der 3+-Sendergruppe von Dominik Kaiser setzte Wanner ein Ausrufezeichen unter seine schon länger verfolgte Expansionsstrategie im TV-Geschäft. In einem rückläufigen Werbemarkt ist das ein riskantes Unterfangen. Immerhin 14 Millionen Franken pro Jahr muss Wanner nicht selbst erwirtschaften. So viel Geld kriegen vier der fünf Wanner-Regionalsender aus der Medienabgabe.
Aufs neue Jahr hin hat der Bundesrat die Ausschüttung an das konzessionierte Regionalfernsehen substanziell erhöht. Eine medienpolitische Perspektive für die dreizehn subventionierten «Privatsender» gibt es aber keine. Der Bundesrat will an den Rahmenbedingungen bewusst nichts ändern; das sorge für Stabilität. 2020 wird für das bewegte Bild in der Schweiz kein Schicksalsjahr mit einschneidenden Entwicklungen sein. Vielmehr ist das angebrochene Jahr eines des Aufbruchs für die neuen Projekte der grossen Medienunternehmen.Die Zeitungshäuser meinen es ernst. Noch in diesem Jahr soll es keine freien Nachrichten mehr geben auf ihren Websites. Wer News will, muss sich einloggen – oder noch besser: ein Abo kaufen und zahlen. Ab Herbst 2020 gilt bei sämtlichen Online-Medien von Tamedia, Ringier, CH Media und NZZ eine Login-Pflicht. Es ist ein Rennen gegen die Zeit: Schaffen es die Verlage, den Rückgang aus Zeitungsabos und Werbeeinnahmen mit neu gewonnenen Digitalabos aufzufangen?
Aus eigener Kraft meinen es die Verlage nicht mehr schaffen zu können und rufen deshalb laut nach dem Staat. Die Post soll Subventionen erhalten und damit den Vertrieb der gedruckten Zeitungsexemplare vergünstigen. So wollen die Verlage die steigenden Vertriebskosten pro Exemplar bei erodierendem Abobestand auffangen. Der Verlegerverband fährt schon länger ein offensives Lobbying für den Ausbau der Presseförderung und droht mit einem «Kahlschlag in der Zeitungslandschaft», sollte der staatliche Zustupf ausbleiben.
Der Hilferuf wurde bereits weitherum gehört. Entgegen seiner langjährigen Haltung, wonach die indirekte Presseförderung zu wenig zielführend und darum abzuschaffen oder anzupassen sei, schlägt nun auch der Bundesrat vor, 50 Millionen Franken für die Vergünstigung des Zeitungsvertriebs zur Verfügung zu stellen. Das wären 20 Millionen mehr als heute. Die Verleger fordern indes bis zu 100 Millionen Franken. Beschlossen wird dann wohl irgendein Betrag dazwischen.
Die Entlastung beim Zeitungsvertrieb wird den Verlagen nicht viel Ruhe bringen. Im Digitalgeschäft müssen sie mit Hochdruck Produkte entwickeln, die ein zahlendes Publikum finden. Für die Redaktionen der Tamedia-Bezahlzeitungen gilt deshalb: mobile first, das Smartphone als primäre Publikationsplattform, dorthin gehen, wo die Nutzer sind.
«Mobile» lautet das Buzzword der Stunde. Mit seinem Blick TV zielt Ringier in erster Linie auf die mobile Nutzung ab. Und «20 Minuten» bietet mit seiner App schon länger ein breites Unterhaltungsangebot für unterwegs, seit jüngst ergänzt um ein Nonstop-Radioprogramm. Überall spielen Audio und Video eine grosse Rolle. So will die NZZ als erstes Schweizer Medienhaus einen täglichen News-Podcast anbieten, wie das zahlreiche Zeitungen rund um den Globus schon länger machen. Dazu heuerte die Zürcher Zeitung ein Team an aus Spezialistinnen und Spezialisten, die mit der Audio-Produktion vertraut sind.
Vergleichsweise wenig unternommen in Richtung Multimedia haben bisher die Zeitungstitel von CH Media im Aargau, in Luzern und in St. Gallen. Ihr Ansatz ist es, mit den Radio- und TV-Redaktionen aus dem eigenen Haus enger zu kooperieren. Ansonsten stehen die Zeichen bei CH Media auf Sparen. Bis Ende des Jahres will Verleger Peter Wanner 200 Vollzeitstellen abbauen. Die schweizerischen Zeitungsverlage haben 2020 selbst zu einem Schicksalsjahr erklärt mit der ultimativen, um nicht zu sagen: erpresserischen, Forderung nach Förderung. Aber auch unabhängig davon steht einiges auf dem Spiel, denn die Rechnung geht nur auf, wenn ein grösserer Teil des Publikums als bisher bereits ist, für mobilen und multimedialen Journalismus zu zahlen.
