von Lothar Struck

Reportagen-Lehrbuch: Rettungsversuche für eine Textgattung

Der frühere «Spiegel»-Reporter und emeritierte Journalismusprofessor Michael Haller hat seinen Lehrbuch-Klassiker «Die Reportage – Theorie und Praxis des Erzähljournalimus» komplett überarbeitet. Die 7. Auflage ist unter dem Eindruck der Relotius-Affäre entstanden. Würden sich Journalistinnen und Reporter an Hallers Idealen orientieren, wäre schon viel gewonnen.

Vor wenigen Tagen erschien die 7. Auflage des Lehrbuch-Klassikers «Die Reportage». Im Vorwort beklagt der Autor die nach dem Fall Relotius grassierende Verunsicherung auch gestandener Reporter, weil im Journalismus das «subjektiv erlebte Erzählen zur Diskussion gestellt» würde. «Die erlebnisstarken Reportagen» der Vergangenheit könnten mit den heute gültigen, neuen Regeln nicht mehr veröffentlicht werden. Die aktuellen Texte läsen sich «verklemmt und verzagt».

Reporter würden «lieber fakten- als empfindungsreich, lieber berichtend als erzählend, lieber distanziert als engagiert» schreiben – nicht zuletzt, weil dies von ihnen unter dem Eindruck der Relotius-Affäre verlangt würde. Der «Erzähljournalismus» sei in die Krise geraten. Dieses zu Beginn des Buchs mächtige Lamento klingt ein bisschen so, als ob sich ein Sportfunktionär darüber beklagte, dass mit stärkeren Dopingkontrollen keine Rekorde mehr möglich seien.

Der Autor: Michael Haller, Jahrgang 1945, Journalist, Publizist und bis 2010 Professor für Allgemeine und Spezielle Journalistik am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Er mag keine faktenstrotzenden Berichte oder Texte, die Konzentration verlangen; für ihn ist das «hartes Schwarzbrot». Er will Stimmungen, Emotionen, über welche die Sachverhalte, die der Reporter schildert (gerne auch unterhaltsam), transportiert werden.

Überraschenderweise vermeidet Haller die Selbstcharakterisierung der Branche als «Vierte Gewalt».

Mutet Michael Hallers Mission nicht ein bisschen wie die Quadratur des Kreises an, wenn er «oberflächliches Faktizieren» zu Gunsten der Wiederbelebung der «grossartigen Kunstform» Reportage ersetzen und damit dem Journalismus zu einem besseren Ruf verhelfen möchte? Und welche Zeiten werden da heraufbeschworen?

Ausführlich widmet sich Haller den 1920er-Jahren, den Zeiten der Sozialreportagen einer Larissa Reissner oder eines Max Winter, dem Pionier der Wissenschaftsreportage ­– und natürlich dem «rasenden Reporter» Egon Erwin Kisch, der trotz seiner einseitigen politischen Ausrichtung von Haller verblüffend positiv geschildert wird. Der Neuanfang nach der Katastrophe des Nationalsozialismus kommentiert Haller lakonisch: «Beim Wiederaufbau des westdeutschen Pressesystems Ende der 1940er-Jahre stand der faktengläubige Nachrichtenjournalismus der angelsächsischen Länder Pate.»

Mit der Neuauflage seines Reportagen-Lehrbuchs geht Haller in die Offensive, tritt leidenschaftlich für «seine» Reportage als «Kunstform» ein.

Haller ist aber auch klar, dass es kein Zurück zu den «analogen Zeiten» gibt. Der Journalismus sei wie die Gesellschaft geprägt vom Wandel und längst auch selber Gegenstand der (journalistischen) Kritik. An der «Kernaufgabe» des Journalisten habe sich allerdings nichts geändert: Er soll «das Publikum über das aktuelle Geschehen in der Welt zutreffend ins Bild setzen und insofern als Moderator gesellschaftlicher Selbstaufklärung fungieren». Überraschenderweise vermeidet Haller die Selbstcharakterisierung der Branche als «Vierte Gewalt».

