von Adrian Lobe, Nick Lüthi

Und ewig lockt das globale Publikum

Immer wieder starten Verlage fremdsprachige Angebote – meist mit mässigem Erfolg. Die teuren Übersetzungen lassen sich kaum refinanzieren. Mit Maschinen statt Menschen kostet diese Aufgabe nun weniger. Auch wenn sich so neue Geschäftsfelder und Publika erschliessen lassen, dürften am Ende vor allem Facebook und Google profitieren.

Seit gut einem Jahr ist die «Berliner Zeitung» online auch auf Englisch und Russisch zu lesen. In der «English Edition» finden sich zwischen zwei und fünf tagesaktuelle Artikel aus verschiedenen Ressorts. Zum Beispiel ein Artikel, der sich mit britischen Expats in Deutschland und den Folgen des Brexit befasst. «Berlin ist eine globale Stadt, in der viele Menschen in verschiedenen Sprachen kommunizieren. Um auch internationale Berliner zu erreichen, haben wir die English Edition der Berliner Zeitung ins Leben gerufen», heisst es in einer Mitteilung der Zeitung. Jeden Tag werde eine «Auswahl der besten Artikel» aus der «Berliner Zeitung» übersetzt. Zusätzlichen zu dem Angebot recherchiert eine englischsprachige Redaktion «eigene originelle Storys mit und über internationale Wahlberliner».

Den Weg der Internationalisierung gehen auch andere Verlage. So gibt es beispielsweise bei «Zeit Online» und der «FAZ» schon länger ein englischsprachiges Angebot. Die französische Zeitung «Le Monde» wie auch der «Tages-Anzeiger» publizieren ebenfalls immer wieder Mal Artikel in englischer Sprache.

Die englische Version der spanischen Zeitung «El País» geht noch einen Schritt weiter: Hier wird dem Leser eine eigenständige Auswahl von Artikeln geboten, eine Art Best-of der Zeitung mit Meinungsstücken und Hintergrundgeschichten. Das linksliberale Blatt beschäftigt dafür sogar englische Muttersprachler. Es gibt auch einen eigenen Podcast auf Englisch.

Auch die «Washington Post» setzt auf Mehrsprachigkeit: So hat die Zeitung im vergangenen Jahr einen spanischen Podcast gestartet. Die Episoden werden in Washington, Bogotá und Madrid produziert. Zu dem spanischen Angebot gehört auch die Seite «Post Opinión», die Kolumnen und Meinungsstücke mit Schwerpunkt Mittel- und Lateinamerika veröffentlicht. Der Vorteil dieser Internationalisierungsstrategie liegt auf der Hand: Verlage können neue Lesermärkte erschliessen. Spanisch wird weltweit von 570 Millionen Menschen gesprochen.

Kurzlebige Experimente in der Schweiz

Vieles von dem, was in der digitalen Medienwelt als neuer Trend erscheint, war schon einmal da, konnte sich aber erst im zweiten, dritten oder x-ten Anlauf etablieren. Ob Podcasts, digitale Bezahllösungen – oder eben auch ein kontinuierliches Online-Angebot für ein anders-, respektive englischsprachiges Zielpublikum.

Pioniere in der Schweiz waren die Neue Zürcher Zeitung, die «Basler Zeitung» und die Tribune de Genève. Mit dem Auf- und Ausbau ihrer Website vor zwanzig und mehr Jahren boten die drei Zeitungen je ein englischsprachiges Ressort an. «Da die Lingua franca des Internet nicht Deutsch, sondern Englisch ist», schrieb die NZZ im Juni 1997, «verfügt NZZ Online über ein ‹English Window›, über ein englischsprachiges Fenster, durch welches Schweizer Ereignisse und Teile der NZZ auch dem nicht deutschsprachigen Ausland erschlossen werden.» Das «English Window» führte online die Tradition des gedruckten Monatsmagazin «Swiss Review of World Affairs» weiter, das die NZZ während 45 Jahren herausgegeben hatte. Doch das aufwändige Konzept mit übersetzten Kommentaren, Hintergrundberichten und Reportagen zum Weltgeschehen aus der Zeitung, sowie tagesaktuellen Online-News in englischer Sprache hielt sich nicht lange. Bereits nach fünf Jahren dampfte die NZZ das Angebot aus Spargründen ein und bot nur noch ein reduziertes Programm mit einem Newsfeed von Swissinfo an. Beim Relaunch der Website im Jahr 2007 schloss die NZZ das «English Window» nach zehn Jahren endgültig.

