The Good, The Bad & The Ugly VII
Bundesplatzbesetzung,
NZZ & CH Media,
Infosperber
The Good – Berichterstattung zur Bundesplatzbesetzung
Den Schweizer Medien gelang diese Woche, was ihnen selten gelingt: sich bei einem kontroversen Live-Ereignis von Anfang an unabhängig von den Behörden zu positionieren. Am Montag um 6 Uhr war der Bundesplatz von Klimaaktivist*innen besetzt. Während das Parlament tagt, sind Demos auf dem Bundesplatz verboten.
Wenn etwas Illegales getan wird, ist der News-Journalismus oft in einem klaren Schwarzweiss-Muster verhakt. Diesmal nicht: Die Sicht von Polizei und Behörden war natürlich auch abgebildet, aber die Journalist*innen haben sich die Haltung der Behörden nicht zu eigen gemacht. Das gilt für die Liveticker vom Montag ebenso wie für die Reportagen in den Dienstagsausgaben der grossen Zeitungen.
Ein zweiter Protest, Polizeigewalt, polizeiliche Wegweisungen und die Tirade von Andreas Glarner gegen Sibel Arslan stoppten die kritisch-differenzierte Berichterstattung nicht. «Einen solchen Rechtsextremisten» (WOZ-Co-Redaktionsleiter Kaspar Surber über Andreas Glarner) können Journalist*innen nicht freundlich und fair behandeln. In der Abwägung zwischen Klimakrise und Demo-Reglement kann man nicht reflexartig und undifferenziert auf Recht und Ordnung pochen. Das ist bei vielen Schweizer Journalist*innen angekommen. Leider nicht bei allen. Die SRF-Arena setzte auf rhetorische Eskalation. Mit einem Klimawandel-Skeptiker den Klimawandel zu diskutieren, ist sinnlos. Mit einem Klimawandel-Skeptiker den Aktivismus gegen den Klimawandel zu diskutieren, lächerlich.
The Bad – Entlassungen bei NZZ und CH Media
Bloss «vereinzelt» Entlassungen soll es geben, hiess es von der NZZ im Juni zu ihrer «Strategieschärfung». Jetzt zeigt sich, dass das Unternehmen mit 780 Mitarbeitenden nicht so überaltert ist, dass es etwa fünf Prozent der Stellen mit Frühpensionierungen zum Verschwinden bringt.
Die Bilanz der letzten zwei Wochen: Zwei Entlassungen im Wirtschaftsressort, eine im Inland, eine im Inlandressort der NZZ am Sonntag, der Filmredaktor wird entlassen und in der Bildredaktion eine halbe Stelle gestrichen. Der «trickle down»-Effekt – das Versprechen, dass entfesselte Märkte auch den unteren Schichten helfen – funktioniert hier umgekehrt: Die Entlassungen geschehen nicht auf’s Mal; das Unternehmen entlässt tröpfchenweise. «Die Zahl der Kündigungen insgesamt beträgt unter 30 (und nicht 39)», schreibt Sprecherin Seta Thakur auf Anfrage. Immerhin nennt sie Kündigungen nun Kündigungen.
Von «neoliberaler Salamitaktik» schrieb Medienjournalist Dennis Bühler auf Twitter. Man solle nicht alles, was einem nicht passt, neoliberal nennen, ärgerte sich daraufhin Pascal Hollenstein, publizistischer Leiter von CH Media. Am Tag drauf kündigte CH Media ein «Effizienzprogramm» an, mit dem bis 2023 30 Millionen Franken pro Jahr gespart werden. Zwei Drittel davon mit neuen Massnahmen, ein Drittel komme aus dem «noch laufenden Integrationsprogramm», teilt Sprecher Stefan Heini auf Anfrage mit. Wieviele Stellen «im Endeffekt abgebaut werden» und ob Medienmarken verschwinden, weiss er noch nicht. Klar ist: «Wir werden in allen Bereichen sparen.»
