Go hard or go home!
«Bento», «ze.tt» und «Vice Switzerland» gibt es (bald) nicht mehr. Die meisten Online-Medien für die junge Zielgruppe finanzieren sich mit Werbung. Daher sind sie besonders betroffen von der Corona-Krise. Für die Verbliebenen geht es jetzt um’s Überleben.
Geoffrey Moret ist das Gegenteil einer Medienstelle. Der Gründer des Social Video-Startups «Kapaw» bietet Einblicke, die er nicht müsste – und spart nicht an Pathos. Im letzten Gespräch berief er sich auf Alibaba-Gründer Jack Ma. Schon vor 20 Jahren habe Ma klargemacht, dass Innovation weltweit passiere und man sich an den US-Unternehmen messen müsse. Dann skizzierte Moret, nicht zum ersten Mal, Pläne für die Expansion ins Ausland.
Auch jetzt, während der sich anbahnenden zweiten Corona-Welle, wirkt Moret so munter und kämpferisch wie eh und je. Selbstverständlich gehe es ihm gut. Er muss lachen, als die MEDIENWOCHE ihn an seine Pläne für dieses Jahr erinnert. An mehr moderierte Beiträge und Reportagen ist seit Ausbruch der Pandemie nicht mehr zu denken. «Es geht jetzt um’s Ganze: Go hard or go home!» Kaboom.
Für das werbefinanzierte Medienunternehmen, das sich mit Info-Videos auf Instagram und Facebook an ein junges Publikum richtet, geht es nun um’s Überleben. «Es ist erst der Anfang – und nicht nur für uns: Auch die grossen Unternehmen kommen ins Wanken», sagt Moret. Nun sei es eine Frage des Durchhaltevermögens: Nicht die einzelne gute Idee an einem Tag ist entscheidend, sondern wer am Ende noch übrigbleibt. «Für alle ist es ein Rodeo-Ritt für die nächsten 24 oder 36 Monate und hinter allem steht die Frage: Wer ist am Schluss noch da?»
«Kapaw» (wie das Explosionsgeräusch in Comics) startete vor gut drei Jahren in Genf und eröffnete bald ein zweites Büro in Zürich. Die Pläne des Gründerteams zielten schon immer hoch hinaus, aber auch den tiefen Fall kennt das junge Unternehmen: Vor zwei Jahren hatte «Kapaw» die Hälfte aller Leute entlassen. 2019 habe «Kapaw» dann wieder schwarze Zahlen geschrieben. 2020 sollte ein Jahr grosser Pläne werden. Die Pandemie habe sie nun durchkreuzt.
Bald gibt es so wenige kommerzielle Medienangebote für Junge wie nie zuvor in den letzten Jahren. In der Schweiz sind es noch zwei: «Kapaw» – und «Izzy».
Bei anderen werbefinanzierten Plattformen für Junge ist es bereits vorbei: «Bento» verschwindet, «Buzzfeed» Deutschland steht vor dem Verkauf, «ze.tt» wird zum ZEIT-Ressort herabgestuft. Vice baut international Stellen ab; in Deutschland sind die Journalist*innen seit Juni auf Kurzarbeit; in der Schweiz hat die letzte Vice-Redaktorin das Unternehmen bereits im Winter verlassen. Etwa zur selben Zeit stellte die TX Group die Plattform «Venty» nach weniger als einem Jahr ein.
Bald gibt es so wenige kommerzielle Medienangebote für Junge wie nie, seit junge Menschen als Werbezielgruppe und potenziell Konsumsüchtige entdeckt worden sind. In der Schweiz sind es noch zwei: «Kapaw» – und «Izzy».
Um den Jahreswechsel wurde bekannt, dass mit Anne-Sophie Keller, Jonas Bayona und Cédric Schild die letzten aus der «Izzy»-Gründungsredaktion das Social-Video-Magazin von Ringier verlassen werden. Der Medienkonzern und Cédric Schild beeilten sich klarzustellen, dass «Supercedi» mit seinen über 100‘000 Instagram-Follower «Izzy» als Freelancer erhalten bleibe. Schilds neuster Beitrag auf Instagram stammt vom 1. Mai, der neuste Beitrag in der offiziellen Youtube-Playlist gar von Januar. Ringier-Sprecherin Johanna Walser hat «noch keine News» dazu, wann ein neues Video mit dem «dipl. Aktionskünstler» erscheint. Das Gründungsteam ist weg. Ringier muss ohne die Leute auskommen, die «Izzy» zum Medium auf Augenhöhe mit U30ern machten und nach nur einem halben Jahr in die schwarzen Zahlen brachten – weil fast die gesamte Redaktion auch als Darsteller*innen in Werbung aufgetreten ist.