Mit der Neuauflage seines Reportagen-Lehrbuchs (die 1. Auflage erschien 1987) geht Haller in die Offensive, tritt leidenschaftlich für «seine» Reportage als «Kunstform» ein und möchte den «Panikreaktion[en]» der Blattmacher und Redakteure etwas entgegensetzen. Hierfür hat er gegenüber der vorherigen Auflage von 2008 einiges umgebaut.

Die Geschichte der Reportage von der Antike mit den Reisereportagen beziehungsweise Augenzeugenberichten von Herodot und Plinius (rund 500 v. Chr.) bis hinein ins 19. Jahrhundert rekapituliert Haller im Vergleich zur 6. Auflage weitgehend unverändert. Mit der Formulierung der Kriterien für eine gelungene Reportage und den Abgrenzungen zum Fiktionalen kommen Erkenntnisse aus der Affäre um «Spiegel»-Redaktor Claas Relotius ins Spiel.

Die gravierendste Änderung in der neuen Auflage ist der Wegfall der Porträts bekannter Reporter.

Das Kapitel «Die Angst, der Dschungel und das Weltdorf», das in der vorherigen Auflage die die soziologischen, gesellschaftlichen und medialen Veränderungen der 1990er und 2000er-Jahre abhandelte, hat Haller gestrichen, respektive einzelne Elemente daraus aktualisiert und in andere Kapitel der neuen Ausgabe eingearbeitet. Gleichzeitig fanden beispielhaft für bestimmte Reportage-Verfahren oder -Szenarien aktuelle Texte aus den 2010er Jahren zusätzlich Einzug.

Die gravierendste Änderung ist der Wegfall des kompletten dritten Teils der 6. Auflage, in denen bekannte Reporter ihre Arbeit als Porträt-, Sport- oder Politikreporter darstellten. Möglicherweise sollte damit dem «Star-Kult» um einzelne Journalisten Einhalt geboten werden. Dieser wird als eine der Ursachen für den «Fall Relotius» ausgemacht.

Scharf benennt Haller die Gründe für die Krise des Erzähljournalismus:

Entgrenzung der Form, Entpolitisierung der Inhalte, Selfie-Subjektivismus als bunte Schminke des hedonistisch auftretenden Zeitgeists – und zugleich die Angst vor Langeweile, die nach grandios getexteten Abenteuergeschichten verlangt über bizarre Leute und krasse Episoden von irgendwo auf der Welt: Für diese (hier überspitzt formulierten) Tendenzen steht – neben anderen – das damalige Gesellschaftsressort des Nachrichtenmagazins Der Spiegel.

Mit Cordt Schnibben, der von 2001 bis 2013 das Gesellschaftsressort beim «Spiegel» leitete, wird der (moralische) Hauptschuldige für diese Krise ausgemacht. In der 6. Auflage wurde er noch als «ein Meister» der «Stoffgliederung» von Reportagen apostrophiert. Die Stelle ist in der Neuauflage gestrichen. Schnibben habe, so Haller, nach dem ökonomisch gescheiterten «Spiegel-Reporter»-Magazin mit seinem Gesellschaftsressort praktisch wie ein «Staat im Spiegel-Staat», «protegiert von der Chefredaktion», ohne irgendwelche Kontrollen durch Rechercheure, agieren dürfen. Schliesslich habe er (zusammen mit anderen) noch einen Verein namens «Reporter-Forum» ins Leben gerufen, der die vom «Zeitgeist durchwirkten Vorstellungen über guten Erzähljournalismus» zusätzlich förderte und prämierte.

Haller ist bemüht, das Genre der Reportage von anderen Textsorten abzugrenzen und mit den Anforderungen der modernen Zeit aus der Geschichte heraus weiterzuführen. Seine Definition – die er schon seinem Buch wie ein Gesetz voranstellt – lautet:

Die moderne Reportage ist vom journalistischen Anliegen getragen, soziale Distanzen und institutionelle Barrieren zu überwinden, um hinter die Fassaden zu blicken. Sie wird durch die Findigkeit und die subjektive Sicht des Reporters bestimmt: Sein Zugang zum Thema, seine Protagonisten und seine authentischen Erlebnisse sind ausschlaggebend. Diese bringt er dramaturgisch strukturiert in einer teils erzählenden, teils beschreibenden, teils schildernden Sprache zum Ausdruck.

