von Nick Lüthi

Radio-Soforthilfe: Flickwerk und Ungereimtheiten

Von der Corona-Soforthilfe für die Schweizer Radiobranche profitieren nur UKW-Sender. Reine Digitalradios gehen leer aus. Das passt schlecht zur viel gepriesenen Programmvielfalt dank der Digitalisierung des Äthers. Mit der Ungleichbehandlung hat sich inzwischen die Wettbewerbskommission befasst.

Eigentlich hätte es gar nie so weit kommen sollen. Am 1. April 2020 entschied sich der Bundesrat gegen Corona-Nothilfe für Medien. Eine Mehrheit der Regierung hielt die Sonderbehandlung der Medienunternehmen nicht für angemessen. Wie alle anderen sollten auch sie die bereits zuvor beschlossenen Instrumente zur Stützung der Wirtschaft nutzen.

Doch Kurzarbeit und Bürgschaften sind gerade für kleinere, ertragsschwache Unternehmen keine wirkliche Hilfe, sondern vielmehr eine Belastung. Darum drängten Branchenorganisation weiter auf eine Sonderlösung für die Medien.

Mehr Gehör als beim Bundesrat fanden die Verbände im Parlament. Für die privaten Radio- und Fernsehveranstalter schien sich eine Lösung geradezu aufzudrängen. Im Topf mit der sogenannten Schwankungsreserve aus der Medienabgabe befände sich derzeit so viel Geld, dass es zu verantworten sei, einen Teil davon als Soforthilfe auszuschütten, finden die Radio- und TV-Verbände. Die zuständige Bundesrätin Simonetta Sommaruga warnte vergeblich vor einer zweckfremden Mittelentnahme.

Anfang Mai erteilten die eidgenössischen Räte dem Bundesrat einen Auftrag. Zwei identische Motionen aus den zuständigen Kommissionen von Nationalrat und Ständerat verlangten eine sofortige Ausschüttung von 30 Millionen Franken als Nothilfe für die privaten Radio- und Fernsehstationen. Damit waren die wichtigsten Fragen aber noch nicht beantwortet: Wer kriegt das Geld und wieviel?

Die Begründung des Bakom steht im Kontrast zur realen Informationsleistung der Radios.

Da das Parlament den Kreis der zu begünstigenden Radios nicht definierte, hatte das Bundesamt für Kommunikation Bakom grossen Spielraum bei der Ausarbeitung der Notverordnung. Man habe die Soforthilfe auf Sender konzentriert, die «für die Information und Begleitung der Bevölkerung – gerade in Krisenzeiten wie der gegenwärtigen Corona-Pandemie – wichtig sind.» Für das Bakom trifft dies vorrangig auf die kommerziellen Lokalsender zu, von A wie Radio Argovia bis Z wie Radio Zürisee.

Die Begründung steht allerdings im Kontrast zur realen Informationsleistung. 2018 hielt dazu eine Publicom-Studie fest: «Obwohl fast alle konzessionierten Privatradios denselben Leistungsauftrag erfüllten müssten, schwanken die entsprechenden Programmleistungen sehr stark.»

Am unteren Ende einer solchen Skala würde sich «20 Minuten Radio» bewegen. Die Informationsleistung des konzessionierten Senders besteht massgeblich darin, zwei Mal pro Stunde eine Schlagzeile vorzulesen mit der Aufforderung, die ganze Story auf der «20 Minuten»-App zu lesen. Auch für solchen Service public gibt es als «Übergangsmassnahme» 487’000 Franken, wie für alle anderen Sender. 145’000 Franken können die neun komplementären und nicht gewinnorientierten Radioveranstalter wie «Rabe» in Bern oder «Lora» in Zürich beim Bund beantragen. Geld erhalten sollen ebenfalls 14 regionale TV-Sender, von «Canal Alpha» bis «Tele Züri», für sie sind je 901’327 Franken vorgesehen.

CH Media kann bis zu 6 Millionen Franken kassieren. Das ist ein Fünftel der gesamten Soforthilfe.

Nach diesem Schlüssel kann CH Media den höchsten Betrag abholen. Das Joint Venture von Peter Wanner und der NZZ kriegt für seine fünf UKW-Sender 2,4 Millionen. Zusammen mit den Notsubventionen für die vier TV-Sender kann CH Media fast sechs Millionen Franken kassieren. Das ist ein Fünftel der Soforthilfe. Zumindest irritierend daran: Die Radiosender von CH Media kommen in den Genuss der Hilfsgelder, obwohl sie ihre Konzessionen zurückgegeben haben und sich zu keiner Informationsleistung mehr verpflichten.

Auch Ringier profitiert mehrfach vom bundesrätlichen Corona-Geldsegen. Der Radio-Energy-Senderverbund erhielt gleich drei Mal den vollen Betrag zugesprochen, je einmal für Bern, Basel und Zürich. Macht zusammen 1,4 Millionen Franken. Die drei Programme unterscheiden sich über weite Strecken nicht voneinander. Auch der Grossteil der News wird einmal produziert und dreimal ausgestrahlt. Trotzdem gibt es nun das Dreifache an Subventionen, als wären das drei völlig voneinander unabhängige Radios.

