Diese Artikel haben einen Haken: «Südostschweiz» mit gekauften Links auf Abwegen
Die Täuschung war nahezu perfekt. Auf ihrer Website veröffentlichte die Somedia-Zeitung «Südostschweiz» wissentlich und willentlich kommerzielle Beiträge, ohne sie als solche zu kennzeichnen. Für eine Handvoll Euro pfeift man auf alle bekannten Regeln.
Kein schlechter Deal, mögen sich die Verkäufer bei der «Südostschweiz» gedacht haben, als sie den Vertrag unterzeichneten. Sie kriegen den Fünfer und das Weggli: Gratis Content für die Website – und dazu Geld kassieren für die Publikation. Mit ein paar hundert Euro pro Publikation schaut zwar nicht gerade viel heraus, aber in der Summe kommen dann doch ein paar tausend zusammen. Doch wie alle guten Angebote hat auch dieses einen Haken.
In diesem Fall ist der Haken ein Link. In jedem der bezahlten Artikel findet sich ein Verweis auf die Website eines Unternehmens, gut getarnt hinter unverfänglichen Begriffen. In einem Artikel über «die richtigen Wanderschuhe» auf suedostschweiz.ch führt ein Klick auf «stabile Outdoorschuhe» zum Online-Shop des Sportartikelhändlers Keller Sports.
Und einzig um diesen Link geht es. Der Artikel und dessen Inhalt sind nur Mittel zum Zweck. Der Kunde zahlt den Verlag dafür, dass er vom Renommee und von der Reichweite der Nachrichtenseite profitieren kann. Einfach gesagt: Ein Link von suedostschweiz.ch auf keller-sports.ch verbessert die Auffindbarkeit des Sportartikelhändlers bei Google.
Eine Kennzeichnung des Artikels als Werbung oder Sponsoring würde die Bedeutung des Links mindern.
Doch die Operation gelingt nur dann optimal, wenn der Artikel nicht als Werbung gekennzeichnet wird und möglichst lange im Netz stehen bleibt. So will man Google glauben machen, es handle sich um einen redaktionellen Entscheid, den Sportartikelhändler zu verlinken. Eine Kennzeichnung des Artikels als Werbung oder Sponsoring würde die Bedeutung des Links mindern.
Angeboten hatte den Deal die Agentur «Digital Minds». Im Auftrag von Unternehmen, die das Google-Ranking ihrer Seite optimieren wollen, sucht die Firma Plattformen, auf denen sie gegen Bezahlung Links zu den Websites der Kunden unterbringen kann. Die Artikel dazu, also quasi die Verpackung für den Link, liefert ebenfalls die Agentur.
Bei der «Südostschweiz» erschienen die Texte alle im Ressort «Leben». Da geht es um Wanderschuhe (Link auf Sportartikelhändler), passende Kleidung im heissen Sommer (Link auf Kleiderhändler), Internet auf Reisen (Link zu VPN-Anbieter) oder Skitechnik (Link auf Sportartikelhändler). Dabei handelt es sich um anspruchslose Textstücke, die ja nur aussehen sollen wie Journalismus.
Für die Veröffentlichung eines Links während mindestens eines Jahres gibt es in der Regel ein paar hundert Euro.
Solche Zombie-Artikel finden sich auf unzähligen Websites, mehrheitlich in publizistisch ambitionslosen Kleinstpublikationen, etwa auf thematischen Sportportalen oder in Fachblogs für Bitcoins und Computerspiele. Der MEDIENWOCHE liegt die Liste einer Agentur vor: Sie führt allein für den deutschsprachigen Raum 316 Website auf, die sich interessiert zeigten, solche Texte zu veröffentlichen und dafür eine Handvoll Euro zu kassieren. Für die Veröffentlichung eines Links während mindestens eines Jahres gibt es in der Regel ein paar hundert Euro. Das Geschäft hält sich auch darum am Laufen, weil es eine ganze Gattung von Online-Publikationen gibt, die massgeblich ihr Geld mit der Veröffentlichung käuflicher Links verdienen.
