von Benjamin von Wyl

Die Neuen im Schatten des Alten

Unter Marcel Rohr macht die «Basler Zeitung» im Stil von Markus Somm weiter. Allerdings nicht mehr als politisches Projekt, sondern als irrlichternder Selbstläufer. Die Konkurrenz, allen voran die bz, die sich bisher als Alternative zur BaZ positioniert hat, muss sich neu orientieren. bz-Chefredaktor Patrick Marcolli versucht das ohne Vision.

Basel war die erste Schweizer Stadt mit nur noch einer Tageszeitung. Seit Ende 2018 ist sie die erste und einzige, in der sich Tamedia und CH Media gegenüberstehen.

Davor war Basel ein anderer Sonderfall: Während acht Jahren versuchte Markus Somm die Blocher-BaZ als rechtsbürgerliche Zeitung mit nationaler und internationaler Ausstrahlung zu positionieren. Das Ziel: eine rechte Gegenöffentlichkeit. Dieses Ziel wurde spätestens dann obsolet, als im Frühjahr 2018 Blochers Verkauf an Tamedia öffentlich wurde. Im Herbst wurde dann bekannt, dass Patrick Marcolli bz-Chefredaktor wird und somit derjenige ist, der CH Media für die Konkurrenz gegen eine Tamedia-BaZ wappnen soll. Wenige Wochen später folgte die Nachricht, dass die BaZ künftig von Marcel Rohr, dem ehemaligen Sportchef, geleitet wird.

Beide Ernennungen haben in Basel alle überrascht. Der Chefwechsel bei der bz hat anfangs redaktionsintern für Unmut gesorgt. Bei der BaZ überlagerte der Verkauf und die damit einhergehenden Ängste die Personalie des Somm-Nachfolgers. Nun ist Markus Somm schon seit über einem Jahr weg aus der Stadt, in der er nie gewohnt hat.

Seit 2010 prägte die «Basler Zeitung» als politisch-publizistisches Projekt die Entwicklung der Medien am Rheinknie.

Marcel Rohr habe seinen Job unbedingt gewollt – obwohl er sich zuvor nie ausserhalb des Sport-Ressorts bewegt hat. Er wolle die Zeitung «ein Stück weit entpolitisieren» versicherte Rohr den Abonnent*innen in einem Schreiben nach Stellenantritt. Ein paar Monate später behauptete er in einem Interview gar, Markus Somm sei in Basel kein Thema mehr.

Nun mag das insofern stimmen, als dass Tamedia als neue Besitzerin natürlich nicht dasselbe Ziel verfolgt wie zuvor Christoph Blocher, der eine rechtsbürgerliche Gegenöffentlichkeit schaffen wollte. Unter Tamedia sollte die BaZ eine regionale Forumszeitung sein. Doch die Vergangenheit bleibt Gegenwart: Schaut man sich Stil, Mittel und Fehlleistungen der Tamedia-BaZ an, gibt es kaum etwas, was nicht von Somm vorgespurt scheint.

Seit 2010 prägte die «Basler Zeitung» als politisch-publizistisches Projekt die Entwicklung der Medien am Rheinknie: Peter Wanner hat die «bz Basel» als verlässliche und nüchterne Alternative zur ideologisierten BaZ gestartet; die Dynamik, aus der die «TagesWoche» hervorgegangen ist, war eine Protestbewegung gegen die Blocher-BaZ. 2018 hat sich der Medienplatz Basel dann nochmals neu sortiert. In den Monaten zwischen Blochers Verkaufsankündigung und Somms Abgang hat die Stiftung für Medienvielfalt der «TagesWoche» überraschend den Geldhahn zugedreht, der frühere BaZ-Lokalchef Christian Keller spürte Morgenluft für ein bürgerliches (und manchmal populistisches) Portal mit soliden Recherchemethoden. Und bz-Verleger Peter Wanner soll den damals amtierenden Chefredaktor David Sieber unter anderem darum geschasst haben, weil er zu links sei und «zu ländlich» denke. Wenn die BaZ nicht mehr Blochers Sturmgeschütz ist, wirkt das logisch.

