von Anne-Sophie Scholl

The Good, The Bad & The Ugly I

Role Models für die Zukunft, Nachruf auf die Literaturkritik, geschmackloses Beirut-Bild

The Good – Susanne Wille und Franz Fischlin

Die Medien müssten in Fragen der Gleichstellung und des Sexismus Vorbildfunktion einnehmen. Sie müssten Leuchttürme sein. Sonst setzen sie sich dem Vorwurf aus, scheinheilig zu sein: Das sagte Susanne Wille vor einem Jahr in einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen. Seit diesem Sommer leitet Wille bei SRF die Abteilung Kultur.

Viel Arbeit hinsichtlich Gleichstellung scheint in ihrer neuen Funktion nicht auf sie zu warten: SRF hat bereits lauter fähige Frauen gefunden. Neben Susanne Wille etwa Sandra Leis als Leiterin Kultur und Gesellschaft, Judith Hardegger als Leiterin «Sternstunde», Esther Schneider als Leiterin Literatur, Nicola Steiner als Leiterin «Literaturclub».

Bei den klassischen Zeitungshäusern hingegen herrscht nach wie vor Gleichstellungswüste: Alle nationalen Leitungsposten sind in fester Männerhand, auch das redaktionelle Fussvolk ist grossmehrheitlich männlich. Ich rede hier von der Kulturberichterstattung — für die sich beim Publikum bekanntermassen deutlich mehr Frauen als Männer interessieren.

Trotzdem: Wie ernst es Susanne Wille mit ihrer Aussage ist, führt sie auch im Privaten vor, zusammen mit ihrem Partner Franz Fischlin: Im Juli gab Fischlin den «Medienclub» ab, um, wie er sagte, mehr Zeit für die Familie zu haben. Im Klartext: Er trat kürzer, sie trat vor.

The Bad – «Schweizer Monat»

Nach der Sommerpause nimmt das Leben wieder Fahrt auf und die Schweiz ist um ein Literaturmagazin ärmer: Im Juli gab der «Literarische Monat» mit der letzten gedruckten Ausgabe sein Ende bekannt. Der «Literarische Monat» erschien seit 2011 als Beilage des «Schweizer Monats». Das Magazin berichtete ausschliesslich über Schweizer Literatur, aus allen Landesteilen, war kritisch und hat immer wieder relevante Themenschwerpunkte gelegt. Ein Hintertürchen behalten sich die Macher offen: Vereinzelt sollen nun online Texte erscheinen.

Der «Literarische Monat» ist nicht die einzige Plattform für Literatur, die verschwindet. Die NZZ publiziert heute vor allem Essays, die Kulturredaktion von Tamedia ist in einem neuen Ressort «Leben» aufgegangen, der langjährige Literaturredaktor ist seit diesem Monat pensioniert. Ob er ersetzt wird, ist unklar. Und die «NZZ am Sonntag»-Beilage «Bücher am Sonntag» präsentiert sich seit Corona merklich dünner.

Dabei sind Bücher durchaus beliebt. Zum Start des zusammengelegten Ressorts «Leben» machte Tamedia eine nicht repräsentative Umfrage bei ihrem Publikum. Diese ergab: 90 Prozent der Teilnehmenden lesen, 50 Prozent lesen mehr als zehn Bücher pro Jahr. Blogs füllen wichtige Lücken. Ein Ersatz für einen professionellen Diskurs in der Öffentlichkeit über Schweizer Kulturschaffen sind sie nicht. Die reiche Schweiz leistet es sich, einen solchen schleichend austrocknen zu lassen. Gegensteuer will ausgerechnet die Weltwoche geben. Diese Woche ist sie neu gestartet mit einem Ausbau des Kulturteils unter dem ehemaligen «NZZ Folio»-Chef Daniel Weber als «Herausgeber». Sie verspricht «mindestens 12 Seiten» pro Woche und einen «möglichst breiten Kulturbegriff», zählen soll vor allem eine brillante Schreibe. Wir sind gespannt.

