von Anne-Sophie Scholl

The Good, The Bad & The Ugly X

Gut recherchiert, gut gemeint, gut geklickt

The Good — Recherche wirkt, SNB reagiert

Guter Journalismus hat Folgen: Erst auf Swissinfo, dann in der «Republik» machten Fabio Canetg und Patrizia Laeri Sexismusvorwürfe gegen die Schweizerische Nationalbank SNB publik. Das Thema wurde breit aufgegriffen, schweizweit etwa in der Tagesschau, sowie in internationalen Medien. Diese Woche musste sich Thomas Jordan, Präsident der SNB, vor dem Bankrat erklären.

Online-Kommentatoren versuchten hingegen, die Vorwürfe kleinzureden. Die Beweislage sei dünn, hiess es etwa. Eine derartige Argumentation ist jedoch nur nachvollziehbar, wenn man Sexismus mit Vergewaltigung gleichsetzt. Der Druck auf Thomas Jordan macht klar: Eine solche Auffassung ist letztes Jahrhundert.

Die Recherchen zum Männerverein SNB haben Standards verschoben. Sie zeigen bei einer der prestigeträchtigsten Institutionen der Schweiz: In der Arbeitskultur von Unternehmen gehört ein Verständnis für Diversität und Gleichstellungsfragen heute dazu. Und: Die Chefs stehen in der Verantwortung. Gut so.

The Bad — Die Frau, das Mängelwesen

Kurz nachdem die Sexismusvorwürfe gegen die Nationalbank laut wurden, veröffentlichten die Tamedia-Zeitungen einen Artikel zu Lohnverhandlungen. Der Autor liess eine Gleichstellungsexpertin und eine Coachin für Führungskräfte zu Wort kommen. Frauen müssten lernen, höhere Löhne zu verlangen, hiess es in dem Text. Schon klar. Der Artikel ist gut gemeint, das würdigen wir an dieser Stelle. Trotzdem ist er sexistisch.

Thomas Jordan, der Chef der Nationalbank, ist sicher gut in Lohnverhandlungen. Er ist Topverdiener, auch im internationalen Vergleich. 2019 erhielt er, Arbeitgeberbeiträge, Pensionspläne und AHV inklusive, 1,22 Millionen Franken Lohn, notabene finanziert aus Steuergeld – und dies, obwohl er offensichtlich eklatante Führungsdefizite hat. Im Interview von SRF auf die Sexismusvorwürfe angesprochen, bewies er vor laufender Kamera: Mit dem Thema Gleichstellung hat er sich bisher nie auseinandergesetzt.

Männer würden bei der Arbeit Entwicklungs- und Aufstiegschancen privilegieren, Frauen eine sinnvolle Arbeit und ein gutes Umfeld, so der Artikel. Aber: Ein Lohn von 1,22 Millionen Franken ist absurd. Zum Vergleich: Eine systemrelevante Pflegefachfrau, die Nachtschicht arbeitet und in der Coronakrise ihr Leben und das ihrer Familie riskiert, verdient rund 80’000 Franken.

Nicht (nur) Frauen haben Nachholbedarf. Was es braucht, sind Gender-Sensibilisierungskurse für Führungskräfte. Was es ebenfalls braucht, sind Männerlimits in Führungspositionen. Denn in den Führungsetagen ist beides gefragt: Der Fokus auf Aufstieg und Entwicklung UND der Fokus auf ein gutes Umfeld und Sinn.

Was wir gerne hätten: Mehr Service-Artikel zu Gender-Sensibilisierung für Kadermänner und zu Psychologieseminaren, wie sie Geldgier und Geltungsdrang in Griff kriegen.

The Ugly — Bro-Culture und Clickbaiting

Skandal! Skandal! Jüngst enthüllte die «Sonntagszeitung» auf zwei Seiten: Pro Helvetia, die Kulturstiftung des Bundes, hat dem Autor Christian Kracht einen Werkbeitrag von 25’000 Franken zugesprochen. Dies, obwohl der Autor mutmasslich ein grosses Vermögen hat. Jury-Mitglied Philipp Theisohn soll die Fäden gezogen haben. Dies, obwohl der Literaturprofessor wegen Befangenheit bei dem Entscheid in Ausstand getreten war. Am vergangenen Sonntag doppelte die Zeitung in einer Kolumne nach.

Mit Verlaub: Ein Werkbeitrag ist keine Sozialhilfe für Autoren. Ein Werkbeitrag wird für den künstlerischen Wert eines literarischen Projekts gesprochen – weil sich der Aufwand für ein Buch normalerweise niemals auszahlt. Das hat Bestsellerautor Charles Lewinsky unlängst vorgerechnet, ebenfalls in der «Sonntagszeitung». Ein Werkbeitrag ist quasi der aufgestupfte Lohn für ein literarisch wertvolles Projekt. Der Skandal ist herbeigeschrieben.

Liebe Tamedia. Wenn Ihr originell sein wollt, schlagt Reichen-Detektive vor, die zum Beispiel das Vermögen von Thomas Jordan erschnüffeln. Man könnte dann – eventuell – zum Schluss kommen: Er braucht keinen Lohn. Rein monetär betrachtet würde sich der Aufwand so wenigstens lohnen.

Der Artikel ist Unfug. Er ist dem neuen Genre des Aufreger-Journalismus zuzurechnen. Auf Neudeutsch: Clickbaiting. Auf Kosten der Kultur.

Leserbeiträge

Lukas Vogelsang 17. Oktober 2020, 10:52

Na ja. Der Konter ist jetzt genauso an den Haaren herbeigezogen. Da ist kein Argument, keine logische Kritik an der Kritik zu finden. Die Tatsache, dass ein vermeindlich Vermögender Geld für ein Projekt erhält wird ja nicht dementiert – die Frage, ob das toll ist, ist nicht besser oder schlechter präsentiert. Hier ist mir der Kollegin Verlags- und Autorennähe etwas zu sehr im Wege: Es geht doch nicht darum, Werkbeiträge per se in Frage zu stellen oder zu verteidigen. Es ist absolut korrekt, jede Subvention oder Förderung zu beleuchten und zu hinterfragen. Einverstanden bin ich allerdings mit der polemischen Note der Geschichte – die ist mir auch zu überdreht. Und trotzdem: Die 4.5 Milliarden Steuergelder, die für Kultur und Kunst pro Jahr bezahlt werden, müssen immer geprüft, überdacht und diskutiert werden können. Ich selber finde übrigens diesen Werkbeitrag übrigens ebenso unsinnig ausgegeben. Und zwar, weil gerade viel zu viele Bücher produziert werden. Weniger könnte auch mehr sein (ich blicke zum Beispiel auf unsere immense Kunstbüchersammlung, welche ohne öffentliche Fördergelder nicht publiziert geworden wären – aber auch niemand wirklich liest …) …