Bei der BaZ wirken dieselben Kräfte weiter, die Somm von der Leine gelassen hat. Sie tun es einfach zielloser.

Viele erwarteten, dass Tamedia der BaZ nun Professionalität und Qualität bringt. Plötzlich schienen in Basel zwei Tageszeitungen mit ähnlicher Ausrichtung um die Leserschaft zu ringen. Ob Wanners Adjektive auf Sieber zutreffen, ist mindestens zu bezweifeln. Offensichtlich falsch eingeschätzt hat Wanner die Loyalitäten in der Redaktion. Zahlreiche Redaktor*innen verliessen die bz in den folgenden Monaten.

Und bei der Tamedia-BaZ wirken dieselben Kräfte weiter, die Somm einst von der Leine gelassen hat. Sie tun es einfach zielloser. Zwar kommt ein Grossteil des ersten Zeitungsbundes aus der Zentralredaktion in Zürich, aber die BaZ scheint deshalb nicht von Zürcher Qualitätsrichtlinien geprägt.

Der neue Chefredaktor Rohr sagte kurz nach Stellenantritt, er halte es für schwierig «Meinung zu machen». Aber es gibt wohl keine andere Tageszeitung in der Schweiz, die reinen Meinungstexten so viel und so prominent Platz einräumt: Die ganze Seite 2 besteht aus Kolumnen. 26 Kolumnist*innen zählt die BaZ gemäss Impressum. Demgegenüber stehen 21 Lokalredaktor*innen, die täglich fünf Seiten im Lokalteil füllen. Politiker*innen kommt die offene Carte Blanche-Politik der BaZ gelegen: Wer sich über einen Artikel ärgert oder sich sonst inszenieren will, dem wird dafür in der BaZ meist Platz eingeräumt. Unlängst bestätigte Rohr gegenüber «Onlinereports» aber, dass er die Meinungsseite bis April umstrukturieren wolle.

«Im Hochofen des Greta-Textes wird mir nicht heiss. Dreissig Jahre Berufserfahrung und das Bewusstsein, in einer funktionierenden Demokratie knifflige Debatten führen zu müssen, halten das problemlos aus.»
Marcel Rohr, Chefredaktor BaZ

Meinung prägt aber auch den redaktionellen Teil. Anfang 2020 startete die BaZ die Serie «Mein Klimawandel». Redaktoren schreiben darüber, wie sie den Klimawandel erleben. Keiner der Texte leugnet den Klimawandel; meist kritisieren sie «Zeigefinger» oder Alarmismus; immer geht es um – wie es der Titel schon andeutet – persönliche Befindlichkeiten. «Der Klimawandel, die ‹grösste Herausforderung der Menschheit› – echt jetzt? Was würde wohl der Soldat dazu sagen, der 1944 in der Normandie an Land ging, um die Menschheit vor Nazi-Deutschland zu retten?», schreibt etwa Redaktor Alex Reichmuth. Daneben gibt es Dystopien über das Jahr 2050 ohne Atomenergie und Individualverkehr, Selbstkasteiungen als «Umweltsau», Ärger über Kritik der Klimabewegung an den Basler Behörden. Der ich-bezogenste Beitrag der egozentrischen Serie steht Greta Thunberg allerdings positiv gegenüber: Chefredaktor Marcel Rohr schreibt darüber, wie er mit den Reaktionen auf einen Leitartikel zu Greta Thunberg umgegangen ist. Sein früherer Sekundarlehrer habe ihm lobend geschrieben, aber manche Rückmeldung aus der Leserschaft sei auch kritisch gewesen. Ihn störe das nicht weiter: «Im Hochofen des Greta-Textes wird mir nicht heiss. Dreissig Jahre Berufserfahrung und das Bewusstsein, in einer funktionierenden Demokratie knifflige Debatten führen zu müssen, halten das problemlos aus.» Bemerkenswert ist weniger Rohrs Durchhaltevermögen, als vielmehr die Verkündigung seines journalistischen Auftrags: «Für die ‹Basler Zeitung› ist es Pflicht, den weiteren Weg von Greta genau zu verfolgen und über die Klimajugend zu berichten.» Wieso ist es «Pflicht» einer Lokalzeitung, über internationales Geschehen zu berichten?

