von Nick Lüthi

«Wir wollen in der Schweiz keine Medienwüsten»

Die Medienpolitik hat in den letzten Monaten deutlich an Fahrt aufgenommen: Im Schnellzugtempo kam die Corona-Nothilfe zustande. Wenig später brachte der Bundesrat ein umfassendes Gesetzespaket ins Parlament mit längerfristigen Fördermassnahmen. Wichtige Impulse dazu liefert das Bundesamt für Kommunikation Bakom. Bis zu seinem baldigen Wechsel an die Spitze des Amts verantwortet Bernard Maissen im Bakom den Bereich Medien. Im Gespräch mit der MEDIENWOCHE erklärt er, wo seine Behörde Akzente in der Medienregulierung setzen will.

MEDIENWOCHE:

Ab dem 1. Juli 2020 bekleiden Sie das Amt des Direktors, bisher waren Sie Vize im Bundesamt für Kommunikation Bakom. Was ändert sich?

Bernard Maissen:

Ich werde die Abteilung Medien nicht mehr leiten, sondern die Gesamtverantwortung im Amt übernehmen. Das ist ein weites Feld. So kommt der gesamte Telekombereich hinzu. Ich kenne aber alle Leute schon, und die Medienthemen werden weiterhin wichtig sein.



MEDIENWOCHE:

Ihr Amt umfasst ein breites Themenspektrum. Die Medien kennen Sie, Telekommunikation dagegen weniger. Wie machen Sie sich damit vertraut?

Maissen:

Ich werde es so machen, wie es mein Vorgänger Philipp Metzger umgekehrt gemacht hatte. Er kam aus dem Telekombereich und musste sich bei den Medien einarbeiten. Wir haben sehr gute Leute, die mich da einführen werden. Es ist auch ein günstiger Moment. In diesem Bereich ist vieles aufgegleist und es geht nun um die Umsetzung.

MEDIENWOCHE:

Sie kommen aus dem Journalismus, wirkten während Jahrzehnten als Redaktor und Chefredaktor. Zuletzt als Chefredaktor der SDA, wo Sie in dieser Funktion entlassen wurden. Wie sahen damals ihre Berufsperspektiven aus?

Maissen:

Die waren nicht ganz düster, aber ich wusste überhaupt nicht, wo es hingeht. Ich hatte Zeit, um mich zu orientieren. Auf die Stelle beim Bakom als Vize-Direktor habe ich mich ganz regulär beworben. Es hätte mich aber auch ganz anderswohin verschlagen können.

«Uns ist es gelungen, kurzfristige und langfristige Massnahmen zu erarbeiten, die den Medien helfen und ihnen eine Perspektive geben.»

MEDIENWOCHE:

In den letzten Monaten war das Bakom besonders gefragt. Das Parlament verlangte Soforthilfe für die Medien, die Haushaltsabgabe wurde angepasst und dann hat das Bakom auch noch das Paket für eine breiter abgestützte Medienförderung geschnürt. Wie konnte das Bakom diesen Aufwand bewältigen?

Maissen:

Wir haben diese Geschäfte alle im Homeoffice erarbeitet. Das war schon eine grosse Herausforderung. Es ist sicher selten, dass in so kurzer Zeit gleich mehrere komplexe Geschäfte aus dem Bakom vom Bundesrat behandelt werden. Aber das hat die Arbeit sehr interessant gemacht. Und am Schluss ist es uns gelungen, doch kurzfristige und langfristige Massnahmen zu erarbeiten, die den Medien helfen und ihnen eine Perspektive geben.

MEDIENWOCHE:

Das Parlament wollte unbedingt ein Corona-Notpaket für die Medien. Der Bundesrat hielt kräftig dagegen. Warum eigentlich?

Maissen:

Der Bundesrat war der Meinung, dass die Medien die gleichen Möglichkeiten haben wie andere Unternehmen auch, beispielsweise indem sie Kurzarbeit anmelden oder Notkredite beantragen. Zudem beschleunigte er die ordentliche Vorlage zur Medienförderung. Der Ständerat hat auf die Beschleunigung reagiert und das Massnahmenpaket zugunsten der Medien ja in der Sommersession bereits zu Ende beraten. Dieses Vorgehen schien dem Bundesrat der bessere Weg, weil er zu längerfristiger Unterstützung führt und nicht nur im Moment hilft. Das Parlament sah das anders und wollte auch sofort Überbrückungshilfe leisten. Das wurde jetzt auch so umgesetzt.

