Werbung für Digitalradio: Mit schwachen Argumenten in die Radiozukunft
Viel Geld und Aufwand steckt in den unzähligen Werbekampagnen für Digitalradio der vergangenen rund zwanzig Jahre. Der Erfolg dieser Kampagnen ist unklar und die besten Argumente sucht man vergebens. Auch die aktuellen Bemühungen reihen sich in diese Tradition ein.
Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Seit zwanzig Jahren versucht eine Werbeagentur nach der anderen die Bevölkerung von den Vorteilen des Digitalradios zu überzeugen. Aktuell darf Scholz & Friends fünf Millionen Franken aus der Radio- und Fernsehabgabe kreativ verarbeiten. Ihre Kampagne soll den finalen Push geben, damit auch wirklich alle mitkriegen, dass spätestens Ende 2024 Schluss ist mit UKW. Danach läuft das Antennenradio nur noch mit DAB+.
Die Zürcher Werbeagentur hat sich etwas einfallen lassen. Sie nennen es liebevoll «Dabsy» und es ist ein sprechendes Radiogerät. Das hüpft dann munter durchs Bild, wedelt mit der Antenne, verzieht den Lautsprechermund und rollt die Drehknopfaugen. Dazu sagt eine Männerstimme: «Für mehr Freude am Klang. Mehr Sender links und rechts. Und mehr Reichweite ihres Lieblingssenders. Mehr Sender, mehr Klang, mehr Radio: DAB+.» Oder auf einen Nenner gebracht: «Mit DAB+ wird alles besser», wie es an einer andere Stelle der Kampagne heisst.
Diese Botschaft vernimmt man in Variationen alle paar Jahre. Und sie scheint anzukommen: Die Anzahl verkaufter Digitalradio-Geräte nimmt seit 15 Jahren stetig zu, ebenso die Hördauer via DAB+. Nur: Niemand weiss, ob sich die Zahlen nicht genauso positiv entwickelt hätten ohne die aufwändigen und millionenteuren Werbekampagnen.
Vielleicht hätte es auch genügt, wenn die Radiosender ihre Hörerschaft regelmässig auf den anstehenden Technologiewechsel hingewiesen hätten. Inzwischen lautet die Botschaft ja denkbar einfach: «In spätestens vier Jahren kannst du uns mit deinem UKW-Empfänger nicht mehr hören. Darum kauf dir jetzt ein DAB-Gerät.» Mantramässig wiederholt über die Jahre hätte das seine Wirkung bestimmt nicht verfehlt. Ausserdem liegt es im ureigenen Interesse der Sender, ihre Hörerinnen und Hörer auch in einer Post-UKW-Radiozukunft zu behalten. Wenn die direkt Betroffenen sagen, was Sache ist, wirkt das zudem glaubwürdiger.
In der aktuellen Kampagne von Scholz&Friends soll DAB+ die Radioakustik gar «in eine neue Liga» hieven.
Denn die Werbekampagnen nehmen es mit der Wahrheit nicht immer so genau. Das gilt im Besonderen für die Behauptung, die Tonqualität von Digitalradio sei besser als jene von UKW. «Programmvielfalt in bester Tonqualität» hiess es in der Kampagne von Jung von Matt/Limmat vor zehn Jahren. «Digitalradio. Das bessere Radio», verkündete die Werbung von Numéro10 im Jahr 2012 und in der aktuellen Kampagne von Scholz & Friends soll DAB+ die Radioakustik gar «in eine neue Liga» hieven.
Die Realität klingt anders: Um mit DAB+ eine Klangqualität vergleichbar mit UKW hinzukriegen, müsste die Datenübertragungsrate mindestens 128 Kilobit pro Sekunde betragen. Tatsächlich sind es aber viel weniger. Von den SRF-Programmen erreicht SRF 2 Kultur den höchsten Wert mit 96 Kilobit pro Sekunde und das Wortprogramm SRF 4 News mit 56 den schlechtesten. Die anderen Sender, ob öffentlich oder privat, liegen mit ihren Werten irgendwo dazwischen. So viel zum «besseren Radio». Natürlich liesse sich die Datenrate erhöhen, aber das ginge dann auf Kosten der Sendervielfalt. Qualität und Vielfalt zusammen gibt es nur in der Werbung.
DAB+ ist also nicht das Superding, das seit Jahren angepriesen wird. Das spielt aber keine so grosse Rolle.