The Ugly – «Blick»

«Vielleicht etwas geschmacklos» reisst der «Blick» diese Woche ein grosses Bild auf der Frontseite an. Auf dem Foto posiert eine Frau supersexy vor den Ruinen in Beirut. Verkaufen tut sich das sicher gut. Nebenbei kann man noch ein bisschen Frauen bashen. Lieber «Blick»: Das ist sehr geschmacklos.

Die Medienwelt ist zu aufgewühlt, um mit Reflexionen und Recherchen abzuwarten, bis sie Stoff für einen längeren Text bieten. Die Medienwelt ist zu aufgewühlt, um ihr nur mit nüchternen Branchen-News zu begegnen. Darum gibt es diese Kolumne.

«The Good, the Bad and the Ugly» ist das neue Kurzformat der Medienwoche: Ab sofort werden Woche für Woche eine besonders positive, eine besonders negative und eine bizarre News aus der Schweizer Medien- und Werbewelt präsentiert und kurz eingeordnet. Die Autor*innen sind nicht um Ausgeglichenheit bemüht, sondern schreiben so subjektiv, wie sie ihre Themen wählen.

Im «The Good, the Bad and the Ugly»-Redaktions-Chat finden sich von Anfang an ein Vielfaches mehr schlechte und bizarre Nachrichten als Good News. Ein Zeichen, dass es gut ist, dass «The Good» eine Regel ist. Im Wechsel schreiben Medienwoche-Redaktor Nick Lüthi, die langjährigen freien Mitarbeitenden Miriam Suter (u.a. Videokolumne), Benjamin von Wyl (u.a. «So schreibe ich») und – neu bei der Medienwoche – die freie Kulturjournalistin Anne-Sophie Scholl.

Niemand von ihnen ist Fan von Italo-Western.

Leserbeiträge

Ronnie Grob 18. August 2020, 16:29

Die Einstellung des «Literarischen Monats» ist bedauernswert, keine Frage. Immerhin nimmt man ihn nun, zum Zeitpunkt der Einstellung, wahr.

Als Ersatz für die Einstellung hat der (wie der LM von der SMH Verlag AG herausgebenene) «Schweizer Monat» aber den Kulturteil rundumerneuert seit Anfang Juni. In der Juni-Ausgabe widmete sich der SM-Kulturteil dem Thema Theater (mit Simon Strauss, Julia Reichert, Mareike Beykirch, Janina Stopper, Bernhard Klampfl und Julius E.O. Fintelmann). Und in der Juli/August-Ausgabe dem Thema Reiseliteratur (mit Franz Hohler, Pia Sόjka, Barbara Piatti, Christina Viragh, Daniel Goetsch und Yael Inokai). Als verantwortlicher Chefredaktor hätte es noch gut gefunden, wenn das auch wahrgenommen worden wäre.

Ist es nicht erfreulich, wenn «Schweizer Monat» und dann auch die «Weltwoche» ihre Kulturteile ausbauen? Weshalb beide Medien dennoch unter «The Bad» auftauchen, ist – mir jedenfalls – eher unverständlich. Aber nun gut: Freiheit für die Wahrnehmung der Autorin. Ausbau von Kultur kann offenbar auch schlecht sein.

alain gfeller 19. August 2020, 08:21

„Viel Arbeit hinsichtlich Gleichstellung scheint in ihrer neuen Funktion nicht auf sie zu warten: SRF hat bereits lauter fähige Frauen gefunden.“ 

Mehr Journalistinnen ist in der Medienwelt nur kein kleiner Teil der Gleichstellung. Auch wenn SRF 90 Prozent Frauen beschäftigen würde: Frauen müssen in der Berichterstattung präsenter werden als jetzt. Viel präsenter. Von „Leuchtturm“ kann nicht die Rede sein. Bis jetzt wurden lediglich die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte leicht korrigiert.

SRF hat viele Pläne, wie die Frauen in der Berichterstattung präsenter werden sollten. Doch davon höre und sehe ich noch zu wenig.