3 Jahre «Nau.ch»: In der schnöden Realität angekommen
Drei Jahre nach der Gründung hat sich das News-Portal «Nau.ch» in der schweizerischen Medienlandschaft etabliert. Den starken Start verdankt die Plattform konsequenter Reichweitenoptimierung. Publizistisch gibt es noch Luft nach oben.
Zeig mir deine Leserkommentare und ich sage dir, wer du bist. Im Fall von «Nau.ch» gestaltet sich die Identifikation recht einfach. Der Kommentarbereich fällt mit einer schwachen bis inexistenten Moderation auf. Entsprechend unflätig kommen manche Wortmeldungen daher, zumal die Kommentare anonym und ungefiltert direkt veröffentlicht werden.
Eine solche Schmuddelecke ist dem Gesamtbild nicht eben zuträglich. Das wissen natürlich auch die Verantwortlichen und versprechen Besserung. Man arbeite «weiter mit Hochdruck an Optimierungen» und werde «noch sehr viel Zeit und Energie in die Community investieren», schreibt Chefredaktor Micha Zbinden. Dass die Kommentarmoderation «neu für uns» sei und «eine Herkulesaufgabe» darstelle, klingt dann doch nach einer etwas billigen Ausrede für die offenkundige Misere.
Dass das in den ersten drei Jahren nicht oder zu wenig geschehen ist, mag auch daher rühren, dass der Fokus von «Nau.ch» auf dem Wachstum und der Etablierung als neues News-Portal im hart umkämpften Online-Markt lag. Das ist dem Unternehmen aus dem Berner Vorort Liebefeld eindrücklich gelungen – nicht zuletzt deshalb, weil «Nau.ch» als Ableger von Live Systems an den Start gehen konnte. Die etablierte Vermarktungsorganisation im Bereich der digitalen Aussenwerbung verschaffte dem neuen Nachrichtenangebot von Beginn weg eine grosse Sichtbarkeit auf den Bildschirmen im öffentlichen Verkehr. Doch das allein vermag den Erfolg nicht zu erklären.
Dass «Nau.ch» mit Website und App innert zwei Jahren in die Phalanx der etablierten Player einbrechen konnte, liegt massgeblich am redaktionellen Angebot – und vor allem an dessen Vermarktung. Besonders in den Bereichen Bundespolitik, Sport und People verschaffte sich «Nau.ch» innert Kürze eine gut vernehmbare Stimme im Chor der deutschschweizerischen Online-Medien. Für alle drei Bereiche verfügt das Nachrichtenportal über Autorinnen und Autoren mit langjähriger Berufserfahrung und kann regelmässig mit Eigenleistungen punkten.
Für die Reichweite sorgt in erster Linie die schiere Masse an Textmaterial, das «Nau.ch» online stellt und für den Zugriff via Google optimiert. Bei der Berichterstattung aus den Regionen veröffentlicht die Redaktion neben eigenen Beiträgen und Agenturmeldungen auch Medienmitteilungen lokaler Akteure, wie Behörden, Parteien oder Vereine. Mit der Konsequenz, dass selbst bei der Suche nach marginalen Themen, etwa nach dem Grossen Gemeinderat Ostermundigen, ein Artikel von «Nau.ch» zuoberst auf der Trefferliste von Google steht – und nicht einer der lokalen Tageszeitung. Das Vorgehen zahlt sich in Form hoher Zugriffszahlen aus, was sich wiederum positiv aufs Geschäft mit der Werbung auswirkt. Je nach Messwert bewegt sich «Nau.ch» unter den Top Ten der meistbesuchten Nachrichtenseiten der Schweiz, auf Augenhöhe mit «Tages-Anzeiger online» oder «Watson».
Die Fixierung auf Reichweite wirkt sich indes auf das redaktionelle Programm aus. Bei vielen Artikeln auf «Nau.ch» handelt es sich um schnelle Zusammenschriebe von Beiträgen aus anderen Medien ohne eigenständige Rechercheleistung. Das ist nicht verboten, trägt aber nicht zur Schärfung des eigenen publizistischen Profils bei. Ausserdem birgt die Abschreiberei ohne vertiefte Kenntnis der Materie das Risiko, Fehler zu übernehmen und weiterzuverbreiten.
Mit drei Jahren auf dem Buckel ist man selbst nach der Internet-Zeitrechnung noch nicht erwachsen. Darum bleibt «Nau.ch» – hoffentlich – noch viel Zeit, seinen Kurs zu justieren und mehr vom Besseren zu bieten – also eigenständigen, originellen Journalismus. Dass man auch damit ganz gut über die Runden kommt, zeigen «Watson» und die «Republik», zwei andere erfolgreiche Neugründungen der letzten Jahre. Dafür müsste «Nau.ch» aber weniger zum Branchenprimus «20 Minuten» rüberschielen.
Ruedi Haltiner 21. Oktober 2020, 11:07
Also bitte: „Besonders in den Bereichen Bundespolitik, Sport und People verschaffte sich «Nau.ch» innert Kürze eine gut vernehmbare Stimme im Chor der deutschschweizerischen Online-Medien.“ Dabei sind die sog. „News“ auf den Bildschirmen des öffentlichen Verkehrs an Banalität und Stumpfsinn kaum mehr zu übertreffen. Brauchen wir wirklich solchen Schrott?
Christina Huber 21. Oktober 2020, 11:29
Der Artikel schildert das Geschäftsmodell von Nau etwas gar oberflächlich. Die Diskussion darüber wäre medienkritisch sehr relevant.
Nau hat offensichtlich ein einziges Ziel: Reichweite. Dafür hat man sich besonders in den letzten zwei Jahren zu einer SEO-Plattform entwickelt. Die Nachrichten sind stark SEO-optimiert geschrieben. Die schiere Menge an Output suggeriert Google, dass dies eine Plattform ist, die hoch gerankt werden muss. Ähnliche Websites mit mangelhafter Qualität, riesigem „Copy-Paste-Output“ und Top-Ranking gibt es in den USA. Zudem setzt Nau auch sehr stark auf News aus Deutschland und Österreich. Das Ziel auch hier: Reichweite, und sei sie international. Dementsprechend hat Nau einen unterdurchschnittlichen Anteil an Lesern aus der Schweiz. Es zieht schlichtweg zahlreiche Leser direkt über Google auf die Site. Leser, denen es egal ist, ob sie bei Nau, Blick, 20min, NZZ, FAZ oder Spiegel landen.
Das ist alles nicht verboten. Die Frage stellt sich nun aber: Ist das die Zukunft des News-Journalismus? Heisst die Hauptplattform bald einmal Google – und nicht mehr 20min oder Blick? Wird es dann einfach entscheidend sein, die Anforderungen Googles zu erfüllen, welche – wie Nau beweist – nicht primär als journalistisch, sondern als technisch zu verstehen sind? Und was macht das mit unserer Filterblasen-Gesellschaft?
E.R. 22. Oktober 2020, 20:15
mir reicht nau ch als grundsätzliche Info Plattform. Wenn ich ein Thema und entsprechende Fragen vertiefen will kaufe ich hin und wieder eine Zeitung, ein entsprechendes Buch, diskutiere im Freundeskreis und brauche meinen Kopf.
Und wenn ich mich mal aufregen will schaue ich kurz ( 2 Min ) in die Leserkommentare rein.