Die Frage kann der MEDIENWOCHE bei der BaZ niemand beantworten. Es bleibt offen, ob die Ursache dieser in der BaZ verbreiteten Überzeugung, eine lokalpatriotische Kränkung ist oder das Überbleibsel des Somm’schen Plans einer Gegenöffentlichkeit ist. Denn eine Gegenöffentlichkeit darf sich weder durch Ressort- noch durch Landesgrenzen einschränken lassen.

Einer, der gerne Ausflüge in die grosse weite Welt unternimmt, ist Serkan Abrecht. Der U30er ist in seinem journalistischen Schaffen anscheinend nachhaltig vom Welterklärer Somm geprägt worden. Als Lokalredaktor hat Abrecht im letzten Jahr über 40 Artikel ohne Bezug zur Region Basel geschrieben. In etwas mehr als der Hälfte der Texte berichtet er aus dem Offiziersalltag. In der Serie «Kasernenhof und Schützengraben» kann sich Abrecht recht schrankenlos austoben: Ende Oktober veröffentlicht er einen subjektiven Bericht über die Proteste gegen eine Militärparade in Winterthur. Winterthur liegt nicht im Einzugsgebiet der BaZ, Abrecht hat an der Parade als Offizier teilgenommen – und das Defilee fand Wochen vor der Veröffentlichung von Abrechts Artikel statt. Wenn man den Artikel liest, versteht man nicht mal direkt, auf welches Ereignis er sich bezieht.

Ende Januar berichtete der Lokalredaktor gar als Sonderkorrespondent aus London mit einer Brexit-Reportage.

Dass Offizier Abrecht immer wieder über Verteidigungspolitik auf Bundesebene schreibt, ist noch naheliegend. Aber Abrecht wildert in allen nationalen und internationalen Aufregerthemen. Scheinbar kann er über alles schreiben, was er will: Petra Gössis FDP-Kurs («Freisinn macht Unsinn»), NZZ-Deutschlandstrategie, Europaparlamentswahlen oder Lobpreisungen von Boris Johnson und des Brexits. Auch das Ende von Evo Morales Präsidentschaft in Bolivien hat Abrecht kommentiert («Nach 14 Jahren ist der sozialistische Spuk in Bolivien vorbei. Bei anderen sozialistischen Diktaturen macht sich Angst breit»). Abrecht hat viel Meinung, aber weder Bezug zu Lateinamerika noch Expertise – letzteres im Gegensatz zu Markus Somm. Ende Januar berichtete der Lokalredaktor gar als Sonderkorrespondent aus London mit einer Reportage über Brit*innen, die den Brexit feiern. Obwohl der Text keinen Bezug zu Basel hat, übernahm die Zeitung auch die Reisespesen, wie sowohl Abrecht als auch sein Chef Marcel Rohr gegenüber der MEDIENWOCHE bestätigen.

An Texten zum Brexit würde es der BaZ eigentlich nicht mangeln. Tamedia verfügt über ein Auslandressort, das auch die BaZ beliefert. Aus allen Zeitungsredaktionen hört man Klagen über zu wenige Ressourcen – also wieso zahlt man dem Lokalredaktor eine London-Reise? Marcel Rohr erklärt gegenüber der MEDIENWOCHE, die Reise habe in Abrechts Freizeit stattgefunden. Generell bremse er ungern.