«Je mehr Begünstigte, desto weniger kriegt jeder einzelne – und desto weniger stark ist der Effekt der Nothilfe.»

MEDIENWOCHE:

Bei der Hilfe für Radio- und Fernsehen hat das Parlament offengelassen, wer das Geld kriegen soll. Damit konnten Bakom und Uvek den Kreis der Begünstigten selbst definieren. Wie sind Sie vorgegangen?

Maissen:

Zuerst einmal gilt: Je mehr Begünstigte, desto weniger kriegt jeder einzelne – und desto weniger stark ist der Effekt der Nothilfe. Natürlich ist jedem kleinsten Radio geholfen, wenn es 10’000 Franken kriegt. Aber ob das in dieser Krise mit diesen Ausfällen wirklich geholfen hätte, wage ich zu bezweifeln. Darum haben wir uns überlegt, ab welcher Höhe die Nothilfe einem Unternehmen wirklich etwas bringt. Wir haben uns dabei auch an den Zahlen orientiert, mit denen uns die Branche schon sehr früh konfrontiert hatte. Mitte März kamen die Verbände mit Eingaben, in welchem Bereich sie Hilfe brauchen.

MEDIENWOCHE:

Nun kriegen aber vor allem jene Geld, die es am wenigsten nötig haben. «20 Minuten»-Radio erhält Nothilfe und für Ringier mit seinen drei Energy-Radios gibt es den dreifachen Betrag. Ist das gut?

Maissen:

Wir haben uns an den Konzessionen orientiert, wo auch Leistungsaufträge dahinterstehen. Diese Sender müssen Informationsaufträge erbringen. Ausserdem erreichen sie ein grosses Publikum. Die Leistung müssen sie auch in Krisenzeiten erbringen. Kurzarbeit geht im redaktionellen Bereich darum fast nicht. Deshalb wollte man denen helfen. Viele andere Radios, die nur im DAB-Bereich unterwegs sind, haben einen anderen Ansatz. Die sind zum Teil sehr nischenmässig unterwegs. Ausserdem muss Nothilfe schnell gehen. Wenn man zuerst noch lange erheben, evaluieren und kontrollieren müsste, gäbe es dann ein paar Radios nicht mehr, denen man eigentlich hätte helfen wollen.

«Der Bundesrat hat ein sehr ausgewogenes Paket geschnürt mit Massnahmen für Print, Online und die ganze Branche.»

MEDIENWOCHE:

Alte Medien scheinen Artenschutz zu geniessen: Corona-Nothilfe geht nur an UKW-Radios und der Ständerat hat die Presseförderung für die Zeitungsverlage um weitere 50 Millionen Franken aufgestockt und gleichzeitig kein Geld frei gegeben für die Online-Förderung. Was läuft da falsch?

Maissen:

Ich glaube nicht, dass Digitalmedien einen schweren Stand haben. Der Bundesrat hat ein sehr ausgewogenes Paket geschnürt mit Massnahmen für Print, Online und die ganze Branche. Der Ständerat hat jetzt der Presse etwas mehr Fördergelder zugewiesen, wohl auch mit der Überlegung, dass die Verlage damit im Zeitungsgeschäft entlastet werden und sich so auf die Digitalisierung konzentrieren können. Es ist ein indirekter Wege. Das ist so zu akzeptieren.

MEDIENWOCHE:

Die Gesetzgebung im Medienbereich hinkt oft hinter der technologischen und geschäftlichen Realität her. Lässt sich diese Lücke schliessen?

