MAZ-Direktorin Fehr: «Ich habe nun viel mehr mit Journalismus zu tun»
Nach mehr als 20 Jahren bei Somedia wechselte Martina Fehr im vergangenen Mai als Direktorin an die Schweizer Journalistenschule MAZ in Luzern. Mit der MEDIENWOCHE sprach sie über das «harte Pflaster» Lokaljournalismus, öffentliche Gelder für die Ausbildung und ihren Start mitten in der Pandemie.
MEDIENWOCHE:
Sie traten mitten in der Pandemie Ihre Stelle als MAZ-Direktorin an. Wie war das?
Martina Fehr:
Als ich am 1. Mai begonnen habe, war die Schule geschlossen. Aber ich wollte vom ersten Tag an hier sein und ein Gespür für das Haus bekommen. Auch wenn es fast leer war. Das allererste Teammeeting fand per Zoom statt, denn natürlich waren 90 Prozent der Leute im Homeoffice. Sonst hält man eine Antrittsrede und bringt etwas zum Knabbern mit – stattdessen waren da etwa 25 Zoom-Fenster. Da spürt man null Reaktion von den Leuten, das ist schwierig. Statt den geplanten Antritts- und Verabschiedungsrunden konnte ich dafür mit dem abtretenden MAZ-Direktor Diego Yanez und den Studienleiterinnen und -leitern sehr sachbezogen arbeiten. Wir konnten das Beste aus der Situation machen und die Zeit nutzen. Um hier anzukommen war das nicht schlecht.
MEDIENWOCHE:
Wir sprechen am 21. Oktober miteinander. Momentan verschlechtert sich die Pandemie-Situation frappant. Konnten Sie in Ihrer bisherigen Zeit am MAZ denn überhaupt je eine gewisse Normalität erleben?
Fehr:
Im Sommer war der Betrieb sehr normal. Abstände können wir gut einhalten, die Verpflegung fand draussen statt. Ich spürte bei Studierenden, Dozierenden, den Studienleitern wieder eine gewisse Normalität … und das hat sich nun total verändert.
MEDIENWOCHE:
Eigentlich sollte das Interview bereits einige Tage früher stattfinden, aber haben das Gespräch dann verschoben.
Fehr:
Nun zeigt sich bereits wieder ein komplett anderes Bild! In den letzten fünf Tagen haben sich viele verunsicherte Leute gemeldet: Studierende, Menschen aus der Kommunikationsbranche, aber auch viele Dozierende aus Österreich und Deutschland. Die Quarantänesituation verunmöglicht es ihnen, nach Luzern zu kommen. Manchen untersagt der Arbeitgeber das Reisen. Nun stellen wir halt wieder auf virtuell um. Wir streamen, was möglich ist. Teilweise gibt es auch Hybridmodelle, in denen nur ein Teil der Klasse vor Ort ist. Es klappt relativ gut, aber hängt auch vom Thema ab: Kurse, in denen es um Auftrittskompetenz geht, kann man schlecht ins Virtuelle verschieben.
MEDIENWOCHE:
Werden die verschoben?
Fehr:
Das entscheiden die Kunden. Unser Sicherheitskonzept ist sehr streng. Aber es ist mir natürlich klar, dass es Leute gibt, die sich die Reise nach Luzern und einen Gruppenkurs momentan lieber ersparen. Das betrifft vor allem Kurse der Kommunikationsbranche. Im Journalismus sind Absagen aber weniger ein Thema. Die Journalisten sind irgendwie krisenresistenter, suchen virtuelle Lösungen oder bleiben beim Präsenzunterricht.
MEDIENWOCHE:
Also Sie merken dem Journalismus eine gewisse Abhärtung an?
Fehr:
Vielleicht ist der Umgang mit der Situation grundsätzlich anders, weil Journalistinnen und Journalisten auch über die Pandemie berichten müssen.
MEDIENWOCHE:
Ihr Vorgänger hat selbst auch unterrichtet. Werden Sie das auch tun?