Das ist wohl auch der Grund, weshalb Sebastian Briellmann im letzten Jahr noch aus dem Sportressort heraus immer wieder Texte verfasst hat, die oft in AfD-Kreisen geteilt worden sind, darunter ein Artikel nach den Anschlägen in Sri Lanka. Briellmann forderte darin empört von Muslim*innen auf der ganzen Welt, dass sie sich von den Attentätern distanzieren. Der Facebook-Zähler von «Dröhnendes Schweigen» ist bei knapp 6500 Shares und Likes angelangt.

Dafür, dass man Briellmanns und Abrechts textlichen Exkursionen ins Ausland und die Bundespolitik kritisch hinterfragt, zeigen andere BaZ-Redaktor*innen im Gespräch mit der MEDIENWOCHE zwar wenig Verständnis. Sie weisen aber auch darauf hin, dass alle diese Artikel in der Freizeit entstünden. In der redaktionsinternen Logik erscheinen Abrechts Exkursionen als eine Art Engagement, das man dankbar entgegennehmen sollte oder zumindest nicht stoppen darf.

«An manchen Tagen haben wir ausreichend Ressourcen und Lust, auch mal über den Tellerrand hinauszuschauen.»
Marcel Rohr

Auch beim Chef klingt es, als würde er das Vorgehen und die Interessen der Redaktor*innen vor allem beobachten. Daran, dass in der BaZ so viele Artikel von Lokalredaktoren ohne Lokalbezug erscheinen, erkennt er nichts Bemerkenswertes. «Es gibt Redaktoren, die manchmal Lust haben, zu einem Thema, das ausserhalb von Basel stattfindet, eine Meinung zu platzieren. Sie kippen deswegen keine relevante Lokalgeschichte, sondern schreiben diese Texte freiwillig zwischendurch. Alle Titel von Tamedia haben absolute Kommentarfreiheit», sagt Rohr. Er bremse eben ungern.

Aber ist es nicht branchenweiter Konsens, dass sich eine erfolgreiche Regionalzeitung komplett der Region verschreiben muss? «Das tun wir auch. Serkan Abrecht hat wichtige Lokalgeschichten, etwa zum Historischen Museum, gemacht. Aber an manchen Tagen haben wir ausreichend Ressourcen und Lust, auch mal über den Tellerrand hinauszuschauen.»

Neben eher auffälligen Figuren wie Abrecht gibt es – und gab es schon zu Zeiten von Markus Somm – bei der BaZ auch Journalist*innen wie Nina Jecker, Dina Sambar oder Thomas Dähler, die ungeachtet aller Wirren konstant soliden und guten Lokaljournalismus machen. Früher hat Somm einfach jene Redaktoren, die heikle Eskapaden und welterklärerische Exkursionen wagten, aktiv gefördert. Nun liegt es wahrscheinlich gerade an den begrenzten Ressourcen, dass die BaZ Abrechts Blicke über den Tellerrand gerne druckt und auch Dähler, seit vergangenem Sommer Lokalchef, ihnen keinen Riegel vorgeschoben hat. Man muss jeden Tag eine Zeitung füllen – und da ist auch ein Sermon über die NZZ-Deutschlandstrategie oder Abrechts Two Cents zu Bolivien willkommen. Meinungen zu Aufregerthemen sind verhältnismässig schnell verfasst – schneller als Reportagen und Recherchen aus der Region.

Folgt man Rohrs Aussage, deckt die BaZ also alles Berichtenswerte in Basel ab – und hat darüber hinaus noch freie Ressourcen. Anders tönt es bei der Konkurrenz. «Wir haben kein Redaktionssekretariat und sehr beschränkte Mittel. Wir laufen Spitz auf Knopf. Wenn zwei krank sind und jemand kompensiert, wird es schwierig», sagt Marcolli im Gespräch mit der MEDIENWOCHE. Der Lokalteil der bz umfasst täglich sechs Seiten; jener der BaZ fünf. In der bz soll der Lokalbezug eines Themas so stark wie möglich herausgerarbeitet werden. Externe Gastbeiträge gibt es fast keine mehr, seit Patrick Marcolli Chefredaktor ist.

