«Ein Zeichen, dass man die Westschweiz nicht vergessen hat»
Nur sechs Monate, nachdem «Watson» seine Expansion in die Westschweiz angekündigt hat, zieht es auch den «Blick» westwärts. Die beiden Deutschschweizer Medien wollen das Monopol von «20 Minutes» angreifen. In der Romandie heisst man die Neuankömmlinge willkommen. Doch ebenso rechnet man mit einem Verdrängungskampf.
Im April haben die AZ Medien von Verleger Peter Wanner angekündigt, mit dem News- und Unterhaltungsportal «Watson» in die Westschweiz zu expandieren. Ein halbes Jahr später zieht Ringier nach: Ebenfalls 2021 soll es ein Westschweizer Pendant zu «Blick.ch» geben. Einen gedruckten «Blick» wird es, zumindest vorerst, nicht geben. Beide Redaktionen werden sich in Lausanne niederlassen.
«Das sind sehr gute Nachrichten», sagt Peter Rothenbühler, ehemaliger Chefredaktor von «Le Martin», «Sonntagsblick» sowie «Schweizer Illustrierte» und Kenner der Medienbranche beidseits des Röstigrabens. «Lange gab es in der Westschweiz nur Hiobsbotschaften.»
In der Tat ist es in der Westschweizer Medienlandschaft kahl geworden: Die Einstellung von «L’Hebdo» und «Le Matin», der Abbau bei «Le Temps» und «L’illustré» prägten die Medienwelt. Einzig mit «Heidi.news» ist ein neues Online-Medium entstanden, das sich durchzusetzen scheint, allerdings keinen klassischen Tagesjournalismus betreibt. Die ebenfalls 2019 gegründete Gratiszeitung «Micro», die sich als Ersatz für «Le Matin» verstand, ging nach nur einem Jahr wieder ein.
Dass mit «Blick» und «Watson» gleich zwei Deutschschweizer Medien in die Westschweiz drängen, scheint die Romands nicht zu stören.
Mit «Blick.ch» und «Watson» wird nicht nur die Westschweizer Medienlandschaft wieder vielfältiger, es entstehen auch neue Arbeitsplätze für Journalistinnen und Journalisten. «Das ist gerade für junge Absolventen der Journalistenschulen ein wichtiges Zeichen», sagt Rothenbühler. Auch für Politik, Wirtschaft und Promis sei dies eine gute Nachricht: In der Vergangenheit hatte «Le Matin» als einziges Boulevardmedium das Sagen, wer gross herauskommt oder wer ignoriert wird – «umso mehr, weil sich ‹20 Minutes› als neutral versteht und keine Kommentare oder Meinungen publiziert», sagt Rothenbühler. Der Westschweizer Medienlandschaft könne mehr Konkurrenz nur guttun: «In einer Monopolstellung werden Redaktionen faul.»
Dass mit «Blick» und «Watson» gleich zwei Deutschschweizer Medien in die Westschweiz drängen, scheint die Romands nicht zu stören. Im Gegenteil: Die Reaktionen sind durchwegs positiv. «Es ist ein Zeichen, dass man die Westschweiz nicht vergessen hat», sagt Gabriel Sigrist. Der Journalist und Mitgründer der Westschweizer Medienagentur LargeNetwork, begrüsst es, dass endlich wieder in die Medien investiert wird.
Ziel der Expansion der beiden Medientitel ist in erster Linie, den Anzeigenkunden eine gesamtschweizerische Abdeckung anbieten zu können.
«Zudem werden eigenständige Redaktionen aufgebaut mit starken Köpfen», sagt Peter Rothenbühler. Chefredaktor des Westschweizer «Blick» wird Michel Jeanneret, gegenwärtig Chefredaktor der Zeitschrift «L’illustré», die ebenfalls zum Ringier-Verlag gehört. «Watson Romandie» wird von Sandra Jean geleitet, ehemalige Chefredaktorin der Tageszeitungen «Le Matin» und «Le Nouvelliste».
Bereits beginnt das Personalkarussell zu drehen: «Watson» konnte schon einige Journalistinnen und Journalisten von Tamedia abwerben: Marie-Adèle Copin, aktuell noch bei «20 Minutes Friday» wird bei «Watson» Unterhaltungschefin. Christian Despont, zurzeit Leiter der gemeinsamen Sportredaktion der Westschweizer Tamedia-Titel, wechselt zu «Watson» als Sportredaktor.