Fehr:
Im Zuge der Pandemie gibt es so viel zu tun, dass ich nächstens wohl kaum dazu komme, aber später auf jeden Fall. Darauf freue ich mich sehr – und es ist auch wichtig. Doch ich war bereits bei einigen Angeboten dabei: Im Rollenspiel des Führungskräfte-Seminars zu Redaktionsmanagement habe ich den blöden Chef gespielt, anderswo war ich dabei, um Dozierenden Feedback zu geben. Beim MAZ-Digitaltag habe ich als Moderatorin auch Erfahrung darin gewonnen, wie Moderieren per Zoom funktionieren kann. Sobald ich dazu komme, möchte ich in der Journalismus-Diplomausbildung unterrichten. Ob ich wie mein Vorgänger Diego Yanez Medienethik unterrichte, müssen wir anschauen. Das Fach ist momentan bei Dominique Strebel, der uns verlassen wird und als Chefredaktor zum «Beobachter» geht. Was ich unterrichte, werde ich mit den Studienleitungen absprechen, aber ich finde es wichtig, Präsenz zu zeigen – und es macht viel Freude, den Nachwuchs zu erleben: Die Fragen, die sie haben und auch die Freude am Journalismus. Das gibt mir auch sehr viel zurück.
MEDIENWOCHE:
Ist es so, dass junge Journalistinnen, Journalisten idealistischer und motivierter sind als erfahrenere?
Fehr:
Sie sind noch nicht so verbraucht! Wohl auch, weil sie erst wenig Schlechtes erlebt haben. Aber natürlich kann man das so generell nicht sagen. Die Studierenden bringen sehr gute Fragestellungen ein und fordern uns heraus, indem sie bei uns Gelerntes im Berufsalltag anwenden und uns dann die gemachten Erfahrungen wieder zurückspielen, etwa in der Interviewtechnik. Es ist natürlich auch schön zu sehen, dass sie anwenden, was sie am MAZ lernen. Dabei kommen spannende Fragen auf.
MEDIENWOCHE:
Christian Mensch, der bei CH Media unter anderem für die Ausbildung verantwortlich ist, sagte der WOZ vor etwa einem Jahr, die heutige Generation sei «die am besten ausgebildete». Sehen Sie das auch so?
Fehr:
Als ich selbst anfing, hiess es: Mach mal! Das ist heute ganz anders. Dafür wird auch sehr viel gefordert, der Anspruch an die Jungen ist hoch. Im Online-Journalismus gehen die Anforderungen fast ins Programmieren – und gleichzeitig werden Storytelling-Kenntnisse erwartet.
MEDIENWOCHE:
Sie selbst haben die MAZ-Diplomausbildung nicht absolviert. Welchen MAZ-Kurs hätten Sie rückblickend gerne an den Anfang ihrer Laufbahn als Journalistin gestellt?
Fehr:
An meinen ersten MAZ-Kurs mag ich mich noch erinnern! Das war 1997, damals noch in Kastanienbaum ausserhalb von Luzern. Ich war da aber bereits drei Monate als Nachrichtenredaktorin bei Radio Grischa. Am MAZ habe ich dann bei Thomas Kropf von Radio DRS gelernt: In der Kürze liegt die Würze – so hiess auch der Kurs. Der zweite Kurs war übers Nachrichtenschreiben, wo ich ein Aha-Erlebnis hatte: Ah, es gibt eine systematische Logik, wie man Nachrichten aufbaut. Vor den Kursen habe ich einfach gemacht, die Kolleginnen kopiert. Aber das ist natürlich 23 Jahre her.
MEDIENWOCHE:
Soll denn am Anfang jeder Berufslaufbahn eine journalistische Ausbildung stehen? Wäre das wünschenswert?
Fehr:
Das Schulische für sich nicht. Im Journalismus lernt man extrem viel durchs Anwenden. Das ist, was unsere Ausbildung eben so wertvoll macht: Hier wendet man Wissen – anders an der Uni – immer an. Die Kombi von Beruf und Ausbildung ist ideal. Es ist natürlich von Vorteil, wenn man ein wenig Vorlaufzeit und Vorbereitung hat, bevor man ein allererstes Mal auf Sendung geht. Deshalb stellen wir der Diplomausbildung nun zweiwöchige Kompaktkurse voran. Aktuell spüren wir, dass die Begleitung unserer Studierenden, gerade im Homeoffice, weniger Raum bekommt. Wir bekamen auch gespiegelt, dass es für den Nachwuchs da teilweise schwierig ist, Feedback auf Artikel und Ideen für Geschichten zu bekommen.
MEDIENWOCHE:
Den Studierenden fehlt in der Pandemie Feedback innerhalb ihrer Redaktionen?