Marcollis Start als bz-Chefredaktor Ende 2018 war wenig souverän und von einem redaktionellem Exodus begleitet.

Insbesondere seit die bz Anfang 2020 mit Silvana Schreier, Kelly Spielmann und Lea Meister endlich den Frauenanteil (wieder) erhöht hat, sorgen Recherchen und Reportagen ausserhalb der Einöde von Parlamentsberichterstattung immer wieder für stadtweite Aufregung. Aber Marcollis Start Ende 2018 war wenig souverän und von einem redaktionellen Exodus begleitet. Das ist nicht allein seine Schuld. Er hatte es nicht einfach – das beschreiben bz-Redaktor*innen so, das beschreibt auch Marcolli so: «Ich bin der dritte Chefredaktor innert relativ kurzer Zeit. In einer Redaktion, wo ich dir nicht sagen könnte, wer einmal in welcher Position war.»

Marcolli wurde von CH Media-Verleger Peter Wanner einen Monat, bevor man wusste, dass Rohr BaZ-Chef wird, zur bz geholt. Laut «TagesWoche» veranstaltete Wanner eine «Abrechnung» vor der ganzen Redaktion und in Beisein von Noch-bz-Chefredaktor David Sieber. «Zu links» und «zu ländlich» sei Siebers Kurs gewesen. Nach Marcollis Antritt soll der neue Chef die Redaktion, die miterlebt hat, wie sein Vorgänger abgekanzelt worden ist, dafür gescholten haben, dass die Umstände über Siebers Abgang an die Öffentlichkeit gesickert sind.

«Als ich für die Stelle zugesagt habe, war ich mir der Vorgeschichte bewusst»
Patrick Marcolli, Chefredaktor bz

In der nächsten Zeit wirkte es, als würden die Ratten ein sinkendes Schiff verlassen. In Marcollis ersten 14 Monaten sind folgende Personen gegangen, in alphabetischer Reihenfolge: Daniel Ballmer, Nicolas Drechsler, Naomi Gregoris, Mélanie Honegger, Samuel Hufschmid, Kulturchef Marc Krebs und Martina Rutschmann. Allesamt Leute, die in der Stadt-Redaktion beheimatet waren. Das Liestaler Büro war demgegenüber erstaunlich stabil.

«Als ich für die Stelle zugesagt habe, war ich mir der Vorgeschichte bewusst», sagt Marcolli heute. Der Chefredaktorenposten bei der bz gilt vielen in Basel mittlerweile als Schleudersitz: Nach knapp drei Jahren wurde Matthias Zehnder 2015 ebenso überraschend geschasst wie 2018 David Sieber. Marcolli sagt, er sei ohne Vision oder langfristiges Konzept gestartet. Er sei Optimist, aber angesichts der Umwälzungen in der Branche sei es womöglich auch der falsche Zeitpunkt für grosse Visionen.

Ähnliches sagte er bereits zum Jahresanfang vor grossem Publikum. Was für ein Publikumsaufmarsch! Die Leute standen bis ins Vorzimmer, als das «Basler Stadtbuch», die Chronik der Christoph Merian-Stiftung, zum Medientalk in den SRF-Neubau beim Bahnhof geladen hat. Alle sassen sie vorne auf der Bühne: bz-Chefredaktor Patrick Marcolli, Dieter Kohler, Leiter SRF Regionaljournal, Bajour-Redaktorin Andrea Fopp und Peter Knechtli von Onlinereports. Alle nutzten ihre Sprechzeit, um die Vorzüge des eigenen Mediums hervorzuheben. Kritik an der Arbeit der Anderen gab es kaum. Die BaZ war eingeladen, aber hat niemanden geschickt.

