von Adrian Lobe

Google wird immer mehr zum Betriebssystem des Journalismus

Mit der «Digital News Initiative» entwickelte sich Google in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Mäzene für journalistische Medien. Eine aktuelle Studie hat bei deutschen Verlagen nachgefragt, wie sich das Google-Geld auf ihre Unternehmensstrategie und Berichterstattung auswirkt.

Die Corona-Pandemie hat die Krise der Nachrichtenmedien verschärft. Die Anzeigen sind dramatisch eingebrochen, zahlreiche Verlage haben Sparprogramme aufgelegt und Personal abgebaut – und das, obwohl die Nutzung allerorts zugenommen hat. Inmitten dieser Krise hat Google einen «Hilfsfonds für Journalismus» aufgelegt, bei dem sich Medienunternehmen um finanzielle Unterstützung bewerben können.

Der Suchmaschinen-Konzern hat im Rahmen seiner 2015 ins Leben gerufenen «Digital News Initiative» bereits 300 Millionen US-Dollar Fördergelder für den Journalismus bereitgestellt. Aus diesem Fonds flossen allein in Deutschland bis 2019 über 21 Millionen Euro. Zu den Empfängern der Google-Gelder gehören namhafte Verlage wie FAZ, Spiegel-Verlag oder Gruner + Jahr. In der Schweiz profitierten alle grossen Medienunternehmen, von AZ Medien bis NZZ-Mediengruppe, von der «Digital News Initiative».

Warum engagiert sich Google so stark für den Journalismus? Welche Interessen verfolgt der Konzern?

Das jüngste Förderprojekt von Google umfasst eine Milliarde Dollar. Nach jahrelangem Streit um die Vergütung von Pressetexten zahlt Google nun auch erstmals Lizenzgebühren für die Verwendung von Artikeln auf seiner News-Plattform: In den nächsten drei Jahren sollen im Rahmen von «Google News Showcase» 200 Medienhäuser entschädigt werden, darunter auch 20 Verlage in Deutschland (u.a. Spiegel-Verlag, Die Zeit Verlagsgruppe, FAZ, Handelsblatt-Gruppe und Burda). Damit ist Google zu einem der wichtigsten Financiers für den Journalismus geworden.

Warum engagiert sich Google so stark für den Journalismus? Welche Interessen verfolgt der Konzern? Und was bedeutet diese Finanzierung für die Unabhängigkeit der Nachrichtenmedien? Antworten auf diese Fragen suchte ein Forschungsprojekt der Otto-Brenner-Stiftung. Die Autoren Ingo Dachwitz und Alexander Fanta, beide Redaktoren von Netzpolitik.org, leuchten in der Studie «Medienmäzen Google – Wie der Datenkonzern den Journalismus umgarnt» die Beziehung zwischen Google und Verlagen aus.

Für ihre Untersuchung haben die Autoren Online-Fragebögen an 166 deutsche Medienunternehmen versandt, darunter kleine und regionale Presseverlage, grosse Medienhäuser sowie Fachverlage. Zudem wurden Leitfadeninterviews mit Verlagsmanagern geführt, was sich jedoch als schwierig erweisen sollte: Von 30 angefragten Geschäftsführern und Digitalverantwortlichen waren lediglich 14 bereit, sich für die Studie befragen zu lassen. Häufigster Grund für eine Absage: Man möchte sich nicht öffentlich dazu äussern. Wobei das auch ein Statement ist, das die Brisanz des Themas unterstreicht.

Insgesamt bewerten die Verlage die finanzielle Unterstützung fast alle positiv.

Auch bei den Online-Fragebögen war die Rücklaufquote mit 13 Prozent recht mager. Doch was jene, die bereit waren zu sprechen, zu Protokoll gaben, sagt viel aus über Googles Charmeoffensive. Der Geschäftsführer eines Medienunternehmens lässt sich anonym zitieren mit der Aussage: «Am Ende haben wir gesagt: Ey, wir können jetzt hier den moralisch sauberen Tod sterben oder wir machen halt unser Projekt.»

Insgesamt bewerten die Verlage die finanzielle Unterstützung fast alle positiv: Die Projektförderung verlaufe unbürokratisch und zurückhaltend, Einmischungen oder Einflussnahmen auf die Stossrichtung der geförderten Projekte gebe es nicht. Im Gegensatz zu Facebook ist das Bild von Google in den Verlagen überraschend positiv, weil die Suchmaschine als offenes Ökosystem wahrgenommen wird und «nicht so brutal kapitalistisch wie Facebook» sei, wie sich ein Befragter äussert. Nur ein Verlagsmanager gibt zu bedenken: «Von Google Geld zu nehmen, würde ich – Stand heute – ausschliessen, weil damit sofort ein Interessenkonflikt einhergeht.»