The Ugly – Infosperber bei den Pandemieverharmlosern
Dass Infosperber gegenüber Daniele Ganser einen Kuschelkurs fährt, habe ich im Mai hier aufgezeigt. Die Pandemie kam in dieser Analyse nur am Rand vor. «Wegen Corona kommen heute nur noch wenige ins Spital oder sterben. Doch findet man mit mehr Tests mehr Fälle (fast) ohne Symptome», steht in einem Infosperber-Artikel vom 23. September, der die NZZ-Berichterstattung kritisiert.
Wie ist das einzuordnen? Ich bin froh, hat sich dieser Frage jemand angenommen: Die Plattform SWPRS.org, die sich selbst als «Forschungsprojekt» sieht, hat einen «Corona-Mediennavigator» erstellt. Darin wird etwa das Portal Telepolis dafür gescholten, dass es «coronapolitisch konform» berichte und Wikipedia fungiere «wie üblich als PR-Plattform für die pharmazeutische Industrie». Infosperber wird dagegen gelobt: «Kritisch und korrigierend» berichte das Portal, in der Schweiz flankiert vom öko-esoterischen «Zeitpunkt». In Deutschland «kritisch bis sehr kritisch» sei unter anderem das Verschwörungsfan-Portal «KenFM».
Gerne hätte ich mich bei den Urheber*innen für die nützliche Einordnung von Infosperber in einer Reihe mit eindeutig pandemieverharmlosenden und Verschwörungs-Medien bedankt. Aber SWPRS.org, dessen «Medien-Navigator» in Daniele Gansers neuem Buch empfohlen wird, hat kein Impressum. Leider!
Ueli Custer 26. September 2020, 11:08
Ich bin Abonnent von Infosperber, konnte diese Tendenz aber nicht feststellen. Immerhin gibt es bei Infosperber Artikel, die sich mit dem Unsinn der absoluten Fallzahlen bei den Tests befassen. Offenbar haben wir in der Schweiz praktisch nur Journalisten, die nicht merken, dass es nicht um die absolute Anzahl von positiv Getesteten geht sondern um deren Anteil an den gemachten Tests. Und dann sieht man, dass dieser Wert in den letzten Wochen praktisch stabil geblieben ist. Aber das ist natürlich etwas langweilig. Und offenbar muss ich jetzt noch etwas nachschieben: Ich bin in keiner Weise ein Coronaskeptiker. Das Virus ist real und hat bereits bis heute mit knapp 1 Mio. mehr Tote gefordert als die Grippe in einem ganzen Jahr (normalerweise um 650’000). Und ich halte mich an alle Empfehlungen der Behörden.
Toni Koller 26. September 2020, 13:33
Besser als einen komischen „Mediennavigator“ zu zitieren, wäre es, den Infosperber zu lesen – und aufzuzeigen, wo und inwiefern er allzu „corona-kritisch“ schreibe. Das anfangs wiedergegebene Infosperber-Zitat ist jedenfalls nicht anfechtbar, sondern nennt einen banalen Fakt – mit „Pandemieverharmlosung“ hat das nichts zu tun.
Thomas Neuenschwander 27. September 2020, 22:25
Ich habe Autoren von Infosperber mehrmals wegen aus meiner Sicht einseitigen und unsachlichen Artikeln zu Ganser, Russland und Syrienkrieg kritisiert.
Ihre Kritik an Infosperber und die Bezeichnung als „Pandemieverharmloser“, Herr von Wyl, ist jedoch ausserordentlich schwach begründet und unsachlich. Weiter empfinde ich diesen Abschnitt als polemisch.
Dass zurzeit wenig Personen wegen Corona ins Spital müssen oder sterben, können Sie wohl ebensowenig widerlegen wie die Tatsache, dass man mit mehr Tests mehr Fälle findet. Ebenfalls ist es richtig und wird durch Infosperber bzw. Urs Gasche immer wieder betont, dass viele Medien sehr auf die absoluten Fallzahlen fixiert sind – ohne diese ins Verhältnis zur Einwohnerzahl und zur Anzahl gemachter Test zu setzen
Dass Infosperber vom Mediennavigator – den ich für sehr einseitig und intransparent halte – gelobt wird, ist wohl nicht das Problem des Portals.
Wenn schon Kritik an Infosperber, dann bitte begründet!
Bemerkung: Selbst halte ich übrigens Corona für gefährlich und die Massnahmen der Behörden zum grössten Teil gerechtfertigt.