Stimmen aus der BaZ-Redaktion sagen, Chefredaktor Rohr wolle eigentlich nichts Anderes als gemocht werden.

Die Somm-BaZ war oft nicht eingeladen, wenn über den Medienplatz Basel diskutiert wurde. Eine Ausgrenzung, die der Somm-BaZ wohl nicht nur ungelegen kam: Wer eine Gegenöffentlichkeit schaffen will, dem sind ausbleibende Einladungen vom sogenannten Juste Milieu gerade recht. Aber Rohr will keine Gegenöffentlichkeit. Stimmen aus der Redaktion sagen, er wolle eigentlich nichts anderes als gemocht werden: Öffentlichkeit statt Gegenöffentlichkeit.

Auf ihre journalistische Arbeit lassen BaZ-Redaktor*innen nichts kommen, aber über den Chef äussern sie sich gegenüber der MEDIENWOCHE durchaus kritisch: Er wirke zuweilen überfordert, könne sich nicht immer durchsetzen und sei sehr darum bekümmert, dass er in der Stadt gemocht werde. Unabhängig voneinander schildern mehrere Redaktor*innen einen harmlosen Vorgang, den sie für exemplarisch halten: Einer jener Texte, in denen Serkan Abrecht über die Stadt Basel schreibt, befasst sich mit dem Neujahrsempfang der Handelskammer, «eine harmlose Klatschgeschichte». Vor dem Mittag habe Rohr den Text in den höchsten Tönen gelobt. Am Nachmittag fand er ihn plötzlich schlecht. Was dazwischen passiert ist? Rohr sei mit der Präsidentin der Handelskammer mittagessen gewesen. Rohr bestreitet, dass diese Darstellung zutrifft.

Der Schilderung, dass er vor allem auf Aussenwirkung bedacht sei, entgegnet er: «Der Internetpranger ist das beste Beispiel dafür, dass es mir nicht nur um die Aussenwirkung geht.» Mit dem Titel «Krawallbrüder am Pranger» zeigte die BaZ Ende November die unverpixelten Fotos von 23 Männern, nach denen die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt mit einem öffentlichen Pranger gefahndet hat. War sich Rohr denn bewusst, was er mit dem Abdruck des staatsanwaltschaftlichen Prangers lostritt? «Ich bin seit 30 Jahren in der Branche und bin mir durchaus bewusst, was mein publizistisches Handeln auslöst.»

«Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, hat in einem Rechtsstaat auch nichts zu befürchten.»
Marcel Rohr

In Rohrs begleitendem Kommentar hiess es: «Wir reden hier nicht von Falschparkern. Sondern von potenziellen Gewaltverbrechern, die niedrige Triebe befriedigen wollen.» Für einmal gelang Marcel Rohr das Meinungmachen, obwohl der letzte Satz in seiner Plattheit bereits fast wie Satire wirkt: «Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, hat in einem Rechtsstaat auch nichts zu befürchten.»

Medienjuristen und ein Mitglied des Presserats kritisierten die Veröffentlichung der Bilder wegen der Unschuldsvermutung und dem damit einhergehenden Verstoss gegen die Persönlichkeitsrechte. Res Strehle, Projektleiter Qualitätsmanagement bei Tamedia und damit auch für die BaZ zuständig, schreibt auf Anfrage, dass er die Veröffentlichung des Prangers aus «persönlichkeitsrechtlichen Gründen wie auch aufgrund der zwingenden Unschuldsvermutung für sehr problematisch» halte. «Meines Wissens wurden die Fotos im BaZ-Archiv gelöscht.»