Fehr:
Auf einer Redaktion spricht man sonst miteinander, kann eine Geschichte auch mal im Türrahmen entwickeln. Das fällt im Homeoffice weg. Jetzt geben Studierende einen Artikel ab, bekommen irgendwann, ein paar Tage später erst, Feedback dafür. Das ist unbefriedigend. Es fehlt, dass jemand mal schnell einen Text gegenlesen kann. Im Unterricht konnten wir diese aktuellen Fragen einbinden und Strategien besprechen: Wie findet man alleine die gute Geschichte, die mehr ist als die 08/15-Variante, die einem spontan in den Sinn kommt? Eine Alternative wäre, klar abzumachen, wann die Studierenden ihre betreuenden Redaktoren anrufen dürfen.
MEDIENWOCHE:
Ich nehme an, die Studierenden haben auch Respekt davor, ihren Mentorinnen, Mentoren auf die Nerven zu gehen.
Fehr:
Absolut. Aber die Kreativität ist nicht nur bei den Jungen angeschlagen: Die Chefs sind momentan sehr gefordert. Darum haben wir für Führungskräfte kurze, in den Alltag integrierbare Sessions über Zoom eingeführt. Thema ist dabei eben gerade die Kommunikation über Zoom: Wie führt man über Zoom? Wie bewahrt man bei Redaktionssitzungen per Zoom Kreativität? Da sehen wir, was wir aktuell, auf die Pandemie zugespitzt, beisteuern können. In diese Führungsseminare fliessen dann wieder die Feedbacks der Studierenden aus der Diplomausbildung.
MEDIENWOCHE:
Und was empfehlen Sie ganz konkret einer Praktikantin, einem Praktikanten, irgendwo in der Schweiz im Homeoffice: Feedback aktiv verlangen oder nicht?
Fehr:
Auch unter unseren Studierenden herrscht teils Verunsicherung darüber, ob ihnen das zusteht. Wir sagen: Ihr dürft das einfordern.
MEDIENWOCHE:
Bevor sie im Frühjahr als MAZ-Direktorin gestartet haben, waren Sie bei der Bündner Somedia in vielen verschiedenen Funktionen tätig. Was vermissen Sie nun nach mehr als 20 Jahren im selben Medienhaus?
Fehr:
Äh … eigentlich nichts.
MEDIENWOCHE:
Gar nichts?
Fehr:
Nein. Viele warnten mich, mir werde es ausserhalb des Tagesgeschäfts, also am MAZ, langweilig. Wenn du im Tagesjournalismus bist, gibt es keine Lücken und immer etwas zu tun. Aber im Moment würde ich mir ein wenig Langeweile wünschen! Das ist aber auch geprägt von der Pandemie. Ich muss so viele Entscheidungen treffen, wir probieren so viele – digitale – Formate aus, die sehr viel Spass machen. Also von daher… Momentan fehlt mir das Tagesaktuelle überhaupt nicht.
MEDIENWOCHE:
Sie leben weiterhin sehr im Moment.
Fehr:
Ja. Ich konnte mich schon lange nicht mehr so um den Journalismus kümmern wie jetzt. Vorher hatte ich als Leiterin Publizistik so viele Managementaufgaben und Sitzungen – da war ich weiter weg vom Journalismus. Jetzt bin ich so nah dran und das ist sehr schön: im Austausch mit den Studierenden, mit den Studienleitern, Kurse oder Prüfungen vorbesprechen. Ich muss sagen: Ich habe nun viel, viel mehr mit dem Journalismus zu tun.
MEDIENWOCHE:
Dabei besteht das MAZ ja selbst nicht bloss aus Journalismus: 2018 zum Beispiel waren zwei Fünftel der Kurstage Angebote für die PR- und Kommunikationsbranche. Diese Kommunikationskurse sorgten für 55 Prozent des Umsatzes. Nur drei von fünf Kurstagen und 45 Prozent des Umsatzes steuerten Journalismuskurse bei.
Fehr:
Dieses Verhältnis wird sich dieses Jahr massiv verschieben. In anderen Jahren war es häufig 50/50, aber nun ist eben der Journalismus stabil und die Kommunikationskurstage fallen sehr viel häufiger aus. Exakt kann ich das aber noch nicht sagen. In der Regel macht der Bereich Kommunikation einen Gewinn.
MEDIENWOCHE:
Auch dieses Jahr?
Fehr:
Ja. 2020 können wir das Defizit des MAZ aus dem Journalismus mit dem Gewinn aus der Kommunikation aber nicht auffangen.
