von Nick Lüthi

Geld für den Journalismus: Gute Zeiten sind schlechte Zeiten

Wir beobachten gerade ein problematisches Paradox: Den werbefinanzierten Medien geht das Geld aus und gleichzeitig ist ihr journalistisches Angebot so gefragt wie noch nie. Hat Werbung in den Medien überhaupt noch eine Zukunft?

Das Informationsbedürfnis der Bevölkerung ist so gross wie kaum je zuvor. In der Corona-Krise mit ihren drastischen Folgen für Individuum und Gesellschaft sind verlässliche und unabhängige Informationen gefragt. Und die Redaktionen geben alles, um den sprunghaft gestiegenen Nachrichtenbedarf zu befriedigen.

Das tun sie unter erschwerten Bedingungen. Ganze Belegschaften arbeiten im Homeoffice und jederzeit müssen sie mit krankheitsbedingten Ausfällen rechnen. Trotzdem berichten sie Tag für Tag, Stunde für Stunde über den Verlauf der Corona-Pandemie und versuchen Antworten auf die drängendsten Fragen zu geben. Das gelingt den Redaktionen überraschend gut.

Wüsste man nicht um die besonderen Umstände der Nachrichtenproduktion, man merkte diese dem Ergebnis nicht an. Nur: Wie lange halten die das durch? Während die Frage beim öffentlichen Radio und Fernsehen auf die Gesundheit und Verfügbarkeit des Personals zielt, geht es bei den privat finanzierten Medien um die Grundlagen ihrer Existenz. Als Folge der Corona-Krise knickt ihnen gerade eines ihrer Standbeine weg.

Gemäss Schätzungen aus der Branche beträgt der Umsatzrückgang im Werbegeschäft bis zu 80 Prozent. Ein Wert, den man so aus dem Markt in Deutschland vernimmt, aber auch vom regionalen Verlagshaus im Wallis. Es sind Riesenbeträge, die dem Journalismus verlustig gehen. Goldbach, die Werbevermarktung der TX Group (vormals Tamedia), rechnet bis Ende Jahr mit einen «grösseren zweistelligen Millionenbetrag», der fehlen wird. Mengis Druck und Verlag, Herausgeberin von «Walliser Bote» und «Rhône Zeitung» im Wallis, geht von einem Rückgang des Werbeumsatzes um 600’000 bis 700’000 Franken pro Monat aus.

Die nun allenthalben verordnete Reduktion der Arbeitszeit und der absehbare Abbau beim Personal führen ebenso zu einem geringeren publizistischen Output.

Die enormen Summen zeigen zum einen, wie stark sich Medien weiterhin über Werbung finanzieren. Zum anderen stehen die Millionenbeträge auch für das Klumpenrisiko im Fall einer Krise. Wenn ein so grosser Ertragsblock praktisch über Nacht wegfällt, dann zieht das entsprechend drastische Massnahmen nach sich. So überrascht es nicht, wenn nun Medienhäuser den Personalaufwand runterfahren. Schnell reagierte die TX Group und beantragte für das gesamte Unternehmen Kurzarbeit. Für die Redaktionen der Tamedia-Tageszeitungen bedeutet das eine Pensenreduktion von mindestens zehn Prozent für alle Mitarbeitenden. Auch mehrere Westschweizer Verlage haben sich für diesen Schritt entschieden. Andere Verlage warten noch zu.

Doch das allein wird nicht reichen. Einschneidendere Massnahmen werden folgen – mit spürbaren Konsequenzen. So hat der NZZ-Verlag bekannt gegeben, dass sein Magazin NZZ Folio bis im Herbst nicht mehr erscheint wegen ausbleibender Werbeeinnahmen. Die nun allenthalben verordnete Reduktion der Arbeitszeit und der absehbare Abbau beim Personal führen ebenso zu einem geringeren publizistischen Output. Gleichzeitig ist das Bedürfnis des Publikums nach Information, Einordnung und Unterhaltung so gross wie kaum je zuvor. Eine paradoxe Situation.