Während die NZZ – getreu ihres Selbstverständnisses als Weltblatt – mit ihren englischen Beiträgen ein internationales Publikum ansprechen wollte, zielte die «Basler Zeitung» BaZ als Regionalzeitung ab 2000 mit einem «English Corner» auf die lokale fremdsprachige Community. Für die Finanzierung setzte die BaZ «nach amerikanischem Vorbild» auf Sponsoren. So trugen die lokalen Pharma- und Chemiekonzerne Roche, Novartis und Syngenta einen Teil der Kosten. Man sei jedoch weit davon entfernt, auch nur Bruchteile der Investitionen wieder einzufahren, sagte damals der amtierende Chefredaktor Hans-Peter Platz.

Ins Geld ging vor allem die professionelle Übersetzung der Artikel. Das war denn auch der Grund, warum der «English Corner» 2012 geschlossen wurde. «Aufwand und Ertrag standen schlicht nicht im Einklang», erinnert sich Alexander Müller, der damalige und aktuelle Leiter Online der BaZ. «Wir hatten einiges an Kosten für das Übersetzen der Texte und kaum Leser, die sich für das Angebot interessierten.»

Auch in der internationalsten der Schweizer Städte sah die lokale Zeitung Potenzial in einem «English Corner», schliesslich gibt es in und um Genf eine grosse internationale Community. Ab 2003 führte die «Tribune de Genève» ein entsprechendes Ressort ein. Anders als die Pendants von NZZ und BaZ bot die Genfer Zeitung neben wochentäglich aktualisierten Nachrichten auch Ausgehtipps, ein Diskussionsforum sowie Umfragen und ein Quiz zum lokalen Geschehen. 2008 entschied sich der Verlag Edipresse, einen andere Weg zu gehen und die Expats mit einer eigenständigen Publikation anzusprechen. «Dieses Publikum liest keine lokalen Zeitungen, weil es keine lokalen Bindungen hat», erklärte damals Christophe Rasch, Projektleiter und Chefredaktor der neuen Plattform «Swisster». Diese sollte sich durch Geschäftsabonnements finanzieren, welche die Unternehmen zahlen, wo das englischsprachige Publikum arbeitet. Doch die Rechnung ging nicht auf. Nach zweieinhalb Jahren stellte Edipresse «Swisster» mangels Aboerträgen ein. Sein Gründer, Christophe Rasch, sollte später mit CNN Money Switzerland einen weiteren Versuch unternehmen, die englischsprachige Community in der Schweiz zu erreichen. Wie wir inzwischen wissen, scheiterte auch dieses Experiment.


Pioniere unter den mehrsprachigen Medienanbietern sind die öffentlich-rechtlichen Sender, allen voran die britische BBC. Deren Online-News gibt es in mehr als 40 Sprachen – von Azeri über Gälisch bis zu Suaheli. Auch die «Deutsche Welle» bietet Inhalte in 30 Sprachen an. Erst diese Woche kündigte der Auslandrundfunk der ARD an, journalistische Angebote in Zukunft auch auf Ungarisch und in Tamil bereitzustellen. In der Schweiz hält Swissinfo ein mehrsprachiges Angebot bereit. Bezeichnenderweise waren es bisher die gebühren- und abgabenfinanzierten Medienanstalten, die sich den Aufwand der Mehrsprachigkeit langfristig leisten können – und von Gesetzes wegen auch dazu verpflichtet sind.

Bei privaten Verlagshäusern stellt sich immer die Frage nach Aufwand und Ertrag. Und da sind anderssprachige Angebot nicht automatisch ein gutes Geschäft. So hat der «Spiegel» in diesem Jahr seine Bezahl-App «DER SPIEGEL in English» eingestellt, die jeden Tag Übersetzungen von Artikeln aus Print und Online sowie eigene Reportagen und Features bot.