MEDIENWOCHE:
Ist es ein Problem, dass das MAZ als Journalismus-Schule von der Kommunikationsbranche abhängig ist?
Fehr:
Um diese Querfinanzierung bin ich sehr froh. Nur deshalb können wir die Journalismus-Kurse zu viel tieferen Preisen anbieten als die der Kommunikation. Oft höre ich, dass Redaktionen bei Aus- und Weiterbildung sparen. Würden wir die Preise nach oben anpassen oder unser Angebot ausdünnen, verzichteten wohl einige. Das würde dem Journalismus schaden. Wir haben auch klar definiert, welche Art Kommunikationskurse wir anbieten und welche nicht: Wir machen keinerlei Beratungen oder Kommunikationskonzepte, sondern bieten Kurse, die das Verständnis für Journalismus, die das Verständnis für unsere Arbeit vergrössern. Was sich damit nicht vereinen lässt, machen wir nicht.
MEDIENWOCHE:
Also sind es handwerkliche Kurse, die das MAZ bietet?
Fehr:
Genau. Wenn in Kommunikationsabteilungen klar ist, worauf es bei guten Medienmitteilungen ankommt, ist das auch ein Dienst an die Journalisten. In fast jedem Kommunikationskurs, den wir anbieten, braucht es auch die journalistische Sichtweise.
MEDIENWOCHE:
Wenn die Kommunikation momentan im Pandemiejahr mehr einbringt, ist es wohl kein akutes Risiko, aber trotzdem. Könnte es irgendwann zu viel Kommunikation werden?
Fehr:
Die Frage, wann es kippen würde, beschäftigt uns am MAZ immer wieder. Meine Befürchtungen sind da nicht so gross, denn Aus- und Weiterbildung ist wichtig – und das wird hoffentlich im neuen Mediengesetz anerkannt. Wir hoffen darauf, dass der Staat anerkennt, wie wichtig es ist, dass Journalistinnen und Journalisten ihr Handwerk wirklich beherrschen. Wenn wir viele Kurse danach bis zu 80 Prozent günstiger anbieten könnten, wäre der gesamten Gesellschaft geholfen. Ich finde es extrem wichtig, dass Journalisten – trotz Multimedialität, trotz Zeitnöten – die Grundlagen wirklich kennen: Das sind eure Rechte, das sind eure Pflichten. So können wir ein Bollwerk bleiben.
MEDIENWOCHE:
Ein Bollwerk wofür soll der Journalismus sein?
Fehr:
Journalismus ist für unsere direkte Demokratie extrem wichtig. Wir sehen nun, welche Verschiebungen passieren: Wie PR-Abteilungen bei Privaten und Ämtern stark aufstocken. Manche dieser PR-Leute kämpfen mit harten Bandagen, drohen schnell mit Anwälten … Wenn ich teilweise höre, wie Interviews beim Gegenlesen komplett umgeschrieben werden – das geht doch einfach nicht. Darum ist es umso wichtiger, dass die jungen Journalisten schon früh wissen: Das musst du beachten, das sind eure Pflichten – aber ihr habt auch Rechte. Und wenn ihr eure Pflichten einhaltet, müsst ihr nicht einfach alles akzeptieren. Je besser und je mehr Journalisten wir darin fit machen können, je früher sie dieses Selbstbewusstsein haben, desto schneller können sie journalistisch Haltungen einnehmen. Und dann – das ist meine Grundüberzeugung – hilft das allen in der Gesellschaft. Dazu gehört ebenfalls, dass wir Leute mittleren Alters fit machen, etwa mit Kursen für Datenjournalismus, so dass sie bis zur Pensionierung mithalten und im Journalismus bleiben können. Auch Älteren hilft es, wenn wir die Kurse stark vergünstigt anbieten könnten.
MEDIENWOCHE:
Dass nun eine breite öffentliche Medienförderung diskutiert wird, ist ja die Folge einer Entwicklung, die die Medienbranche seit 20 Jahren erlebt. Sprechen Sie denn vom Medienwandel oder von einer Medienkrise?
Fehr:
Von einer Transformation. Das alte Geschäftsmodell ist am Sterben, aber noch immer matchentscheidend. Gleichzeitig weiss man im Digitalen noch nicht, wie das neue erfolgreiche Geschäftsmodell aussieht. Das ist der Übergang, in dem wir uns befinden. Aber eine Krise würde ich es nicht nennen: Wir sind auf sehr vielen Ebenen in einer schwierigen Transformation. Der Weg, den man gehen will, ist einfach noch nicht sehr klar, weil man diese Digitalisierung noch immer nicht komplett verstanden hat.