Dem ist nicht so. Der BaZ-Pranger steht weiterhin im E-Paper-Archiv und der Schweizerischen Mediendatenbank SMD. Im Gespräch mit der MEDIENWOCHE – Mitte Februar – weiss das Marcel Rohr nicht einmal, obwohl er gleichzeitig sagt, dass er den Artikel im «Schweizer Journalist» gesehen hat, der genau das thematisiert. Rohr steht bis heute zur Entscheidung, die Fotos in der Zeitung zu veröffentlichen und sagt: «Ich habe nie eine Aufforderung der Staatsanwaltschaft bekommen, dass man das entfernen sollte.» Das zeugt von einem eigentümlichen Journalismusverständnis. Auch Ende Februar, nach dem Gespräch mit der MEDIENWOCHE, sind die Fahndungsbilder online im E-Paper und via SMD zugänglich.

«Selbstverständlich machen auch wir Fehler und so mussten wir ein, zwei Mal ein Korrigendum machen.»
Marcel Rohr

Vor seinem Stellenantritt als BaZ-Chefredaktor gab Rohr an, er habe in 30 Jahren als Journalist nie mit dem Presserat zu tun gehabt. Das hat sich mit dem Wechsel vom Sport-Ressort in den Chefsessel geändert. «2019 gab es die eine oder andere Presseratsbeschwerde. Selbstverständlich machen auch wir Fehler und so mussten wir ein, zwei Mal ein Korrigendum machen.» Eines der Korrigenda war eine Entschuldigung dafür, dass ein Leitartikel – über den Klimanotstand in Basel – online versehentlich den Titel «Die Juden hassen» trug. Gemäss Korrigendum war es «eine technische Panne».

Jemand, der mit einer gewissen Regelmässigkeit für Fehlleistungen verantwortlich ist, die sich nicht als technische Panne abtun lassen, ist Redaktor Daniel Wahl. Fünf Mal ist Wahl in den letzten zehn Jahren vom Presserat gerügt worden. 2019 nahm er in einem Text über einen Sorgerechtsstreit einseitig die Position der Mutter ein.

Daniel Wahl mache einen sehr guten Job, sagt Rohr. Und auch bei Tamedia scheint man sich über die Arbeit des Redaktors zu freuen: Kurz vor der neuen Rüge hat Daniel Wahl 2019 einen Preis gewonnen. Wie bei allen Tamedia-Zeitungen hat im Dezember auch die BaZ erstmals den internen «Abo +»-Award verliehen. Ausgezeichnet wird Masse, die sich hat in Geld umwandeln lassen: Die Artikel der Gewinner*innen haben am meisten Leser*innen zum Kauf von (Tages-)Abos motiviert.

Wie alle Tamedia-Zeitungen befindet sich die BaZ mitten in der Umstellung zu Mobile First. Wie das Personal aller Tamedia-Zeitungen ist auch das der BaZ zu einmonatigen Weiterbildungen an die Columbia Journalism School in New York geschickt worden. In anderen Belangen bleibt Basel einzigartig: Lokalredaktor*innen anderer Tamedia-Zeitungen geben an, bei ihnen werde niemand ins Ausland geschickt, wenn es keinen Lokalbezug gebe. Ohnehin kommentiere niemand aus dem Lokalressort die Weltpolitik.

Eine Tamedia-BaZ haben auch manche in Basel als rheinisches Gegenstück zum «Tages-Anzeiger» imaginiert.

«Ich bin ein passionierter Spiegel-Leser», sagt Marcel Rohr. Er lese auch ganz viel anderes. «Es gibt sehr viele gute Autoren, die ich gerne lese.» So viele seien es, dass er keinen nenne. Aber in Basel ist der Fall klar: «Was meiner Meinung nach das beste Medium in Basel ist? Selbstverständlich die ‹Basler Zeitung›.» Aber er respektiere auch die Konkurrenz. Die Konkurrenz ist Fleisch vom Fleische der BaZ: Ob beim linksliberalen «Bajour» oder dem rechtsbürgerlichen «Prime News» – überall arbeiten Menschen, die die Somm-BaZ von innen erlebt haben. Auch der bz-Chefredaktor Marcolli war anfangs unter Markus Somm noch Lokalchef der BaZ. Klar also, dass diese Journalist*innen geprägt sind von der BaZ – umso mehr, wenn sie die Umbauarbeiten der Lokalzeitung hin zu Blochers Sturmgeschütz miterlebt haben.