Die Sender, die über DAB+ senden, stehen für eine neue Radiovielfalt und erzielen teils respektable Reichweiten.

Insgesamt teilen sich 37 Unternehmen mit 56 Radio- und TV-Sendern die 30 Millionen Franken Soforthilfe. Aussen vor bleiben rund 60 Radiounternehmen, die ihr Programm nur via DAB+ ausstrahlen.

Das Spektrum dieser jüngeren Veranstalter reicht vom Volksmusiksender «Radio Tell» (früher «Buureradio»), über das evangelische Radio «Life Channel» bis zum englischsprachigen Nachrichtensender «World Radio Switzerland». Solche Sender, die über DAB+ senden, stehen für eine neue Radiovielfalt und erzielen respektable Reichweiten. Viele Sender zählen eine fünfstellige Zuhörerschaft. Und das nota bene im Wettbewerb mit allen etablierten UKW-Sendern, die ihr Programm parallel auch via DAB+ ausstrahlen.

Solche Konkurrenz, mit teils mächtigen Medienhäusern im Rücken, erleichtert das Geschäft nicht gerade. So müssen sich die DAB+-Sender ihre kommerziellen Erträge oft mühsam zusammenklauben. Der Werbeverkauf ist Knochenarbeit. Grosse Vermarkter, wie Goldbach oder Cover Media, führen nahezu exklusiv nur UKW-Sender und ihre digitalen Ableger im Portfolio.

Darum trifft der Corona-bedingte Einbruch der Werbung die kleinen Digitalsender genauso hart wie die grösseren Mitbewerber. Auch Sender ohne Werbung kriegen Corona wirtschaftlich zu spüren. Viele nicht-kommerzielle Sender finanzieren sich über Einnahmen aus Veranstaltungen im öffentlichen Raum, mit Festen und Konzerten. Doch damit wird in diesem Jahr nichts mehr.

Der wirtschaftliche Einbruch ist der gemeinsame Nenner, er trifft alle plusminus gleichermassen. Entsprechend könnte sich eine staatliche Nothilfe daran orientieren.

Als übergeordnetes Ziel für die Nothilfe formulierte das Bakom die «Erhaltung der Angebotsvielfalt».

Das sah anfänglich auch das Bakom so. Für eine Telefonkonferenz mit Branchenvertretern am 11. Mai 2020 legte das Amt einen Umsetzungsvorschlag auf den Tisch, der auch für DAB+-Radios eine finanzielle Unterstützung vorsah. Mit 4 bis 5,1 Millionen, einem Sechstel der 30 Millionen Soforthilfe, sollten die Verbreitungskosten der Digitalsender zu grossen Teilen subventioniert werden. Als übergeordnetes Ziel formulierte das Bakom die «Erhaltung der Angebotsvielfalt». Davon blieb am Ende nicht mehr viel übrig.

Bakom-Direktor Bernard Maissen nennt die nun vom Bundesrat beschlossene Lösung mit Fokus auf die UKW-Sender einen «Kompromiss». Und weiter: «Die Verbände tragen den vom Bundesrat beschlossenen Adressatenkreis im Sinne eines Kompromisses mit.» Das trifft auf drei der vier Organisationen zu, die sich an der Vernehmlassung beteiligten. Der Deutschschweizer Privatradioverband VSP, der welsche RRR und Telesuisse fürs Privatfernsehen stehen verständlicherweise hinter der Lösung, schliesslich profitieren ihre Sender massgeblich von den Sofortmillionen.

Anders, als das Bakom behauptet, steht der Verband der Digitalradios nicht hinter dem Kompromiss.

Anders klingt es verständlicherweise beim vierten Verband, dessen Mitglieder leer ausgehen: «Unikom steht nicht hinter dem Kompromiss», sagt Judith Grosse auf Anfrage der MEDIENWOCHE. Die PR-Verantwortliche des Zürcher Radiosenders «Lora» nahm für den Verband an den Gesprächen mit dem Bakom teil. Unikom vertritt zum einen die Interessen der nun leer ausgegangenen DAB+-Radios. Zum anderen ist Unikom historisch der Verband der komplementären, nicht-kommerziellen Sender. Diese sollen zwar Geld erhalten aus der Nothilfe, aber ihre Sorge galt einem anderen Punkt.

Laut Judith Grosse war es Unikom ein grösseres Anliegen, die gesetzlich geforderte Quote der Eigenwirtschaftlichkeit temporär auszusetzen. Komplementärradios müssen heute 20 Prozent ihres Aufwands selber finanzieren. Maximal 80 Prozent deckt die Medienabgabe. Mit den Einbussen wegen Corona sind die 20 Prozent Eigenfinanzierung nicht zu erreichen in diesem Jahr. Das Bakom hatte diese Massnahme den Verbänden vorgeschlagen. Doch die beiden grossen Radioverbände VSP und RRR versenkten sie. Auf ihren Druck hin wurde der vorübergehende Verzicht auf eine Eigenfinanzierungslimite aus dem Hilfspaket gekippt. Inzwischen ist das Bakom auf den Entscheid zurückgekommen. Am 9. Juni 2020, neun Tage nach Inkrafttreten der Notverordnung, entschied die Behörde, «die Bestimmung zur Eigenfinanzierung für das laufende Jahr gänzlich auszusetzen».