Zwar verneinen alle für die Studie befragten Journalisten, dass Verlage oder Chefredaktionen in die Berichterstattung über Google eingegriffen hätten. Trotzdem äussern einige Medienschaffende die Sorge vor einer Selbstzensur. Ein Journalist sagt: «Sobald ein Unternehmen viel Geld in die Hand nimmt und viel Präsenz zeigt, ist Sympathie unausweichlich. (…) Jegliche Art von Nähe gefährdet die Beisshemmung, weil man natürlich Verständnis für die andere Seite entwickelt und andere Blickwinkel einnimmt.»

Dass Google kein Philanthropenverein ist, der uneigennützig den Journalismus retten will, zeigt die Auswertung der geförderten Projekte.

Vor zwei Jahren kam die «Republik» in einer Bestandsaufnahme zu demselben Befund: Nachdem der frühere Präsident der Schweizer Verleger, Hanspeter Lebrument, 2007 noch damit gedroht hatte, Google vor Gericht zu ziehen, sei die Kritik am Konzern inzwischen «verstummt». Man beisst bekanntlich nicht in die Hand, die einen füttert. Das zeigt auch die aktuelle Berichterstattung über die aktuelle Studie. Keine einzige Schweizer Redaktion hat bisher darüber berichtet. Auch in Deutschland war die Resonanz gering – weder dem «Spiegel» noch der FAZ war die kritische Studie eine Meldung wert.

Dass Google kein Philanthropenverein ist, der uneigennützig den Journalismus retten will, zeigt die Auswertung der geförderten Projekte. So profitieren in der Regel etablierte, kommerzielle und westeuropäische Verlage, während finanzschwächere oder gemeinwohlorientierte Medien leer ausgehen. «Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich Googles Förderung für die Medienbranche an bestehenden ökonomischen Strukturen orientiert und diese vermutlich sogar verstärkt», bilanzieren die Autoren. «Wer hat, dem wird gegeben.» Die «Schliessung journalistischer Versorgungslücken in Mittel- und Osteuropa mit dem Ziel einer ausgeglicheneren europäischen Öffentlichkeit» werde nicht angestrebt, die Marktmacht etablierter Verlage dagegen konsolidiert. Damit leiste der Konzern «einen negativen Beitrag zur Entwicklung des Medienpluralismus in Europa».

«Die Finanzspritzen des Datenkonzerns werden zu einem festen Element für die Finanzierung von technischem Fortschritt.»
Autoren der Studie «Medienmäzen Google»

Unter dem Strich schätzen die Autoren den Nutzen der Google-Gelder ambivalent ein. Auf der einen Seite seien die Zahlungen an Medienhäuser «oft ein Segen». So sei diese Art der Zusatzfinanzierung – neben den Erlösen aus Nutzer- und Werbemarkt – für Innovationen extrem wichtig. Auf der anderen Seite wächst damit die Abhängigkeit der Verlage zu Google weiter. «Die Finanzspritzen des Datenkonzerns werden zu einem festen Element für die Finanzierung von technischem Fortschritt, auf das sich Medienhäuser in ihrer Entwicklungsplanung mehr und mehr verlassen», resümieren die Autoren.

Neben einer «korrumpierenden Nähe» sehen Dachwitz und Fanta die Gefahr einer «infrastrukturellen Vereinnahmung»: «Wer über die Bedingungen für die Herstellung, Verbreitung und Vermarktung von Information bestimmt, hat die Hebel in der Hand, um Einfluss auf Inhalte zu nehmen.» Schon heute komme kein Verlag ohne den Einsatz von Diensten wie Google-Analytics oder dem Google-Werbenetzwerk aus. Google schaffe ständig neue Werkzeuge für Verlage, wie etwa den Abonnementdienst «Subscribe with Google», welche die Abhängigkeiten weiter erhöhen.

Die Autoren der Studie fordern mehr Transparenz: Google sollte seine Zahlungen an Medien mit genauen Beiträgen offenlegen.

Google könne mit seinen Produkten und Diensten zu einer Art «Betriebssystem des Journalismus» werden. Damit wächst nicht nur die Gefahr, dass Verlage immer stärker in das Ökosystem von Google eingebunden werden, sondern auch, dass die Öffentlichkeitslogik des Mediensystems umcodiert wird. Der Chefredaktor einer auflagenstarken Fachzeitschrift bringt das in der Studie sehr deutlich zum Ausdruck: «Man muss leider sagen, dass Texte heutzutage nicht mehr mit dem Ziel entstehen, dass der Leser möglichst viel davon hat. Sondern Artikel entstehen so, dass sie dem Algorithmus von Google möglichst gut gefallen.»