Dabei ist die oberste Priorität, dass die Reportage auf wahren, also tatsächlich gemachten Beobachtungen beruht. Hinzu kommt das, was Haller als «Exotik» bezeichnet: Das Thema muss den Rezipienten neugierig machen, weil es noch nie derart behandelt wurde. Als Beispiel kann man unter anderem einen Ausschnitt aus einer Reportage über die Probleme bei der Mülltrennung in Shanghai lesen. Exotisch ist dieses Thema zweifellos, aber ob es auch wirklich Interesse hervorruft?

Haller nennt und übernimmt die Kriterien, nach denen der Pulitzer-Preis vergeben wird:

Zusätzlich zum Realismus (nonfiction) und zur Sachrichtigkeit (accuracy) müsse der Reporter seinen Stoff szenisch entwickeln, die Individualität der Akteure herausarbeiten, dabei eine Story (oft im erzähllogischen Nacheinander) erzählen, zudem die subjektive Sicht des Erzählers zum Ausdruck bringen, dabei zum Lesepublikum in Beziehung treten und die Leser zur Quintessenz, zum Erzählziel leiten.

Als Synonym für «Quintessenz» nennt Haller «Botschaft». Eine Reportage soll also, so die These, eine Botschaft haben. Haller geht sogar noch weiter: Der Reporter sollte «erst zu schreiben beginnen, wenn er weiss, was die Botschaft, die Quintessenz der Geschichte sein soll.» Unklar bleibt der anschliessende Satz in Klammern: «Die Absicht, mit einem Erzählstück gute Unterhaltung anzubieten, ist im Übrigen auch legitim.» Reicht im Zweifel schon «Unterhaltung» als «Quintessenz»? Und wie verträgt sich dies mit der Abgrenzung der Reportage von Texten mit «bunte[r] Vielfalt: Berichte, Essays, Betrachtungen und Erzählungen – geistreich formulierte Texte, die je nach Thema mal im Politikteil, im Feuilleton, in Büchern und Magazinen zu lesen waren», die aber nicht alle Kriterien einer Reportage erfüllen?

Liegt in diesem Gebot zu einer Botschaft nicht vielleicht der Kern für die Krise des Erzähljournalismus?

Botschaft bedeutet, dass der Reporter einen wie auch immer gearteten Imperativ, eine Präferenz für eine bestimmte Norm, in den Text «als Subtext» (Haller) einarbeitet. Dass es ein – und nur ein! – «Ergebnis» gibt. Gleichzeitig wird im Lehrbuch jedoch laufend die Notwendigkeit der Unvoreingenommenheit des Reporters betont. Er soll «quasi phänomenologische Beschreibung[en]» vornehmen, die dann allerdings nicht «berichtend», sondern «sinnlich» formuliert werden. Natürlich ist Haller der Widerspruch dieses Anspruches klar, wenn er einen «Hang zur Vorurteils- oder Thesenbestätigung» bei Journalisten feststellt.

Liegt in diesem Gebot zu einer Botschaft nicht vielleicht der Kern für die Krise des Erzähljournalismus? Und vielleicht sogar für den Journalismus insgesamt, in dem der Leser die unterschwellige Botschaft zwar zur Kenntnis nimmt, sie aber als übergriffige Bevormundung empfindet?

Der moderne Reporter emanzipiert sich vom angeblich nicht mehr zeitgemässen «Spiegel»-Motto («Sagen, was ist») zu Gunsten eines «Verändere die Fakten nicht!».

Haller weist im umfangreichen zweiten Teil seines Buches mit Tipps für den potentiellen Reporter unter anderem darauf hin, dass man wertende Aussagen wie beispielsweise «sympathisch» in Bezug auf eine Person nicht tätigen sollte. Stattdessen solle man lieber eine Beschreibung äusserer Merkmale vornehmen, die dem Rezipienten das Urteil «sympathisch» ermöglichen. Aber wie schnell sind wertende Adjektive gesetzt, zumal, was Haller immer wieder anklingen lässt, auch Lesbarkeit und Kürze eine grosse Rolle spielen? Wie gross ist die Gefahr, sozusagen unbeabsichtigt einem Klischee oder dem allgemeinen Muster nachzugeben? Und damit der «Meute» zu entsprechen? Denn Journalisten, das weiss auch Haller, neigen zur «Oberflächlichkeit».