Wie ein Versuch, den Werbeeinbruch zu kompensieren, wirken die Kleider der «offiziellen izzy Corona Band Kollektion».
Bezahlte Partnerschaften sieht man auf den Izzy-Kanälen kaum mehr, obwohl Johanna Walser versichert, dass seit Beginn der Pandemie «Sponsored Posts» erschienen sind. Seit März sind die Werbeeinnahmen überall eingebrochen – auch «Izzy» ist gemäss Walser «von einem starken Buchungsrückgang im Werbemarkt betroffen». Wie ein Versuch, den Werbeeinbruch zu kompensieren, wirken die Kleider der «offiziellen izzy Corona Band Kollektion». Aber auf die Frage, wie Ringier den Erfolg der «Izzy»-Kleiderlinie bewerte, entgegnet Walser, dass man die Experimente mit Merchandise «nicht als Kleiderlinie bezeichnen kann». Verkaufszahlen nennt sie keine. «Izzys» Glaubwürdigkeit lässt sich womöglich nicht einfach in Online-Einkäufe umsetzen. Die hunderttausenden Follower werden den Marketingabteilungen als konsumfreudig verkauft, aber zumindest von «Izzy» selbst kaufen die meisten anscheinend nichts.
Wird es «Izzy» in einem Jahr noch geben? «Izzy» sei ein «Love Brand» und «fester Bestandteil des Ringier Portfolios», so Walser. Die Zahlen sprächen für sich – aber damit meint Walser die Followerzahlen auf Instagram, Youtube und Facebook. Die Frage beantwortet sie nicht. Es bleibt offen, was passiert, wenn sich die Followerzahlen auch mittelfristig nicht mehr monetarisieren lassen. Abbaupläne gebe es derzeit keine, aber niemand könne sagen, «wie sich die Situation rund um Corona entwickeln wird.» Laut Impressum umfasst die «Izzy»-Redaktion (inklusive Cédric Schild) momentan nur noch fünf Mitarbeitende. Das liege, so Walser, aber einzig daran, dass «einige Neuzugänge» dort noch nicht aufgeführt sind.
Viele der «Izzy»-Videos, die während der Pandemie erschienen sind, wirken kämpferischer.
Das «Izzy»-Team ist Anfang Juli noch immer in Kurzarbeit. Pro Woche erscheinen etwa zwei Videos. «Je nachdem, wie sich die Situation entwickelt, wird es nach dem Sommer wieder mehr Beiträge geben», so Walser. Zumindest an Textbeiträgen gibt es anscheinend einen Mangel: Auf der Homepage izzymag.ch stehen Artikel von vergangenem Jahr an prominentes Stelle.
Viele der «Izzy»-Videos, die während der Pandemie erschienen sind, wirken kämpferischer. Während ernste izzy-Beiträge in der Vergangenheit meist Identitätsthemen aus progressiver Warte beleuchteten, nimmt sich die Redaktion während Corona verstärkt sozialer Ungleichheit an. Am Radikalsten wirkt der bewegende Beitrag «Wo zwei Welten aufeinanderprallen»: Er stellt Menschen, die für Essenspakete anstehen, jenen in der Schlange vor Luxusläden gegenüber. Damit stellt «Izzy» die Absurdität der Problemchen und Pläsierchen der Luxusladen-Kundschaft aus. Auf der Homepage wirbt «Izzy» mit einem Chanel-Logo für den Beitrag. So macht «Izzy» eine Marke zum Symbol für dekadenten Reichtum. Mutig für ein werbeabhängiges Unternehmen – vielleicht aber auch ein Symptom dafür, dass man momentan weniger Angst davor hat, potenzielle Werbekunden zu verschrecken. Walser teilt mit, der Beitrag entspreche «vollumfänglich dem Selbstverständnis von ‹Izzy›, Dinge zu hinterfragen und gesellschaftliche Phänomene zu ergründen.»
«Momentan reicht das Geld bis Anfang nächstes Jahr», sagt «Kapaw»-CEO Moret. Das Start-up «Kapaw» hat kein internationales Unternehmen im Hintergrund, aber mit der Lamunière-Familie (Edipresse) immerhin einen finanzstarken Investor und Teilhaber. Bei «Kapaw» basieren viele Beiträge auf Agenturmaterial. Statt an der für 2020 geplanten Reportagen-Offensive arbeitet das «Kapaw»-Team nun neben den täglichen Aufgaben an einem neuen Konzept. Denn ganz dem Silicon Valley-Spirit entsprechend, den Moret versprüht, will «Kapaw» den Krisenschock produktiv nutzen. «Wir schauen an, wie sich der Markt verändert, wie sich die Technologie verändert – und wie sich die Gesellschaft verändert. Nicht nur die Pandemie, sondern auch die Black Lives Matter-Bewegung hat etwas angestossen, das bleiben wird.» Wie das neue Konzept aussieht, will Moret noch nicht sagen.