Was auffällt: Die «Südostschweiz» ist die einzige News-Site einer politischen Tageszeitung, die auf der Liste aufgeführt ist. Weitere prominente Plattformen sind sport.de oder das News-Portal des schweizerischen Fussballverbands. Eine andere Agentur bietet focus.de für Link-Artikel feil. Es ist dies, wie bei der «Südostschweiz» in der Schweiz, ein Einzelfall: Focus scheint die einzige nennenswerte Nachrichtenplattform zu sein, die ihr Publikum auf diese Weise täuscht. Systematisch zu überprüfen, ob und in welchem Mass die genannten Websites tatsächlich Zombie-Artikel publizieren, ist nicht möglich – weil sie sich formal nicht vom redaktionellen Angebot unterscheiden. Erst durch Informationen der Agenturen selbst, die bei der Akquise mit erfolgreichen Beispielen werben, lassen sich die entsprechenden Texte identifizieren. Oder durch Zufallsfunde.
«Kommerzielle Kommunikation ist unlauter, wenn sie nicht als solche eindeutig erkennbar und vom übrigen Inhalt nicht klar getrennt ist.»
Grundsätze Lauterkeitskommission
Die «Südostschweiz» hat in diesem Jahr mindestens vier solche gekauften Artikel ohne entsprechenden Transparenzhinweis veröffentlicht. Damit verstösst der Somedia-Verlag gegen etablierte Spielregeln und Selbstverpflichtungen von Journalismus und kommerzieller Kommunikation. So hält etwa die schweizerische Lauterkeitskommission in ihren Grundsätzen fest: «Kommerzielle Kommunikation, gleichgültig in welcher Form sie erscheint oder welches Medium sie benutzt, ist unlauter, wenn sie nicht als solche eindeutig erkennbar und vom übrigen Inhalt nicht klar getrennt ist.» Das Gleiche steht auch in den Richtlinien zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» des schweizerischen Presserats: «Die deutliche Trennung zwischen redaktionellem Teil/Programm und Werbung bzw. bezahltem oder durch Dritte zur Verfügung gestelltem Inhalt ist für die Glaubwürdigkeit der Medien unabdingbar.»
Eine Rüge von Presserat und Lauterkeitskommission wäre dem Verlag gewiss, wenn sich jemand beschweren würde. Bis jetzt war das nicht der Fall. Wohl auch deshalb, weil es nicht ganz einfach ist, die Masche mit den bezahlten Links zu durchschauen. Schliesslich geht es ja genau darum, den kommerziellen Charakter der Artikel zu verschleiern.
Bei Somedia soll das in Zukunft nicht mehr vorkommen, erklärt eine Sprecherin des Verlags auf Anfrage der MEDIENWOCHE: «Verträge mit Werbetreibenden, die diese Kennzeichnung wegbedingen, werden von Somedia nicht akzeptiert und entsprechende Aufträge werden abgelehnt.» Die bisher publizierten Artikel stehen immer noch auf der Seite, inzwischen diskret ergänzt um den Hinweis «Sponsored Content». Auf die Frage, warum sich Somedia überhaupt auf ein solches Geschäft eingelassen habe, gibt es keine Antwort.
Für die Produktion der Artikel, die sie mit Links angereichert Websites wie suedostschweiz.ch unterjubeln, setzt die Agentur «Digital Minds» auf Praktikantinnen und Praktikanten. Auf der eigenen Website prangt permanent ein Button mit der Aufschrift «Praktikum». Ebenso bietet «Digital Minds» auf allen möglichen Stellenportalen Einsätze von zwei bis drei Monaten für junge Arbeitskräfte an. Worum es da geht, kann man in kritischen Erfahrungsberichten nachlesen: «Sehr schnell wird einem sehr offensichtlich, dass Prtikanten nur Beiwerk sind und zum stupiden Produzieren von wenig gehaltvollem Content (Berichte/Artikel) gebraucht werden.»
Umso irritierender ist es, wenn Inserate für solch zwielichtige Beschäftigung, die das Zeug dazu hat, dem Journalismus zu schaden, auch auf der Website einer Journalistenschule stehen. Bis vor kurzem fanden sich Ausschreibungen für die Praktika von «Digital Minds» auch auf der Online-Jobbörse der Journalistenschule MAZ. Inzwischen wurden sie entfernt. MAZ-Direktorin Martina Fehr will in Zukunft «auf solche Anzeigen verzichten». Der Zufall will es, dass Fehr vor ihrem Stellenantritt am MAZ verschiedene Leitungsfunktionen bei der «Südostschweiz» hatte. Von den gesponserten Alibi-Artikeln habe sie nichts gewusst: «Die Regelung war zu meiner Zeit mehr als klar», sagt die früheren «Südostschweiz»-Chefin. «Entweder gibt es eine Kennzeichnung oder der Beitrag erscheint nicht.»