Dass kurz nacheinander zwei neue Angebote auf den Westschweizer Markt kommen sollen, ist kein Zufall.
Ziel der Expansion der beiden Medientitel ist in erster Linie, den Anzeigenkunden eine gesamtschweizerische Abdeckung anbieten zu können. Auch sind in der Genferseeregion zahlreiche internationale Firmen angesiedelt, die ebenfalls Interesse an nationalen Plattformen für ihre Werbung haben könnten. Zurzeit kann dies von den Schweizer Nachrichtenmedien nur der «20 Minuten»-Verbund anbieten. Dieses Monopol wollen AZ Medien und Ringier nun brechen, indem sie auch in die Westschweiz expandieren.
«Da ‹20 Minutes› bereits einen Kundenstamm hat, könnten sie allerdings die Preise der Anzeigen runterdrücken, um so den Einstieg für die neuen Konkurrenten ‹Blick› und ‹Watson› auf dem Werbemarkt zu erschweren», sagt Sigrist. Dass kurz nacheinander zwei neue Angebote auf den Westschweizer Markt kommen sollen, sei kein Zufall, sagt Rothenbühler: «Das Projekt war beim ‹Blick› wohl schon lange im Köcher, nur wollte man zuerst abwarten, was mit ‹Le Temps› passiert.» In der Tat deuten manche Zeichen zurzeit darauf hin, dass Ringier «Le Temps» an eine Genfer Stiftung verkaufen wird. Ladina Heimgartner, die neue Chefin der «Blick»-Gruppe, bestätigt auf Anfrage der MEDIENWOCHE, dass das Projekt nicht einfach eine Reaktion auf den Schritt von «Watson» sei. «Ein solches Expansionsprojekt entsteht nicht über Nacht», teilt Heimgartner schriftlich mit.
Bleibt die Frage, ob es genügend Platz gibt im kleinen Westschweizer Markt. «Das glaube ich nicht, ich denke eher, dass es zu einer regelrechten Schlacht kommen wird», sagt Gabriel Sigrist. Das sieht auch Peter Rothenbühler so. Wer den Verdrängungskampf gewinnen wird, ist schwierig abzuschätzen. Schon klar scheint die Zukunft von einem der vier Player zu sein: «‹Lematin.ch› dürfte es schwer haben in dieser neuen Konstellation, weil das Angebot quasi eine Doublette von ‹20 Minutes› ist und dem gleichen Verlag gehört», sagt Sigrist.
Bei «Watson» stand von Anfang an fest, dass sie mit dem gleichen Namen wie in der Deutschschweiz auch in der Romandie auftreten würden.
Als etablierte Plattform kann «20 Minutes» auf eine grosse Leserschaft sowie treue Werbekunden zählen. Für «Blick.ch» spricht, dass man sich im Gegensatz zu «20 Minutes» dank pointiertem Meinungsjournalismus publizistisch profilieren kann. Auch sind der Name und die Ausrichtung in der Romandie – zumindest bei der älteren Generation – bereits bekannt. Es stellt sich die Frage, ob sich der Online-Auftritt grafisch von der Deutschschweizer Version unterscheiden wird – und, vor allem, ob der Name beibehalten wird. «Hierzu haben wir noch keine abschliessende Entscheidung gefasst», teilt Ladina Heimgartner mit. «Primär geht es uns darum, mit der Etablierung des ‹Blick›-Pendants in der Romandie eine publizistische Alternative zu den bestehenden Angeboten zu bieten und damit auch zur Medienvielfalt in der französischsprachigen Schweiz beizutragen. Welcher Name sich dafür am besten eignet, wollen wir sorgfältig abklären.»
Bei «Watson» stand von Anfang an fest, dass sie mit dem gleichen Namen wie in der Deutschschweiz auch in der Romandie auftreten würden. «Der englische, frische und urbane Name ist vielleicht ein Vorteil», mutmasst Gabriel Sigrist. Ebenfalls für «Watson» spreche der kreative Journalismus, den man so in der Romandie noch nicht kennt. Mögen die Spiele beginnen!