Der moderne Reporter, so der Leitspruch des Buches, emanzipiert sich vom angeblich nicht mehr zeitgemässen «Spiegel»-Motto («Sagen, was ist») zu Gunsten eines «Verändere die Fakten nicht!». Abgesehen davon war der «Spiegel» in seinen politischen Berichten nie neutral oder «objektiv», was Haller auch genüsslich an einigen Schlagzeilen-Beispielen aus der unmittelbaren Gegenwart aufführt.

Die Problematik subjektiv-objektiv wird aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, aber es gelingt Haller nicht immer, eindeutige Kriterien herauszuarbeiten. Schliesslich findet sich folgende Definition, was der Reporter kann, soll und darf:

Zum einen beschreibt der Reporter seine Beobachtungen und Erlebnisse nicht nur als subjektive Eindrücke und Empfindungen, sondern auch als Sachverhalte (wer, was, wann, wo, wie). Auch in der Story müssen diese Aussagen zutreffend und überprüfbar sein. Das Subjektive des Reporters tritt durch seine persönliche, selektiv wirkende Perspektive hervor. Dass auch die (nicht überprüfbaren) Empfindungen zur Sprache kommen, ändert nichts daran, vorausgesetzt, der Reporter macht diese Unterschiede transparent (etwa, indem er Kolportagen nicht im Indikativ referiert, seine Einseitigkeit anspricht, seine subjektiven Eindrücke als solche offenlegt, Verdichtungen erklärt und auktoriale Formulierungen vermeidet).

Transparenz ist für Haller das Reportergebot der Stunde. Er betont selbstkritisch, dass er hier umgelernt hat. Früher hatte er keine Probleme mit Figurenverschmelzungen oder Komprimierung von Ereignissen. Zwar vertritt er die Haltung, wonach Verdichtung nicht gleichzusetzen sei mit Erfindung. Aber inzwischen beharrt er darauf, dass solche Verfahren unbedingt öffentlich gemacht werden müssen. Die Frage lautet dann allerdings: Warum sollte man es machen? Schliesslich betont Haller auch, dass Lesefluss und Unterhaltungswert von Reportagen wichtig seien. Der Reporter habe jedoch zu erklären, was er ausgewertet und was er weggelassen habe. Aber vielleicht weiss der Reporter auch nicht immer, was er weggelassen hat, denn er ist ja fast immer ein «Laie». Und würden da allzu viele Erläuterungen nicht nur stören, sondern auch die Frage nach der Wahrhaftigkeit stellen?

Haller weist darauf hin, dass der Reporter zumeist Teilnehmer und Beobachter gleichzeitig ist und diese Balance im Text zu berücksichtigen sei.

Neben der Abgrenzung der Reportage zur Literatur bemüht sich Haller um den Unterschied zwischen Reportage und Feature – eine Diskussion, die sicherlich den Journalisten interessieren muss, den Rezipienten jedoch kaum. Kurz zusammengefasst: Das Feature referiert über das Allgemeingültige, die Reportage widmet sich dem Einzelschicksal. Als «Zwitter» wird kurz auf die «Nachrichtenmagazingeschichte» hingewiesen.

Im zweiten Teil des Buches gibt es ausgiebig Praxistipps für den potentiellen Reporter. Hier finden sich «20 Sprachtipps», Anleitungen wie man recherchiert (wobei auffällt, dass Haller nur die Internetrecherche behandelt; ein Buch als Vorbereitung erwähnt er nicht) oder wie man das Handy als «Notiz- und Diktiergerät» verwendet. Auch grundsätzliche Erwägungen zu Stil und Form thematisiert Haller. Soll die Reportage in der Ich-Form geschrieben werden oder nicht? Wie wäre es mit einer Multimedia-Reportage – auch hierzu gibt es Vorbilder und Hinweise.