MEDIENWOCHE:
Verfolgen Sie als MAZ-Direktorin in dieser Transformation ein Prinzip oder konkrete Projekte, die die Journalismusschule prägen sollen?
Fehr:
Auch bei mir: Digitalisierung! Einerseits geht es darum, dass wir uns intern von mühsamen Excel-Tabellen lösen und auf zeitgemässe Plattformen wechseln. Andererseits sollen wir auch agiler auf die Problematik am Markt reagieren können. Das heisst: neue Unterrichtsformen schaffen. Denn auch die Zeit ist ein Kostenfaktor, der Leute von Aus- und Weiterbildungen abhält. Sie müssen anfahren, brauchen je nachdem eine Vorübernachtung. Das sind grosse Kostentreiber.
MEDIENWOCHE:
Sie wollen die Schwellen so niedrig wie möglich setzen?
Fehr:
Ja, dass wir uns die Frage bewusst stellen: Was bieten wir vor Ort im Präsenzunterricht und was lagern wir ins Virtuelle aus? Gerade für Kaderleute ist es schwierig, sich einen ganzen Tag für einen Kurs freizuhalten, weshalb wir nun anderthalb- bis zweistündige Blöcke bieten. Dazu kommen neue Formate wie unser Digitalinput, wo wir die ersten drei Folgen mal kostenlos anbieten.
MEDIENWOCHE:
Wie viele Arbeitgeber zahlen den Volontärinnen, Volontären tatsächlich noch den Diplomlehrgang?
Fehr:
Grundsätzlich ist es so, dass je länger je mehr Studierende ihre Ausbildung selbst zahlen. Bei gebührenfinanzierten Lokalradio- und Fernsehstationen übernimmt das Bakom bis zu 80 Prozent der Kosten, gewisse Kantone beteiligen sich ebenfalls an den Ausbildungskosten. Wie genau die Anteile sind, weiss ich nicht aus dem Kopf. Aber von Seiten Arbeitgeber wird die Finanzierung, die früher selbstverständlich war, häufiger nicht mehr übernommen.
MEDIENWOCHE:
Hoffen Sie auch in Bezug auf das Schulgeld der Diplomstudierenden auf einen Ausbau der öffentlichen Beiträge an die Finanzierung?
Fehr:
Ja.
MEDIENWOCHE:
Vorhin haben Sie gesagt, sie vermissen nichts an Ihrem früheren Beruf. Aber trotzdem nochmals, mehr auf die Region bezogen: Was lernt man in Graubünden über Journalismus, das man sonst nirgends lernt?
Fehr:
Einige Dinge! Lokaljournalismus ist ein hartes Pflaster. Man ist Teil der Gesellschaft, über die man berichtet. Wer böse über den Nachbarn schreibt, spürt das direkt. Das andere, wovon ich sehr profitiert habe, ist, dass man bei Somedia sehr generalistisch unterwegs ist. Es ist kein Riesen-Medienhaus, wo es tausende Ressorts voller Spezialisten gibt. Dadurch erhält man eine Riesenspielwiese: Wer wollte, dem sind die Türen in sehr verschiedene Richtungen offen gewesen. Wenn zum Beispiel Zeitungsmenschen Lust hatten, im Radio zu arbeiten, war das möglich.
MEDIENWOCHE:
Sie selbst kommen ja vom Radio.
Fehr:
Genau, es ist meine Homebase, meine erste Liebe und das, was ich am längsten gemacht hab. Aber ich konnte eben sehr viel mehr tun. Das hilft mir jetzt: Ich stand bereits in früherer Funktion im Austausch mit dem Bakom und kenne die verschiedenen Mediengattungen.
MEDIENWOCHE:
Fällt Ihnen etwas ein, was Sie erzählen können dazu, wie hart Lokaljournalismus im Bündnerland manchmal sein kann?