Neben dem Verlag handelt auch die Agentur verantwortungslos, die das Geschäft anbietet. Im Fall von «Digital Minds» sah dies auch der Deutsche Rat für Public Relations DRPR so und rügte die Agentur bereits 2018 «wegen des versuchten Verstosses gegen die Normen des Deutschen Kommunikationskodex und mehrere DRPR-Richtlinien». Ausserdem forderte das Gremium die Agentur auf, das betreffende Angebot möglichen Klienten und Redaktionen nicht weiter zu unterbreiten. Davon zeigte sich «Digital Minds» unbeeindruckt und akquiriert seither munter weiter. Gegenüber der MEDIENWOCHE wollte die Agentur nicht Stellung nehmen. Eine Anfrage blieb unbeantwortet. Vor einem Monat warnte der deutsche PR-Rat vor Deals ohne Werbekennzeichnung.
Rechtlich gibt es zwar ein Transparenzgebot gemäss dem Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb UWG. «Das Lauterkeitsrecht schreibt vor, dass Werbung als solche ersichtlich und für das Publikum erkennbar sein muss», schreibt der Rechtsanwalt Martin Steiger auf seinem Blog. Mit Bussen, wie sie Influencer in Deutschland zahlen mussten, sei in der Schweiz aber nicht zu rechnen, schätzt Steiger die rechtliche Situation hierzulande ein.
Immerhin findet die Schummelei in aller Öffentlichkeit statt. So müssen die Verlage jederzeit damit rechnen, enttarnt zu werden.
Stand heute kann man davon ausgehen, dass es sich bei der «Südostschweiz» um einen Einzelfall handelt. Die anderen überregionalen Verlagshäuser versicherten auf Anfrage alle unisono, dass bei ihnen sämtliche kommerzielle Kommunikation entsprechend gekennzeichnet werde. Wie sie das tun und ob die Kennzeichnung allgemein verständlich ist, steht freilich auf einem anderen Blatt und ist Gegenstand einer anhaltenden Debatte.
Dennoch darf man den «Fall Südostschweiz» nicht einfach bagatellisieren und als Ausrutscher abtun. Die Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten und das Publikum absichtlich über den wahren Charakter einer Information im Unklaren zu lassen, gleicht einem groben Verstoss gegen Treu und Glauben. Dass der Verlag erst auf Hinweis der MEDIENWOCHE reagiert hat und handeln will, weist zudem auf ein mangelhaftes internes Controlling hin. Immerhin findet die Schummelei in aller Öffentlichkeit statt. So müssen die Verlage jederzeit damit rechnen, dass sie beim Tricksen ertappt werden – wie das bei der «Südostschweiz» der Fall war.
Update 21.8.2020, 13.09 Uhr: In einer ersten Version des Artikels stand geschrieben, Somedia habe die betreffenden Artikel am 20. August gelöscht. Das stimmt nicht. Der Verlag hat die Texte nur vorübergehend depubliziert, um sie mit dem Hinweis «Sponsored Content» am Fuss des jeweiligen Artikels zu ergänzen.
Ben 21. August 2020, 12:48
Es ist sowieso schon langsam zu einem Graus geworden, Zeitungen zu lesen. So viele gesponserte und Werbeartikel sind langsam auch nicht mehr schön. Muss bei jedem 2. Artikel wieder wegklicken, da es nur flache und auf die Werbung ausgerichtete Inhalte sind. Langsam bekommt man auf Plattformen wie LinkedIn, MoreThanDigital.info, Wikipedia.org oder auch Reddit schon bessere Nachrichten und neutralere Informationen als auf den Seiten diverser Zeitungen.
Kai von Massenbach 28. August 2020, 09:12
Dem kann ich voll und ganz zustimmen.
Kai von Massenbach 28. August 2020, 09:11
Als aufmerksamer Leser merkt man das zum Teil, dass da etwas nicht stimmt – aber sicher nicht immer. Wir beobachten den Niedergang unserer Zeitungen. Das tut zwar weh, aber wir müssen uns wohl daran gewöhnen.
Jan 02. Dezember 2020, 00:25
Bleibt nur zu hoffen, dass die Suchmaschinen diese ganzen kaufberater.io Seiten abstrafen. Schon schlimm genug, dass sie Webseiten zu illegalen Taten verleiten. Jetzt müssen ahnungslose Praktikanten noch diese nicht ganz seriösen Aufgaben erledigen für ein Arbeitszeugnis, dass auf dem Arbeitsmarkt nichts wert ist. Deren Pseudo-Ratgeber sind übrigens dreist abgekupfert von anderen Webseiten.