Die New York Times übersetzt Artikel in rund ein Dutzend Sprachen, die meisten davon ins Spanische und Chinesische.

Im vergangenen Jahr hatte bereits die «New York Times» ihre 2016 lancierte spanische Online-Ausgabe einsgetellt – aus «kommerziellen Erwägungen», wie es hiess. Die «NYT en Español» publizierte zwischen 40 bis 50 Artikel pro Woche und erreichte ein globales Publikum von «den Galapagos-Inseln bis nach Barcelona». Ein Redaktionsbüro in Mexico City Artikel produzierte eigene Artikel und übersetzte ausgewählte Texte der Zentralredaktion. Damit ist nun vorerst Schluss. Weiterhin übersetzt die Times Artikel in rund ein Dutzend Sprachen, die meisten davon ins Spanische und Chinesische. Für diese beiden Sprachen gibt es auch je eine eigene Startseite unter nytimes.com/es, respektive cn.nytimes.com

Hoffnung machen den Verlagen die Fortschritte von Übersetzungsprogrammen auf der Basis von Künstlicher Intelligenz. Dienste wie Google Translate oder Deepl liefern schon heute passable Übersetzungen. Das technologische Potenzial eröffne neue Perspektiven, befand vor zwei Jahren der Verlagsmanager und Publizist Wolfgang Blau: «Egal ob in Kroatien oder Österreich: Gäbe es die Möglichkeit, alle Produktbeschreibungen eines E-Commerce-Unternehmens oder zum Beispiel auch journalistische Inhalte sofort in alle Sprachen Europas automatisch zu übersetzen, würde das ganz neue Möglichkeiten eröffnen und auch der Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit helfen.»

Bei der NZZ denkt man laut über die Wiederaufnahme eines englischsprachigen Angebots nach.

In der Schweiz ist diese Idee der sprachraumübergreifenden Öffentlichkeit dank übersetzter Medien bereits realisiert, wenn auch nur im Kleinen. So sind auf der neuen Videoplattform der SRG «Play Suisse» sämtliche Filme in den jeweils anderen Landessprachen untertitelt – in Kooperation von Mensch und Maschine. «Wenn ein Titel bereits über qualitativ gute Untertitel in der Originalsprache verfügt, setzen wir im ersten Schritt immer auf maschinelle Übersetzung», wird Benoît Rebetez, Projektleiter der Untertitelung bei Swiss TXT, in einem internen Newsletter zitiert. «Danach korrigiert ein professioneller Übersetzer diese erste Version und fügt die fehlenden Untertitel oder Tafeln hinzu, die im Video eingebrannt sind und daher nicht vom System übersetzt werden. Anschliessend schaut sich eine zweite Person die Untertitel an, macht eine Revision und bringt letzte Korrekturen an.»

Bei der NZZ denkt man derweil laut über die Wiederaufnahme eines englischsprachigen Angebots nach – sofern die technischen Voraussetzungen stimmen. Chefredaktor Eric Gujer sagte in einem Porträt der «Republik» im vergangenen Frühjahr: «Wenn die Zeit gekommen ist für eine gute automatisierte Übersetzung, dann wird die NZZ auch auf Englisch erscheinen. Wir glauben, dass wir als einzige Schweizer Zeitung Inhalte haben, die auch international nachgefragt werden könnten.» Wie konkret sind die Pläne heute? «Überlegungen zu einem entsprechenden Projekt sind seit einiger Zeit im Gang, da wir auch ausserhalb des deutschsprachigen Raumes ein Marktpotenzial für unseren Qualitätsjournalismus sehen», teilt die NZZ auf Anfrage der MEDIENWOCHE mit. Aktuell konzentriere man sich aber auf den deutschsprachigen Markt.

Welcher Verlagsmanager träumt nicht davon, sein Blatt zur globalen Marke zu machen?

