Verlage als Corona-Profiteure?
Die Aufklärungskampagne des Bundesamts für Gesundheit BAG zum Coronavirus beschert den Verlagen zusätzliche Einnahmen. In der ersten Welle zahlt der Bund den Medienunternehmen 1,7 Millionen Franken für die Platzierung der Verhaltensanweisungen. Was auffällt: Das Radio kommt bei der aktuellen Kampagne nicht zum Zug.
Das Verhalten ist immer noch gut eingeübt. Bei Krisen, Katastrophen und in ausserordentlichen Lagen, gilt: Radio einschalten. «Die SRG ist das offizielle Informationsorgan des Bundesrats in Krisen», hält das Medienunternehmen auf seiner Website fest. Man ermögliche den Behörden, sich an die Menschen zu wenden, um sie zu alarmieren oder mit Verhaltensanweisungen zu bedienen.
Mit der Ausbreitung des Coronavirus herrscht eine Situation, die eine verstärkte Informationsanstrengung der Behörden verlangt. Gemäss Bundesamt für Gesundheit BAG ist die Lage «ernst und wird immer ernster». Doch das Radio als «Krisenmedium» bleibt stumm.
Natürlich berichten die Redaktionen über die Lage, doch behördliche Anweisungen hört man nicht. Warum? Bei Schweizer Radio und Fernsehen SRF erklärt man die Funkstille damit, dass es sich bei der aktuellen BAG-Kampagne um bezahlte Werbung handle und für das öffentliche Radio bekanntlich ein Werbeverbot gelte. Eine etwas eigenartige Erklärung angesichts der gesetzlich verankerten Zugriffs der Behörden auf die Frequenzen der SRG in ausserordentlichen Lagen.
Das BAG findet die Information via Radio «effektiv und sinnvoll», verzichtet aber aus Kostengründen auf diesen Kanal.
Etwas besser nachvollziehbar ist der Hinweis des Bundesamts für Bevölkerungsschutz BABS, wonach die Information der Bevölkerung via Radio vor allem für die Alarmierung bei Katastrophen geeignet sei, aber weniger für Verhaltensanweisungen bei andauernden Krisenlagen. Das Bundesamt für Gesundheit, das die Corona-Kampagne verantwortet, findet die Information via Radio zwar «effektiv und sinnvoll». Aus Kostengründen habe dieser Kanal aber «leider verworfen werden müssen», teilt BAG-Kampagnenleiter Adrian Kammer auf Anfrage mit.
Für die laufenden Informationsanstrengungen setzt das BAG 2,5 Millionen Franken ein. Der Grossteil davon, 1,7 Millionen Franken, fliesst an Verlage und Medienunternehmen, die der Behörde Werberaum zur Verfügung stellen. So erschien am letzten Freitag die Gratiszeitung «20 Minuten» mit einer ummantelten Titelseite. Darauf standen Verhaltensanweisungen und Antworten auf häufig gestellte Fragen im Design der Kampagne. Regulär würde diese Werbepräsenz 240’000 Franken kosten. So viel hat das BAG aber nicht bezahlt. «Das BAG erhält bei den meisten Titeln einen NPO-Rabatt von 50 Prozent», erklärt Adrian Kammer. Bei der TX Group nimmt man zu Kosten und Konditionen keine Stellung. Selbst wenn das BAG nur die Hälfte gezahlt hat, spült das immer noch einen stattlichen Betrag in die Kassen. Als Krisengewinnler will man sich aber nicht verstanden wissen: «Als grösstes Newsmedium der Schweiz nimmt ‹20 Minuten› seine Verantwortung in einer Krisensituation wie der aktuellen wahr und unterstützt den Bund in seinen Bemühungen», teilt TX-Group-Sprecherin Nicole Bänninger mit.
Nicht nur in «20 Minuten», auch in den abonnierten Tageszeitungen des Zürcher Medienunternehmens, hat das BAG ganzseitige Inserate gekauft. Eine ganzseitige Anzeige in Farbe kostet dort um die 30’000 Franken.
Doch auch kleinere Verlage kriegen etwas von der Corona-Kampagne ab. Etwa der Walliser Bote, der davon profitiert, dass «20 Minuten» im Oberwallis nicht verteilt wird. Bei der Ausahl der Medien geht es aber nicht um Regional- oder Medienpolitik. «Es gilt, die Botschaft möglichst schnell in die Öffentlichkeit zu tragen und dann eben auch für den Mitteleinsatz die grösstmögliche Reichweite in einer möglichst breiten Bevölkerung zu erzielen», erläutert BAG-Kampagnenleiter Kammer die Medienstrategie. Unterstützung bei Buchung und Einsatzplanung der Kampagnenmittel erhält das Bundesamt von der Agentur Mediaschneider Bern.
Auf 20min.ch kann das BAG in eigener Verantwortung einen Ticker betreiben.
Neben der bezahlten Werbung kann das BAG auch auf die Kulanz der Verlage zählen. Viele Medien gewährten zusätzlichen Freespace oder kämen dem BAG mit Angeboten entgegen, die man sonst nicht buchen kann, weiss Adrian Kammer. So habe Ringier angeboten, im «Blick»-Live-Ticker Kampagnenbotschaften zu platzieren und auf die BAG-Informationskanäle zu verweisen.
Auf 20min.ch hat die Kampagne direkten Zugang zum Online-Tool und kann so in eigener Verantwortung behördliche Informationen und Anweisungen veröffentlichen. Damit übernimmt die Gratiszeitung die Rolle, die eigentlich den SRG-Radios zugedacht wäre – mit dem Unterschied, dass die behördliche Präsenz auf 20min.ch die Kulanzleistung eines privaten Verlags ist und nicht eine Verpflichtung von Gesetzes wegen, wie dies beim Radio der Fall wäre.
Die Nichtberücksichtigung des Radios in der Corona-Kampagne ist insofern unverständlich und auch unverantwortlich, da gerade die besonders gefährdete Gruppe der älteren Personen zu diesem Medium eine hohe Affinität aufweist.
Claude Bürki 11. März 2020, 07:09
So ist es; das BAG folgt seiner eigenen „Medienstrategie“.