Eine Tamedia-BaZ haben auch manche in Basel als rheinisches Gegenstück zum «Tages-Anzeiger» imaginiert. So wie es aussieht, schert sich Tamedia aber nur wenig um die Qualität und kaum um den Kurs der BaZ. Wenn man von einem Kurs sprechen kann: Heute irrlichtert die BaZ mit denselben Methoden, die früher das Ziel einer rechten Gegenöffentlichkeit verfolgt haben. «Der Wettbewerb – vor allem, wenn es um News geht, tut uns gut», sagt Marcolli. Aber: «Auf vielen Ebenen lassen sich die Zeitungen kaum mehr vergleichen.» Es bleibt zu hoffen, dass auch Peter Wanner das weiss.

Marcollis Vor-Vorgänger Matthias Zehnder sollte die «bz Basel» als Stadtzeitung etablieren. David Sieber sagt, er habe ein schriftliches, langfristiges und vom Verleger abgesegnetes Konzept verfolgt: «Ich arbeitete von Anfang an sehr zielgerichtet – und mit etlichen Rückschlägen auf den Claim «Für die ganze Region» hin: Dass man die bz als Klammer für den ganzen Lebensraum versteht, also Stadt, Agglo, Land aber auch Elsass und Deutschland zusammendenkt und kritisch begleitet.» Auf etwa 70 Prozent der Strecke sei er gefeuert worden. Die Zusammenführung von «bz Basel» und «Basellendschaftlicher Zeitung» und die neue Bezeichnung «Zeitung für die Region Basel» sei da bereits fix eingeplant gewesen.

Bemerkenswert: Patrick Marcolli, der das neue Produkt verantwortet und öffentlich vertreten hat, gibt im Gespräch mit der MEDIENWOCHE an, er habe nicht gewusst, dass es bereits von seinem Vorgänger vorangetrieben wurde. Marcolli, der ebenfalls begeistert vom «Lebensraum Basel» spricht, ist ohne verschriftlichtes Konzept und ohne Vision angetreten, aber empfindet das nicht als Mangel und sieht seine Rolle anders: «Ich sehe mich intern als Korrektiv und Moderator: Eine Redaktion besteht aus eigenwilligen Leuten, nicht aus Herdentieren.»

Nun hofft der bz-Chefredaktor auf «ruhigeres Fahrwasser». Er fühlt sich angekommen in seiner Position. Das neue Team sei zusammengewachsen; die internen Funktionswechsel wurden weniger. bz-Redaktor*innen, die geblieben sind, schätzen das ähnlich ein.

So bedauernswert es ist, dass es in Basel während Somms BaZ-Chefredaktion keinem Medium gelungen ist, sich anders als im Verhältnis zur BaZ zu definieren: Da nun der BaZ eine Mission fehlt, wäre es umso bedauernswerter, würden sich die übrigen Medien auf dem Platz Basel weiterhin im Kontrast zu ihr definieren. Wenn nirgends Visionen in Sicht sind, kann man nur auf Beständigkeit hoffen. «Das Wichtigste aus Sicht der Redaktion wäre, dass der Chefredaktor nun ein paar Jahre derselbe bleibt», sagt ein bz-Redaktionsmitglied.

Offenlegung: Der Autor schreibt gelegentlich als freier Journalist für die bz.

Leserbeiträge

Fabienne Stauffer 05. März 2020, 15:49

Grosses Kino, wie man sich auch an der Nach-Somm-BaZ abarbeiten kann. „Wer hat Abrechts Reise nach London bezahlt?“ An Relevanz nicht zu überbieten. Ui, eventuell hat Blocher ein schwarzes Kässeli hinterlassen. Bitte recherchieren!