Für die privaten Jugendmedien heisst es jetzt wohl tatsächlich: Go hard or go home.
Ein Bezahlmodell ist bei «Izzy» und «Kapaw», die ihre Inhalte in erster Linie über Social Media ausspielen, keine Option. Auf öffentliche Medienförderung können sie also kaum hoffen. Für die privaten Jugendmedien heisst es jetzt wohl tatsächlich: Go hard or go home.
Anders bei den Angeboten der SRG für das junge Publikum, die aus der Medienabgabe finanziert sind, etwa «SRF Virus» oder die Youtube-Show «Zwei am Morge». «Die Entwicklung ist nicht gut. Es ist schade um ‹Bento›, es ist schade um ‹Vice Switzerland›», sagt Manuel Thalmann, Bereichsleiter Jugend bei SRF. «Ich fand’s auch schlimm, als das Jugendfernsehen ‹Joiz› plötzlich eingegangen ist.» Über «Izzy» spricht er geradezu ehrfürchtig: «Zu ‹Izzy› habe ich immer aufgeschaut! Es ist einmalig, was die innert eines Jahres geschafft haben.» Auch die SRG werde von Corona nicht komplett verschont. «Wegen Mindereinnahmen bei der Werbung aufgrund von Corona verlieren wir viel Geld.» Aber natürlich sei man durch die Abgabefinanzierung gegenüber privaten Medien in einer privilegierten Situation.
Über 60 Jahre alt ist die Durschnittszuschauerin bei SRF 1 – auch die anarchische Satire-Show «Deville» erreichte 2018 im Schnitt Menschen im Alter von 56,6 und sogar der durchschnittliche Zuschauer des «Guetnachtgschichtli» war jenseits der 40. Thalmann sagt, Corona habe noch klarer gemacht, dass SRF Wege finden muss, um mehr jüngeres Publikum zu erreichen – «Menschen unter 45, unter 40, junge Erwachsene». Letztere vor allem über Formate wie «SRF Forward» oder «SRF Virus», aber das übergeordnete Strategieziel während den letzten zwei Jahren sei generell, jüngere Zuschauer*innen zu gewinnen.
«Besonders in der fragmentierten Social-Media-Welt ist es wichtig, dass auch eine lokale Medienvielfalt Bestand hat.»
Manuel Thalmann, Leiter Jugend SRF
Anders als die Privaten, die ihren Output runtergefahren haben, konnte «Virus» dem gestiegenen Interesse während der Pandemie mit mehr Inhalten begegnen, wie Thalmann ausführt: «‹SRF Unzipped› hat mehrere zusätzliche Folgen produziert. Manche Fragen aus der Lebensrealität von U30ern wären sonst einfach nicht gestellt worden. Zum Beispiel: Was muss ich nun tun, wenn ich in einer WG wohne?» Das hintergründige Webvideoformat Unzipped schaffte es damit auch in die Youtube-Trends. «Es ist klar: Wir können und müssen noch mehr machen.» Aber Thalmann hofft, dass die private Konkurrenz von «Izzy» und «Kapaw» erhalten bleibt: «Besonders in der fragmentierten Social-Media-Welt ist es wichtig, dass auch eine lokale Medienvielfalt Bestand hat. Nur schon, damit junge Journalistinnen und Journalisten Orte haben, wo sie sich ausprobieren und bewähren können.»
Die Medienvielfalt für die bei Marketingabteilungen sonst so beliebte «Junge Zielgruppe» ist während der Pandemie eingebrochen. Das Geschäftsmodell aller «Youth Media Brands» bestand darin, mit ihrer Glaubwürdigkeit beim jungen Publikum Werbung zu verkaufen. Was tun, wenn das Geschäftsmodell zusammenklappt?
Markus 11. Juli 2020, 20:33
Die linke Presse hat sich von der kapitalistischen Werbung abhängig gemacht und wundert sich nun das es bachab geht. Ich muss grinsen, nein lachen.
Robert Weingart 19. Juli 2020, 12:22
@Markus: Was für ein unqualifizierter Kommentar. Wissen Sie überhaupt, was Sie schreiben? Wer soll hier links sein? Welche Medien hier genannt wurden?