Haller weist darauf hin, dass der Reporter zumeist Teilnehmer und Beobachter gleichzeitig ist und diese Balance im Text zu berücksichtigen sei. Wichtig auch der Hinweis auf die Notwendigkeit von gleichzeitiger Nähe und Distanz zum Subjekt der Reportage. Manche Journalistenweisheit, die Haller von sich gibt, hätte man gerne ausgiebiger gewürdigt gesehen. Zum Beispiel diese:

Je aufregender, skandalöser, schockierender die Sachverhalte, desto zurückhaltender und nüchterner die Sprache.

Haller hat seine Neuauflage in vielen Punkten verändert, was ihm hoch anzurechnen ist. Unverändert blieben leider die sogenannten Übungsreportagen. Es handelt sich um zehn Texte (fast immer um die 6000 Zeichen; nur einmal wesentlich mehr), die «in Volontärskursen, Lehrredaktionen und Inhouse-Workshops im Raum Hamburg» entstanden sind und exemplarisch für unterschiedliche Typen von Reportagen stehen sollen. Mit den Kriterien Attraktion, Augenschein, Quintessenz und Dramaturgie werden die Texte klassifiziert.

Manchmal wirken Hallers Versuche, die Reportage wieder journalistisch satisfaktionsfähig zu machen, geradezu rührend.

Dabei handelt es sich jedoch ausnahmslos um Reportagen, die in den 1980er Jahren entstanden sind! Das merkt man bisweilen deutlich, etwa bei einem Porträt aus dem Jahr 1985 über «Tattoo-Theo», einen ganzkörpertätowierten Mann aus Hamburg, der 2004 verstorben ist. Insgesamt wirken die Themen der Reportagen (Stichwort: «Exotik») arg angestaubt. Als Kontrapunkt werden am Schluss dreizehn, meist preisgekrönte Reportagen verlinkt, die bis auf eine Ausnahme zwischen 2017 und 2020 entstanden sind. Tiefergehende Analysen zu diesen jüngeren Texten gibt es jedoch nicht.

Manchmal wirken Hallers Versuche, die Reportage wieder journalistisch satisfaktionsfähig zu machen, geradezu rührend. Etwa dann, wenn er immer wieder betont, wie der Journalist den Leser an einem für ihn ansonsten vollkommen unzugänglichen Geschehen teilhaben lässt.

Dass das Genre in der Krise steckt, ist nicht alleine auf den Fall Relotius zurückzuführen. Der Glaubwürdigkeitsverlust des Journalismus geht tiefer, als auch Haller dies wahrhaben möchte. Neben Claas Relotius werden noch nebensächlich Dirk Gieselmann und der Fall der Bloggerin Marie Sophie Hingst erwähnt. Aber der vom Journalismus selbst verantwortete Vertrauensverlust speist sich aus vielen anderen Aspekten wie Versäumnissen, einseitigen Berichterstattungen oder ungenauen oder fahrlässig falschen Recherchen.

Auffällig ist die weitgehende Beschränkung des Lehrbuchs auf die Reportage im Printjournalismus. Allenfalls das Radio-Feature bekommt noch ein wenig Aufmerksamkeit. Über die inzwischen inflationären Reportageformate im Fernsehen findet sich gar nichts. Bisweilen treibt Haller die Idealisierung der Reporter, die er eigentlich skeptisch sieht, selber voran, etwa wenn er von den Leistungen der Kriegsreporter berichtet (auch derjenigen, die «embedded» sind) und die These aufstellt, dass die Berichterstattung in den 1970er Jahren wesentlich zum Ende des Vietnamkrieges beigetragen hätte. Eine Annahme, die längst nicht mehr ungeteilte Zustimmung findet.

Die Lektüre des Reportage-Lehrbuchs bietet auch für den Medienrezipienten bisweilen erhellende Momente, etwa wenn Haller auf ein journalistisches Ethos jenseits von Oberflächlichkeiten beharrt. Dabei liegen die Schwierigkeiten, mehreren Parteien – Lesern, Blattmachern, Protagonisten – zu dienen und dies auszubalancieren, auf der Hand. Würden sich Journalisten und Reporter an Hallers Idealen orientieren, wäre schon viel gewonnen.