von Nick Lüthi

Die neue SRF-Strategie als Weckruf für die Politik

Schweizer Radio und Fernsehen SRF forciert seine heute schon gut entwickelten Online-Aktivitäten. Damit verschärft der öffentliche Rundfunk den Wettbewerb mit den privaten Medien. Die Politik tut darum gut daran, endlich einen Ausgleich zu schaffen, der den Namen verdient.

Unter aktuellen Vorzeichen wäre dieser Vorgang schlicht unvorstellbar. Da pfeift der SRG-Präsident den Chefredaktor des Schweizer Fernsehens zurück und rügt ihn öffentlich für seine allzu forsche Internet-Strategie. «Es war ein Fehler, die Lancierung eines führenden Newsportals anzukündigen.» Und weiter: «Ich verstehe, dass die Zeitungsverleger empört auf die Ankündigung reagiert haben.» Man schrieb das Jahr 2005 als Jean-Bernard Münch im Sonntagsblick Ueli Haldimann blossstellte. Das Projekt wurde damals zwar gestoppt, aber in den Jahren danach folgte ein kontinuierlicher Auf- und Ausbau der Online-Aktivitäten – stets begleitet vom weitgehend wirkungslosen Protest der Verleger.

2020 setzt das Schweizer Radio und Fernsehen SRF zum grossen Sprung nach vorn an. Heute heisst die Losung «Digital first». Mit seinem Online-Newsangebot will SRF die Konkurrenz frontal angreifen und Nutzerinnen und Nutzer abwerben. In einem gesättigten digitalen News-Markt sei dies der einzige Weg, auf dem die Marktteilnehmer noch «signifikant wachsen können», hält die SRF-eigene Marktforschung in einem internen Strategiepapier vom März fest. Dass deswegen der amtierende SRG-Präsident Jean-Michel Cina die SRF-Direktorin Nathalie Wappler zurückpfeifen würde – unvorstellbar. Die Online-Offensive gilt quer durch die Führungsgremien von SRG und SRF als alternativlos. Und auch von aussen gab es bisher wenig Widerspruch.

Dass die Verleger bisher nicht öffentlich auf die Kampfansage reagiert haben, lässt sich nur damit erklären, dass sie derzeit vor allem mit sich selber beschäftig sind. Ein erneutes Aufflackern des ewigen Online-Streits wäre ihren aktuellen Bemühungen um mehr Subventionen wenig zuträglich.

Nach der Argumentation der SRF-Spitze muss der gebührenfinanzierte Rundfunk mit seinem Angebot überall dort präsent sein, wo sich das Publikum befindet.

Unabhängig davon, ob die Verleger den Fehdehandschuh aufnehmen werden, rückt das ambitionierte Vorhaben von Schweizer Radio und Fernsehen die alte Frage ins Zentrum: Welche Grenzen gelten für den gebührenfinanzierten Rundfunk im Internet? Oder mit Blick auf die aktuellen Pläne von SRF: Gibt es überhaupt irgendwelche Grenzen?

Nach der Argumentation der SRF-Spitze muss der gebührenfinanzierte Rundfunk mit seinem Angebot überall dort präsent sein, wo sich das Publikum befindet. Mit dieser schlichten Formel entbindet sich das Unternehmen jeglicher Zurückhaltung. Wenn es Leute gibt, die Podcasts mit dem Kühlschrank hören, dann wird SRF eine App für Küchengeräte entwickeln.

Was einmal als Schranken der Online-Aktivitäten gedacht war, entpuppte sich längst als Makulatur oder verkehrte sich sogar in das Gegenteil. Das Werbeverbot für das Online-Angebot der SRG bedeutet heute keine Einschränkung, sondern bietet vielmehr einen Vorteil beim Publikum. Während die Verlage ihre Nutzerschaft im Netz weiterhin mit Reklame belästigen (müssen), kommen die Websites und Apps von Schweizer Radio und Fernsehen ganz ohne blinkende Banner, peinliche Promotionen und nerviges Native-Advertising daher. Weil aber gleichzeitig die Online-Werbung in grossem Masse zu Google und Facebook abfliesst, setzen private Medien umso stärker auf die Finanzierung über Abonnements. Was auch heisst: Die Inhalte verschwinden hinter Bezahlschranken. Wenn gleichzeitig ein attraktives gebührenfinanziertes Angebot ohne Hürde zugänglich bleibt, wirkt sich das nicht gerade förderlich aus auf den Aboverkauf.