Wenn es gelänge, auf Knopfdruck eine englischsprachige Ausgabe der NZZ oder der «Zeit» zu produzieren, die nur noch von zwei bis drei Schlussredakteuren redigiert werden müsste, liesse sich ein Angebot schaffen, das der NYT oder «Financial Times» Konkurrenz machen könnte – zumindest auf dem europäischen Markt, dessen Bewirtschaftung die NYT mit der Einstellung der «International Herald Tribune» faktisch aufgegeben hat. Eine NZZ auf Englisch würde man sicher auch in der Londoner City lesen. Welcher Verlagsmanager träumt nicht davon, sein Blatt zur globalen Marke zu machen?

Doch haben die Verlage dazu das nötige Know-how? Im Bereich der maschinellen Übersetzung sind nicht Medienunternehmen, sondern Tech-Konzerne führend. So hat Facebook jüngst ein Modell für Machine-Learning-präsentiert, das über 100 Sprachen übersetzen kann – ohne Englisch als Zwischensprache zu benötigen. Wer auf Facebook eine fremdsprachige Seite, beispielsweise den Feed einer französischen Tageszeitung abonniert hat, sieht seit geraumer Zeit rechte gute Übersetzungen. Kein Wunder, das Tool wurde mit 7,5 Milliarden Sätzen aus 100 Sprachen trainiert und nutzt 15 Milliarden Parameter. Das ist in etwa vergleichbar mit dem Textgenerator GPT-2, der sich auf 1,5 Milliarden Parameter stützt und autonom Artikel schreiben kann. Die KI bringt also genügend PS mit, um nicht nur Textvorschauen oder Teaser, sondern auch längere Texte zu übersetzen. Dem von Gründer Mark Zuckerberg ausgegebenen Ziel, eine «perfekte personalisierte Tageszeitung» zu schaffen, kommt der Konzern damit immer näher. Die Frage ist: Stellt Facebook das Werkzeug auch Verlagen zur Verfügung?

Facebook vergibt Fördergelder für die «Übersetzung der Berichterstattung zu COVID-19 für gefährdete Communities».

Das Facebook Journalism Project, das die Medienbranche in der Corona-Krise mit 100 Millionen Dollar unterstützt, vergibt unter anderem auch Fördergelder für die «Übersetzung der Berichterstattung zu COVID-19 für gefährdete Communities». Unter anderem erhält das New Yorker Magazin «City Limits» 20’000 Dollar dafür, dass seine Artikel auf Bengali, Chinesisch und Spanisch übersetzt und den entsprechenden Publika zugänglich gemacht werden. Facebook hat sich auf die Fahnen geschrieben, eine «globale Community» aufzubauen und dabei vor allem Lokales zu priorisieren. Die Förderung eines Stadtmagazins passt da perfekt zur Konzernstrategie.

Auch der Journalismusfonds von Google, die Digital News Initiative DNI, vergibt Gelder für die Entwicklung von Übersetzungsprogrammen. So wird etwa ein Projekt der «Deutschen Welle» zur automatischen Übersetzung und Transkription von Audio- und Videomaterial aus dem Google-Fonds gefördert. Zwar profitieren die Verlage von den Werkzeugen. Doch begeben sie sich dadurch weiter in Abhängigkeit zu den Tech-Konzernen.

Auch hier dürften am Ende mal wieder die grossen Plattformen profitieren.

Bleibt die Frage, wie sich das fremdsprachige Angebot monetarisieren lässt. Wäre man bereit, für eine englische NZZ oder «Zeit» zu bezahlen? Und wenn ja, wie viel? Die NYT hat bei ihrem spanischen Ableger bewusst auf eine Paywall verzichtet, um die Reichweite zu erhöhen – wobei sich allerdings nicht die erhofften Werbeeinnahmen erzielen liessen. Auch die spanische Sportzeitung «La Marca» setzt bei ihrem englischsprachigen Ableger auf kostenlose Inhalte – die Facebook-Seite «Marca in English» haben über eine halbe Million Nutzer abonniert. Das entspricht etwa der Follower-Zahl der FAZ. Das Social Network garantiert zwar eine hohe Verbreitung. Dafür verlangt es aber auch die exklusive Vermarktung. Am Ende dürften mal wieder die grossen Plattformen profitieren, die mit dem zusätzlichen publizistischen Angebot ein attraktives Werbeumfeld erhalten.