Wenige Tage nach Verabschiedung der Nothilfe erhöhte das Bakom die Technologieförderung.

Auch anderweitig hat das Bakom bereits nachgebessert. Wenige Tage nach Verabschiedung des Pakets erhöhte das Amt die Technologieförderung. So erhalten die DAB+-Veranstalter neu 60 Prozent ihrer Kosten für die Programmverbreitung öffentlich finanziert, bisher waren es 50 Prozent. UKW-Sender kommen auch hier besser weg: Sie erhalten neu 65 Prozent ihrer digitalen Verbreitungskosten erstattet, also 5 Prozent mehr als die digitalen Mitbewerber.

Auch wenn das Bakom nun punktuell nachbessert, bleibt der zentrale Makel der Ungleichbehandlung. Unikom sieht in der bundesrätlichen Soforthilfe eine Schlechterstellung der DAB+-Sender. Darum gelangte der Verband an die Wettbewerbskommission (Weko). In einer Eingabe vom 29. Mai 2020 verweist Unikom auf das gesetzgeberische Gebot für die «Technologieneutralität der Rechtsnormen». Im vorliegenden Fall habe der Bundesrat dieses Prinzip nicht beachtet und mit UKW eine einzelne Technologie bevorzugt behandelt.

Die Eingabe verlangt von der Weko, dass sie dem Bundesrat nahelegt, die «marktverzerrende Umsetzung» der Motionen zu korrigieren. Die Wettbewerbshüter zeigten in ihrer Stellungnahme Verständnis für das Anliegen. Sie halten die vorgebrachte Kritik für begründet. Die Weko lehnt es aber ab, sich an die Regierung zu wenden. Die mögliche Marktverzerrung sei noch zu wenig genau belegt.

Stattdessen empfiehlt die Weko, den Kontakt zu Bakom und Departement zu suchen. Doch damit beisst sich die Katze in den Schwanz. Die Behörden sind schliesslich verantwortlich für die kritisierte Umsetzung der Nothilfe. Warum sie einen ausgewogenen Vorschlag gekippt und einseitige Massnahmen zugunsten der UKW-Radios beschlossen haben, bleibt bis heute nicht ganz nachvollziehbar. Hinter die offizielle Erklärung, dass es sich um einen «Kompromiss» handele, ist ein grosses Fragezeichen zu setzen.

Mit der Soforthilfe sendet der Bundesrat ein schwer verständliches Signal aus.

Der Verteilkampf an den Subventionstöpfen läutet die entscheidende Phase ein vor der Abschaltung von UKW und dem endgültigen Übergang zu DAB+. Jetzt werden die letzten Weichen gestellt. Mit der Soforthilfe sendet der Bundesrat ein schwer verständliches Signal aus: Auf der einen Seite fliessen Millionen von Franken an öffentlichen Geldern in die Werbung für DAB+. Seit jeher ein wichtiges Werbeversprechen: die grössere Sendervielfalt mit Digitalradio. Und in der Krise lassen die Behörden genau jene hängen, die sich um die gepriesene Vielfalt bemühen.

Leserbeiträge

Lukas Vogelsang 10. Juni 2020, 12:38

… und kann mir jemand endlich mal erklären, warum die werbefreien Radios in der Coronakrise so viel Krisenunterstützung erhalten – wenn Sie doch werbefrei gar keine Verluste eingefahren haben?! Ein Print-Magazin erhält im Gegenzug rein gar nichts. So gelten die sich selbst als systemrelevant deklarierten und verbandsmässig organisierten Radios einen riesigen Betrag – der in keinem Verhältnis steht zu deren Ausgaben und „Verlusten“ – das Mitglieder und BAKOM-Gelder nicht Corona-Abhängig bezahlt werden. Ein Kulturmagazin wiederum, das als einzig nationales Magazin auf keine Gewerkschaft zählen kann, erhält im Gegenzug nichts. Wir haben rund 90’000 Franken Anzeigeverlust zu schlucken – das interessiert niemanden – und ich bin überzeugt, dass viele Magazine diese Kriese nicht überleben werden. Diese Philosophie von Bundesrat scheint mir etwas sehr verwuselt zu sein. Fair ist sie nicht.

 

Nick Lüthi 10. Juni 2020, 17:25

Merci für den Hinweis. Ich habe diesen Abschnitt noch ergänzt: „Auch Sender ohne Werbung kriegen Corona wirtschaftlich zu spüren. Viele nicht-kommerzielle Sender finanzieren sich über Einnahmen aus Veranstaltungen im öffentlichen Raum, mit Festen und Konzerten. Doch damit wird in diesem Jahr nichts mehr.“

Robert Weingart 14. Juni 2020, 12:35

Viele Radiosender sind überflüssig, sind alles andere als systemrelevant. Siehe Virus, Musikwelle, Radio Inside etc.