Und auch die Empfangsqualität lässt weiterhin zu wünschen übrig. Hinter dicken Hausmauern oder metallbedampften Fenstern ist der Empfang eingeschränkt oder nicht möglich. Auch die Isolierung in Minergie-Gebäuden kann das Signal abschwächen. Das steht so in der SRG-Broschüre «Einkaufsberater Digitaradio».
DAB+ ist also nicht das Superding, das seit Jahren angepriesen wird. Das spielt aber keine so grosse Rolle. Auch andere Technologien haben ihre Schwächen. Es irritiert indes, dass die stärksten Argumente für Digitalradio in all den Werbekampagnen keine Rolle spielen. Erstens: Digitalradio ist frei empfangbar, erfordert also kein Abo. Zweitens: Die Verbreitungsinfrastruktur befindet sich in heimischen Händen. Und drittens werden beim Hören keine Nutzerdaten gesammelt. Das ging auch deshalb vergessen, weil die Werbung das neue Digitalradio stets mit dem alten UKW vergleicht. Dabei würde der Blick nach vorn die besseren Argumente liefern.
Wenn der Geräteabsatz und die Nutzung von DAB+ in der Schweiz inzwischen stattliche Dimensionen erreicht haben, dann nicht wegen, sondern trotz all der aufwändigen Kampagnen.
Erich Ed. Müller 12. Mai 2020, 18:45
„Und drittens werden beim Hören keine Nutzerdaten gesammelt.“
die Frage ist, wie muss hier das „Datensammeln“ verstanden werden? Der einzige Übertragungsweg, auf dem Daten gesammelt werden, ist das Internetradio, auch Webradio genannt. Aber was wird da wirklich gesammelt? Aufgrund von Ein- und Ausschaltung des Radios oder Players, wird lediglich die IP-Adresse des Nutzers verwendet. Diese aber übermittelt NIEMALS irgendwelche Daten der Nutzer. Diese sind und bleiben anoym. Lediglich wieviele Leute Radio gehört haben, wie lang und aus welcher Gegend wird bekannt, mehr nicht!
In Zukunft wünsche ich mir eine etwas sorgfältigere Berichterstattung und nicht nur irgendwelche Behauptungen.
Nick Lüthi 12. Mai 2020, 21:25
Und wie hört man heute Webradio? Zum Beispiel mit einer App. Und was steht dort in der Privacy Policy? Zum Beispiel das. Was in dieser Radio-App mit Personendaten angestellt werden darf, ist mit DAB+ nicht möglich. Das wollte ich sagen.
Theo Schmidt 18. Mai 2020, 13:20
Ein Problem, dass im kaum erwähnt wird, ist Anfälligkeit von DAB-Empfängern im Vergleich zu UKW-Empfängern. Letztere sind relativ einfach aufgebaut und laufen und laufen… Erstere sind kleine Computer, mit allen ihren typischen Problemen.
Von meinen drei gekauften und vier geschenkten DAB(+)-Empängern funktioniert keiner mehr fehlerfrei und die meisten sind ganz unbrauchbar geworden. Oft laufen die Programmspeicher voll und lassen sich nicht löschen. Oder einzelne Programme funktionieren, andere nur zerhackt. Auch der Stromverbrauch von portablen Geräten ist hoch, die Benutzungsdauer pro Ladung gering. Viele gehen aber einfach gar nicht mehr. Meine vielen UKW-Empänger funktionieren hingegen fast alle tadelos, sogar einige, die viele Jahrzehnte alt sind.
Philipp Schütt 24. Juni 2020, 07:21
Guter, kritischer Artikel mit Fakten, die landläufig nicht so bekannt sind. So war mir bislang nicht bewusst, dass die Datenrate bei DAB+ noch tiefer als die eh schon knappen 128kbit/s beträgt.
Interessant wäre ergänzend der Vergleich zum Internetradio als die Alternative zu UKW, die sich mit grosser Wahrscheinlichkeit durchsetzen dürfte (v.a. international). Was motiviert SRF etc., DAB+ gegenüber dem Internetradio so zu favorisieren? Sind es die bereits getätigten Investitionen? Ist es die (noch) schlechtere Klangqualität des IR gegenüber DAB+? Ist es die limitierte Anzahl möglicher gleichzeitiger Zuhörer?…
Darüber liest man erstaunlich wenig, wäre aber interessant.