Angesichts drohender Interessenkonflikte fordern die Autoren mehr Transparenz: Google sollte seine Zahlungen an Medien mit genauen Beiträgen offenlegen. Bislang wird die Fördersumme nicht bei allen Projekten publik gemacht. Das berührt auch noch einen weiteren Punkt, der in der Studie angesprochen wird: die Rechtsnatur der Zahlungen. Handelt es sich um Zuwendungen? Von Spenden ist bei Google nie die Rede, auch hat Google keine gemeinnützige Stiftung gegründet. Die Journalismusforscherin Emily Bell schrieb in der «Columbia Journalism Review», dass die Fördergelder aus dem Marketingbudget des Konzerns kommen. Auf Nachfrage der Studienautoren blieb Google im Ungefähren.

Mit der Studie werden einige bisher dunkle Winkel der Google-Finanzierung besser ausgeleuchtet.

Fakt ist, dass Google erhebliche Summen in die Hand nehmen kann – und offensichtlich auch bereit ist, dies zu tun. Um die Abhängigkeiten und damit die Gefahr von Interessenkonflikten zu reduzieren, fordern die Autoren daher Alternativen zum Google-Geld, etwa in Form einer öffentlichen Innovationsförderung. Der Vorschlag für eine neue Medienförderung in der Schweiz etwa enthält solche Elemente.

Die Studie ist ein wichtiger Debatteneinwurf. Sie zeigt eine interessante Innensicht der Verlage auf, die man in dieser Deutlichkeit noch nicht gelesen hat. Für die in der Analyse vielfach angetippte Hypothese, wonach die Google-Finanzierung kritische Berichterstattung am Konzern verstummen lässt, bräuchte es eine qualitative Inhaltsanalyse über einen längeren Zeitraum. Die Autoren betonen daher, dass ihre Studie «explorativen Charakter» habe. Mit ihrer Arbeit haben sie einige bisher dunkle Winkel der Google-Finanzierung besser ausgeleuchtet.

Leserbeiträge

Patrick Jud 31. Oktober 2020, 09:40

Es erstaunt nicht, dass in allen betroffenen Zeitungen dazu meist nur eine trockene Agenturmeldung erscheint – wenn überhaupt. Niemand erwähnt die jahrelange Diskussion, die dem schlussendlichen Einknicken der grossen Verlagshäuser voranging. Damit wird Information nochmehr zur blossen Ware. So genannter Content, bei dem offener Disput, Meinungs- und Gedankenfreiheit und alles was zur demokratischen Meinungsbildung dazugehört, ausgesperrt wird. Man beachte nur den rasanten Aufstieg sogenannter „Trouthfinder und Factchecker“, hinter denen meist transatlantische Netzwerke als „Wahrheitsministerium“ agieren. Angesichts der umfassenden wirtschaftlichen, ideologischer und politischer Macht, über die Internet Konzerne jetz schon verfügen, werden sie schliesslich auch das „Zeitgeschehen“ in eigener Regie von willfährigen Lakaien schreiben lassen. Da entlockt einem Orwells Big Brother nur noch ein müdes Lächeln. Zum heulen ist aber, dass Journalismus wie wir ihn bis vor kurzem noch gekannt haben ganz einfach verschwinden wird.

Achmed Bitzius 03. November 2020, 18:15

Hätten die Verleger Ende der 90er-Jahre auf ihre (schlecht bezahlten) Wirtschafts-JournalistInnen gehört anstatt auf ihre (neu eingestellten und gut bezahlten) Marketing- und Kommunikations-StrategInnen, hätten sie sich einen grossen Teil ihres betriebswirtschaftlichen Elendes ersparen können. Schon in den ersten Semestern jedes Wirtschafts-Studiums werden einem die Monopol- und Oligopolsituationen auf Märkten beigebracht. Das zeichnete sich damals schon bei Google und den anderen Tech-Giganten ab, und geschulte Ökonomen sahen das. Auch die Werber begriffen es früh und drehten ihre Inseratebudgets in Richtung Suchmaschinen, als die Verleger noch primär damit befasst waren, Journalistenstellen zu streichen, „Abläufe zu straffen“ und Marketing- und Management im Verlagsbereich auszubauen. – Jetzt wollen – horribile dictu – in den USA die bösen (!) Republikaner zusammen mit den guten (!) Demokraten endlich den Tech-Giganten mit Monopolklagen an den Kragen, wie sie es vor bald 50 Jahren mit den „Seven Sisters“ im einst total monopolisierten Erdöl-Business auch gemacht hatten. Darin würde eigentlich die Chance der inzwischen abgewirtschafteten Medienverlage liegen: „Sister Google“ in kleinere, sich konkurrierende Einheiten zu zerschlagen, und weniger in der weiteren Aufgabe von Unabhängigkeit gegenüber Google.