Journalisten in der Tessiner Krisenkommunikation: RSI kann Vertrag mit Kanton nicht auflösen
In ausserordentlichen Lagen können im Tessin RSI-Journalisten die Behörden bei der Kommunikation unterstützen. Die Trägerschaft des italienischsprachigen Radios und Fernsehens fordert nun, den Vertrag aufzulösen. Doch das geht nicht. RSI hat sich für zehn Jahre verpflichtet. Derweil weist der Tessiner Justizdirektor die Kritik an der Kooperation zurück.
Im kantonalen Krisenstab des Tessins sind während der Coronakrise auch RSI-Journalisten tätig, wie die MEDIENWOCHE Mitte April 2020 publik machte. Dieser Einsatz geht auf eine Vereinbarung zurück, die der Kanton Tessin ein Jahr zuvor mit dem Radio und Fernsehen der italienischen Schweiz RSI für eine Laufzeit von zehn Jahren abgeschlossen hatte.
Die Initiative für das Abkommen kam vom kantonalen Justiz- und Polizeidepartement aus. Dabei stützte sich die Behörde auf die Erfahrungen aus der Verbundsübung «Odescalchi». 2016 spielten Behörden, Armee, Polizei und Zivilschutz in Chiasso einen dreitägigen, grenzüberschreitenden Katastrophenfall durch. Bestandteil des Szenarios war damals auch die Information der Bevölkerung.
RSI verteidigte das Abkommen mit dem Hinweis, dass die redaktionelle Unabhängigkeit der Journalisten nicht beschnitten werde.
Nun ist das Abkommen im Rahmen der Coronakrise erstmals angewandt worden. Dabei hat der Einsatz von sieben RSI-Journalisten in der Kommunikation des Krisenstabs einigen Staub aufgewirbelt. Diese Form der Zusammenarbeit zwischen SRG-Personal und kantonalen Behörden ist in der Schweiz einmalig. Nachdem die MEDIENWOCHE die problematische Konstellation Mitte April publik gemacht hatte, berichteten zahlreiche Medien der ganzen Schweiz darüber. Sie alle warfen die Frage auf, ob es opportun sei, dass Journalisten an einem Tag im Krisenstab arbeiten und am nächsten wieder in der Redaktion.
RSI verteidigte das Abkommen mit dem Hinweis, dass die redaktionelle Unabhängigkeit der Journalistinnen und Journalisten nicht beschnitten werde, der Einsatz während Zivilschutztagen erfolge und in Krisenzeiten Inhalte professionell aufbereitet werden müssten. Die Arbeitsbereiche Krisenstab und Redaktion seien klar getrennt.
Doch die Argumentation der RSI vermochte die Gemüter nicht zu beruhigen. In der letzten Woche häuften sich im Tessin kritische Stellungnahmen. So forderte der Tessiner Journalistenverband ATG die RSI in einer Medienmitteilung auf, «das Beibehalten dieser Vereinbarung mit Blick auf künftige und ähnliche Einsätze zu überprüfen». Drei SP-Grossräte, darunter die kantonalen Co-Präsidenten Laura Riget und Fabrizio Sirica, reichten eine Anfrage an den Staatsrat in dieser Sache ein.
Die RSI-Trägerschaft fordert unmissverständlich, den Vertrag mit dem Kanton aufzulösen.
Einen Schritt weiter ging dann der Vorstand der RSI-Trägerschaft Corsi. Das Gremium tagte am Mittwoch dieser Woche im Beisein von SRG-Generaldirektor Gilles Marchand und Regionaldirektor Maurizio Canetta. Gemäss einer Medienmitteilung zeigte sich der Vorstand «perplex» ob der Vereinbarung zwischen RSI und Behörden. Und nach dem Treffen hat der Vorstand die RSI-Regionaldirektion mit klaren Worten aufgefordert, den Vertrag mit dem Kanton aufzulösen, «weil dadurch Zweifel an der effektiven Autonomie der RSI entstehen können».
Die RSI hat nach anfänglichem Zögern mittlerweile den Wortlaut der Konvention publik gemacht. Darin ist auch die Laufzeit von zehn Jahren bis 2029 festgehalten. Der früheste Kündigungstermin ist auf den 28. Februar 2028 festgelegt. Wie eine frühzeitige Auflösung dieser Vereinbarung ermöglicht werden soll, ist daher nicht klar.
Weil die RSI den Vertrag mit dem Kanton nicht auflösen kann, will man ihn nun nachbessern.
Die RSI-Regionaldirektion spricht auf Anfrage der MEDIENWOCHE nicht von einer Kündigung des Vertrags mit dem Kanton, sondern von einer möglichen «Nachbesserung», die sich nach den Gesprächen mit der Generaldirektion, den SRG-Chefredaktoren sowie der Corsi aufdränge. Man werde so schnell wie möglich den Dialog mit den kantonalen Behörden suchen, «um das zu klären, was geklärt werden muss, und auf das zu verzichten, was zu Missverständnissen führen könnte».
Der Tessiner Justiz- und Polizeidirektor Norman Gobbi (Lega) verteidigt auf Anfrage gegenüber der MEDIENWOCHE in einer persönlichen Stellungnahme den Nutzen der Zusammenarbeit zwischen Kanton und RSI. Die Forderung der Trägerschaft nach Auflösung des Vertrags komme zu spät und sie «beruht nicht auf Fakten, sondern auf einem Mantra, das man ‹Unabhängigkeit der Journalisten› nennt». Er verweist zudem auf eine ähnliche Leistungsvereinbarung zwischen Bundesrat und SRG zur Information in Krisenlagen.
Gobbi lobt zudem die Arbeit der beteiligten Journalisten bei der Bewältigung der aktuellen Krisensituation im Krisenstab, welche ihren Einsatz im Milizsystem des Zivilschutzes zugunsten des Landes klar von ihrer redaktionellen Aufgabe trennen könnten. Gobbi: «Wir werden am Ende eine Bilanz der Operation machen, auch in Bezug auf die Kommunikation, und diese – wenn nötig – verbessern, wo sie verbessert werden kann.»