Einen strategischen Vorteil gegenüber der privaten Konkurrenz geniesst der öffentliche Rundfunk auf Video- und Audioplattformen wie Youtube oder Spotify.

Auch die Umfangbeschränkung von reinen Textmeldungen auf 1000 Zeichen hat ihren Zweck nie erfüllt. Einst vom Bundesrat auferlegt, damit die SRG keine Online-Zeitung macht und auch im Internet den audiovisuellen Charakter wahrt, erwies sich die Bestimmung schnell als wirkungslos. Sobald nämlich ein Radio- oder Fernsehbeitrag der Online-Nachricht beigestellt wird, gilt die Umfanglimite für den Text nicht mehr. Der Nachrichtensender SRF 4 News und die Tagesschau-Sendungen liefern nahezu immer einen Ton- oder Film-Schnipsel und schaffen so den geforderten «Sendebezug» – und sei der noch so schwach oder belanglos.

Einen strategischen Vorteil gegenüber der privaten Konkurrenz geniesst der öffentliche Rundfunk auf Video- und Audioplattformen. Das Schweizer Fernsehen stellt Eigenproduktionen, etwa Dokumentarfilme, in voller Länge auf Youtube und präsentiert sein komplettes Podcast-Angebot auf Spotify. Kommerzielle Medienunternehmen, die ihre Video- und Tonproduktion mit Werbung und Abos refinanzieren, können sich solche Freigebigkeit nicht leisten und müssen das Publikum auf die eigenen Plattformen zurückführen.

Es geht keineswegs darum, der SRG das Internet zu verbieten, wie das wohl manche Verlegervertreter bis heute insgeheim wünschen.

Dass die SRG im Allgemeinen und Schweizer Radio und Fernsehen SRF im Speziellen das Internet längst als ihr natürliches Habitat betrachten, kann man ihnen nicht verübeln. Sie tun schliesslich nichts Verbotenes und nutzen nur geschickt den Spielraum, der ihnen die Politik gewährt. Doch die geltenden Regeln lassen zu viel Interpretationsspielraum offen. Die Politik hat zu lange zu lasch agiert, insbesondere der Bundesrat als Konzessionierungsbehörde. Die Haltung, dass sich der Konflikt zwischen SRG und Verlegern irgendwann von selbst klären würde, war naiv.

Die strategische Neuorientierung von Schweizer Radio und Fernsehen im Rahmen des Projekts «SRF 2024» ist der ideale Moment für die Politik, die Zügel wieder fester in die Hand zu nehmen und einen regulatorischen Rahmen zu schaffen, der einen echten Ausgleich zwischen den Interessen der unterschiedlichen Akteure der Medienbranche ermöglicht. Dabei geht es keineswegs darum, der SRG das Internet zu verbieten, wie das wohl manche Verlegervertreter bis heute insgeheim wünschen. Vielmehr gilt es, ein strengeres Prüf- und Kontrollregime zu etablieren, das geplante Expansionsschritte genauer unter die Lupe nimmt und allenfalls auch ablehnen kann.

Leserbeiträge

Stachel Sepp 24. September 2020, 09:34

Wenn die Verlage darum bemüht wären, die Menschen mit Information zu versorgen, und nur die öffentliche Konkurrenz ihr Geschäft vermiesen würde, müsste man dieses Argument wohl ernst nehmen. Eigentlich haben sie aber die Kleinanzeigen zu Ricardo & Co. outgesourcet und Dividenden ausbezahlt, statt Investitionen zu tätigen.

Die Trennung Radio/TV <- öffentlich, Print <- privat, stammt zudem aus einer Zeit, in der die Menschen noch Zeitungen gekauft haben. Wenn die Diskussion wirklich nur darum gehen soll, wie wir bestehende Strukturen erhalten, ist der Journalismus in der Schweiz verloren.