Fehr:
Am Beispiel der Engadin-Korrespondentin der Südostschweiz. Sie hat gesagt, wenn sich jemand nicht fair behandelt fühlt, hast du einfach verloren. Die Macht, die man dann zu spüren bekommt, besteht darin, dass dir keine Informationen mehr weitergegeben werden und du nicht mehr eingeladen wirst. Dann bist du sofort vom Informationsstrom abgeschnitten. Wenn die Leute nicht mehr mit dir sprechen, kannst du deinen Job nicht mehr sinnvoll machen. Es ist darum als Lokaljournalistin immer ein Balanceakt, bei dem es darum geht, gegenüber allen fair zu sein und alle gleich zu behandeln. Im Lokaljournalismus hast du auch keine Ferien. Denn wenn du Einladungen ausfallen lässt, heisst es schnell, du seist nachlässig. In kleinräumigen Gebieten kommt es auch immer wieder vor, dass man über drei Ecken verwandt oder bekannt ist. Wenn jemand was geschrieben hat, das jemandem in den falschen Hals ist, habe ich als Südostschweiz-Chefredaktorin unmittelbar einen Anruf erhalten. Das würde im Raum Zürich, denke ich, wohl so nicht passieren.
MEDIENWOCHE:
Vor etwa zehn Jahren, als Chefredaktorin von Radio Grischa, mussten Sie sich einem wütenden Leserbriefschreiber gegenüber rechtfertigen, weil der Preis in einem Wettbewerb aus einem Aufenthalt in einem österreichischen Skigebiet bestanden hat.
Fehr:
Ja, genau! Auch – bezahlte – Inserate für Ferien im Südtirol sorgten immer für Ärger. Dabei kann man ja Werbekunden auch nicht einfach diskriminieren. Das sind Befindlichkeiten in der Bevölkerung, die schnell hochkochen. Wenn man über Trump herzieht, erhält man keine Reaktion, aber wenn man die Gemeindepräsidentin der Wohngemeinde kritisiert, ist die Ausgangslage anders. Das ist natürlich manchmal heavy.
MEDIENWOCHE:
Sie waren bei Somedia – als Programmleiterin von Radio Grischa, Chefredaktorin der Zeitung Südostschweiz und zuletzt Leiterin Publizistik – in vielen Funktionen die erste Frau. Das ist in der Medienbranche leider noch immer die Ausnahme: Die Führungspositionen sind grossmehrheitlich von weissen, studierten Männern besetzt. Kann oder soll das MAZ etwas tun, damit dies ausgeglichener wird und die Medienbranche näher an die Gesellschaft rückt, die sie repräsentiert?
Fehr:
Wir zeigen den Frauen am MAZ: Du kannst das. Oft, als ich Frauen in Führungspositionen nehmen wollte, reagierten sie sehr zurückhaltend. Deshalb geht es für uns in der MAZ-Ausbildung von Anfang an darum, jungen Frauen das Selbstbewusstsein zu geben: Glaub an dich, mach das. Wir sorgen auch bei Podiumsdiskussionen und Vorträgen dafür, dass wir ausgewogen sind. Die Frage, was unsere Rolle gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund ist, diskutieren wir aktuell intensiv, angeregt durch verschiedene Umfragen zur Diversität am MAZ. Hindernisse wie Sprache und lokales Netzwerk sind auch oft der Grund, weshalb es im Lokaljournalismus weniger Secondas und Secondos gibt.
MEDIENWOCHE:
Sie haben das Gefühl, Sprachkompetenz sei in der zweiten Generation zu wenig vorhanden, um im Journalismus zu arbeiten?
Fehr:
Bei Radio Grischa hatten wir lange Zeit die Vorgabe, dass man einen Bündnerdialekt hat. Es gibt halt Kriterien, nach denen Leute in der Branche wirklich ausgeschlossen werden. Beim Radio ist das mit der Sprache wohl noch krasser – aber es gibt ja heute andere Wege, ausserhalb des Lokaljournalismus, zu publizieren, etwa via Social Media. Das MAZ thematisiert transkulturelle Kompetenz und Berichterstattung in unseren Kursen, zum Beispiel in Führungs- oder Medienethikkursen. Es ist ein wichtiges Thema, aber im Diplomlehrgang haben wir nur ganz wenige Studierende mit einem Hintergrund aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland. Was die Gründe sind, ist schwierig zu sagen. Wir diskutieren aber, ob es unsere Aufgabe ist oder nicht, hier Veränderung anzustossen.
MEDIENWOCHE:
Ihr Vorgänger in der MAZ-Direktion, Diego Yanez, ist ja selbst Erstgenerationsmigrant.
Fehr:
Ja. Er ist ja auch nicht der einzige. Es ist nicht unmöglich, dass man es schafft. Es ist einfach eher schwierig.