von Gerhard Lob

Journalisten im Krisenstab: In der Not für den Staat

Im Tessin arbeiten RSI-Journalisten in der Kommunikation des kantonalen Corona-Krisenstabs mit. Das ist eine landesweit einzigartige Konstellation. Eine Vereinbarung zwischen Kanton und RSI regelt diese problematische Zusammenarbeit.

Am 11. März haben die Behörden im Tessin den Notstand ausgerufen und einen kantonalen Krisenstab eingerichtet. Die Organisation unterhält eine eigene Kommunikationsabteilung, die von der Presse- und Medienabteilung der Kantonspolizei geführt und von der Staatskanzlei sowie den einzelnen Departementen des Kantons unterstützt wird.

Wer mit der Kommunikationsabteilung des Krisenstabs in Kontakt tritt, kriegt es aber auch mit Journalistinnen und Journalisten des Radios und Fernsehens der italienischen Schweiz RSI zu tun. Wie ist das möglich? Machen sich Journalisten hier zu Dienern mehrerer Herren?

Auf Anfrage erklärt die RSI, dass der Einsatz von RSI-Journalisten im Krisenstab durch eine Vereinbarung geregelt ist, die am 18. März 2019 zwischen dem Polizei- und Justizdepartement und der RSI abgeschlossen wurde. In einem Leistungsauftrag ist festgelegt, «dass RSI Personal und technische Mittel für die Redaktion, Produktion und Verbreitung von institutionellen Nachrichten und Informationen des Krisenstabs garantiert». Den genauen Wortlaut der Vereinbarung will RSI unter Verweis auf den «internen Charakter des Dokuments» nicht offenlegen. Stattdessen verweist der Sender auf eine Medienmitteilung des Kantons vom Vorjahr, als das Abkommen unterzeichnet wurde.

Tatsächlich stellt sich die Frage, ob sich die Arbeitsfelder sauber trennen lassen.

Die Coronakrise hat dazu geführt, dass erstmals seit Inkrafttreten der Konvention davon Gebrauch gemacht wird. Zurzeit arbeiten sieben RSI-Journalisten (vier Frauen und drei Männer) für die Kommunikation des Krisenstabs. Sie übten diese Funktion im Rahmen ihrer Zivilschutztätigkeit aus und nicht als RSI-Angestellte, erklärt das Medienunternehmen. Auch die Entlöhnung erfolge an diesen Tagen nicht durch die RSI, sondern durch die Dienstentschädigungen – genauso wie beim Militärdienst. Im Kalender der Redaktionen seien die Abwesenheiten für den Zivilschutz markiert; die betreffenden Journalisten sind dann also nicht auf der Redaktion anzutreffen. RSI betont zudem, «dass die Unabhängigkeit und Autonomie dieser Personen in ihrer Funktion als Journalisten in keiner Weise eingeschränkt ist». Ihre redaktionelle Unabhängigkeit sei folglich gewährleistet.

Journalisten im Krisenstab nehmen Einfluss auf die Auswahl von Interview- und Themenanfragen ihrer Kollegen.

Trotz dieses Beteuerungen erfährt man von RSI-Journalisten, dass die gegenwärtige Praxis mit Kollegen, die tageweise im Krisenstab arbeiten, nicht überall gut ankommt und zu einigem internen Ärger in den Redaktionen führt. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob sich die Arbeitsfelder sauber trennen lassen und etwa das kritische Begleiten der Arbeit des Krisenstabs überhaupt noch möglich ist, wenn man selbst in diesem Gremium tätig war. Zudem nehmen Journalisten im Krisenstab auch Einfluss auf die Auswahl von Interview- und Themenanfragen von Kollegen. Das wird als Einmischung erlebt.

Enrico Morresi, ehemaliger RSI-Radioredaktor und vormaliger Präsident des Schweizer Presserats, reagiert erstaunt auf diese Praxis, die ihm nicht bekannt war. Für ihn ist aber ausschlaggebend, «dass behördliche und redaktionelle Information nicht gleichzeitig erfolgen». Er hält die Regelung im vorliegenden Fall für akzeptabel, weil die RSI den Mitarbeitenden eine Trennung der beiden Tätigkeitsbereiche garantiert.

Auch in anderen Kantonen könnten SRG-Mitarbeitende in Krisenstäben Militär- oder Zivilschutz-Einsätze leisten.

Die SRG-Medienstelle in Bern hält auf Anfrage fest, dass einzig die RSI einen solchen Leistungsauftrag mit einem kantonalen Krisenstab abgeschlossen hat. Bei keiner anderen Unternehmenseinheit gäbe es eine ähnliche Vereinbarung, weil dies nur schwierig in vergleichbarer Form zu organisieren wäre, da jeweils mehrere Kantone im jeweiligen Einzugsbereich liegen (vor allem bei SRF und RTS). «Hier haben wir in der italienischen Schweiz eine Sonderstellung – ein Kanton für eine Unternehmenseinheit», teilt SRG-Sprecher Edi Estermann mit.

Grundsätzlich wäre eine solche Regelung auch bei RTR, dem Sender der rätoromanischen Schweiz, möglich, aber dort gibt es eine solche Vereinbarung nicht. Dies schliesse aber nicht aus, dass SRG-Mitarbeitende in kantonalen Krisenstab-Organisationen Militär- oder Zivilschutz-Einsätze leisten könnten.

Die Tessiner Regelung erinnert an die 2004 vom Bundesrat erlassene Neuregelung der Kommunikation in ausserordentlichen Lagen. Damals wurden auf nationaler Ebene Leistungsvereinbarungen mit der SRG und der Schweizerischen Depeschenagentur SDA abgeschlossen, die sicherstellen sollten, dass der Bundesrat jederzeit und in jeder denkbaren Lage die Information der Öffentlichkeit wahrnehmen und sich über das Radio an die Bevölkerung wenden kann. In Bern sind – so weit bekannt – noch keine Journalisten in den Behördendienst eingerückt.

Leserbeiträge

Jonny Kopp 16. April 2020, 18:44

Was ist mit der Abteilung Presse und Funkspruch (APF)? Gibts die noch? Da hatte m.W. der  Programmleiter DRS den höheren militärischen Grad als der Radiodirektor DRS. Also umgekehrt wie im zivilen Leben. Wäre wohl im Krieg zum Zuge gekommen. Geübt haben die APF fleissig/regelmässig.

Michael Scharenberg-Weinberg 16. April 2020, 18:57

Diese Zusammenarbeit geht gar nicht, um so weniger, als nicht alle Information zur Vereinbaring auf den Tisch gelegt werden!

Matthias Wyssmann 17. April 2020, 08:26

Eine bedenkliche Sache. Gerade in „besonderen Lagen“, wenn Teile des demokratischen Prozesses ausgehebelt sind, müssen die Medien ihre Pflicht als kritische 4. Gewalt wahrnehmen.

Ausserdem hätte man sicher unabhängige Kommunikationsspezialist*innen gefunden, die in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Behörden ebenso professionell unterstützen könnten wie festangestellte SRG-Mitarbeiter*innen.

Lahor 21. April 2020, 22:35

Der Fall ist klar: Es arbeiten Beamte (von SRG/RSI) mit Beamten (des Kantons). Beamte für Beamte. Wo ist also das Problem? Wann war denn SRF jemals staatskritisch?