Maissen:

Der Radio- und Fernsehartikel in der Verfassung ist sehr offen angelegt. Der ist entstanden, lange bevor die Allgemeinheit vom Internet sprach. Aber man hat damals bewusst nicht nur von Radio und Fernsehen gesprochen, sondern mit der Formulierung «andere Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung» auch kommende technologische Entwicklungen berücksichtigt. Heute ist es schwierig zu sagen, in welche Richtung die Entwicklung geht. Wir haben jetzt ein Massnahmenpaket, das die digitale Transformation im Medienbereich berücksichtigt. Wenn sich die Technologie immer schneller entwickelt, wird man wohl auch dazu übergehen müssen, die Gesetze schneller zu revidieren.

MEDIENWOCHE:

Wie zukunftstauglich ist das Online-Fördergesetz?

Maissen:

Das ist ein relativ grosser Schritt. Es ist ein völlig neues Gesetz, das auf einem ganz neuen Konzept basiert. Wir haben vieles angeschaut in Europa. Aber was wir nun machen, haben wir nirgends gesehen. Das Gesetz ist sehr einfach, hält die journalistische Unabhängigkeit hoch und erfordert keinen riesigen Verwaltungsaufwand oder neue Entscheidungsgremien.

«Uns ist es extrem wichtig, dass es keine Medienwüsten gibt in der Schweiz. In Schweden gibt es solche Regionen, in Kanada auch.»

MEDIENWOCHE:

Was will man mit der finanziellen Unterstützung von Onlinemedien erreichen?

Maissen:

Wir haben ein grosses Interesse an einer flächendeckenden Versorgung. Die Schweiz ist per se kleinräumig, gerade mit der Mehrsprachigkeit. Als direkt-demokratisches System sind wir darauf angewiesen, dass es überall gute regionale Medien gibt. Auch ist es uns extrem wichtig, dass keine Medienwüsten entstehen in der Schweiz. In Schweden gibt es solche Regionen, in Kanada auch und der Staat versucht das zu korrigieren. Das kostet dann aber viel, viel mehr und der Erfolg ist ungewiss.

MEDIENWOCHE:

Eine wichtige Rolle im schweizerischen Mediensystem wird auch in Zukunft die SRG spielen. Als Aufsichtsbehörde pflegt das Bakom eine engere Beziehung zur SRG als zu anderen Akteuren. Wie wahren Sie eine angemessene Distanz?

Maissen:

Bei der SRG hat wohl niemand wirklich das Gefühl, wir seien zu SRG-nah (lacht). Ernsthaft: Wir haben unsere Funktion und sie haben ihre Rolle. Unser Ziel ist es, dass wir einen guten Service public hinkriegen. Wir legen die Rahmenbedingungen fest und die SRG muss sich daran halten. Das ist für sie nicht immer ganz einfach. Inhaltlich reden wir aber nicht mit. Dennoch gibt es in der Konzession viele sehr strikte Vorgaben, deren Einhaltung wir kontrollieren. Auch darum sind wir mit der SRG in regelmässigem Kontakt und haben ein kritisches Auge auf das Unternehmen, insbesondere auf die Finanzen.

MEDIENWOCHE:

Derzeit steckt die SRG viel Geld, und teilweise mehr Geld als geplant, in Neubauten in Zürich und Lausanne. Kann das Bakom hier Schranken setzen und dafür sorgen, dass Gebührengeld nicht in Beton, sondern in Menschen investiert wird?

Maissen:

Die Konzession ist in dieser Frage extrem streng. Die SRG muss 50 Prozent ihres Ertrags in den Informationsjournalismus stecken. Das ist sehr, sehr viel. Ich kenne kein öffentlich-rechtliches Medienhaus, das eine solche Vorgabe hat.

MEDIENWOCHE:

Sie sind 59 Jahre alt, bleiben also bis zu sechs Jahre lang Bakom-Direktor. Was wollen Sie in dieser Zeit erreichen?

Maissen:

Es ist wichtig, dass wir sowohl im Telekommunikations- wie auch im Medienbereich Rahmenbedingungen schaffen, die helfen, die Qualität, die wir heute haben, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Bis jetzt haben wir das hingekriegt. Wir haben heute eine gute Telekom-Infrastruktur und wir haben ein gutes Mediensystem. Dass dies in einer Zeit der rasanten Weiterentwicklung mit neuen Möglichkeiten und Bedürfnissen auch so bleibt, wird die grosse Herausforderung für die Medien und für uns sein.