Die Prognose ist nicht besonders gewagt, dass kleinere Titel das Virus nicht überleben werden.

Wenn nun Chefredaktoren reihum betonen, warum verlässliche Medien in dieser ausserordentlichen Lage wichtiger seien denn je, dann steht das im Kontrast zu den ökonomischen Voraussetzungen, die es ihnen je länger je weniger ermöglichen, diese eminente Rolle zu erfüllen. Die Abhängigkeit von der Werbung erweist sich als Geschäftsrisiko, nicht erst seit Corona, aber jetzt in einer sehr bedrohlichen Form. Die Prognose ist nicht besonders gewagt, dass kleinere Titel, etwa regionale Wochenblätter, das Virus nicht überleben werden.

Die grossen Verlagshäuser hingegen, die nicht um ihre Existenz fürchten müssen, weil sie sich in den letzten Jahre diversifiziert haben und ihr Geld inzwischen in ganz unterschiedlichen Branchen verdienen, könnten den finanziellen Tatbeweis erbringen, dass ihnen auch weiterhin – und gerade jetzt – am Journalismus gelegen ist. Auf kurze Sicht stünden darum die Verlage und ihre Eigentümer in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die hehren Worte ihrer Chefredaktoren nicht zu hohlen Phrasen verkommen.

Die Corona-Krise böte eine ideale Gelegenheit um den digitalen Aboverkauf voranzutreiben.

Wenn aber das grösste private Medienhaus als Erstes beim Personal ansetzt, dann ist das ein Signal an die Branche. Ein kerngesunder Konzern wie die TX Group könnte angesichts der Umstände einmalig auf eine Gewinnausschüttung verzichten, so wie das nun immer mehr Unternehmen tun. Diese Forderung kommt auch vom Personal. Bisher sieht es allerdings nicht danach aus, als ob die TX Group entsprechend handeln würde. Zur Erinnerung: Das Zürcher Unternehmen erzielte 2019 fast 100 Millionen Franken Gewinn.

Sollte für den Medienbereich ein Hilfspaket geschnürt werden, wie das der Bund bereits für den Kulturbereich getan hat, dann wäre ein Dividendenverzicht allerdings eine Bedingung, um die öffentlichen Mittel zu erhalten.

Auf mittlere und längere Sicht müssen private Medienunternehmen noch stärker als heute auf eine Finanzierung durch ihr Publikum setzen. Dazu sehen sie sich allein schon deshalb gezwungen, weil die Werbung weiter erodieren wird. Die Corona-Krise böte eine ideale Gelegenheit um den digitalen Aboverkauf voranzutreiben. Noch selten war es für Redaktionen so einfach aufzuzeigen, worin ihre Leistung besteht und warum es unabhängige Medien braucht. Und der enorme Publikumszuspruch zeigt, dass die Botschaft ankommt.

Den Leute steht Geld zur Verfügung, das sie unter normalen Umständen für andere Dienstleistungen ausgeben würden.

Umso mehr erstaunt es, dass bisher keines der grossen Schweizer Medienhäuser die Gunst der Stunde nutzt. Wer sich durch die News-Seiten von Ringier, Tamedia, CH Media und NZZ klickt, erhält nirgends ein attraktives Angebot unterbreitet, das die Corona-Berichterstattung als Werbeargument nutzt. Das ist eine verpasste Chance. Denn die Zahlungsbereitschaft dürfte gerade jetzt besonders gross sein. Den Leuten steht Geld zur Verfügung, das sie unter normalen Umständen für andere Dienstleistungen ausgeben würden. Und sie haben Zeit, sich mit den Medien auseinanderzusetzen.

Ein Selbstläufer ist die reine Nutzerfinanzierung natürlich nicht. Das weiss auch das Online-Magazin «Republik», das bewusst auf Werbung verzichtet und sich dafür permanent um zahlende Leserinnen und Leser bemühen muss. Wenn man es nicht schafft, auf diesem Weg ein Auskommen zu finden, dann ist das immerhin ein ehrlicheres Scheitern als wenn einem trotz Publikumszuspruch das Geld ausgeht.