Die Personalie hat mehr als nur symbolische Bedeutung. An der Spitze der Kommissionen für Verkehr und Fernmeldewesen KVF, die im Nationalrat die Mediengeschäfte vorberät, steht mit dem Luzerner Michael Töngi neu ein Grüner. In der letzten Legislatur präsidierte Natalie Rickli von der SVP die Medienkommission. Die «grüne Welle» hinterlässt auch in der Medienpolitik ihre Spuren. Darum darf man davon ausgehen, dass sich die Akzente auch hier nach links verschieben könnten – wobei über die Grundstruktur der schweizerischen Medienordnung grosse Einigkeit über die Parteigrenzen hinweg besteht.Daran werden auch die Zugewinne der Grünen nichts ändern. Das duale System mit einem starken Service public ist im Grundsatz unbestritten.
Im ersten Halbjahr 2020 will der Bundesrat seine Vorschläge vorlegen für eine Teilrevision des Radio- und Fernsehgesetzes, sowie des Postgesetzes. Die Stossrichtung ist bereits bekannt. Bundesrätin Simonetta Sommaruga schlug im letzten Sommer ein Massnahmenpaket vor. Kernpunkte sind die Ausweitung der indirekten Presseförderung sowie eine finanzielle Unterstützung für Online-Medien. Die Ausweitung der Presseförderung mittels vergünstigter Posttaxen dürfte so gut wie beschlossene Sache sein. Einzig die SVP lehnt jegliche Fördermassnahmen grundsätzlich ab, weil die Medien so vom Staat abhängig würden.
Bei der Höhe des Subventionsbetrags werden die Meinungen auseinander gehen. Im Raum stehen 50 Millionen Franken pro Jahr gemäss Vorschlag Bundesrat (heute 30) und 100 Millionen von Verlegerverbandsvizepräsident Peter Wanner. Beim Vorschlag des Bundesrats für eine Förderung von Online-Medien werden dagegen die Meinungen von Anfang an weiter auseinandergehen. So wollen etwa Mediengewerkschaften und die politische Linke Subventionen an berufsethische Auflagen koppeln: Geld kriegt nur, wer gewisse publizistische und ethische Standards einhält. Der bundesrätliche Vorschlag sieht dagegen eine Koppelung ans Geschäftsmodell vor: Geld kriegt nur, wer seine Inhalte kostenpflichtig anbietet. Beide Ansätze sind umstritten.
Klar ist: Die Zeit drängt. Wenn die Politik Subventionen als taugliches Mittel ansieht, dann sollten die Fördermassnahmen besser heute greifen als morgen. Mit einem sportlichen Fahrplan wäre es möglich, dass in diesem Jahr die Aufstockung der indirekten Presseförderung beschlossen würde, so dass sie per 2021 wirksam würde. Die Förderung von Online-Medien dürfte indes frühestens 2022 kommen, wie jüngst die «Republik» schrieb.
Was schon heute klar ist: Die Zeit der grossen (Ent)würfe in der Medienpolitik ist vorbei. Das zeigt eindrücklich das krachende Scheitern eines geplanten Mediengesetzes. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen entsorgte Simonetta Sommaruga das hochtrabende Projekt ihrer Vorgängerin Doris Leuthard. Mit kleineren Reformpaketen hofft Sommaruga, das Tempo zu beschleunigen gegenüber einem Monstermediengesetz, das eh erst in fünf oder noch mehr Jahren in Kraft getreten wäre.
Alex Schneider 14. Januar 2020, 15:43
Mit dem Aufkommen der sozialen Medien wird offensichtlich, dass die Informationen der etablierten Medien, aber auch die veröffentlichten Meinungen und Kommentare der Journalist*innen, der Verleger*innen und der gewählten Politiker*innen ihre bisher unbestrittene Leitfunktion verloren haben. Das bekommen insbesondere die Printmedien zu spüren. Die Meinungsbildung im Volk wird durch die sozialen Medien breiter abgestützt und damit die Indoktrination durch die Mainstream-Medien erschwert. Für die Demokratie ist dies grundsätzlich ein Gewinn.